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Unterhaltungsbeilage >(�e>

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Der kleine Vogel. Von R. v. Volkmann. Leaader. Ein Mann und ein« Frau wohnten in einem hübschen kleinen Hause, und es fehlte ihnen nichts zu ihrer vollen Glückseligkeit. Hinter dem Haus« war ein Garten mit schönen alten Bäumen, in dem die Frau die seltensten Pflanzen und Blumen zog. Eines Tages ging der Mann im Garten spazieren, freut« sich über die herrlichen Gerüche» welche die Blumen ausströmten, und dachte bei sich selbst: Was du doch für ein glücklicher Mensch bist und für«in« gute» hübsch« ge. schickte Frau hast! Wie er da» so bei sich dachte, da bewegt« sich etwas zu seinen Füßen. Der Mann, der sehr kurzsichtig war, bückte sich und«ltdeckte «inen kleinen Bogel, der wahrscheinlich au» dem Nest« gefallen war und noch nicht fliegen tonnte. Er hob ihn auf. besah ihn sich und trug ihn zu seiner Frau. �Herzenssrau," ries er ihr zu..ich habe«inen kleinen Vogel gefangen: ich glaub«, es wird eine Nachtigall! lieber gar!" antwortet« die Frau, ohne den Vogel auch nur anzusehen.»Wie soll eine junge Nachtigall in unseren Garten kommen? E» nisten ja keine alten drin" .Du kannst dich darauf verlasse», es ist eine Rachtigall! Uebrigens habe Ich schon einmal eine in unserem Garten schlagen hören. Das wird herrlich, wenn sie groß wird und zu singen beginnt! Ich höre die Nachtigallen so gern!" .Es ist doch keine!" wiederholte dt« Frau, indem sie immer noch nicht aussah: denn sie war gerade mit ihrem Strickstrumpf beschäftigt. und es war ihr eine Masch« beruatergesallen. .Doch, doch!" sagte der Mann,.ich sehe es jetzt ganz genau!" und er hielt sich den Vogel dicht an die Ras«. Da trat die Frau heran, lacht« laut und rief:.Männchen, es ist ja bloß ein Spatz!" .Frau, entgegnete hierauf der Mann und wurde schon etwas heftig,.wie kannst du denken, daß ich eine Nachtigall gerade mit dem Allergemeinsten verwechseln werde, was es gibt! Du verstehst gar nichts von Naturgeschichte, und ich habe als Knabe«ine Schmetter- ling- und«in« Käsersommluag gehabt." .Aber. Mann, ich bitte dich, hat denn wohl eine Nachtigall einen so breiten Schnabel und einen so dicken Kops?" .Sowohl, das hat sie; und es ist eine Nachtigall!" .Sch sage dir aber, es ist kein«: hör« doch, wie er piepstt' .�kleine Nachtigallen piepsen auch." Und so ging e» fort, bis sie sich ganz ernstlich zankten. Zuletzt ging der Mann ärgerlich aus der Stube und hotte einen kleinen Käfig. .Daß du mir das eklige Ding nicht in die Stube setzst!" rief ihm die Frau entgegen, al» er noch in der Tür stand..Sch will es nicht haben!" .Sch werde doch fcheti, ob ich noch Herr im 5)ause bin!" aat- wartete der Mann, tat den Vogel in den Käfig, ließ Ameifensier holen und fütterte ihn-- und der kleine Vogel tieß stch's gut schmecken. Beim Abendessen aber saßen der Mann und die Frau jeder an einer Tischecke und sprachen kein Wort miteinander. Am nächsten Morgen trat die Frau schon ganz früh an das Bett ihre» Manne » und sagte ernsthaft:.Bieber Mann, du bist gestern recht unvernünftig und gegen mich sehr unfreundlich gewesen. Sch habe mir ebeu den kleinen Vogel noch einmal besehen. E» ist ganz sicher ein kleiner Spatz: erlaub«, daß ich ihn sortlasie." .Daß du mir die Nachtigall nicht anrührst!" ries der Mann wütend und würdigt« seine Frau keines Blickes. So vergingen vierzehn Tage. Au» dem kleinen Häufen schien«. Glück und Fried« auf immer gewichen zu sein. Der Mann brummte, und wenn die Frau nicht brummte, weinte sie. Nur der kleine Vogel wurde bei seinen Ameiseneiern immer größer, und seine Federn wuchsen zusehends, als wenn er bald flügge werden wollte.

