Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 25 oooooooo

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Beilage zur Gleichheit oooooo 1916

Inhaltsverzeichnis: Lily Braun+. Vom Würzen der Speisen. Feuilleton: Die ewige

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Für die Hausfrau.

II. Bon M, Kt. Antigone. Von Romain Rolland .

Lily Braun .

Am 8. August ist in Zehlendorf plötzlich Lily Braun nach einem Schlaganfall verstorben. Nur 51 Jahre alt, früher, als man nach der stattlichen Erscheinung und dem heißen Lebenswillen erwartet hätte, der sich in der Betätigung, in den Werken der jäh Dahin­gerafften offenbarte.

In Lily Braun hat die Frauenbewegung Deutschlands eine Kämpferin von reicher, glänzender Begabung und überragender Tatkraft verloren. Die Frauenbewegung Deutschlands , wenn man darunter mehr versteht als das Weben und Wirken innerhalb der Schranken frauenrechtlerischer Organisationen, wenn man dar= unter die Gesamtsumme des vorwärtsdrängenden Lebens begreift, das in flutendem Strom aus der Frauenwelt hervorbricht, neue Horizonte suchend. Denn das Eigenste, was Lily Braun gegeben hat als unermüdliche Kämpferin für das Recht des Weibes auf vollen Lebenswert und volles Lebensglück, das ist nicht in der or= ganisierten Frauenbewegung oder in einer Partei beschlossen, das ist in ihren literarischen Werken enthalten, das liegt in ihrem ringenden, arbeitsamen Dasein selbst.

Darüber darf nicht vergessen werden, welche fruchtbaren An­regungen und starken Impulse die bürgerliche Frauenbewegung in früheren Jahren Lily Braun verdankt. Gewiß: diese war nicht die erste und einzige, die die organisierten deutschen Frauenrecht­lerinnen von der Notwendigkeit überzeugen wollte, neue, be­stimmte Losungen hinauszurufen und ihre straff zusammenge­faßte Energie dahinterzustellen. Aber sie war jahrelang stets unter den wenigen Führerinnen, die entschieden, mutig, kampf­und opferbereit vorangingen. Mit Minna Cauer und Adele Gerhard zusammen suchte sie die bürgerlichen Frauen zu einem ersten Vorstoß für das freie Vereins- und Versammlungs­recht zu sammeln. Die Forderung des Frauenwahlrechts fand in ihr eine begeisterte, kenntnisreiche und unverzagte Vorfämpferin in den Tagen, wo die noch unklare und ängstliche bürgerliche Frauenbewegung solch radikales Begehren" nicht laut zu äußern wagte. Unter dem Einfluß ihres ersten Gatten, des edlen Georg v. Gizycki und der von ihm gegründeten Gesellschaft für Ethische Kultur betonte sie die Aufgabe der Frauenbewegung, sich nicht auf die Pflege des Gärtleins sozialer Wohltätigkeit zu beschrän­ken, vielmehr das weite Feld sozialer Reform zu beackern und enge Fühlung mit den organisierten Arbeiterinnen, den sozial­demokratischen Frauen und der Sozialdemokratie selbst zu suchen. Wort und Tat setzte sie daran, die deutsche Frauenrechtsbewegung mit dem Bewußtsein der Internationalität ihres Inhalts zu er­füllen und mit den kämpfenden Frauenvereinigungen des Aus­landes zu verbinden. Gemessen an der Erkenntnis des historischen Materialismus und an den Zielen der Sozialdemokratie for derten Lily Brauns Gedankengänge und Vorstöße oft genug scharfe Kritik heraus. Als eifrige Bestrebungen, die bürgerlichen Frauen zu wecken, nach links und vorwärts zu treiben, hatten sie ihren Wert, bleiben ihre Spuren der bürgerlichen Frauenbewegung ein­geprägt.

Gerade diese Bestrebungen hatten Lily Braun in der Praxis näher und näher an die Sozialdemokratie herangeführt, die als grundsäkliche Programmforderungen verfocht, was die bürgerliche Frauenrechtelei sich als Ziel sehen sollte. Die Jdeen der Gesell­schaft für Ethische Kultur lenkten den Sinn der begabten Frau auf das Studium des wissenschaftlichen Sozialismus. Sie rang um das Verständnis seiner Theorien. Inneres persönliches Er­leben schuf äußere Umstände, unter denen die sogenannte beste Gesellschaft in der Rolle des" großen Rupplers" Lily Brauns Sympathie für die Sozialdemokratie steigerte und den Anschluß an sie beschleunigte, noch ehe daß wie sich später zeigte- der geistige Entwicklungsprozeß beendet war.

