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Wissen und Schauen

Was unsere Großväter noch nicht hatten. Beim Beginn eines neuen Jahres richtet sich der Blick unwillkürlich rückwärts, und wir fragen, wie wohl vor 100 Jahren unsere Großväter gelebt haben. So gern fich nun auch manche nach der guten alten Zeit" zurüd­fehnen, so dürfte es ihnen doch, wenn ihre Sehnsucht erfüllt würde, wie dem Justizrat in Andersens Galoschen des Glücks" gehen, der durch die Zauberkraft dieser Galoschen in die von ihm so hoch. gepriesene Zeit des guten Rönig Hans" zurückversetzt wurde und die entseglichsten Erfahrungen dabei machte. Bor 100 Jahren gab es Teuerung und Elend als Nachwirkung ber napoleonischen Kriege wie heutzutage, und sehr viele Dinge, die uns heute das Leben erleichtern und verschönen, waren noch ganz unbekannt. Sehen wir von den großen Fortschritten wie Eisenbahn, Telegraph, Telephon usw. ab, so bleiben noch eine große Anzahl Heinerer Annehmlichkeiten und Errungenschaften übrig, ohne die wir uns heute unser Leben faum noch denken können. Goethe hat einmal gefagt, er würde den als einen Wohltäter der Menschheit preisen, der das ewige langweilige Puhen der Sichter unnötig machen würde. Der gedrehte Docht, der die Benutzung der Lichtputschere aufhob, ist zwar noch zu seiner Zeit in Anwendung gekommen, denn er wurde im Jahre 1825 erfunden, aber Goethe hat selbst nicht mehr viel von dieser Neuerung gehabt. Auch damals war man noch auf Talg- und Wachslichter angewiesen, die recht unregelmäßig brannten, und die moderne Baraffinterze ist nicht älter als 70 Jahre, aber heute auch schon durch Gas und elektrisches Licht zu einer an­mutigen Kuriosität geworden. Die stählerne Schreibfeder wird heute bereits von der Schreibmaschine bedroht, die so viel be­quemer ist als das Schreiben mit der Hand. Aber der Gebrauch der Stahlfeder ist auch noch nicht 100 Jahre alt, obwohl sie bereits 1803 erfunden wurde. Goethe hat sein ganzes Leben lang noch mit dem Gänsefiel geschrieben, und Heine hat ihn noch vor 90 Jahren be­fungen. Erst nach 1830 bürgerten sich die Stahlfedern mehr ein, als praktische und billigere Fabritate in den Handel famen. Und nicht anders ist es mit der Tinte. Wir machen uns heute feinen Begriff bavon, wie schwierig und voller Aerger das Schreiben mit den Linten war, die vor 100 Jahren benutzt wurden. Diese Tinte glich mehr einer schwarzen Farbe und war äußerst schwierig zu handhaben, Mechste und wischte beständig. Ein englischer Kulturhistoriker hebt in diesem Zusammenhang hervor, daß die erste wirklich brauchbare Tinte 1834 von einem Londoner Arzt hergestellt wurde. In dem felben Jahre begannen die Streichhölzer ihren Siegeszug durch die Welt; doch waren diese ersten Schwefelhölzer ein qualpolles Wert­zeug, das entfeßlich schlecht roch und sich sehr schwer entzünden ließ. Trozdem wurde die Erfindung mit Jubel begrüßt, weil sie dem viel amständlicheren Anzünden mit Feuerstein und Feuerschwamm ein Ende bereitete. Noch sehr viel jünger als die Streichhölzer ist ein für unser alltägliches Leben nicht minder geläufiger Gegenstand, die Briefmarte, denn erst im Jahre 1853 erfand Archer eine Maschine zum Perforieren der Blätter, von denen dann die einzelnen Briefmarken abgerissen wurden.

