Einzelbild herunterladen
 

Nummer 40

Heimwelt

& Dktober 1921

Unterhaltungsbeilage des Vorwärts

Herbstbild.

Schon behiffen sich die fahlen Höhen Mit den windzerfehten Wolfensegeln; Dem Geschwaderzug von lehten Bögeln Krächzen nach die frechen Aderkrähen.

Nebel streift von fernen Wiesenstücken; Da erwärmen fich die Menschenhüllen, Hüllen sich in Abendrauch und bitten: Dunkelnd laßt uns aneinanderrüden.

-

Magimilian Rosenberg.

Das kleine Dorf.

Bon Emile Zola I

.

Wo liegt das kleine Dorf? In welcher Erdfalte birgt es feine weißen Häuser? Stehen sie in trgendeiner Bodensenkung um die Kirche herum? Oder stehen sie reihenlang an der Landstraße? Oder flettern sie vielleicht gleich mutwilligen Biegen eine Anhöhe hinan, eines über dem andern, mit den roten Dächern, die sich im Laub verstecken?

Hat das fleine Dorf einen wohlklingenden Namen? Einen garten Namen, der leicht über französische Lippen gleitet, oder irgend einen harten deutschen, der von Konsonanten strotzt und rauh ist wie Rabengekrächze?

Und wird Korn geschnitten im kleinen Dorf oder Weinlese ge­halten? Baut man Getreide oder Wein? Was treiben seine Be­wohner jetzt um diese Sonnenstunde auf den Feldern? Bleiben sie am Abend auf dem Heimwege einen Augenblic stehen, um mit einem Blick die reichen Fluren zu umfassen und dem Himmel für das reiche Jahr zu danken?

II.

Ich stelle es mir gern auf einer Anhöhe vor. So verschwiegen liegt es zwischen den Bäumen, daß man es von weitem für ein zertrümmertes und mit Moos bewachsenes Felsennest halten tönnte. Aber Rauch steigt aus den Zweigen; den Pfad hinunter stoßen Kinder einen Schubkarren vor sich her. Aus der Ebene schaut man neidisch zu ihnen herauf; und die Erinnerung an dieses Nest, das man faum gesehen hat, nimmt man mit sich fort.

III.

Und morgen vielleicht weiß die ganze Welt, daß das Kleine Dorf egiſtiert.

O Jammer! Der Bach wird rot werden, burch die Bappelwand werden Kugeln fegen, die aufgerissenen Hütten werden die stumme Verzweiflung der Menschen enthüllen, das kleine Dorf wird berühmt werden.

Kein Bäscherinnenfingfang, feine Buben, die den Abhang hin unterfugeln. Keine Ernten mehr, teine Stille, teine glückliche Bew scheidenheit. Ein neuer Name in der Geschichte, Sieg oder Nieder. lage, eine neue Seite voller Blut, ein neuer Winkel Erbe, den das Blut unserer Kinder düngt.

Noch lacht es, noch schlummert es und weiß nicht, daß es seinen Namen einem Gemezzel schenken soll- morgen wird es schluchzen, und ganz Europa wird von seinem Todesröcheln widerhallen. Dann mird es wie ein Blutfleck auf der Erde haften. Heiter und zärtlich wird es sich mit einem düstern Streis umgeben, mit bleichen Ge sichern werden Besucher über seine Trümmer schreiten, wie man über die steinernen Fliesen eines Totenhauses geht. Es wird ver flucht sein. dann wird es in unserem

-

Und ist es Austerlitz oder Magenta Herzen flingen wie Fanfaren. Und ist's Waterloo, so wird dumpf wie Trommelwirbel die Erinnerung traurig durch ur Herz rollen.

Wie wird es sich nach seinen einsamen Ufern sehnen, nach seinen törichten Bauern, seinem menschenfernen Winkel, den nur die Schwalben bei ihrer Wiederkehr in jedem Frühling fannten! Be fudelt und entweiht, unter seinem Himmel, darunter die Raben frächzen, mit seinen fetten Aeckern, die nach Verwesung riechen, wird es ewig durch die Jahrhunderte weiterleben als Mördergrube, als der verfemte Ort, wo zwei Nationen einander gewürgt haben.

