88
Feuilleton
Für unsere Mütter und Hausfrauen
Von Gustav Hellström( Paris ). Übersetzt von W. P. Larsen( München ). Es hatte schon den ganzen Winter über geheißen, daß er demnächst einmal auf Urlaub kommen sollte, und nun war er also wirklich endlich da. Er hatte sich den dichten schwarzen Vollbart wieder zurechtstutzen lassen, war in seine Zivilkleider geschlüpft und hatte die Serviette wie früher unter den linken Arm geschoben und ging nun von Tisch zu Tisch und schüttelte seinen Stammgästen die Hände, einigen Dußend älterer Herren von jener Sorte, die jeden Nachmittag wie angeleimt im Kaffeehaus ſizen und stundenlang mit den Karten auf dem Tisch herumklopfen.
Wie es ihm ging? D, danke, es ging ihm soweit ganz ausgezeichnet, und seit er eines Tages im August 1914 die Uniform der Republik angezogen hatte, hat er auch noch nicht einmal den leisesten Schnupfen gehabt, nein, in dieser Beziehung konnte er sich also wirklich nicht beklagen. Seine Frau aber, die am Büfett sitzt und mit den Kaffeetassen hantiert, vertraut mir im Flüsterton an, daß mit ihm nicht alles mehr so ganz richtig ist"....„ Es ist eigentlich weniger sein Äußeres, das sich so verändert hat, er ist höchstens ein bißchen länger und sehniger und magerer geworden, sondern
"
Sie sucht nach einem Ausdruck, um mir das zu beschreiben, aber sie findet keinen und sagt schließlich nur:
,, Er ist nicht mehr der gleiche..."
Und sie tippt sich dabei mit dem Zeigefinger an die Stirn und wirft mir einen nicht mißzuverstehenden Blick zu.
Ich behalte daraufhin den Urlauber eine Weile im Auge, und ich muß sagen, daß sein Benehmen in der Tat stark von demjenigen abweicht, das man sonst im allgemeinen von den Besitzern der Pariser Kaffeehäuser gewohnt ist. Bald mischt er sich an diesem, bald an jenem Tisch in die Unterhaltung ein, er entwickelt einen Stimmaufwand wie vier Bären, und seine rechte Faust, die im Striege groß und hart geworden ist, fuchtelt zur Bekräftigung seiner Worte ohne viel Umstände über dem Kopfe des pensionierten Generals, des Friseurs und des neuen Kandidaten zur Deputiertentammer herum. Er ist nur ein ganz einfacher Soldat der Republik , ohne Ehrenkreuze und Goldborten und sonstige Abzeichen, aber er hat den Mund auf dem rechten Fleck, und er sagt seinen Gästen alles, was er von ihnen denkt, und zwar in einer Sprache, die der Superlativ der Kasernenhofsprache genannt werden muß.
Der Friseur, der gerade mit dem General, einem pensionierten Hauptmann und dem Stationsinspektor beim Kartenspiel sigt, denkt, während der Partner die Karten gibt, eine Weile nach, schüttelt den Kopf und sagt:
" Ja ja, diese englischen Arbeiter... wenn ich so an die Kerle dente...! Das ist auch so eine Saubande! Sollte man das wohl für möglich halten, daß man die Gesellschaft nicht zur Wehrpflicht herantriegen tönnte?"
Der Wirt, der ihm ruhig zugehört hat, macht direkt einen Luft sprung.
„ Was, Saubande, sagst du, elender Pomadentopf? Saubande, sagst du, armseliger Lausejäger?"
Sei du nur froh, daß ich ein Lausejäger bin!" antwortet der Friseur beleidigt. Du hast mich schon brauchen können, als du von der Front Heimkamst! Meinen ganzen Laden habe ich nach dir desinfizieren müssen!"
Die Wirtin am Büfett, die auf die Szene aufmerksam geworden ist, winkt ihrem Manne beschwichtigend zu:
„ Gaston, aber Gaston...!" sagt sie mahnend.
Aber Gaston will von keiner Beschwichtigung etwas wissen. Er breht sich ein paarmal um sich selber, schlägt mit der Serviette durch die Luft und sagt dann:
" Ihr unleidlichen Zivilmenschen macht mich eines Tages noch ganz und gar verrückt! Jez habe ich da tagelang mit dir, Friseur, geredet und mit Ihnen, mon général, und mit Ihnen, mon capitaine, und mit Ihnen, monsieur le chef de gare, und ich kann Ihnen mur das eine sagen: wenn Sie den Blödsinn, den Sie hier daherbringen, auch da droben bei uns vorbringen wollten, so würden wir Sie weniger höflich als eindringlich ersuchen, endlich einmal Jhr großes Maul zu halten! Direkt widerlich seid ihr mir alle! So zum Beispiel das Zeug, was der General hier die ganze Zeit über von den Deutschen erzählt... oder die verrückten Geschichten, die der Stationsinspektor von den Vereinigten Staaten herunterhaspelt
Gaston! Gaston! Ich bitte dich...!" flingt es wiederum hinter dem Büfett hervor.
Nr. 22
Gaston aber dreht sich kurz entschlossen um und geht vor das Lokal hinaus, um frische Luft zu schöpfen....
„ Gaston! Gaston! Zieh' noch irgend etwas über, es ist kalt draußen!"