Wie der Tee verbreitet wurde. Zur Berbreitung des Tees in Europa hat nicht unwesentlich die gelehrte Reklame beigetragen, mit Hilfe deren man die allgemeine Aufmerksamkeit auf dieses Getränk lentte. Obgleich nämlich die Holländer schon im Jahre 1610 den Tee nach Europa gebracht hatten, so blieb doch der Konsum desselben noch bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts hinein ein äußerst geringer. Das chemische Getränt" war eben zu wenig bekannt geworden. Um dem abzuhelfen, befoldeten die Holländer eine An­zahl Aerzte und Naturforscher, die dem Tee alle möglichen guten Eigenschaften andichten und die vermeintlichen Tugenden desselben burch Wort und Schrift auspesaunen mußten. Go rühmte der holländische Arzt und Konsul Tulpius 1641 zu Amsterdam die un­gemein belebende und stärkende Kraft des Tees. Noch weiter ging ber französische Arzt Morisset, der in einer 1648 erschienenen Schrift die Behauptung aufstellte, daß der Lee Verstand gebe. Der bes geistertfte unter den erfauften Lobrednern des Tees war aber wohl Cornelius Boutetoe, Leibarzt bes Großen Kur­fürsten von Brandenburg . Dieser Gelehrte suchte 1667 in einer Abhandlung zu beweisen, daß der häufige Genuß des Tees die Gesundheit des Menschen in wahrhaft bewundernswertem Grade hebe. Wollte man recht gefund sein, so müsse man täglich 100 bis 200 Lassen trinken. Aber nicht nur das förperliche Wohl fein, sondern auch die geistigen und technischen Fähig teiten eines jeden werden, wie Bontefoe in seiner Schrift hervor hebt, durch eine Teefur erheblich gefteigert werden. Der Diplomat wie der Gelehrte sollen ihren Studien mit weit größerem Eifer und Erfolge obliegen und der Schuhmacher bessere Arbeit anfertigen önnen, wenn fie Tee trinken. Diese Lobrede des brandenburgischen Leibarztes verfehlte ihre Wirkung nicht. Durch Bontekoe wurde der Tee zuerst in Deutschland bekannt und bald zu einem so allgemein Beliebten Getränk, daß man zu Berfälschungen greifen mußte, um die große Nachfrage nach dem neuen Genußmittel zu befriedigen.

Vorausberechnung der Mißernten. Die Times" entnehmen Ser letzten Nummer des Economic Journal" einen Artikel, in dem Sir William Beveridge , der Direktor der Londoner Schule für landwirtschaftliche und politische Wissenschaften", seine Theorie des Bestehens von meteorologischen Zyklen, die einen großen Einfluß auf den Ernteausfall haben, mit neuen Beweisen zu stügen sucht. Es handelt sich bei dieser Theorie um folgendes: Die Mißernten

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mit ihrer Begleiterscheinung wirtschaftlicher Depresonen treten fo ziemlich alle 15 Jahre ein. Nach den verwickelten Barechnungen, ste Beveridge aufstellt, müssen wir uns beispielsweise für das Jahr 1928 auf überreiche Regenfälle gefaßt machen, die im Verein mit großer Kälte eine Mißernte herbeiführen dürften. Nach ihm würde das Jahr 1923 dem Jahr 1315 gleichen, dem furchtbarsten Hungerjahr, das die Geschichte Europas verzeichnet. Beveridges Prophezeiung tüßt sich auf Statistiken, die einen Zeitraum von drei Jahrhunder ten umfassen und den Beweis erbringen sollen für das Bestehen eines Turnus schlechter Ernten, die rund alle 15 Jahre eintreten. Immerhin gönnt uns der Londoner Gelehrte noch einen Hoffnungs strahl mit der Bemerkung, daß die arithmetische Formel nicht gerade unfehlbar zu fein brauche. Trotzdem aber rät er, beizeiten Vor­forge zu treffen, um sich vor unliebsamen Ueberraschungen zu Schüßen. Die Times" widmen den Beveridgeschen Ausführungen über die Hungerjahre einen Leitartikel, in dem sie erfreulicherweise dem Gedanken Raum geben, daß die Welt heute doch unter Ver hältnissen lebt, die von denen des Jahres 1315 grundverschieden find, da Europa heute nicht mehr wie damals von der eigenen Getreideerzeugung zu leben genötigt ist.