Das Liebesnest, das Friedensneft, das kleine Dorf wird nur ein Kirchhof sein, ein Massengrab, darauf die trostlosen Mütter nicht einmal ihre Kränze werden niederlegen fönnen.

IV.

Ueber die ganze Welt hat Frankreich solche Friedhöfe gesät. An allen vier Eden Europas fönnten wir niederfnien und beten. Unsere Friedhöfe heißen nicht nur Père Lachaise , Montmartre und Mont­parnaffe; fie tragen auch die Namen aller unserer Siege und aller unserer Niederlagen. Von China bis Merito, von den Schneefeldern Rußlands bis zu den Sandwüsten Aegyptens gibt es teinen Fleck unter dem Himmel, wo nicht ein ermordeter Franzose läge.

O ihr stillen, einsamen Friedhöfe, ihr schlaft euren schweren Nein, ich denke es mir in einem Winkel in der Ebene, am Rande Schlaf im unendlichen Frieden der Natur. Die meisten, fast alle eines Baches. Es ist so klein, daß eine Pappelwand es vor aller erstrecken sich am Fuße irgendeines einsamen Dorses, in dessen zer­Augen verbirgt. Seine Hütten verschwinden gleich feuschen, baden- fallenem Gemäuer noch das Entsetzen bebt. Waterloo war nur ein den jungen Mädchen in den Weiden am Ufer. Sein Teppich ist Gutshof, Magenta zählte faum fünfzig Häuser. Ein schrecklicher ein Stückchen grüne Wiese; eine lebendige Hecke schließt es wie wind ist über die unendlich Kleinen dahingegangen, und ihre Buch­einen großen Garten nach allen Seiten ab. Man geht an ihm vor- staben, die gestern noch unschuldig waren, umweht ein solcher Blut­über, ohne es zu sehen. Die Stimmen der Wäscherinnen tönen und Bulvergeruch, daß die Menschheit bis in fernste Zeiten er herüber wie Vogelgesang. Kein Rauch. Hinter seinem grünen Bett- schauern wird, wenn ihre Lippen sie aussprechen. Dorhang schlummert es im Frieden.

Reiner von uns fennt es. Die nahe Stadt weiß faum von feinem Dasein; es ist so bescheiden, daß fein Geograph fich darum gefümmert hat. Es ist niemand. Spricht man seinen Namen aus, so erwacht teine Erinnerung. Unter der Menge von Städten mit hochtönenden Namen ist es ein Unbekanntes ohne Geschichte, ohne Ruhm und Schande: bescheiden hält es sich abseits.

Und deswegen lächelt das feine Dorf wohl so anmutig. Seine Bewohner leben in der Einsamkeit; die Buben kugeln den Abhang hinunter; die Frauen spinnen im Schatten der Bäume. Das kleine Dorf ist glücklich in seiner Unberühmtheit und nur erfüllt von der Heiterkeit des Himmels. Es ist dem Schmutz und dem Lärm der großen Städte so fern! Sein Sonnenschein genligt ihm; seine Freude besteht aus Stille, aus Bescheidenheit und aus der Pappelwand, die es vor aller Welt verbirgt.

Nachdenklich betrachtete ich eine Karte des Kriegsschauplakes. Ich folgte den Ufern des Rheins und fragte Berg und Tal. Lag das fleine Dorf links oder rechts vom Flusse? Mußte man es in der Nähe der Festungen oder weiter, irgendwo in einfamam Ge­lände suchen?

Dann schloß ich die Augen, und ich versuchte, mir jenen Frieden vorzustellen, die grüne Pappelwand vor den weißen Häusern, das Stüdchen Wiese, darüber die Schwalben dahinstreichen, den Gesang der Wäscherinnen, das reine Stück Land, das der Krieg entweihen wird und deffen Schmach die Trompeten roh in alle Winde schmettern werden. Wo liegt denn das kleine Dorf?*)

( Aus Emile 8ola ,,, Gesammelte Novellen". Gustav Klepenheuer, Berlag, Potsdam 1921.)

*) Das kleine Dorf lag im Elsaß und hieß Wörth.