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Nummer 3� 2H.September?H2? ilnterhaltungsveLlatze öes Vorwärts <%>- Wenn aller Raketenspuk verweht, Der hoch ergötzt die lieben Kleinen, Dann werden in stiller Majestät Die alten ewigen Sterne scheinen. Paul H e y s e. ' Der Geiger Stefan �rmüther. Von Max Preis. In dem kleinen Fremdenort, umstanden von schönsten Berg- Missen, ist alle Mittwoch beimAltwirt" Reunion. Die Kapelle Lyra  " spielt zerquetschte Walzer und hinkenden Foxtrott. Auf dem Gesicht des Bratschisten steht eine merkwürdige Geschichte ge- schrieben, wenn man will ein Rätsel. Das Rätsel ist unlösbar für den, der die Geschichte des Bratschisten erfinden wollte. Ein Herr aus der Mittwoch-Gesellschaft kennt die Geschichte und hat sie erzählt. Sie geht folgendermaßen: Der Mann, er heißt Stefan Armüther, versah zehn Jahre lang im kleinen Saal der Musikakademie seinen Dienst. Es war durchaus nichts gegen ihn einzuwenden, er war stets pünktlich zur Stelle, ver- gaß niemals, den schweren Deckel des Flügels hochzuklappen, wenn im weitab gelegenen Künstlerzimmcr ein paar ungeduldige Pianisten- Hände darauf warteten, vor einem plötzlich still gewordenen Publi- kum den ersten p'ü senden Akkord zu greifen. Er irrte sich aber auch niemals und klappte etwa den Deckel hoch, wenn vor den Tasten nur ein Begleiter saß, der um das Lied einer Sängerin harmonisches Geranke zu wirken hatte. Stefan Armüther trug die Noten auf ihren Platz, er schaltete das Licht ein und ans, er drehte im rechten Augen- blick die kleine elektrische Kipplampe an, kurz, er war ein durchaus zuverlässiger Mensch. Der Mufik ist er mit Leib und Seele verfallen. Er versteht auch etwas von Musik: ein guter Strich, ein retner Anschlag, die warme Farbe einer Stimme, o das hat er gleich heraus! Für die Feuer- werker, die technische Raketen in der: Saal prasseln lassen, hat er nichts übrig. Ganz zu Anfang seiner Laufbahn, da war es eigent- lich nur das Gefühl, mit all den Berühmtheiten gleichsam auf ver- traulichem Fuß zu stehen, das ihn beglückte. Es hatte schon etwas für sich, wenn sich die Menge draußen heiser jubelte, den schwach erhellten Korridor zum Künstlerzimmer zurückzulaufen und mit einem gutmütigen Augenzwinkern zu sagen:Herr Kammersänger müssen nochmals'rauskommen, die Leute geben heute keine Ruh!" In diesem schmalen Gange lebte er die bunten Stationen emes Kttnstlcrlebens mit, den scheuen, tastenden Anstieg, die ersten Höhen des Erfolges, die umbrausten Einsamkeiten des Ruhmes, die trauri- gen Täler des Abstiegs. Aber das allein war es nicht, was ihn dauernd froh machte. Seine Freude wurde es allmählich. Abend für Abend vor die Leute, die unten saßen und die Kanäle vom Ohr zum Herzen freihielten, hlntreten zu dürfen, gleichsam als ein erster, noch sehr motter Strahl der autgangbereiten Sonne voranzufliegen. Er genoß immer wieder den einen kärglichen Augenblick der Spannung, wenn er zögernd und als wollte er nnt den Menschen unten spielen, die kleine Tür zum Podium öffnete. Die summenden Stimmen im �Saale   fielen dann zusammen wie Flammen, die von einem plötzlichen Wasserstrahl getroffen werden, irgendein vorlauter, staunender Zuruf, der sich in plötzlichem Erkennen rasch wieder ver- kroch, begrüßte ihn. Manchmal wurde ihm sogar von ein paar Uebermütigen applaudiert. Gewiß, er war sich dessen vollkommen bewußt, dieser Beifall der Uebermütigen vielleicht waren es auch nur die ganz Unwissenden galt nicht ihm, er galt nur dem Frack des Saaldieners Stefan Armüther, den sie schon für den Frack des Sängers, des Geigers, des Pianisten gehalten hatten. Immerhin, es war ein schöner Augenblick: etwas, das weitere Unterschiede zwischen ihm und den Künstlern verwischte. Etwas, das ihn für Sekunden teilhaben ließ an dem Glück der Bevorzugten. Oft wenn ein unbekannter Künstler konzertierte, ging Stefan Armüther mit feierlichen Schritten bis in die Mitte des-Podiums die Menge schwieg, sah unsicher