sammelt das, was das Aolk sagt und prSgt, und erklärt dann, es ließe sich.öffentlich" nicht wiedergeben! Das sind diefelben Leute, die dann.Volkstümlichkeit" predigen, die alten Tanten, die sich pfeudoromantische Begriffe von Volk und Volkskunst bilden und mit ihren literarischen Wassersuppen den hungrigen Geist der Massen nähren zu können glauben. Als Martin Luther die deutsche Bibel schuf, ging er im werk- tätigen Volk unter und lauschte ihm seine Sprache ab. Mancher von denen, die heute in Pieudovolkstümlichkeit machen, würden sich vor Schreck auf einen Körperteil setzen, den Luther damals sehr deutlich und exakt zu benennen pflegte, wenn er einmal diesen Martin Luther im Urtext lesen würde. Wo sind die Schriftsteller, die heute Handwerker, Industriearbeiter, Bauern, Droschkenkutscher bei der Arbeit, im Wirtshaus, auf der Kegeldahn und wo es immer sei be- lauschten und das gefundene Sprachgut verwendeten? Herr Pro- effor Bnmner würde ihnen gewiß den Staatsanwalt auf den Hals aoen. Aber das Volk und die Sprache des Volkes, ist nicht unsitt- lich. Sie ist ehrlich, hat keine Feigenblätter vor, ist wohl unerhört derb und scheut vor keiner Deutlichkeit zurück: aber sie ist niemals unsittlich. Sie bildet wirtlich. Sie hat die Genialität des Gleich- Nisses, In dem immer wieder das Schöpferische der Sprache ruht. Sie prägt Metaphern, die unerhört scharf sind, Bilder, die mal wirk- liche Bilder sind Man braucht nur die Ohren aufzumachen, um diese Produktivität an jeder Straßenecke festzustellen. Freilich gehörte zu einer Heimkehr zu solcher Sprach« eine Heim- kehr zu einer Wirklichkeitskunst, die der lebenden Generation der literarisch Schaffenden verloren gegangen ist. Diese Generation spricht eine abstrakte Sprache. In sie läßt selbst der, wo sie Volk zu gestalten sucht, dieses Volk eine solche abstrakte Sprache sprechen, und kommt damit natürlich niemals an das Volk selbst heran. Zwischen Literatur und Volk oder Masse, um noch schärfer zu betonen, klafft eine Kluft. Und wenn die gesamte soziale Dichtung der Gegenwart kein Echo im Volte findet, so liegt dos nicht am Ethos dieser Ler- suche, da» gewiß in den meisten Fällen ehrlich Ist. sondern nur an dieser Unfähigkeit, eine Sprache zu sprechen, dl« dem Volke seine Denk- und Sprechart In gesteigerter Form zeigt. Hier müssen die Arbeiterdichter, die proletarischen Dichter, die hoffentlich aus dem Mutterfchoße der Masse künftig aufsteigen, einsetzen. Sie müssen sich gegen die Literatursprache mit ollen Kräften ihrer ungebrochenen Sprachnaivität wehren Sie müssen die Sprache ihrer Herkunft sich bewahren, müssen das Wesentliche daraus verdichten, müssen sie ver- edeln, ohne daß ihr Saft und Kraft und die Atmosphäre ihrer Her- kunft verloren geht. Das Naturgesetz im Unterricht. Von A l f r e d F r ö h l« ch. Der oft gebrauchte Satz..Keine Regel ohne Ausnahme" findet in den Naturwissenschaften keine Anwendung. Was einmal als Gesetz anerkannt wurde, muß für olle Fälle gelten. Aus der bunten Fülle der Erscheinungen faßt das Naturgesetz die gemeinsamen Merkmale zusammen, eine Nocharbeit aus gegebenen Tatsachen und zugleich eine Borarbeit für zukünftige Erscheinungen: denn das Gefetz be- fähigt zur Vorhersage. In unzähligen Büchern sind die Gesetze beschrieben, unsere Lehrer beweisen sie uw fein säuberlich an den Wandtafeln, an Ver- suchen, und die Folgt, stt, daß wir sie so gemütlich hinnehmen, wie man ein Butterbrot ißt, und darüber vergessen, welche gewaltige und bedeuffame Arbeit von diesen Männern geleistet wurde. Wir lächeln, wenn man uns von Archimedes erzählt, daß er,„Kenrel-a" (ich hab's gefunden) rufend, nackt durch die Straßen von Syrakus lief, als er das Gesetz des Schwimmens im Bade fand Wir hören schmunzelnd, daß Pythagoras