Er hüpfte im Käfig umher, setzt« sich in den Sand auf dem Bode» de» Käfig», zog den Kopf ein und plusterte die Federn aus, indem er sich schüttelte, und piepst« und piepste wie ein richllger junger Spatz. Und sedesmal, wenn er piepste, ftihr es der Frau wie ei« Dolchstich durchs Herz. Eines Tage» war der Mann ausgegangen, und die Frau saß weinend allein im Zimmer und dacht« darüber noch, wie glückstch sie doch mit ihrem Manne gelebt habe: wie vergnügt sie von scüh bi» zuni Abend gewesen seien und wie ihr Mann sie geliebt und wie nun alle», alle« au» sei. seit der verwünscht« Bogel in» Hau» ge» kommen. Plötzlich sprang sie auf wie jemand, der einen raschen Entschluß faßt, nahm de« Bogel aus dem Käfig und ließ ihn zum Fenster in den Garten htnaushüpfen. Gleich daraus kam der Mann. .Lieber Mann," sagt« die Frau, mdm sie nicht wagte, ihn an.zu« sehe«..«» ist ein Unglück passiert: den kleinen Bogel hat die Satze gesreffen." .Die Katze gefressen�" wiederholt« der Maua , indem er starr vor Entsetzen wurde..Die Katze gesreffen? Du lügst! Du Host die Nachtigall abstchtllch fortgelassen! Da» hätte ich dir nie zugetraut. Du bist eine schlecht« Frau. Nu« ist es für ewig mtt unserer Freund- schaft auel" Dabei wurde er ganz blaß, und es traten ihm die Tränen in die Augen. Me die» die Frau sah, wurde sie auf einmal mne. daß p« doch ein recht große« Unrecht getan habe, den Vogel forlzrlujse», und laut weinend ettte sie tn den Garten, um zu sehen, ob sie ihn vielleicht dort noch fände und halcheu könnte. Und richtig, mitten auf dem Wege hüpfte und flatterte da» Bögelche»»: denn es tonnt« immer noch nicht ordentlich fliegen. Da stürzt« die Frau auf dasselbe zu. um es zu fangen, aber da» Vögelchen huschte ws Beet und von» Beet m eine« Busch, and von diesem afled« unter ein?« andern,«nd die Frau stürzte in ihrer Herzensangst hinter Ihm her. Sie zertrat die Beete»nd Blumen, ohne im geringsten darauf zu achten, und jagte sich wohl eine halbe Stunde lang mit dem Bogel im Garten herum. Endlich erhascht? sie ihn. und purpurrot im Sesicht und nltt ganz verwildertein Haar tarn sie In die Stube zurück. Ähre Augen funkelten vor Freude, und ihr Herz klopft« heftig. .Goldner Mann," sagte sie,.ich habe die Nacknigall wieder§f fangen. Sei nicht mehr böse: e» war recht häßlich von mtrl" Da sah der Mann seine Frau zum ersten Male wieder freundlich an. und wie er sie ansah, meinte er, daß sie noch nie so hübsch ge« roesen wäre wt« in diese« Augenblicke. Er nahm ihr den ileinen Vogel au» der Hand, hielt ihn sich wieder dicht vor die Rase, besah ihn sich von alle« Sellen, schüttelte den Kopf und sagte dann: .Kindchen, du hattest doch recht! Setzt seh« ich'? erst: es ist wirklich nur ein Spatz. E» ist doch merkwürdig, wie sehr man sich täusche« kann." Männchen," erwiderte dt« Fron,.du sagst da» bloß mir zue siebe. Heute sieht mir der Bogel wirklich selbst ganz wle ein« Nachtigall aus." .Nein, nein!" fiel ihr der Mann ins Wort, indem er den Boges noch einmal besah und laut lachte,.es Ist ein ganz gewöhnlich« Gelbschnabel." Dann gab er seiner Frau einen herzhaften Kuß und fuhr fort;Trag ihn wieder in den Garten und laß den dummen Spatz, der uns vierzehn Tage lang so unglücklich gemacht hat, fliegen." Nein," entgegnete dt? Frau,.das wäre grausam! Er ist noch nicht recht flügge, und die Katze könnt« ihn wirklich kriegen. Wir wollen ihn noch einige Tage füttern, bi» ihm die Federn noch mehr gewachsen stnd, und dann dann wollen wir ihn fliegen lassen!" Die Moral von der Geschichte aber ist: wenn jemand einen Spatz gefangen hat und denkt, es sei eine Nachtigall sag'» ihm bei- leibe nicht: denn er nimmt'» sonst Übel,»nd später wird er's gewiß von selbst merken.