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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Manne   zog, und die eine harmonische, reiche Lebensgemeinschaft zu verbürgen schien, und dennoch währte es fast zwei Jahre, bis der Liebestraum volle Wirklichkeit ward.

Luch Stone war ehrlich entschlossen gewesen, sich nie zu verhei= raten. Sie hatte Klarheit darüber gewonnen, daß sie sich ohne Schachern und Feilschen um persönliches Glück in den Kampf für die Erhebung ihres Geschlechts einsehen müsse. Ihre Auffassung von der Pflicht als Vorkämpferin einer neuen Zeit und der Pflicht als Gattin und Mutter war eine so hohe, daß sie es für unmöglich hielt, beide Lebenstreise miteinander zu vereinigen, und sie gehörte nicht zu jenen, die leichten Herzens sich damit begnügen, zweierlei nur halb zu tun. Henry Blackwell   gelobte Luch, daß durch die Liebe und Ehe die Frauensache nicht leiden, sondern gewinnen solle. Er selbst wolle sich ihr ganz widmen. Das Glück ihres Herzens­bundes werde eine Quelle stärkster Kraft für gemeinsames Wir­fen im Dienste des einen großen Ideals sein. Und Henry Black­ well   war nicht der Mann, der in taumelnder Liebesglut voreilige Worte in den Wind rief. Luch Stone hatte reichste Gelegenheit, zu erfahren, daß unbeugsamer Wille hinter seinem Wort stand.

Aber auch aus dem Weibsein der Kämpferin krochen Bedenken und Zweifel gegen die Bindung an das heiße, glückverlangende Herz. Ein überragender Zug ihres Wesens war die große Treue, eine Treue, die standhält bis zur Selbstvernichtung. Luch empfand und wertete die Lebensgemeinschaft mit einem Manne als ein Treuverhältnis, das ihren religiösen Anschauungen entsprechend Tod und Grab überdauern sollte. Treue um Treue war für sie eine innere Lebensnotwendigkeit. Die Studentin und Agitatorin war durch die Schule der Erfahrung gegangen. Sie hatte das herbe Schicksal mehr als einer Freundin miterlebt, die weder der Wert ihrer Persönlichkeit noch die Kraft ihrer Liebe vor dem Wechsel der Gefühle des geliebten Mannes bewahrt hatte, Die junge Frauenbe wegung zog nicht bloß die Edelsten des Geschlechts an, sondern auch Schmierenkomödiantinnen des Jdealismus, die sich das Interesse für große Biele auflegten, wie die Dirnen Schminke, und das zu dem gleichen Zwecke, wie Olive Schreiner   sich ausdrückte. Reiche Tagediebinnen, für die sich des Lebens Inhalt in dem Liebesspiel mit einem Manne von Ruf erschöpfte, und denen die skrupellose Zertrümmerung einer Ehe der einzige Nachweis persönlicher Bedeutung dünkte. Luch hatte beobachtet, daß ernste, glänzende Mannesnaturen geschmeichelt dem Werben solcher Frauen erlagen, weil ein aus Müßiggang   und Gold geborener Dilettantismus sie blendete und den persönlichen Unwert vulgärer Männerjägerinnen verhüllte. Das Spiel endete nicht immer als burleske Komödie, bei der jedes lachend auf seine Rechnung kommt; oft genug stand am Abschluß die gebrochene erste Frau" und ein in Lüge und Schmuß verstrickter Mann, dessen Kraft ein Weib auf­zehrte, das auch geistig nur eine parasitäre Eristenz zu führen ver­mochte. Luch Stones Gefühl für Henry Blackwell war stark wie jene Liebe, von der das Evangelium sagt: fie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Ja, diese Liebe war bereit, alles zu dulden, soweit es sich um Luch selbst handelte. Aber sie war zu groß, zu rein, als daß sie nicht vor dem Gedanken gezittert hätte, der Geliebte könnte einst leiden, in Schuld und Fehle versponnen werden.

Andere Gedankenreihen waren noch bestimmend dafür, daß Luch Stone ihrem Henry und sich selbst eine lange Prüfungszeit auf­erlegte. Das Gesetz gab damals auch in den Vereinigten Staaten  die verheiratete Frau vollständig in die Hand des Gatten, machte sie zu dessen Eigentum. Durfte, konnte eine überzeugte Verfech­terin der Gleichberechtigung des Weibes sich solchem Gesetz unter­werfen, ohne sich und ihrer überzeugung etwas zu vergeben? Der Gedanke an eine freie Ehe scheint Luch soweit wir wissen Etone ferngelegen zu sein, obgleich die freie Ehe in der Zeit und schon früher glänzende Befürwortung gefunden hatte, die der Kämpferin für das Recht des Weibes als Persönlichkeit sicherlich bekannt war.

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Am 1. Mai 1855 wurde das Paar in Buchs Heimat getraut. Mehr als einmal hatten Gegner der Frauenbewegung im Scherz oder Ernst den Wunsch ausgesprochen, bräutliche Küsse" möchten den beredten Mund" der erfolgreichen Agitatorin schließen. Die Heirat erregte Aufsehen, und das junge Baar hielt es für seine Pflicht, durch eine grundsätzliche Erklärung die persönliche Angelegenheit der Sache des Frauenrechts nubbar zu machen. Bei der Trauung wurde ein gemeinsamer Protest gegen die Ungerechtigkeiten der damaligen Ehegesetzgebung berlesen und unterzeichnet; durch Zei­tungen und Flugblätter fand er die weiteste Verbreitung, übte eine starke aufrüttelnde und überzeugende Wirkung aus und trug un­streitig zur Reform der Ehegefeße in den Vereinigten Staaten   bei. Der Geistliche, der die kirchliche Zeremonie vollzogen hatte er tämpfte später als Oberst im Bürgerkrieg gegen die Südstaaten-

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schickte selbst diesen Protest einem Worcester Blatt mit einem Be­gleitbrief zu, in dem der Eindruck des Erlebnisses nachhallt.

