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Nummer 13 6. �prit 1922 Äntörhaltungsbeilatze fr ri Aes Torwarts Das Krematorium. Humoreske von Wilhelm Wendllng. Der Rentier Max Buff, gewesener Tütchenfabrikant, hatte einen Garten, einen wunderschönen Garten. Kein Mensch in ganz Brandenau hatte einen solchen Garten. Da wuchs Zwergobst, saftig wie Melonen, da wuchsen wundervolle Pflaumen, Pfirsiche und Llprikosen, Erdbeeren so groß wie Hühnereier, große Radieschen. ganz zu schweigen von den Sonnenblumen, deren riesige goldene hruchtböden wie Feuerräder in all der grünen Pracht prangten. SBer etwa auf den Gedanken gekommen wäre, dieser schöne Garten müsse zerstört werden, den würde nicht nur der Besitzer, son- dern die Stadt und deren Umgebung in einem Umkreis von 20 Kilo- meter für verrückt gehalten haben. Und doch kam eines Tages der Bürgermeister von Brandenau höchstselbst zu Herrn Max Buff und sagte ihm rund heraus, sein Garten müsse dem Erdboden gleichgemacht werden. Er solle eine nette Summe nennen, die wolle ihm der Stadtsäckel anstandslos bezahlen, in Anbetracht dessen, daß es ein so wundervoller Garten sei. Die Sache war nämlich die: Brandenau wollte ein Krematorium haben, ausgerechnet ein Krematorium. Es müßte etwas zur Hebung der Stadt getan werden. Da man nun aber nichts hatte, um den lebendigen Fremdenstrom herzulenken, wollte man es mit dem toten versuchen pnd ein Krematorium bauen. Besagter Garten war aber der gegebene Bauplatz für dieses Krematorium, ja, es kam eigentlich überhaupt keine andere Stelle In Betracht. Cr grenzte rechts an die Chaussee, links an die Bahnlinie, man konnte also das Berbrennungsgut mit Wagen und mit Waggon anfahren. Meinen Garten verkaufen?" rief Max Buff.Nicht um'ne Million I Nicht um drei Millionen!" Aber Sie müssen doch einsehen, mein Perchrtester," sagte der Bürgermeister,daß das Ansehen der Stadt, daß das Gemeinwohl dieses persönliche Opfer von Ihnen fordern darf." Mein Garten ist mir mehr wert als das Allgemeinwohl. Was kümmert mich diese verruchte Mode, sich verbrennen zu lassen? Unsere Väter und Urväter modern alle in der Erde, die Erde ist auch für uns noch gut genug." Das Verbrennen ist hygienischer," sagte der Herr Bürger- meister. Eher laste ich mich lebendig vergraben als tot verbrennen!" rief Mar Buff emphatisch. Schließlich griff das Stadtoberhaupt zum letzten Mittel. Es tut mir leid, Sie darauf aufmerksam machen zu müsten, daß. im Falle keine Einigung erzielt wird, wir genötigt sein werden, das Grundstück aus dem Wege des Enteignungsversahrens zu erwerben." Enteignen!  " schrie Max Buff wütend.Der Garten ist mein! Ich habe ihn angelegt. Ich habe fünfzehn Jahre meinen Schweiß darauf vergossen! Keine Macht der Welt kann mir den Garten nehmen! Keiner hat das Recht dazu!" Aber wie die Gesetze nun einmal sind, der schöne Garten wurde ihm enteignet,"da half kein Toben und kein Protestieren. Und ob auch Max Busf den Zaun durch ein meterhohes Stacheldraht- gestecht erhöhte und den ganzen Tag mit der Schrotflinte unter den Sonnenblumen stand und seden, der etwa einzudringen beabsichtigte, erschießen wollte, es half nichts. Eines Tages erhielt er von der Behörde eine Vorladung in Steuersochen. Als er sich einfand, teilte man ihm mit, es liege ein Irrtum vor. Ahnungsvoll rannte er nach seinen, geliebten Garten. Ach, da lag der Zaun am Boden, die schönen Pfirsich- und Apri- kosenbäume lagen gefällt auf den Beeten und hatten Erdbeeren und Sonnenblumen zerschlagen. Max Buff schäumte vor Wut und schwur fürchterliche Rache für diesen Schurkenstreich, der doch eigent- lich gut gemeint war, denn er hatte ihm die Schande erspart, mit Gewalt von seinem früheren Besitztum entfernt zu werden. Das Krematorium wurde also gebaut. Ein stattliches, tempel- arstgcs Gebäude. Es wurde viel Geld und viel Kunst hinein verbaut. Nur zögernd jedoch setzte der Fremdenverkehr ein, in Brandenau selbst war die Sense Gevatter Heins wenig tätig, und diese wenigen, die er zur Strecke brachte, zogen