Für unsere Mütter und Hausfrauen
Nr. 26
oooooooo Beilage zur Gleichheit oooooooo
Vom Würzen Feuilleton: Der
Inhaltsverzeichnis: Der Wegweiser. Gedicht von Heinrich v. Reder. Baby zahnt. Von Schwester Lydia Ruehland. Verschiedenes. der Speisen. III. Von M. Kt. Geranienzweig. Von Ilse Frapan- Akunian .
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Der Wegweiser.
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Am Kreuzweg steht ein alter Pfahl Mit dreifach queren Balken, Errichtet für die Wanderschaft, Mit Krizelschrift von Spalten.
Auf jedem Balken stand ein Wort: Liberté, Egalité, Fraternité,
Und kehrseits, doch von andrer Hand: Infanterie, Kavallerie, Artillerie.
Ich sann, bis der Zusammenhang Mir völlig eingeleuchtet. Das rote Flechtenmoos am Stamm War wie mit Bluf befeuchtet.
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Baby zahnt.
Bon Schwester Lydia Ruebland.
Heinrich v. Reder.
Keine Zeit im Kindesalter ist so vom Aberglauben um= geben wie die Zeit des Bahnens. Wie eine böse Krankheit haben sich die irrigen Anschauungen erfahrener Nachbarinnen, übergescheuter Tanten und kluger Großmütter fortgeerbt und scheinen beinahe unausrottbar.
Die Zahl der Säuglinge, die die irrigen Ansichten über das Bahnen mit ihrem Leben bezahlen mußten, ist größer, als Laien im allgemeinen annehmen. Aber man soll sich über diese bedauerliche Tatsache nicht wundern. Erfahren unsere Mütter etwa näheres über die Funktionen des menschlichen Körpers, vom Baby angefangen bis ins hohe Greifenalter hinauf?! Millionen von Mädchen lernen seit vielen Jahrzehnten Moses und die Propheten und noch manch andere Dinge auswendig, die sie dann im Schlafe wie am Schnürchen hersagen können, die ihnen aber in ihrem ganzen Leben nie auch nur das geringste nüßen, selbst wenn sie diese alten längst vermoderten Herren Dußende von Malen um Beistand anrufen würden.
Wirklich brauchbaren Unterricht über ihre Pflichten als Mütter gab ihnen die Schule nicht bis auf den heutigen Tag. Warum aber spricht man dann immer von einer„ Ertüchtigung der Jugend", wenn man doch nicht Hand anlegt an des übels Wurzel und den Menschen frühe schon lehrt, was ihnen dringend nottut? Wolfs erhaltung ist doch die Grundlage der Volks vermeh= rung. Solange noch alljährlich Tausende von Kindern unterm Jahr dahinsterben, weil sie für Fehler und Mißgriffe ihrer un gelehrten Mütter büßen müssen, bleibt die Forderung: Volks= vermehrung! nur ein Schlagwort, leere Deklamation.
Warum sterben so viele Kinder unterm Jahr nach der Ansicht ihrer Mütter„ am Zahnen"?! Am Zahnen" ist noch kein Kind gestorben. Diese Versicherung dürfen alle Mütter glaubhaft hinnehmen. Warum sterben die Kinder denn nicht, wenn ihnen die Haare wachsen? Das Haar„ bricht" doch auch„ durch", der wachsende Zahn tut dasselbe, er kommt hervor aus den Schubfächern, mit denen die beiden Kinnladen versehen sind, ein einfacher, naturgemäßer Vorgang, und daran soll ein Kind sterben?! Daß die Zeit beim gesunden Baby ohne Störung, ohne Beschwerden verläuft, das ist bewiesen. Nicht durch das Urteil einer oder eines Dußend Mütter, nein, durch die gewissenhaften Beobachtungen von Tausenden von Kindern in den großen Säuglingsheimen. Beim gesunden Kinde ist in der Zeit des Bahnens das Zahnfleisch in den seltensten Fällen gerötet, es zeigt höchstens eine leichte Vorwölbung an der Stelle, wo der Zahn durchbricht. Und eines Tages ist der Zahn da der erste Zahn, dieses kleine denkwürdige Ereignis. Der erste Zahn! Früher trug er dem Entdecker ein Trinkgeld ein, und in wohlhabenden Kreisen ist das zum Teil noch heute der Fall. Daher kommt es wohl auch, daß dem hilflosen
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1916
Baby in der kritischen Zeit aller Augenblicke ein großer, oft ungewaschener Finger, womöglich mit fohlschwarzem Nagelrand, in sein kleines Mäulchen fährt und nach dem scharfen Rand des durchbrechenden Zahnes sucht. Wenn Baby reden könnte, und wenn es eine Ahnung hätte von der verderblichen Wirkung dieser so unhygienischen Unsitte! Denn gerade durch sie kommen ihm Gefahren einer Erkrankung.
