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Für unsere Mütter und Hausfrauen
Der an chronischer Verhungerung gestorbene Giuseppe wurde schon am nächsten Tage begraben. Die Madre Fumasoli begriff davon sehr wenig. Ohne die Pompanini wäre der Giuseppe wohl gar ungewaschen in den flachen Sarg gelegt worden, die gekrümmten Finger schwarz vom Schusterpech, und in dem zerrissenen graufarierten Arbeitshemd.
Die Madre Fumasoli wusch ihren toten Sohn nur mit ihren Tränen und betrachtete ihn unablässig, ohne eine Hand zur Hilfe zu regen. Als der Armensarg über ihren Giuseppe geschlossen ward, da traf jeder Hammerschlag sie ins zuckende Herz, und der ästhetisch gebildete Arzt, wenn er sich noch einmal in diese Höhle des Jammers getraut, hätte sie wohl wieder vergleichen können mit der schmerzensreichen Madonna, in deren Brust sich sieben Schwerter bohren.
Sieben Schwerter! Ja, warum nur sieben?
Da ist das Leid um den Sohn, daß er gestorben ist. Da ist das Weh, daß er so jung gestorben ist. Da ist die tödliche Angst um den morgigen Tag. Da ist die Sehnsucht nach dem Toten, der alle ihre Sorgen teilte. Da ist die Verzweiflung, daß er so allein sterben mußte. Da ist das Herzeleid, daß ihn die Entbehrung getötet hat. Da ist das quälende Verlangen, ihn noch einmal sprechen zu hören. Da ist die schwarze Stelle, wo er tot am Boden lag. Da ist der fressende Gram der Vereinsamung. Da ist
Sieben Schwerter! Ja, warum nur sieben?
Der Giuseppe wurde also begraben. In einem Massengrab, denn er hatte ja auch bei Lebzeiten zu der unterschiedslosen dunklen Masse gehört. Der Platz auf dem Friedhof sah aus wie ein neubestellter sandiger Acker, auf dem eine dichte Menge kleiner Holzfreuze wuchsen, regungslos verstreut, gedrängt an einigen Stellen, weitläufiger gestellt an den anderen. Zur Rechten dehnte sich eine noch größere kahle Wüste, wo die schwarzen Kreuzchen, ganz kleine Kreuze mit weißen Nummern, sich noch dichter hintereinander drängten. Das war der Platz der Kinder jener Namenlosen. Aber nach links- o nach links war es anders. Dort grünten Kränze und blühten Topfpflanzen hinter zierlichen schwarzen und gol= denen Gittern, vor Marmortafeln mit goldenen Inschriften, vor bunten Porphyrsäulen mit den weißen Reliefbildern der Verstorbenen, vor blinkenden Statuen mit verhüllten Gesichtern und ge= rungenen Händen.
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So chrte man diejenigen, denen es im Leben gut und behaglich ergangen, und die sich deshalb, weil es ihnen so gut und behaglich ergangen, als Ausnahmen emporhoben und nicht verwechselt werden durften mit der dunklen, unterschiedslosen, großen Masse, selbst nicht im Tode!
Gin breiter Fußsteig trennte das Villenviertel des Kirchhofes von dem Armenviertel.
Die Madre Fumasoli wußte von allen diesen Dingen nichts. Sie wußte überhaupt sehr wenig. Sie war ein armgeborenes und armgebliebenes, unwissendes altes Weib. War einmal ein Gedanke in ihrem Kopfe gewesen, so hatte die Not und das Elend ihn längst vertrieben. Sie verglich nicht, sie überlegte nicht.
Sie sah nur.
Sah mit ihren halbausgeweinten Augen auf das sandige Loch im gelben Boden, in das sie ihren Giuseppe gelegt hatten, und das eben jetzt der Totengräber verdrossen und eilig zuschaufelte. Und wenn der Totengräber bei seiner Arbeit zwischen sie und das Grab trat, dann sah sie seitwärts, links, die brennend roten Geranien, die blassen Rosen und die grünen Palmwedel auf den Gräbern des Villenviertels.
Endlich hatte der Totengräber die Arbeit getan. Der Mann glättete ein wenig die gröbsten Unebenheiten des Grabes, spuckte aus, schulterte den Spaten und ging.
Die Madre Fumasoli richtete sich schwerfällig auf, schlug das Kreuz und verbeugte sich vor dem bluttriefenden Christus, der mitten auf dem Fußsteig an dem Marterholz hing, nahm Weihwasser und sprengte es mit zitternden frostblauen Fingern auf das frische Grab. Dann schlich sie zögernd nach der linken Seite an ein besonders reich und bunt mit Topfblumen geschmücktes Grab, griff über das niedere Gitter und brach von einem Geraniumstock einen Zweig mit Blüten, rot wie frisches Blut. Den Zweig gegen das blutende Herz gepreßt, kam sie zu dem Grabe ihres Giuseppe, warf sich nieder und steckte zärtlich und behutsam den blühenden Zweig in den lockeren Boden, die einzige Blüte hier auf dem großen freuzebepflanzten Massenader.
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Das heißt- sie wollte das Zweiglein in das schon mit dem Finger gebohrte Loch stecken, als der Friedhofgärtner sie ertappte. Vom Ende des Fußsteigs hatte er den Raub gesehen und war mit langen Schritten herbeigeeilt. Sein Gesicht war zorngerötet, seine Gebärde wild.
