Nr. 17

Für unsere Mütter und Hausfrauen

Ein Pflegeheim für geschlechtskranke Kinder. Eine der scheuß­lichsten Folgen des Weltkriegs ist das unheimliche Anschwellen der Geschlechtskrankheiten. Bei der Hartnädigkeit und den zerrüttenden Folgen dieser Krankheiten bedeutet ihre Zunahme eine schwere Ge­fahr für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des ganzen Volkes. Und nicht nur das gegenwärtige Geschlecht ist betroffen. Auch der Nachwuchs, die noch ungeborenen Geschlechter sind bedroht. Die Kin­der von geschlechtskranken Eltern- welche Bilder von Elend und Siechtum, von allen möglichen förperlichen und geistigen Gebrechen bieten diese hilflosen Kleinen! Herangewachsen fallen die meisten sich selbst und der Gesellschaft zur Last. Um so wichtiger ist es, daß ohne Zeitverlust die Bekämpfung und Eindämmung der Geschlechts­seuchen in Angriff genommen wird, und das nicht nur bei den Er­wachsenen, sondern gerade auch bei den Kindern, bei dem Geschlecht von morgen. Hier ist oft noch viel zu retten, manches Leben vor Siechtum und Glend zu bewahren, wenn man rasch und konsequent einschreitet. Die gefürchtete Syphilis ist ja nicht unheilbar; wohl aber bedarf sie jahrelanger sorgfältiger Behandlung und ärztlicher überwachung. Bei erblich mit der Krankheit belasteten Kindern ist die nötige methodische Behandlung und überwachung fast nur in eigens dazu eingerichteten Heimen möglich. Bumal ja in erster Linie uneheliche Kinder hierbei in Betracht kommen, die sonst in irgendeinem Kosthaus untergebracht werden und in den häufigsten Fällen der richtigen Sorgfalt und mütterlichen Pflege entbehren. Aber auch die meisten in der Ehe zur Welt gekommenen syphili­tischen Kinder müssen unter Verhältnissen aufwachsen, die eine sachgemäße Behandlung ausschließen. Es sind daher im Interesse der Gesellschaft wie im Interesse der Kinder selbst Heime zu fordern, in denen alle geschlechtsfranken Kinder, deren sachgemäße Pflege zu Hause nicht sichersteht, vom frühesten Alter an unter­gebracht, verpflegt und ärztlich behandelt werden. Die Kinder dürfen erst entlassen werden, wenn sie als völlig geheilt gelten fönnen. Meist wird das nicht vor vier bis sechs Jahren der Fall sein. Natürlich müssen dei der überweisung der Kinder in die Heime unnötige Härten gegen die Eltern vermieden werden.

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Solche Heime für geschlechtskranke Kinder bestehen bereits da und dort. Das erste wurde in Stockholm   errichtet, und nach seinem Vorbild erfolgte die Gründung eines zweiten in Kopenhagen  . Auch See­in der Nähe von Berlin  , in Friedrichshagen  , befindet sich straße 43 ein Pflegeheim für geschlechtstrante Rinder. Sein Begründer und Leiter ist der auf dem Gebiet der Hautkrankheiten bekannte Forscher Geheimrat Rosenthal. Er rief die Anstalt 1909 nach dem skandinavischen Muster für Kinder ins Leben, die durch geschlechtskranke Eltern erblich belastet waren und für unheilbar galten.

Geheimrat Rosenthal überweist dem Pflegeheim nur Kinder, die noch im ersten Lebensjahr stehen, wobei ungefähr der elfte Monat als Höchstgrenze" gilt. Je jünger die Kinder bei der Auf­nahme aber sind, um so besser ist es. Die Aufnahme erfolgt jedoch nicht sofort, nachdem die Geschlechtskrankheit festgestellt wurde. Die Kleinen erhalten zunächst in Berlin   in der Charité oder in einer sonstigen Krantenanstalt eine Behandlung und kommen dann erst nach Friedrichshagen  , wo ihr Verweilen im allgemeinen vier Jahre dauert. Innerhalb dieser Zeit ist eine vollständige Ausheilung mög­lich. Die Anstalt hat bereits eine Anzahl Entlassungen völlig ge= heilter Kinder zu verzeichnen. Je nach der Art der Einzelfälle wird der Aufenthalt mehr oder minder ausgedehnt, jedoch nicht länger als bis zum sechsten Lebensjahr des Kindes. Diese Zeitdauer reicht selbst bei besonders hartnädigen Fällen hin, um gänzliche Gesun­dung zu erzielen, und nur völlig geheilte Kinder entläßt die An­stalt. Sie gibt ihre Pfleglinge auch nicht zu Besuchen oder einem zeitweiligen Aufenthalt bei Verwandten heraus. Letztere dürfen mit den Kleinen bloß während bestimmter Stunden in der Anstalt selbst zusammentreffen. Bisweilen wird unter gewissen Bedingungen gleichzeitig mit dem Kinde auch die Mutter in die Anstalt aufgenommen, zumal wenn sie das Kind stillen kann.

Vorwiegend handelt es sich bei den Aufnahmen um uneheliche, in jammervoller Umgebung zur Welt gekommene Kinder, nach denen kaum jemand fragt und die meist der Armenpflege zur Last fallen. Nach der Entlassung aus der unmittelbaren Obhut der An­stalt werden sie bei geeigneten Familien untergebracht. Bei der Aufnahme ins Heim befinden sich die meisten Kinder in einem elenden Zustand. Der wandelt sich aber mehr und mehr unter dem Einfluß der neuen, nach jeder Richtung hin mustergültig gestal­teten Umgebung. Die älteren" Kleinen erscheinen wenigstens dem Laien so frisch, munter, lebensvoll, wie es jedem Kind aufs innigste zu wünschen ist.

