Nr. 19
Für unsere Mütter und Hausfrauen
Die Mutter als Erzieherin. Tapferkeit. Die Jugend hat eine natürliche Vorliebe für alles Starke, Mutige, Heldenhafte. Sie begeistert sich für Menschen, die der Gefahr furchtlos ins Auge sehen und sie mit Tatkraft überwinden. Das beweist die Auswahl ihrer Spiele, das beweisen vor allem ihre Lieblingsbücher; Heldensagen, Reisabenteuer, Kriegs Räuber- und Indianergeschichten erfreuen sich bekanntlich der größten Beliebtheit. Auch die jugendlichen Lebenspläne spiegeln diese Sinnesrichtung wieder: alle Berufe, die die Phantasie mit dem Schimmer des Heldenhaften umgibt, scheinen besonders erstrebenswert. Vom Seemann , Soldaten, Luftschiffer bis zum Lokomotivüberall ist es nicht das Einerlei führer und Autochauffeur täglicher Pflichterfüllung, sondern vielmehr die überwindung außergewöhnlicher Schwierigkeiten und Gefahren, was die jungen Menschenkinder zu diesen Berufen hinzieht. Die Jugend ist nach bekanntem Wort das Heldenzeitalter des Menschen, und es wäre traurig, wenn es anders wäre. Das graue Ginerlei eines ungeliebten Broterwerbs erstickt diesen Heldengeist ohnehin meist nur allzufrüh dann kommt bei den meisten die Zeit der Angst um die Existenz, die Zeit der Bedenken und der Rechnungsträgerei.
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Je mehr wir uns aber an dem aufs Heldenhafte gerichteten Sinn der Jugend freuen, um so weniger übersehen wir die Gefahr, daß dieser Sinn heute, unter dem Eindruck des Weltkriegs, völlig in das Fahrwasser des Militarismus und der Kriegsbegeisterung gerät. Scheint es doch heute aus hundert Jugendbüchern, Gedichten, Broschüren und Zeitungsartikeln, als ob nur auf dem Schlachtfeld Mut bewiesen werden könne, als ob es keine andere Tapferkeit gäbe, als mit dem Schwert in der Hand. Eine solche Auffassung darf nicht in den Seelen unserer Kinder festwurzelen; es wäre Verrat an unserem sozialistischen Jdeal, wenn wir das zuließen.
Da ist vor allem wichtig, die Lektüre unserer Jugend zu überwachen. Krieg bis aufs Messer oder besser: bis auf die Feuerzange den Erzeugnissen betriebsamer Federfuchser, die jetzt schon Dußende bon Kriegsjugendbüchern auf den Markt geworfen haben! Geschichten, wo irgendein tollkühner Schiffsjunge oder ein sechzehnjähriger Kriegsfreiwilliger die abenteuerlichsten Heldentaten vollbringt, Spione entlarvt, den tödlichsten Gefahren entrinnt und schließlich mit dem Eisernen Kreuz erster Klasse geschmückt wird. Fort mit solcher Schundliteratur, die sich leider bereits in die Schülerbibliothek mancher Schulen eingenistet hat! Wir schicken sie dem Herrn Bibliotheksleiter zurück mit einem kräftigen Brieflein. Statt Büchern der gekennzeichneten Art geben wir unseren Kindern griechische und deutsche Heldensagen in die Hand, Geschichten von kühnen Welt- und Forschungsreisenden, von Löwenund Bärenjagden, meinetwegen auch Coopers Lederstrumpfgeschichten und Gerstäders Abenteurerromane. Vor allem sollen sie von Freiheitshelden hören und lesen, von Winkelried und Tell, von Thomas Münzer und Florian Geyer , von den Revolutionskämpfen aller Zeiten.
Daneben aber sollen wir unseren Kindern zeigen, daß es noch andere und bessere Gelegenheiten gibt, Mut und unerschrockenheit zu beweisen, als nur mit den Waffen in der Hand. Sie sollen erfahren von Nansen, Livingstone und Humboldt, von mutigen Lebensrettungen, von der opferfreudigen Tätigkeit der Hamburger Arbeiter bei Bekämpfung der Choleraepidemie im Jahre 1892 und ähnliches mehr.
