64

Für unsere Mütter und Hausfrauen

danken viele ihrer Lieblingsbücher gerade den Engländern: Robin­son, Gullivers Reisen, Oliver Twist, das Dschungelbuch und andere. Und was sie davon noch nicht kennen, das soll man ihnen jetzt, ge= rade jetzt zu lesen geben. Das alles wird sie bewahren vor dem Gift gehässiger Allgemeinurteile über die anderen Völker; das wird den Boden für gegenseitige Achtung und gegenseitiges Verstehen bereiten helfen. Unsere Kinder müssen die Pioniere werden, die die zerschossenen Brücken zwischen den Kulturvölkern Europas   wieder K. D. aufbauen.

3um Nachdenken.

" Ich glaube nicht mehr an das Rassendogma; wenigstens nicht, soweit es seelische Werte und geistige Leistungen begründen soll... Wie soll denn durch Rasse, dies allerallgemeinste Merkmal ober­flächlicher Unterscheidung, die künstlerische Begabung erklärt wer­den, die allereigentümlichste Sonderlichkeit, die nur von den gründ­lichsten Kennern geistiger Werte vollkommen erkannt und gewür­digt wird, gleichviel von welchem Rassenkörper."

Richard Dehmel  , Kultur und Raffe" ( Betrachtungen über Kunst, Gott   und Welt).

Feuilleton

Lucy Stone  .

-

( Fortsetzung.)

Eine nordamerikanische Bahnbrecherin der Frauenbewegung. 1847, in dem gleichen Jahre, in dem Luch Stone die akademi­schen Würden des Oberlin- Colleges erlangte, hielt sie ihren ersten öffentlichen Vortrag über Frauenrechte. Und zwar es dünkte vielen fast ein Märchen, das die kühnsten Träume der jungen Kämpferin übertraf von der Kanzel der Kirche in Gardner herab, an der Luchs Bruder als Geistlicher wirkte. Bald darauf wurde ihr eine Stellung geboten, die ihr auf Grund ihrer eigenen Betätigung eine bescheidene und mühereiche, aber würdige Eristenz sicherte. Die Antisklavereigesellschaft stellte sie als Rednerin für Propagandaversammlungen an.

-

Luch Stone widmete sich ihrer Aufgabe mit größtem Eifer, allein so herzlich und festgewurzelt ihre Sympathie für die Sklaven­befreiung war, so aufrichtig ihr Bemühen, dieser guten Sache zu dienen: heißer und zwingender noch empfand sie das innere Be­dürfnis, für die menschliche und soziale Erhebung des weiblichen Geschlechts zu kämpfen. Alles, was sie gegen die brennende Schmach der Sklaverei sagte, lenkte ihr Fühlen und Denken immer wieder aufs neue auf das nicht minder brennende Unrecht, das Weib daran zu hindern, zu seiner ganzen Höhe als Vollmensch empor­zuwachsen. So waren ihre Agitationsreden für die Sklavenbefrei­ung fast stets reichlich mit Gedankengängen verquickt, die für die Gleichberechtigung der Frau warben. Eines Abends ging ihr das Herz der Frau so unaufhaltsam durch, daß ein Freund ihr wohl­meinend bedeutete, solche frauenrechtlerische Rede vertrage sich nicht mit dem Zweck der Versammlung. Ich weiß es wohl," erwiderte Luch Stone schlicht, aber ich kann nicht anders. Ich war eine Frau, ehe ich der Bewegung für Abschaffung der Sklaverei beitrat, und ich muß für die Frauen sprechen."

Der Vorfall hatte ihr den Zwiespalt der Pflichten scharf zum Bewußtsein gebracht, und ihr Wesen verlangte so start nach Klar­heit, Einheitlichkeit, nach einem Ganzen, daß ihr Entschluß rasch gefaßt war. Ohne sich durch die Rücksicht auf die Existenzfrage be­einflussen zu lassen, gab Luch die Stellung als Rednerin der Anti­fflavereigesellschaft auf, um sich ganz der Propaganda für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts zu widmen. Da sie eine der erfolgreichsten Agitatorinnen der Gesellschaft war, wurde sie jedoch gebeten, wenigstens Samstag abends und Sonntags auch weiterhin für die Sklavenbefreiung zu sprechen. Diese beiden Tage galten nämlich für zu heilig", als daß an ihnen Frauen­versammlungen stattfinden durften!

Von nun an hatte Luch Stones Leben einen Hauptinhalt: das Wirken für die freie Zukunft ihres Geschlechts. Mit dieser Wen­dung wagte sich Luch in ein unbekanntes, stürmisches Meer, wo Felsenriffe und Untiefen drohten. Ihr Lebensschifflein fuhr jedoch nicht kompaß- und steuerlos, ein eiserner Wille lenkte es dem leuch­tenden Ziel zu, das die unbeugfame überzeugung einer reinen, großen Seele auch im tobenden Ungewitter nie aus den Augen verlor. Den Aposteln eines neuen Glaubens gleich zog Luch Stone durch die Vereinigten Staaten  . Und für so gut wie alle, die sie hörten, war es tatsächlich eine neue Lehre, die sie verkündete, die frohe Botschaft von dem vollen, freien Menschentum, zu dem auch