Das Pflegeheim steht in einem nach dem Müggelsee hinlaufen­den Garten. Es macht schon in seinem äußeren einen sehr an­

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sprechenden Eindrud, nimmt sich im Innern wie ein Jdeal der Sauberkeit und gesundheitsgemäßen Einrichtung aus. Seine Räume gewähren 40 Kindern Unterkunft. Die dem Hause vor­stehende Oberin, die bei ihrem mühevollen Wirken geschulte Kräfte zur Seite hat, sagte, es wäre absichtlich keine größere Zahl ins Auge gefaßt, um jedem Kinde nach seiner Natur im besonderen eingehender beikommen zu können.

Die Anstalt beweist, wieviel zur Rettung der Ärmsten der Armen, der geschlechtskranken Kinder, getan werden kann. Es ist zu verlangen, daß solche Heime überall vom Staate eingerichtet und unterhalten werden. Ferner aber ist auch darauf hinzuwirken, daß die Quellen verstopft werden, aus denen die syphilitische Ver­seuchung immer aufs neue unter die Massen fließt, die Armut, die Unwissenheit und nicht zum mindesten der seit bald 22 Monaten wütende Weltkrieg.

Feuilleton

Lucy Stone  .

( Fortsetzung.)

Eine nordamerikanische Bahnbrecherin der Frauenbewegung. In den meisten Orten, wo Luch eine Versammlung abhielt, hatte bor ihr noch nie eine Frau öffentlich gesprochen. Dieser Umstand allein schon genügte damals, um ein zahlreiches, mehr neu- als wißbegieriges Publikum zu sammeln. Die meisten Versamm­lungsbesucher erlebten eine überraschung. Sie waren fest über­zeugt gewesen, ein vierschrötiges Mannweib mit Baßstimme und männischem Betragen vor sich zu finden. Aber siehe da! Luch Stone war klein und von gewinnendem Äußeren, trat ganz weiblich auf und hatte eine Silberstimme, deren musikalischer Klang bald be­rühmt wurde, und die niemand vergaß, der sie nur einmal gehört hatte. Schon diese äußerlichkeiten entwaffneten manches Vorurteil gegen die Rednerin und die Ideen, die sie verfocht. Aber über­zeugender und nachhaltiger wirkte die klare, durchsichtige Logif ihrer Gedanken, wirkte die begeisterte und begeisternde, hinreißende Innerlichkeit ihres Vortrags. Die wenigsten ber­mochten sich der Macht ihres Wortes zu entziehen, denn man fühlte ihm an: hier redet heiligste Überzeugung, hier hebt sich auf die Lippen, was die Seele erlebt. Der überspringende Funke zündete nicht bloß bei geistig Hochstehenden und Freigesinnten, die nach geläuterten sittlichen und sozialen Werten trachteten. Er entflammbe oft auch gerade Leute, deren Menschlichkeit durch Schick­falsnöte unentwidelt geblieben oder durch Lebensstürme verschüttet war, sich aber unter dem Zauber einer idealen, starken Persönlich­keit plötzlich auf sich selbst besann. Luch Stones Macht über den sogenannten Pöbel war außerordentlich. Die kleine Frau ver­schaffte fich fast stets auch in den stürmischsten Versammlungen Ge­hör, wo alle anderen Rednerinnen und Redner für die Frauen­emanzipation' und Sklavenbefreiung niedergeschrien, wohl gar mißhandelt wurden.

Auch Luch Stones Unerschrockenheit und ruhige Geistesgegen= wart trugen viel dazu bei, die heftigsten Ausbrüche feindseliger Gesinnung zu dämpfen, ja leidenschaftlichen Widerspruch in stilles Anhören und schließlich in herzliche Zustimmung zu verwandeln. Diese ihre Eigenschaften verblüfften und imponierten. Dafür ein Beispiel unter Hunderten. Eine Antislavereiversammlung sollte in einem Hain   bei Cape Cod   stattfinden. Um die rasch aufgeschla= gene Tribüne sammelte sich eine stattliche Menge, offensichtlich zu Gewalttätigkeiten bereit. So drohend war die Stimmung, daß einer der vorgesehenen Redner nach dem andern so still und un­bemerkt wie möglich von der Tribüne verschwand. Zuletzt standen Luch Stone und Stephen Foster  , ein Führer der Antisklaverei­bewegung, noch allein dort. Sie würden gut daran tun, Stephen, fich aus dem Staube zu machen, fie kommen," sagte Luch. Aber wer wird dann Sie beschüßen?" antwortete der Freund. In diesem Augenblick wälzte sich die Menge heran, allen voran stürmte ein Herkules mit einer Keule, der auf die Tribüne sprang. Dieser Herr da wird mich beschützen," meinte Lucy Stone   schlagfertig. Der Riese stand einen Augenblick sprachlos, sagte dann" ja", nahm den Arm der kleinen Frau, und wild seinen Knüppel schwingend, führte er sie durch die wütende Menge, die Foster und anderen Sklavereigegnern sehr übel mitspielte. So eindringlich wußte Luch ihren Ritter von der Notwendigkeit zu überzeugen, ihr zum Wort zu verhelfen, daß er sie auf einen Baumstumpf hob, von wo aus sie sich an die Menge wendete. Ihre Rede ergriff diese derart, daß sie nicht bloß weiteren Tumult unterließ, sondern 25 Dollar sam­melte, um Stephen Foster   den Rock zu bezahlen, der im Handge­menge zerrissen worden war.