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geglaubt, dach verständlich wurde sie mir allerdings erst, als ich Ihn einmal daheim sah, in der Prinzregentenstraße. Er war, als ich kam, gerade fort, und so sah ich, ihn erwartend, bei seiner Frau, spielte mit den Kindern und konnte mir gar nicht gleich erklären, warum mir da so wohl war: es lag hier offenbar in der Luft, irgend etwas heimelte mich an, und ich sagte mir schließlich: sie ist aus Graz und du bist aus Linz , das wird das ganze Geheimnis seinl Und dann kam Wedekind herein, und flehe, hier war nichts von Befangenheit an ihm, obwohl er ganz von derselben Haltung wie sonst war, aber hier paßte sie her, und Ich hatte das Gefühl, daß hier auf einmal auch er aus Graz oder Linz war." Griginelle Demonstrationen. Von Egon Noska. Da es bei politischen Demonstrationen vor allen Dingen daraus ankommt, durch das Ungewöhnliche, besonders Ausfällige die Ge- iiüter zu erregen, so hat sich der Witz oft darin geübt, mit den ungewöhnlichsten Kraftanstrengungen, unter den größten Lebens- gefahren und mik ausgesuchtester List derartige Demonstrationen In Szene zu setzen. Auch in den letzten Jahren ist es wiederholt beob- achtet worden. Das von den Kommunisten geplante Attentat auf die Siegessäule galt wohl weniger der tieferen Bedeutung dieses Denkmals als dem Aufsehen, das gerade die Vernichtung dieses weithin sichtbaren Denkzeichens gemacht haben würde. Ebenso hat man rote Fahnen, Plakate usw. an Stellen angebracht, wo es nur unter Lbensgesahr und großer List geschehen tonnte. In Frankfurt am Main wurde Jahrzehnte hindurch alljährlich am 10. November, an dem Tage, an welchem einstmals in Wien Nobert Blum erschossen wurde, an irgendeiner auffälligen Stelle der Stadt zum Gedächtnis des Erschossenen eine Trauerfahne gehißt. Die Polizei war unablässig bemüht, diejenigen zu ermitteln, welche dies« Fahnen aufsteckten, und war jedesmal während der Nacht vorher deshalb in anstrengender Tätigkeit. Trotzdem flatterte immer wieder die Fahne an einer der belebtesten Stellen, die selbst während der Nacht nicht ohne Verkehr war, und niemals war es gelungen, den Demonstranten festzustellen. Einmal war die Fahne mitten im Wasser an einem halbfertigen Brückenpfeiler angebracht, »in andermal hoch oben an der Spitze des Domes, ein andermal wieder an dem Gipfel der Paulskirche, nie hat man die Demon- fftranten entdeckt. Einmal, es war, als die Fahne an der steilsten Spitze des Domes flatterte, die nur für einen geübten Kletterer mit großer Gefahr zu erreichen war, erhielt der Polizeipräsident eine Denunziation zugestellt, die den Namen des angeblichen Attentäters nannte. Der Polizeipräsident, erfreut, endlich am Ziele zu fein, srdnete die Verhaftung des Denunzierten an, und der dickste Netzgermeister, den Frankfurt aufzuweisen hatte, wurde ihm als Zer gewandte Klettere.', der die Domspitze erstiegen, vorgeführt. Die Demonstranten hatten einen doppelten Erfolg. In Paris hatte man im Jahre 1868 mehrmals damit gc- droht, man würde, wenn eine bestimmte, lästige behördliche Verord- mmg nicht aufgehoben würde, demnächst den Leiter jener Behörde, die die betreffende Verordnung aufzuheben hatte, an der Vendüme» Säule hängen sehen. Die Drohung wurde entweder nicht beachtet, da man sie eben nur als lächerliche Renommisterei ansehen konnte, oder sie wurde als solche verlacht und verspottet. Eines Tages war aber doch ganz Paris nicht wenig entsetzt, als man wirklich an der Vendüme-Säule eine Person hängen sah, und es verbreitete sich schnell das Gerücht, jener Beamte fei in dieser schauerlichen Weise ermordet worden. Der Betreffende aber hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich durch eine mehrstündige Fahrt durch die Straßen der Stadt der Bewohnerschaft zu zeigen. Die angeblich aufgehängte Person aber erwies sich als eine täuschend angekleidete Puppe. Wer sie dort aufgehängt hatte, ist nicht bekanntgeworden. Jedenfalls aber erwies sich in diesem Falle die Demonstration so wirksam, daß danach in der Tat die lästige Verordnung aufgehoben wurde. Zahllos find die auffälligen Demonstrationen ähnlicher Art, welche Jahre hindurch die Nihilisten in Rußland ausführten, und die nur möglich waren dadurch, daß sie ihre Verbindungen bis lh die höchsten Kreise hinein hatten. Es ist in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wiederholt vorgekommen, daß rote Fahnen dem Zaren selbst in der auffälligsten Weise bei besonderen Gelegenheiten vorgeführt wurden. So geschah es einmal im Kreml ' bei einer Neujahrsgratulatwn. Die Gratulanten versammelten sich in einem großen Saale Großfürsten, Würdenträger usw. eine glänzende Versammlung von Hunderten von Persönlichkeiten, die alle des Erscheinens des Zaren harrten. In dem Augenblicke sah Man erst, daß Im Lintergrunde des Saales, so daß die Blicke des hercintrctenden Zaren sofort darauf falle« mußten, zwei rote Fahnen gehißt waren.. Wann dies geschehen, wer es ausgeführt hatte, Ist