zu dem Frack auf, zögerte, setzte zu einem zögernden Händeklatschen an. Wenn er nur den Mut gehabt hätte. Wenn er nur seine Geige gehabt hätte. Ja, man brauchte nur den Bogen anzusetzen, die Leute würden gleich spüren, was man konnte: denn er kann etwas, der Stefan Armüther..Er ging ja nicht umsonst jahrelang durch eine Lebensstraße, die mit Musik eingesäumt ist. Ja gewiß, das Publikum würde die Täuschung merken, aber Donner nochmal würden die Leute sagen, der kann ja was! Und so würde der Geiger Stefan Armüther entdeckt werden. Seitdem er diesen Gedanken nachging, legte er besondere Sorg- falt auf seinen Frack. Jeden Abend sah Stefan aus wie aus dem Schächtelchen. Seine Haare wellten sich nach berühmten Mustern, sein Auge vertropfte Feuer; die Bewegung, mit der er das Klavier aufklappte, war von schwer nachahmlicher Vornehmheit. Rur   sein Gesicht hielt er fast innner geflissentlich der Menge abgekehrt. Auch den kleinen Mädels, die am Schluß des Abends Autogramme er- bettelten und das Künstlerzimmer stürmten, zeigte er sich nur ungern im trüben Licht der armseligen Korridorlampe. Und daheim geigte er, geigte geigte. Denn sein Tag mußte ja noch kommen. Und er kam auch. Ein dänischer Geiger, den niemand kannte, spielte im kleinen Saal der Musikakademie. Der Däne ließ sein Instrument durch den Diener ganz gegen allen Brauch auf das Podium vorantragen. Der Weg vom Künstlerzimmer zum Saal ist weit. Stefan Armüther ging sehr langsam diesen Weg. Cr fühlte die Geige in seinen Händen: er fühlte sie ruhen: er sah sie scheu, zärt- lich an; ihm war, als glicht? das braune Holz. Der Resonanzboden lag wie eine leuchtende Schale in seinen beiden Händen. Da springt plötzlich ein junges Ding auf Ihn zu, hält ihm ein Blatt Papier   hin, bettelt: Meister! Und er kritzelt, ganz ohne zu denken, im Dämmer- licht seinen Namen auf das Papier. Eine kleine Siebzehnjährigkeit steht plötzlich in seinem Weg. Stefan Armüther hat niemals jemand wirklich lieb gehabt. Das braune Holz der Geige leuchtet, die Saiten rufen, es spricht in ihm: für dieses Mädchen werde ich spielen! Nicht mit den zögernden Händen des Dieners, mit Herrscher- fingern klinkt er die Tür zum Podium auf, geht stark und mit der Sicherheit, wie sie nur ein Traum oerleiht, in die Mitte, verneigt sich, hört ein wunderbares Klappern von Händen, denkt nicht mehr: in zwei Minuten werden sie kommen, dich fortreißen, fühlt nur: jetzt wirst du spielen... jetzt wirst du spielen... Er ist jetzt völlig Kostüm geworden, völlig Maske. Einmal ist ihm, als ob sich in den prachtvoll dunkeln Schlund die Gestalt des Platzanweisers schöbe, doch da hat schon die Geige seine Finger geführt. Irgendwo hinten plötzlich ein Scharren und ein fragender Ruf... Und ein Rücken und ein Schütteln in der ersten Reihe. In Stefan Armüther steigt die Angst auf: sie haben dich erkannt! Und diese Angst schnürt seinen singenden Fingern die Kehl  ? zu. Aber sie haben ihn nicht erkannt. Eine Stimme schreit:Uner- hört! So etwa- wagt sich vor das Publikum!" Und ein Chor ent- rüstet sich:.hinaus! Hinunter!" Ja, um Gotteswillen, das gilt nicht ihm, das gilt doch seinem Spiel, und er spielt ja für die Siebzehnjährige. Nun aber Schluß mit dem Gekratze!" Die Hand des Stefan Armüther sinkt, und die gute Konzertgeige wäre vielleicht zu Schaden gekommen, hätte sie nicht der Sekretär des Musikoereins, der vom Künstlerzimmcr schnaufend angelaufen kam, noch rasch im Sturze aufgefangen. Stefan Armüther ist nicht mehr Diener in der Musikakademie. Er lebte ein wirres Leben und trank viel: nur auf die Musik konnte er doch nicht verzichten. Er hat sogar noch einiges zugelernt, soviel, daß er, wie Sie sehen, hier zerquetschte Walzer und einen hinkenden Foxtrott mitgeigen kann. Er hat es noch immer nicht begriffen, was ihm eigentlich widerfahren ist, nämlich: daß er schwächer war als seine Maske. Instinktiv aber hat er jetzt eine Maske gewählt, zu der seine Kraft noch langt.