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Erdkunde

Waren das alte Rom und Byzanz Millionenftädte? Heute, im Zeitalter der Großindustrie und des Großverkehrs, welche die An häufung der Menschen in Riefenwohnpläßen so fördern, gibt es mit Sicherheit nur 11 Millionenstädte auf der Erde, neben 7 andern, von denen wir dies nicht genau wissen. Von den ersteren hat London die Million 1802 erreicht, als England schon Jahrhunderte hindurch feine Arme nach allen Weltteilen ausgestreckt hatte, Paris 1850, Neu jort 1870, Wien 1876, Berlin 1880, Raltutta 1900, außer London also alle erst in der Zeit des modernen Schnell- und Massenverkehrs und der Großindustrie. Wenn wir uns dies vor Augen halten, müssen die Angaben der alten Schriftsteller, daß die Hauptstädte des mest römischen und oströmischen Reichs, Rom und Byzanz( Konstantinopel ), Millionenftädte gewesen seien, dem stärksten Zweifel begegnen. Eigentliche Volkszählungen gab es im Altertum und Mittelalter nicht, Schähungen find, wie wir aus der heutigen Städtestatistit zur Genüge wissen, höchst unsicher, und noch viel trügerischer sind Schlüsse etwa folgender Art, wie sie tatsächlich gezogen worden sind: Die Franken töteten i. J. 538 nach Chr. bei der Eroberung von Mai land 300 000 männliche Einwohner dieser Stadt( wie ein alter Schriftsteller berichtet); also hatte Mailand damals 600 000 Cin wohner, alfo das viel bedeutendere Rom sicher eine Million. Oder: Im Jahre 412 hatte Rom 1797 Baläste von Reichen, Byzanz aber 4387; Rom war eine Millionenstadt, also war dies Byzanz erst recht. Wir müssen vielmehr annehmen, daß Byzanz zur Zeit seiner größten Blüte, also seit Justinian , höchstens eine halbe Million Bee wohner hatte, und das gleiche gilt für das alte Rom , das ja einen viel kleineren Raum einnahm als die moderne Halbmillionenstadt Rom .

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Gesundheitspflege

Allerlei vom Fingernagel. Gefunde, gut gepflegte Fingernägel gelten für eine besondere Schönheit und das Zeichen einer hohen Körperfultur. Aber zur richtigen Nagelpflege ist eine genaue Rennt nis der Physiologie des Nagels notwendig, die auch die Manicure fünftler nicht immer befizen. Ein Nagel entspricht der hornigen Oberschicht der Haut und unterscheidet sich von ihr nur dadurch, daß er härter und fester ist. Er ist aus einer Anzahl Schichten polygonaler Zellen aufgebaut, und bisweilen sind zwischen diefen Zellen oder in ihrem Innern kleine oder größere Luftblafen, die die weißen Flecken des Nagels hervorrufen. Die halbmondförmige Fläche an dem sicht baren Ansatz des Nagels tritt beim Daumen am deutlichsten hervor, hebt sich aber auch bei den anderen Fingern gewöhnlich deutlich ab, Ueber ihre Entstehung gehen die wissenschaftlichen Ansichten noch auseinander, aber sie scheint durch eine Undurchsichtigkeit des Gewebes der Hornhaut an dieser Stelle verursacht zu werden. Die Schnellig­feit des Wachstums der Nägel ist bei den verschiedenen Menschen sehr verschieden. Im allgemeinen aber wachsen die Nägel schneller bei jungen Menschen und während des Sommers. Man will auch beobachtet haben, daß im Sommer die Nägel der rechten Hand schneller wachsen als die der linken. Das durchschnittliche Wachstum eines Nagels von dem Halbmond bis zur Fingerspige wird auf vier Monate angegeben, und man hat ausgerechnet, daß die Nägel an Händen und Füßen zusammen etwa 3 Gramm Nägelfubstanz jährlich hervorbringen. Allzu rafchem Wachstum der Rägel fann man da durch entgegenwirken, daß man die Nägel in heißem Wasser, das eine Boraglöfung enthält, erweicht und dann sorgfältig schneidet oder feilt. Ueberhaupt ist eine Feile, Schere und Meffer bei der Nagel behandlung vorzuziehen, da durch diese nicht selten unangenehme Bermundungen verursacht werden.

Borsicht vor Spinnengeweben. Allen Warnungen zum Trog werden immer noch Spinnengewebe zur Stillung offener Wunden nerwendet. Das ist eine große Unvorsichtigkeit, denn dadurch kann nicht bloß eine Blutvergiftung herbeigeführt werden, sondern es fönnen auch Bazillen, z. B. ber Tubertelbazillus und der Starr­frampfbazillus, der Bodenerreger u. a. in die Bunde gelangen. So hat man z. B. die Boden auf ein Pferd übertragen, indem man eine Wunde desselben mit Spinnengewebe belegt, das aus einem Stalle herrührte, in dem an Ruhpoden erkrankte Rühe astanden hatten.