den Göttern eine Hekatombe (100 Ochsen) opferte, als er den nach ihn, benannten Lehrsatz ge- funden hatte. Wir zitieren gerne das große Wort Galileis„Und sie bewegt sich doch", aber wir lassen die Tragödie nicht auf uns wirken, die diesem Bekenntnis voranging. Mit einem Wort, wir achten unsere großen Männer der Wissenschaften nicht wie sie es verdienen. Das bedeutet, daß wir auch ihre Werke zu wenig achten. Natur- gesetze sch«nen uns nur dazu zu dienen, sie. auswendig zu lernen, um sie ihres Nutzens willen anzuwenden, nicht aber um der Erkennt- nis willen, die sie uns bringen, nicht der Freude willen, die mit der wachsenden Erkenntnis verknüpft ist,- nicht des einheitlichen Welt- bildes willen, das sie zu erzeugen vermögen. Wir fassen sie als Dogmen auf, als starre Formen, die man auf Befehl zu glauben habe, nicht aber als lebendige Schöpfungen, die von jedem einzelnen nachentdeckt und nachempfunden werden können. Erst dann werden wir sie völlig begreifen, wenn auch wir mit dem Stoff gerungen haben. Unsere Lehrer lassen unsere Neugierde unbefriedigt, die den eigentlichen Kern der Wißbegierde bildet. Sie lassen unser Herz nicht mitschwingen, weil sie sich damit begnügen, uns mathematische Ab- leitungen zu geben, statt uns das Gesetz selbst finden zu lassen. Sollten sie selbst nicht die Schönheit des Gesetzes kennen, nicht seine Fülle, nicht seine Bedeutung im Sinne einer Weltanschauung? Einer solchen Lehrmethode entsprechen die Früchte. Sie werden Nicht, dem auf eigene Arbeit beruhenden Verständnis, sondern dem Gedächtnis anvertraut, diesem ungetreuen Diener, der sich so gern jeder unbequemen Bürde entledigt, und die Folge ist, daß nach kurzer Zeit der größte Teil der Schulweisheit vergessen wird. Sie wurde • v �lur äußerlich angeklebt, nicht aber innerlich verarbeitet. Es wlrd Nntzwissen gezüchtet, Prüsungsweisheit ohne das innere Band, das erst die einheitliche Persönlichkeit bildet. Alte und neue Sprachen, Mathematik, Naturwissenschaften laufen nebeneinander her, werden in gesonderten Schubfächern des Gehirns für eine gegebene Zeit ein- gepreßt und aufbewahrt, ohne zu einer inneren Harmonie, zur Bildung zu verschmelzen. Solche Erziehungsergebnisse müssen doch zum Nachdenken an- regen, wo liegt der Fehler, im Schüler, im Lehrer, Im System? 3m Schüler liegt er nicht', die jugendliche Seele dürstet nach Er- kenntnis und ist bereit, zu empfangen. Gewiß hat die Schule die Aufgabe, für das Leben vorzubereiten, aber es ist eine falsche Auf- fassung, wenn man das Leben nur von seiner beruflichen Seite be- trachtet. Es gibt keinen Beruf, der als Insel im Leben stände. Fichte war es wohl, der da sagte:.Wer nur sein Fach versteht, versteht auch dieses nicht." Die Schule wird nur dann ihrer Aufgabe gerecht werden, wenn es ihr gelingt, ganze Menschen für das Leben zu erziehen. Bildung braucht nicht Wcldfremdhcit zu sein, Bildung ist nicht totes Wissen, sondern innere Einheit von Wissen, Können und Charakter. Um solche Erziehungsergebnisse zu erzielen, bedarf es hervorragender Iugendbildner, die die Gabe der„schenkenden Tugend", die lebendige Freude an der„Bildung" der Jugend, des köstlichsten Gutes unseres Bolkes, besitzen. Nicht die Beherrschung des Stoffes macht den Lehrer, sondern die Gabe, ihn seinen Schülern anregend zu übermitteln. Anregung zu selbständigem Denken ist der Sinn der Schule, daher ist die Er- kenntnis des Naturgesetzes ihre Grundlage. Nicht auf Autorität ruht unsere Schule, sondern auf der Liebe zur Jugend. Sie wirkt be- fruchtend und anregend, sie macht die Arbeit zur Freude, die Schule zu einem Garten, in dem die Früchte der ErkennMis reifen und zum Genüsse einladen; freilich erst dann, wenn man selbst an ihrer Ent- wicklung teilgenommen hat. Ein« solche Erziehung