Es wurde mir das Vorrecht zuteil," so schrieb der Geistliche, ,, am 1. Mai eine Trauung in einem Farmerhause im Hügelland von West Brookfield zu vollziehen. Der Bräutigam war ein Mann von erprobtem Wert, ein Führer der Antisflavereibewegung in den Weststaaten. Der glänzende Name der Braut ist der ganzen Nation bekannt, sie ist eine Persönlichkeit, deren seltene geistigen Fähig keiten durch die stille Schönheit ihres Herzens und Lebens über­troffen werden. Ich amtiere nie bei einer Trauung, ohne daß mir immer wieder aufs neue die Ungerechtigkeit unserer gegenwärtigen Ehegesetze zum Bewußtsein kommt. Die Grundauffassung dieser Gesetze ist ,, daß Mann und Weib nur eins sind, und daß das Eine der Mann allein ist. Deshalb geschah es mit meiner herzlichen Zu­stimmung, daß bei der Trauung und als ein Teil der Zeremonie der nachfolgende Protest verlesen und unterzeichnet wurde. Ich sende ihn Ihnen zu, damit er andere beeinflussen möge, in der gleichen Weise zu handeln."

Der Protest selbst, ein interessantes Dokument aus der Ge schichte der Frauenbewegung, lautete also:

Während wir unsere innere Zusammengehörigkeit und Wahl­verwandtschaft anerkennen, indem wir in dem Verhältnis als Ehe­gatten vor die Öffentlichkeit treten, halten wir es für eine Pflicht gegen uns selbst und ein großes Prinzip folgendes zu erklären: Un­sere persönliche Handlung bedeutet keine Anerkennung der heutigen Ehegesetze, bedeutet kein Gelöbnis freiwilliger Unterwerfung unter irgend eines der heutigen Ehegesetze, die es ablehnen, das Weib als ein selbständiges, vernünftiges Wesen anzuerkennen, die da­gegen dem Ehegatten eine schädliche und unnatürliche überlegen­heit beilegen, indem sie ihm gesetzliche Rechte verleihen, die kein ehrenwerter Mann ausüben würde, und die kein Mann besitzen dürfte. Wir protestieren im besonderen gegen die Gesetze, die dem Mann übertragen:

1. Die Gewalt über die Person der Ehegattin. 2. Das ausschließ­liche elterliche Erziehungsrecht über die Kinder. 3. Den alleinigen Besitz und das alleinige Verfügungsrecht über das persönliche Eigentum der Frau, es sei denn, daß das Eigentum ihr vor der Eheschließung durch besondere Verträge gesichert oder daß es für sie Vormündern übergeben wurde, wie dieses bei Unmündigen, Schwachsinnigen und Wahnsinnigen geschieht. 4. Den uneinge schränkten Anspruch auf den Ertrag ihrer Arbeit. 5. Ebenso pro­testieren wir gegen die Gesetze, die dem Witwer einen so viel größe­ren und dauernderen Anspruch auf das Eigentum der verstorbenen Gattin geben als sie ihn der Witwe im Todesfall des Gatten zuerkennen. 6. Wir protestieren schließlich gegen das ganze Rechtssystem, demzufolge die gefeßliche Eristenz der Frau wäh­ren der Ehe aufgehoben ist, so daß der Ehefrau in den meisten Staaten nicht das gesetzliche Recht zusteht, über die Wahl des Wohnorts mitzubestimmen, ein Testament zu machen, im eigenen Namen zu prozessieren oder prozessiert zu werden und Eigentum zu erben.

Wir glauben, daß die persönliche Unabhängigkeit und die gleichen menschlichen Rechte niemals entzogen werden können, ausgenom­men als Strafe für Verbrechen; daß die Ehe eine gleichberech tigende und dauernde Gemeinschaft sein soll und als solche vom Gesetz anzuerkennen ist; daß, bis die Ehe so von dem Gesetz anerkannt wird, die Ehegatten jedes in ihrer Macht befind liche Mittel anwenden müssen, um sich gegen die grundlegende Un­gerechtigkeit der heutigen Gesetze zu schützen. Wir glauben, daß unter den geltenden Gesetzen im Falle von ehelichen Zwistigkeiten die Gerichte nicht angerufen werden sollen, sondern daß alle Schwierigkeiten behufs gerechter Entscheidung Schiedsrichtern vor­zulegen sind, die von den Gatten selbst gewählt werden. So, wäh­rend wir das Gesetz ehren, protestieren wir gegen Vorschriften und Gebräuche, die des Namens unwürdig sind, weil sie der Gerechtig­feit Gewalt antun, die das Wesen des Gesetzes sein soll."

Der Protest war unterzeichnet Henry B. Blackwell  , Luch Stone. Daß die Frau bei der Verheiratung den Namen des Mannes an­nimmt, dünkte der Kämpferin ein Symbol des Verlustes ihrer Persönlichkeit vor dem Gesez. Nachdem ihr berühmte Juristen ver­sichert hatten, daß es sich dabei nur um einen Gebrauch, nicht um einen gesetzlichen Zwang handle, beschloß sie mit der vollen Billi­gung ihres Gatten, ihren Mädchennamen weiterzuführen. Sie war und blieb Luch Stone während der fast vierzig Jahre ihrer harmonischen, glücklichen Ehe. Offizielle Schriftstücke unterzeichnete fie Luch Stone, Gattin von Henry B. Blackwell.( Forts. folgt.)

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  .

Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. tn Stuttgart  .