Wie ist das möglich? Der scharfe Nagelrand des Fingers kann eine Verlegung der Mundschleimhaut, des lockeren Zahnfleisches herbeiführen. Ist der Finger nicht vorher mit Seife und einer Bürste sorgfältig gereinigt, so sitzt er voll von schädlichen Keimen, Bakterien usw. Ich habe hunderte von Müttern und Pflege= frauen das Zahnsuchen ausführen sehen, aber keine einzige dachte daran, sich vorher die Finger zu bürsten. Würde ein Zahnarzt unseren Mund berühren, ohne sich vorher die Hände zu desinfizieren, wären wir berechtigt, ihn der Fahrlässigkeit zu zeihen. Denn gelangt ein Krankheitsfeim auf diesem Wege durch die vielleicht verletzte Mundschleimhaut in unseren Körper, so sind wir die Leidtragenden. Diese Keime, diese Bakterien sind ja winzig Kleine Lebewesen. Das ist bedauerlich, denn niemand glaubt so leicht an ihr Vorhandensein. Wären sie Holzklöße, die jedermann an den Kopf flögen, so wären die Menschen gewarnt und gewißigt; eine derartig fühlbare Gegenwart wäre tatsächlich manchmal heilsam. Zu allem Unglück ist Baby während des Zahnens in einem Zustand, wo es zu allerlei Krankheiten neigt. Das dritte Vierteljahr ist sein gefährliches Alter! In dieser Zeit neigt es zu Störungen im Wohlbefinden, etwa zu vergleichen mit der Zeit der Wechseljahre der Frauen. In erster Linie natürlich das Flaschenkind. Das Brustkind bekommt seine Zähnchen unbehindert durch Krankheitserscheinungen. Anders das künstlich ernährte Kind. Seine Entwicklung im dritten Vierteljahr wird plötzlich gehemmt. Die Ursache saß natürlich schon lange im Körper, die Wirkung tritt nun erst ein. Krämpfe und Lungenentzündung sind es hauptsächlich, die das Leben in einer Zeit bedrohen, wo der Organismus Knochenstoff schaffen soll für die Zähne, wo er also schwer arbeiten muß. Hat ein arbeitender Körper Zeit, frank zu sein?! Kann ein franker Körper arbeiten?!
In diesem Widerstreit versagt der kleine Kämpfer nur zu häufig. Das Flaschenkind erwirbt infolge der mangelhaften Ernährung sehr oft die Rhachitis, die englische Krankheit. Die Nerven der damit behafteten Kinder sind äußerst erregbar, die Erregbarkeit steigert sich zu Krämpfen, die entweder zum Tod führen oder das Kind später geistig minderwertig machen, weil das Gehirn unter den Krämpfen gelitten hat. Die ahnungslose Mutter ist der Meinung, Baby bekommt seine Zähnchen eben mit Krämpfen; sie hat es von der Nachbarin so gehört! überlegt die Mutter auch nur ein wenig: Was hat das durchbrechende Zähnchen mit dem Gehirn zu tun?, so kommt sie von selbst zu der Überzeugung: Törichtes Geschwät.
Weiter: Wenn ein Kind an Rhachitis erkrankt ist, so hat der weiche Brustkorb seine Form verändert. Damit sind auch die beiden Lungenflügel aus ihrer Lage gebracht, die Atmung ist nicht normal. Tritt eine Lungenentzündung hinzu, so nimmt sie meist einen gefährlichen Verlauf. Der böse Husten entkräftet das mühund die unwissende Mutter sam atmende Kind vollends meint, Baby zahnt über die Brust". Sie wartet auf den Zahn und muß eines Tages ihren Liebling sterben sehen. Wer die Totenklage der Mütter jahraus, jahrein hören muß, erlebt den Schmerz um so tiefer, wenn man weiß, nur Unwissenheit trägt die Schuld an dem Tode. Die Unwissenheit verhindert die rechtzeitige Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe. Die Mütter meinen: Baby ist krank, weil es Zähnchen bekommt, und folgern: die Erfrankung hat nichts zu bedeuten, denn sie gehört zum Zahnen. Das wird dem Kinde zum Verhängnis.
Oder: Baby hat Durchfall aus irgendeinem Grunde. Vielleicht war die Milch nicht ganz einwandfrei, oder der Sauger war zur Erde gefallen und wurde abgewischt, nicht ausgekocht. Der empfindliche Darm läßt solche Nachlässigkeiten selten ungerächt. Ein Durchfall ist die Quittung darüber. Mutter aber meint:„ Der Durchfall kommt vom Zahnen; er hat nichts zu sagen; wenn das Zähnchen durch ist, verliert sich auch der Durchfall wieder." Es fann geschehen, daß er sich wieder verliert, wie manche Krankheit ja auch von selbst wieder vorübergeht, aber umgekehrt kann