wird auf jeden Drill verzichten, der doch nur Massenware erzeugt, dafür aber Edel« menschen hervorbringen, ein sre> denkendes, sittlich fühlendes Geschlecht. Cuthanafie. Was ist Euthanasie? Man versteht darunter die einem unheil- bar Kranken auf dessen Wunsch zuteil werdende Sterbehilfe, mit anderen Worten die ihm gegebene Möglichkeit,»in Leben, da» für ihn nur«ine Qual, von sich zu werfen. Es ist begreiflich, daß dieser Vorschlag im ersten Moment bei vielen auf starten Wider- spruch stoßen dürfte. Die meisten werden sich heute wohl dagegen entscheiden, sei es aus Gefühlsgründen oder wegen der anscheinend schwierigen praktischen Durchführung. Die Frage wirft sich aus: Haben wir überhaupt ein Recht, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen? Es sind doch heute Be- strebungen im Gange, die Todesstrafe ganz abzuschaffen. Es scheint dies paradox, aber bei näherer Prüfung wird man wohl doch zu dem Schlüsse kommen, daß beide Forderungen ihre Berechtigung haben. Es ist ein Unterschied, ob man einem Verbrecher das Leben nimmt, statt ihm Besserungsmöglichkeit zu geben, oder ob man einen Schwerleidenden, der im Tod die einzige Erlösung sieht, auf seinen ausdrücklichen Wunsch auf schmerzlose Weise von seinen Qualen erlöst. Der Vorwurf, daß die Anwendung der Euthanasie von Lieb- losigkeit und Egoismus der nächsten Angehörigen zeugt, die sich viel- leicht auf diese Weise von einer langwierigen und kostspielige» Pflege und Wartung befreien wollen, fällt in sich zusammen. Denn erstens kommt die Euthanasie nur da zur Anwendung, wo der Kranke dies selbst wünscht, und ferner bliebe noch die Frage offen, ob es nicht oft ein Beweis von größerer Liebe und Aufopferungsfähigkeit ist, sich von einem uns Nahestehenden, der vielleicht das teuerste Wesen für uns ist, freiwillig zu trennen, selbst darunter schwer leidend, nur um ihm die ersehnte Erlösung zu verschaffen. Ucber die alte christ- liche Anschauung, daß alles Leid und Ungemach mit Geduld und ge» horsamer Unterwerfung unter den Willen eines„allgütigen, allbarm- herzigen Gottes" zu ertragen fei, in„seinem Namen und zu seiner Ehre", brauchen wir uns wohl nicht weiter auszulassen. Die Literatur über Euthanasie ist noch verhältnismäßig arm. Vor einigen Jahren hat der bekannte Professor Elliot Nordon in Cambridge(Amerika ) eine kleine Broschüre veröffentlicht, in welcher er sich mit diesem Problem befaßt und die breite Oeffent- lichkeit dafür zu interessieren sucht. Ein Russe, welcher jahrelang bettlägerig krank war und vergebens bat, ihn von seinem Leiden zu erlösen, hat ein Projekt für die Durchführung der Euthanasie hinter-' lassen. Er schlägt dort u. a. vor, daß der Kranke einen entsprechenden Antrag beim Gericht einreicht, welches dann feine Untersuchung durch den Gerichtsarzt und zwei Spezialärzte veranlaßt. Die Aerzte äußern sich darüber, ob unheilbare Krankheit vorliegt oder nicht, und das Gericht erläßt ein dementsprechendes Urteil. Der Deutsche Monistenbund hat jetzt dem Reichstag , dem Reichs- rat und der Reichsregierung einen Vorschlag unterbreitet, Z 216 des Strafgesetzbuches durch folgenden Passus zu ergänzen:„Die Tötung bleibt straflos, wenn der Getötete an einer unheilbaren Krankheit oder Verletzung gelitten, das ausdrückliche und ernstliche Verlangen auf Tötung In freier Willensbetätigunq zu gerichtlichem oder notariellem Protokoll erklärt hatte, von drei Aerzten, von denen einer Amtsarzt sein muß, festgestellt war, daß' keine Aussicht auf Heilbarkeit der Krankheit bestand und einer dieser Aerzte die Tötung ausgeführt hatte." Dem Antrag ist eine längere Begründung beigefügt. Es wäre zu wünschen, daß eine gesetzliche Regelung dieses wichtigen Problem« bald erfolgt. K.
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