Es gibt aber noch eine andere Tapferkeit, als die gegenüber rein physischen Gefahren, eine Tapferkeit, schwieriger zu üben, weil sie täglich von uns verlangt wird, nicht nur an gewissen Höhepunkten unseres Lebens, und weil ihr selten Anerkennung zuteil wird. Das ist die Tapferkeit auf sittlichem Gebiet. Gar mancher Junge, der vor den tollkühnsten Streichen nicht zurückschredt, wird feige und erbärmlich, wenn er sich vor irgendeiner Autorität zu diesen Streichen bekennen soll:„ Ich war's, ich hab's getan!" Diese fittliche Tapferkeit, den Mut zur Wahrheit, sollen unsere Kinder achten und üben lernen. Und mit ihm den Mut zur eigenen Meinung, den Mut, anders zu sein, als die anderen. Die meisten Menschen sind Herdentiere: sie laufen mit der Masse, heulen mit den Wölfen, find wohl auch gelegentlich tapfer, ja tollkühn, wenn sie des Beifalls der Masse gewiß sind. Man treibt Sport und macht tollkühne Wetten weil die andern es tun, man raucht und trinkt weil die andern es tun. Nur nicht aus der Reihe tanzen, nur nicht anders sein als die anderen und so etwa ihr Gelächter herausfordern! Die Gefahr, ausgelacht zu werden, scheint vielen Menschen jungen wie alten unerträglicher als selbst die Lebensgefahr. Diesem Herdengeist zu widerstreben, nicht mit den Wölfen zu heulen, nur sich selbst und der eigenen Überzeugung
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zu folgen, das erfordert Tapferkeit. Es gehört für manchen Jungen mehr Mut dazu, mit einem vielgeflicten Anzug oder einem alt= modischen Mantel zur Schule zu gehen, als den stärksten Gegner zum Zweikampf herauszufordern. Vor Jahren lernte ich einen Formerlehrling kennen, der eine schöne Probe moralischen Mutes abgelegt hat. Bei den Formern war es damals Sitte ich weiß nicht, ob heute noch, bei der Arbeit große Mengen von Alkohol zu genießen: die Arbeit in den heißen Gießereien macht durstig. So lernte auch unser Formerlehrling bald ganz tüchtige Quantitäten Bier und Schnaps zu vertilgen. Da ward ihm durch einen Freund flar gemacht, wie verhängnisvoll der Alkoholgenuß auf Gesundheit und Geisteskraft des Menschen wirkt, und er beschloß, teine geistigen Getränke mehr anzurühren. Von nun an nahm er sich Milch oder Kaffee mit zur Fabrik. Für seine Arbeitskollegen, auch die erwachsenen, wurde er daraufhin die Zielscheibe unaufhörlichen Spottes. Bald stellten sie ihm einen Eimer mit Kalkmilch, bald eine Säuglingsflasche auf seinen Arbeitsplatz. Aber der Junge ließ sich's nicht anfechten, sondern blieb fest. Ich weiß manchen tüchtigen Turner und Ringer, der ihm das nicht nachgetan hätte. An unsere Proletarierjugend tritt oft genug die Gelegenheit heran, solche Tapferkeit zu beweisen. Nicht nur den eigenen Genossen gegenüber, die Zigarettenrauchen und Biertrinken als Zeichen der Männlichkeit bewundern und den verlachen, der da nicht mithalten will, sondern auch gegenüber manchen Autoritäten in Schule und Leben, die unsere sozialistische Weltanschauung und unsere Organisationen verspotten, beschimpfen und verfolgen. Die Tapferkeit, zu der wir unsere Jugend erziehen wollen, besteht darin, für das FürRecht- Erkannte, für die eigene Überzeugung einzutreten, unbeirrt vom Spott der Menge, aber auch nicht zurückschreckend vor Gefahren für Gut und Leben. K. D.
Feuilleton
Eine nordamerikanische Bahnbrecherin der Frauenbewegung. ( Fortsetzung.)
Die Umstände, unter denen Henry Blackwell Luch Stone nähertrat, find charakteristisch für beide. 1853 waren den gesetzgebenden Körperschaften des Staates Massachusetts für die Einführung des Frauenwahlrechts nicht weniger als zwölf Petitionen mit über 2000 Unterschriften eingereicht worden. Vor einem Ausschuß des Barlaments sollten diese Petitionen begründet und diskutiert werden. Die Frauensache wurde durch Männer und Frauen von großem Ruf vertreten. Henry Blackwell , ein junger, angesehener Kaufmann aus Cincinnati , sah und hörte bei dieser Gelegenheit zum erstenmal Luch Stone. Es schmückte sie nicht mehr der blumenhafte besondere Reiz weiblicher Jugendblüte, den die Franzosen mit seiner Psychologie„ des Teufels Schönheit " nennen; jener Reiz, der in sich selbst die Rechtfertigung seiner feguellen Macht über Männerherzen trägt. Jedoch Luch Stones ganze Persönlichkeit war von jenem Zauber umweht, der der Abglanz einer großen, reinen Scele ist, die im Ringen um die höchsten Menschheitsgüter sich täglich in den Flammen grenzenloser Hingabe verzehrt, und die täglich in Begeisterung und Kraft wieder neugeboren ersteht, dem sagenhaften Vogel Phönig gleich. Wer in den Bann dieser Persönlichkeit geriet, der vergaß die Frage nach dem Geburtsschein, er empfand nur die tiefe, lautere Herzensgüte, die urwüchsige Geistesstärke, die märtyrer- und heldenhafte Überzeugungstreue eines seltenen Menschen.
Wie ein Blizz zündete die Empfindung in Henry Blackwells Seele: die Frau da vor ihm, die mit unvergleichlichem Talent und leidenschaftlichem Eifer Bürgerrecht als Menschenrecht der Frauen forderte, sie war die Verkörperung des von ihm erträumten Ideals edler Weiblichkeit. Er gelobte sich, Luch Stone müsse die Seine werden. In der erregten geistigen und politischen Atmosphäre der Zeit fnüpften sich zwischen den beiden Gleichstrebenden rasch Bande einer ungezwungenen Kameradschaftlichkeit, die zur herzlichen Freundschaft wurde. Henry Blackwells heiße Liebe wuchs und befestigte sich in ihr, und es kam der Tag, wo Luch Stone sich eingestehen mußte, daß das Weib in ihr laut, stürmisch die Vereinigung mit dem begehrenden, werbenden Manne forderte. Allein von dieser Erkenntnis bis zur Erfüllung war ein großer Schritt, der nicht ohne schwere innere Kämpfe getan wurde. Wohl war sich Luch Stone bewußt, daß ihr Herz sich für keinen Würdige= ren als Henry entscheiden konnte, wohl empfand sie beglückend die Wahlverwandtschaft, die sie mit unwiderstehlicher Macht zu diesem