Nr. 16

das Weib berufen sei. Es erforderte die zähe Kraft, die leiden­schaftliche, selbstlose Inbrunst des Glaubens, um diese Botschaft zu verkünden, die den meisten eitel Torheit dünkte. Keine Organisa­tion war mit ihren Geldmitteln, mit ihrem moralischen Einfluß Luch Stone behilflich, Versammlungen zu ermöglichen, in denen die Sache des weiblichen Geschlechts geführt werden sollte. Die Kämpferin stand vereinzelt da, fast einsam, fie mußte erst die Pfade bahnen, die später viele mit ihr wandern sollten. Noch war es die Zeit, da auch in den Vereinigten Staaten   nur die ersten Zwölf eine neue Idee predigten, die um Geltung und Verwirk­lichung rang. Allein Luch Stone sah durch die Stern- und Nebel­Hülle, die die Zukunft verdeckt, die Hunderte, die Tausende und Zehntausende, die Ungezählten, die sich einst zu dieser Idee be­kennen mußten. Start in dem Bewußtsein, für Recht und Ge­rechtigkeit zu streiten, ließ sie sich durch keine Schwierigkeiten und Gefahren schrecken, der Stimme im Innern zu gehorchen.

Unermüdlich zog sie als freie Wanderrednerin jahrelang durch die Vereinigten Staaten  , oft ohne zu wissen, wo sie abends ihr Haupt niederlegen werde, nur wenige Cents in der Tasche, die kaum hinreichten, den notdürftigsten Lebensunterhalt zu bestreiten. An manchen Tagen gebrach es ihr auch an den wenigen Pfennigen dazu, wenn nicht ein Zufall freundschaftlich nachhalf. Sie sparte in jeder Hinsicht, um sich die Freiheit zu bewahren, die Gleich­berechtigung ihres Geschlechts zu vertreten. In Boston   lebte sie zum Beispiel in einer ärmlichen Herberge, wo sie für etwa 38 Pf. im Tag verköstigt wurde und für 18 Pf. Logis unter der Bedin­gung erhielt, mit den Töchtern des Wirts zusammen auf dem Speicher zu schlafen, drei in einem Bett. Ihre Kleidung war mehr als einfach: dürftig, es gab Zeiten, wo es Luch Stone an einem warmen Mantel fehlte. Lange, sehr lange konnte sie sich nicht über­winden, ein Eintrittsgeld zu ihren Versammlungen erheben zu lassen. Sie befürchtete, daß dadurch manche abgehalten werden könnten, sie zu hören. Noch bestimmender war ihr Empfinden, daß jedes Evangelium umsonst gepredigt werden müsse, weil es um­sonst empfangen sei".

Will man die Energie und Opferfreudigkeit richtig werten, die Luch Stone an die Pionierarbeit der ersten Jahre setzte, so muß man alle Vorstellungen von den heutigen Vereinigten Staaten bei­seite schieben, mit ihren schier unbegrenzten Möglichkeiten", be­quem zu reisen, leicht ein Versammlungspublikum zu sammeln. Kein Schnellzug mit Speise- und Schlafwagen führte die Agita­torin von Stadt zu Stadt. Heute mußte diese mit auf einem Segel­schiff reisen, das sich mühsam stromaufwärts arbeitete, morgen vielleicht in einer humpelnden altertümlichen Postkutsche, sehr oft war sie für ihre Beförderung auf eine gute Zufallsgelegenheit" angewiesen, weite Bezirke durchmaß sie auf Schusters Rappen". Vom Geldmangel abgesehen, lagen die Dinge auch sonst so, daß sie meist selbst ihre Versammlungen bekanntgeben mußte. Mit Nä­geln und mit einem Stein, den sie von der Straße aufhob, schlug sie die Plakate an, nicht selten von einer Schar wilder Bengel oder Neu­gieriger umlagert, die ihr Tun zu hindern suchten oder die Zetter abrissen, kaum daß sie befestigt waren. Luch Stone hielt dann eine erste Agitationsrede. Häufig stand ihr kein anderes Mittel der Versammlungsbekanntgabe zur Verfügung, als die persönliche. Einladung. Tagelang wanderte sie dann von Haus zu Haus, in ländlichen Gegenden von Farm zu Farm, und manche Seele ge­wann sie schon dabei für die Sache, der sie diente. Nicht überall gab es einen Versammlungsraum, nicht überall öffnete sich ein solcher für das gottlose Weib, das die Bibel nicht gelten lassen wollte". Luch sprach dann im Freien, auf einem Baumstumpf, einem Wagen, auf einer Tribüne, die sie selbst notdürftig errichtet. Das Publikum, an das die Sendbotin der neuen Lehre sich wen­dete, war durchaus nicht immer gewillt, sich bekehren" zu lassen. Ganz im Gegenteil, und die Gepflogenheiten der rauhen, verwil­derten Gesellen, wie wir sie aus Brete Harts" Brüllerlager" und anderen Novellen vom Weiten Westen" kennen, lagen ihnen zum großen Teil viel näher als Europens übertünchte Höflichkeit". Luch Stone erntete daher für ihre Vorträge keineswegs stets Lor­beeren, sondern oft genug faule Apfel, Steine usw. Eines Tages wurde ihr ein dickes Gesangbuch an den Kopf geworfen. In einer Versammlung im Winter besprißte man sie von rückwärts aus einem dicken Schlauch mit eiskaltem Wasser, so daß sie bis auf die Haut durchnäßt war. Als wäre nichts geschehen, wickelte sich Luch Stone in ihr Umschlagtuch und fuhr in ihrer Rede fort. Die Fähr­nisse und charakteristischen Episoden ihrer ersten Agitation würden ein Buch füllen. ( Fortsetzung folgt.)

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.$. tn Stuttgart.