Nr. 26
Das wäre eine schöne Weltordnung, wenn jeder kommen könnte und die Gräber des Villenviertels berauben, von deren Pflege er sein Brot aß!
" Was hast du gestohlen, alte Here?" schrie er der zitternden Diebin entgegen, das Grab des Herrn Unterpräfekten hast du gewagt zu berauben! Ich hab es wohl gesehen! Aber schlecht wird es dir bekommen."
Und er stellt die Blumentöpfe, die er trägt, hastig auf den Boden, und wie ein guter scharfer Wachthund packt er mit der einen Hand das Zweiglein blühenden Geraniums, mit der anderen den dürren Arm der Madre Fumasoli und schleppt die ihr Verbrechen kaum Begreifende, vor Schrecken und vor Scham fast Sinnlose zum Friedhofstor hinaus, hinaus auf die menschenvolle Straße, hinüber zu der Polizeiwache, die wie eine Fallgrube am Wege lauert.
„ Gestohlen? Nun also! Paragraph so und so des Strafgesetzbuches kommt hier in Anwendung, und fertig. Nichts einfacher als das." Die Madre Fumasoli ward wegen Beraubung eines Grabes zu acht Tagen Gefängnis verurteilt.
Das elegante Mailand , das schöne italienische Paris , ist ganz in froher Aufregung. Es feiert den Frühling mit einem Blumenforso. Die Spiegelscheiben der Auslagen glißern noch einmal so blank, aus den Fenstern sind bunte Teppiche gehängt, Fahnen und Fähnchen, Stangen mit Fichtengrün umwunden, an denen farbige Bänder flattern. Quer über die breiten Straßen ziehen sich Girlanden mit Inschriften, mit Versen, mit bunten schaukelnden Ballons. Der ganze Weg, den der prächtige, duftende Zug nehmen wird, ist dekoriert, bis zu den öffentlichen Gärten, wo man seit Tagen schon grast, hackt, säubert, um die Spuren des Winters zu vertilgen.
Blendend flimmert die scharfe Märzsonne auf dem weißen Marmordom, schneidend pfeift die Bise durch den Korso Garibaldi herunter von den Bergen Frühling soll sein!
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Wie sie sich drängen auf den Plätzen und Straßen, wie die Hahnenfedern der Bersaglieri , die beordert sind, die Straßenmitte freizuhalten, um die Wette flattern mit den weißen Schleiern und schwarzen Mantillen der Frauen Frühling ist da! Es soll Früh
ling sein.
Evviva, der Herold! Evviva, der Sonnenstrahl als Herold! Irgendein junger, schöner Mann in goldglänzender Seide sprengt heran. Er eröffnet den Zug. Sein Rappe trägt vergoldete Bäume, vergoldete Hufe, sogar die Mähne ist mit Goldstaub bestreut. Ein kurzer Strahlenmantel umfliegt des Herolds Schultern, ein langes, schmales, goldgelbes Seidenfähnlein schwenkt er ohn Unterlaß. Und sein schönes schwarzäugiges Gesicht lächelt so stolz und siegreich nach allen Seiten, als wär er wirklich der Sonnengott. Und hinter ihm quillt und schwillt es von blumenüberschütteten, in Blumen gehüllten eleganten Wagen.
Eine wahre Blumenorgie, eine Blumenflut, eine duftende, quellende, blühende Vergeudung des übermütigen Reichtums!
Da wo sich die Wagen am dichtesten drängten, wo die Blumen wie ein Regen herniederfielen zwischen die Räder und zwischen die Füße, ward gerade die Alte hinübergeführt ins Gefängnis, die Madre Fumasoli. Solch ein Anblick für die Festlichen alle! So ungeschickt ist diese Polizei! Zum Glück sahen sie nur wenige, und schnell kehrten sie sich ab. Die gebeugte Greisin, die in Ehren alt gewordene, und nun, im siebenundsechzigsten Jahre noch zur Diebin entartete Madre Fumasoli!
Und auch sie sah nichts von der sinnlosen Orgie jener Feiernden, die über zertretene Blumen und zertretenen Herzen ihren Tanz aufführt.
Vor ihren Augen war das Bild ihres Giuseppe, der bei sechzehnstündiger Arbeit täglich Hungers gestorben.
Was kümmerten sie jene Wagen? Was jene fremden, in Seide und Gold gekleideten Leute?
Welcher Zusammenhang war zwischen jener Welt und der ihren? Da fiel plöblich etwas zu ihren Füßen nieder. Eine rote Geranienblüte, aus einem Wagen geworfen und abgelenkt vom Ziel.. Die Madre Fumasoli zuckte zurück, strauchelte, sah ängstlich zur Seite nach dem sie führenden Polizisten und setzte dann sorgfältig ihren Fuß daneben, so daß er den Zweig nicht berührte. Sie bewollte der freuzte sich wie vor einem höllischen Blendwerk Teufel sie hier zum zweiten Male versuchen. Und gebeugt und wankenden Trittes folgte sie dem Polizisten in das Gefängnis, das die Leute des guten Gewissens für die Sünder aufgebaut haben.
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