nie entdeckt worden. Auch In der Schweiz ge'chahcn In den siebziger Jahren mehrere derartige originell« Demonstrationen. Tie russischen Nihilisten hatten sich dorthin geflüchtet, aber auch dort machte man ihnen das Leben recht schwer, und es wurde ein ausdrücklich« Verbot gegen das Hissen von roten Fahnen erlassen. Am Tag« der amtlichen Vcröffenllichung des Verbotes prangte an verschie. denen öffentlichen Gebäuden von Bern das verbotene Zeichen. Die Demonstration war um so unerklärlicher, als die Demonstranten unter den niederen Beamten dieser Schweizer behördlichen Gebsiulj ganz sicher kein« Gesinnungsgenossen hatten. Der alte Zeitz . Von Erna Büsing. Als er geboren wurde, war er mausegrau, wie alle weißen Pferde, die nicht einer direkten Schimmelzucht entstammen. Er hatte ein paar weiße Schwanzhaare, und in das Geburtsregister wurde er als Schimmel eingetragen. In frühester Jugend fristete er sew Leben auf einer Koppel. Er hatte richtiggehende Pferdemanieren, liebte den weiten Auslauf, rupfte hier und rupfte da und fraß lang« nicht jedes Gras, das Ihm unters Maul kam. Schlenkerte er mal gar zu arg mit seinem großen Kopf und stelzte gar zu unvorsichtig mit seinen langen Beinen, dann guckte seine Mutter ihn aus ihren dunklen, müden Augen eFtaunt an. Doch deren Blicke waren im steten Umgang mit den Menschen ganz Vorwurf geworden, daher nahm der Kleine solch stutzenden Blick nicht sonderlich tragisch. Als er noch nicht einmal richtig wiehern konnte, und man nicht wußte, ob sein Schrei Quäken, Schnauben oder ein Freudenjuchzer sei, gab man ihm bereits einen Namen. Man nannte ihnDer alte Fritz"'. Warum, das hat der Gaul nie erfahren. Bald fand man heraus, daß Arbeit für ihn sehr nützlich sei. Und es war wirklich erstaunlich, was man solch jungem Pferde schon auf« bürden konnte und was solch junges Tier schon leistete. Der alte Fritz arbeitete willig. Eigene Gedanken und Lust zu Nebenwege» ließ die Schwere der Arbeit nicht in ihm aufkommen, daher sagte man, er habe ein gutes Temperament Er wechselte oft seinen Besitzer. Vor einem solchen Verkauf wurde er erst besühlt, behorcht. gekniffen, man interessierte sich für seine Zähne, er mußte Schritt gehen, traben, galoppieren usw. Jahrelang genügte er immer allen Anforderungen. Warum sollte er auch nicht? Er war willig und bekam gutes Futter, das man als Arbeitsleistung wieder aus ihm herauszog. Einen Grashalm bekam er nie wieder unter die Hufe. Graspferde sind aufgeschwemmt und schwitzen leicht, man kann nicht das Letzte aus ihnen herauspressen," sagten seine verschiedenen Herren, darum wurde er niemals wieder auf eine Weide gejagt. Der Natur war er so entwöhnt, daß ihn ihr gegenüber sogar sein Instinkt verließ. So fraß er zur Weihnachtszeit einmal auf der Straße ein« Tanne an, weil er nicht wußte, daß sie stach. Als er 18 Jahre alt war, hatte er ein schneeweißes Fellkleid. Aber er hatte auch vier kaputte Beine, eine Brust, die vom Geschirr gleich wund wurde, einen Rücken, der immer schmerzte, und mehrere lose Zähne. Da verweigerte er den Zug. Nicht aus Bösartigkeit und Trotz, sondern weil er einfach nichl mehr konnte. Da schickte man ihn auf die Weide. Wäre er nun mit mensch- lichem Verstand begabt gewesen und hätte seine Gedanken immer aufs Jenseits gerichtet gehabt, wäre er jetzt wohl zur Ueberzeiigung gelangt, er fei gestorben und ins Paradies geraten. Ansichtspostkartenblau war der Himmel, saftig grün das Gras, bunt die Blunien. Aber der alte Fritz war müde, nichts als müde. Glockcnläuten, Bicnensummen, selbst Peitschenknallen, alles gehört« zu einer anderen Welt, die ihn nichts mehr anging. Man hatte für ihn viel böse Worte, Pflege und gutes Futter, denn es gehört ivirk» lich etwas dazu, solchen Schinder schlachtreif zu mache». Jetzt weiß ich, daß der alte Fritz nicht mehr ist. Denn in der kleinen Stadt herrscht große Aufregung unter den Armen: der Pferde» schlächter hat frisches Fohlenfleisch zum Verkauf. Sie eilen herbei, um auch mal einen Sonntagsbraten zu haben. Ich.weiß, die blassen, untcrernährten Kinder werden sich übernehmen, weil sie so fleisch - gierig sind und bei ihnen weder Magen noch Darm einer erhöhten Nahrungsaufnahme fähig ist. Selbst die alte Kathrin sehe ich laufen. Sie hat das Aussehen einer verschrumpelten Zitrone, ist ganz von der Sorge ausgemergelt, aber heute eilt sie derart den ungewohnten Gang zum Schlächter, daß ihre Pantoffeln mit Hölzsohlen klappern, ihr Rock fliegt und die weißfädigen Stopfen ihrer grünangelaufenen, ehemals schwarzen Strümpfe weithin sichtbar werden. Ja, alter Fritz, nun du verbraucht bist, verkauft man dich als prima Fohlenfleisch, und wenn ein des Fleischgcnusses noch nicht ganz Entwöhnter ein Stück von dir unter die Zähne bekommt und dich zäh und unschmackhaft schilt und sich bitter über dich beklagt, dann bedenkt er nicht, daß du ein Schicksaisgenosse von ihm bist, den menschlicher Eigennutz und die Profitzier nun endlich zur Streck« gebracht haben.