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Raum dürfte jemand in der Sozialdemokratie auf geringere Schwierigkeiten gestoßen sein, arbeitend, wirkend führende Stel­lung zu gewinnen, als Lily Braun . Die Tore öffneten sich ihr weit, die Wege ebneten sich vor ihr. Der Reiz ihrer anmutigen Persönlichkeit war ein guter Geleitbrief, ihr kenntnisreicher, ge­

bildeter Geist, ihre hinreißende Beredsamkeit in Wort und Schrift, der bekundete Idealismus des Strebens warben ihr ernste Freunde und Bewunderer. Lily Braun nahm vollen Anteil an bem Leben der Partei, ihre vielseitigen Gaben, ihr starkes Können stellte sie in ihren Dienst. Sie betätigte sich namentlich hingebungs­voll in der proletarischen Frauenbewegung, und die Gleichheit" verdankte ihr manchen prächtigen Beitrag. Jedoch in der Erschei­nungen Flucht, die für ihren Entwicklungsgang charakteristisch sind, konnte der internationale Sozialismus nicht der ruhende Pol bleiben. Was von Anfang an wieder und wieder Auffassungen und Vorschläge angedeutet hatten, fand im Laufe der Zeit klaren, be­stimmten Ausdruck. Nämlich, daß Lily Braun den Sozialismus theoretisch nicht restlos bewältigt hatte, daß ihr sein Wesen, sein tiefster geistiger Gehalt fremd geblieben war. Dazu kam ein an­deres. Lily Brauns starkes literarisches Talent heischte sein Recht. So temperamentvoll auch das Soldatenblut in der Generalstochter pulsierte und Waffengänge suchen ließ, war doch nicht die Arena des politischen Kampfes, sondern die Literatur der Boden, auf dem sich die Persönlichkeit der wirkungverlangenden Frau voll entfalten und ausleben konnte.

Lily Braun verriet die Sozialdemokratie nicht, sie fand sich selbst, indem sie sich von ihr und ihren Kämpfen loslöste. Das Schicksal ihrer Gebundenheit durch Abstammung, Tra­dition und Umwelt aber wollte es, daß die Loslösung unter un­erquicklichen Umständen erfolgte und in dem bekannten Memoiren­werk häßliche Spuren hinterlassen hat. Die besitzenden Klassen Die Memoiren haben den beiden Büchern dieses Werkes einer Sozialistin, Lehrjahre und Kampfjahre- reichlichen Beifall gespendet. Sie brachten ihnen, was literarisches Unterhal­tungsbedürfnis und politischer Haß verlangten. Eine Selbstent­blößung weiblichen Lebens, die die Grenze des wahrheitsgehor­samen Bekennermuts überschreitet und an perverse Schamlosig­feit streift; Karikaturen der sozialistischen Bewegung und ein­zelner führender Persönlichkeiten. Allein keine starke, überzeugende dichterische Kraft hat das Ganze gestaltet, es ist der Ausdruck eines Literatentums, das, auf das Sensationelle und den Erfolg ge= richtet, mit Mitteln glänzender Darstellung unecht und langweilig wirft. So wohnt den Memoiren weder historischer noch künstle= rischer Wert inne. Dennoch haben sie ihre Bedeutung als Doku­ment zur Psychologie bestimmter besitzender und herrschender Schichten, als ein Dokument, aus dessen Blättern uns der Fäul­nisgeruch verfallenden sozialen Lebens anweht. Deshalb beleuch­ten sie grell das Menschliche, Allzumenschliche, das Lily Braun als Erbgut einer solchen Schichte mit sich schleppte, während sie viel von ihres Wesens Gutem und Bestem im Schatten lassen. Lily Braun war eine wertvollere Persönlichkeit, als wie sie sich in ihren Memoiren gibt. Sie erlitt die Nemesis der Dinge. Indem sie Menschen zu Karikaturen umschuf, verzerrte sie ihr eigenes Bildnis bis zur Karikatur.

Nach ihrer Abkehr vom Sozialismus hat sich Lily Braun keiner politischen Partei und auch keiner der großen frauenrechtlerischen Bereinigungen angeschlossen. Sie hatte zu viel vom Sozialismus gelernt, zu viel von seiner historischen Betrachtungsweise war in sie übergegangen, als daß sie in den Tälern bürgerlicher Ge­schichtsauffassung wieder ganz heimisch werden konnte. Und sie trug zu schwer an den überlebfeln bürgerlichen Seins und Den­tens, um sich auf den Höhen streng sozialistischer Weltanschauung und Lebensbetätigung anzusiedeln. Für die Erweckung und Hebung des Weibes, für seine freie Entwicklung, seine Gleichberechtigung in Familie, Gesellschaft und Staat hat sie in Vorträgen, Abhand­lungen, Flugschriften, Romanen usw. weitergekämpft. Mit einer Unermüdlichkeit und Glaubensfreudigkeit, die keine Enttäuschungen fannte, und mit einem Talent, das durch eifriges und wohl= beratenes Studium bereichert und verfeinert manch fruchtbare Anregung und wegweisende Orientierung vom historischen Ma­terialismus empfing.

Ihr großes Werk über die Frauenfrage ist ein ehrenvoller Versuch, das Problem vom Standpunkt des historischen Materia­lismus aus zu meistern. Freilich durchaus kein restlos gelungener Versuch. Denn so richtig und scharf erfaßt das Leitmotiv des Buches ist, daß das Sein und Tun der Frau, daß ihre Stellung in Familie und Gesellschaft in engster Abhängigkeit von der ge­sellschaftlichen Arbeit und ihren Bedingungen steht, so grob und