Aber er zuckt nur lachend die Achseln und verschwindet in der Tür. Seine Frau am Büfett seufzt hörbar. Der General lacht. " Ja ja," sagt er,„ das dauert immer eine Weile, ehe sie sich wieder in das bürgerliche Leben hineingewöhnen...."
Am Abend, bevor er wieder zur Front sollte, traf ich ihn allein in seinem Lokal an; nur seine Frau saß hinter der Kasse. Er stand da, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben, die Zigarette im Mundwinkel und starrte vor sich hin ins Leere.
"
,, Also morgen geht's wieder hinaus, wie ich höre?" frage ich ihn. ,, Gott sei Lob und Dank!" sagt er mit einem Seufzer der Erleichterung. Und nach einer Weile:
Monsieur, Sie können sich gar keinen Begriff davon machen, wie diese zivilen Tölpel mich hier in den paar Tagen geplagt und gepeinigt und geärgert haben! Direkt verrückt haben sie mich gemacht! Und was das Merkwürdigste ist: die Gehirnverblödung ist bei allen genau die gleiche! Können Sie sich zum Beispiel vorstellen, ich komme den ersten Abend heim und rede mit den Leuten hier davon, was ich so eigentlich über die Deutschen denke. Der Teufel soll mich auf der Stelle holen, wenn sie mich nicht nur allein als einen schlechten Soldaten, sondern womöglich gar als Vaterlandsverräter angesehen haben! Ja, sie mit ihrem Deutschenhaß! Wir da droben an der Front aber sehen die Dinge, gottlob, mit etwas anderen Augen an! Mein Regiment liegt oben bei Souchez, das Sie ja kennen; nun ja... von Souchez ist natürlich schon längst kein Stein mehr auf dem anderen... bei Souchez gibt es jetzt nur noch Schützengräben, Soldaten und Ratten... Ratten, Ratten. Nun, sehen Sie, wir haben zwei richtige große Schlachten dort droben gehabt, die eine im Frühling und die andere im Herbst, und wir haben uns Mann gegen Mann um einen jeden Zollbreit Erde geschlagen ohne jegliches Erbarmen geschlagen! Aber einen solchen Deutschenhaß werden Sie dort droben bei uns nirgends finden können wie hier in Paris , wo die Faulenzer und Schwäger an allen Ecken beisammenstehen und vor lauter Dummheit nichts anderes zu tun wissen, als ihren Deutschenhaß hervorzukehren! Die Deutschen und wir da droben wir kennen uns ganz genau! Wir haben einander im Stampf gegenübergestanden, und wir wissen, für was wir fämpfen, und sie wissen ebenso gut, für was sie kämpfen, und ein jeder Mann auf beiden Seiten weiß auch, daß der da drüben auf der anderen Seite Frau und Kinder daheim hat! Wir sind eben Menschen.... Ja, Monsieur, Menschen sind wir! Und deshalb schlagen wir uns, wenn es sein muß, dennoch ebenso gut wie jeder andere Soldat auch. Aber so wie die Narren hier in Paris : umhergehen und große Sprüche im Munde führen und hassen- jeden Tag und jede Stunde und jede Minufe unbedingt hassen, nein, das können wir da droben an der Front nicht. Wir sind Soldaten, gewiß; aber wir sind auf der anderen Seite auch noch Menschen, und deshalb tun wir unsere Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen und suchen im übrigen so menschliche Verhältnisse und Beziehungen, wie nur eben möglich, aufrechtzuerhalten; mehr aber kann auch niemand von uns verlangen...."
-
„ Lassen Sie sich nur eine kleine Episode erzählen, die ich, wenn auch nicht gerade in Paris , erlebt habe, als ich auf Urlaub heimfuhr. Schließlich wissen Sie ja auch ebenso gut wie ich, daß sich die Tölpel auf dem ganzen Erdball gleich sind. Da hält also gerade unser Zug auf irgend so einer Station, und auf derselben Station ist gerade auch ein Zug mit deutschen Gefangenen eingelaufen, um den sich eine ganze Masse von Zivilpersonen drängt, die auf die Leute da drinnen mit Fingern zeigen, als seien sie irgendwelche wilde Tiere im Raubtierkäfig.... Und dazu wiehert die Bande vor Vergnügen und macht irgendwelche blöde, gehässige Bemerkungen. Wissen Sie, Monsieur, was da geschah-? Ein Soldat, der auch droben an unserer Front gelegen hatte und nun zur Bewachungsmannschaft gehörte, sprang mit geladenem Gewehr und aufge= pflanztem Bajonett vom Wagen, packte den, der das größte Maulwerk hatte, beim Kragen und schrie ihn wütend an:, Halt das Maul, du Esel, wenn du nicht willst, daß ich dir hineinschlage!... Bist vielleicht du schon da draußen an der Front gewesen?! Wir Soldaten haben damals lebhaft Beifall geklatscht; die übrigen aber haben sich schleunigst verzogen. Ich wollte damit nur sagen, daß wir draußen an der Front denn doch ein ganz Teil ritterlicher denken als die Leute, die sich, fern vom Schuß, in hohlen Phrasen und in Schmähungen ergehen."
Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betkin( Bundel), Wilhelmshöhe, Poff Degerloch bet Stuttgart . Druck und Verlag von J. H. W. Dicz Nachf. G.m.b.. in Stuttgart .