es vor, mit ihren toten Leibern den Würmern eine Freude zu machen. Um so größeres Aufsehen erregte es, als der Rentier Max Buff erklärte, er habe sich in den Verlust seines Gartens gefunden und alles verziehen. Zum Zeichen, daß es ihm wirtlich ernst damit sei, wolle er sich selber in dem Krematorium verbrennen lassen. Was ist die Tat des Mucius Scävola  , der bloß seine Hand in» Feuer hielt, gegen diesen heroischen Entscbluß Mar Bufss? Jedermann, auch die Gegner der Lrichenvsrbrennung, lobten nun seinen versöhnlichen Charakter und billigten seine Absicht durchaus. Nach etwa drei Jahren, während derer dos Krematorium hübsch i in Flor kam und wöchentlich mehrere Dutzend Urnen voll Asche lieferte, starb auch unser guter Max Buss. Er hatte eineschöne Leiche", wie man zu sagen psleal.?l!Ie Hnnorathren der Stadt und viele Vereine begleiteten den Sarg zum Krematorium, in dessen Halle eine erhebende Leichenfeier stattfand Er wurde als der hoch« herzige Stifter des Grundstücks, auf dem sich dieses hehre Haus b?» fand, gefeiert. Während der Sarg in die Versenkung aufgenommen und dem Verbrennungsofen zugeführt wurde, ertönte feierliche Musik. Der Verstorbene hatte angeordnet, daß während seiner Ein- äscherung vor dem versammelten Trauergefolge sein Testament ver» lesen werden sollte. Das begann folgendermaßen- Ihr, die Ihr in schwarzen TrauerNeidern steht, wo einst die Sonnenblumen ihre goldenen Fruchtkörbe dem Tagesqcstirn nach- drehten, wo die rotbäckigen Aprikosen und die dunkeläugigen Pflaumen durchs Gezweig lachten, Ihr glo' bi, ich hätte meinen Garten vergessen, meinen schönen Garten? Nein, nicht umsonst laste ich mich in diesem Krematorium verbrennen. Ich weiß, daß das mit Dynamit gefüllte Kisten, welches in meinem Sarge unter meinem Kopfe liegt, das ganze Gebäude in die Lust sprengen wird..." Weiter kam der Testawentsverlcser nicht, denn.es wurde ihm grün und gelb vor den Auacn. Das Trauervolk stand wie versteinert da, mit entsetzt ausgeriste» neu Augen, jeden Moment qewärtiqt, in den Mond zu stiegen. Dann aber, als die Besinnung wiederkam, gab es ein wildes, fchreckensvolles Gedränge. Alle, Verwandten, Stadträte. Bürger- meister, Pfarrer und Musikanten, stürmten in rasender Flucht dem Ausgange zu. Dort staute sich die Menge, es erhob sich ein furcht- barer Kampf um das Leben. Die Sekunden wurden zu qualvollen, fürchterlichen Stunden. Auch draußen wurde die Flucht noch fortgesetzt, aus Furcht, von den niederfallenden Trümmern erschlaaen zu werden. Man rief allenthalben nach den Heizern, die sollten den Heißlultstrom, der den Sarg einäscherte, abstellen. Ja, die Heizer, die hotten Weib und Kind und hüteten sich, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um das Kre- matorium zu retten. Das Unheil mußte seinen Lauf nehmen. Die Explosion konnte sofort eintreten, konnte aber auch erst»och einer Stunde erfolgen, je nachdem. Gerade diese Ungewißheit war da» Schrecklichste. Bald verbreitete sich die Schreckenskuude durch die ganze Stadt. Tausende umstanden das Krematorium in sicherer Entfernung. Die zunächst stehenden Häuser wurden ausgeräumt und von den Be- wohnern verlassen, alle Fenster in einem Umkreise von einem Kilo- meter wurden ausgehännt, damit sie bei der Detonation nicht zer- springen konnten Photogrnphen und Kinooperateur? standen bereit, um das große Ereignis zu verewigen, in schwindelnder Höh« surrte ein Flieger, der den Anblick aus der Vogelschau genießen wollte. Aber es geschah nichts. Stunde um Stunde verrann, es wurde Nacht. Scheinwerfer umspielten das Krematorium, das wie die Walhalla   aus der Götterdämmerung   erglänzte. Kein Auge schloß sich diese Nacht in Brandenau. Am andern Morgen wagte sich endlich ein Beherzter in da» Krematorium, fand das Testament und las folgende Nachschrift: Es ist doch schwerer, als man glaubt, soviel Dynamit zu er­halten, ich habe mich daher entschlossen. Sand in dos Kisten zu füllen. Vielleicht ist dies auch um meiner Seligkeit willen besser, denn der Herr spricht: Mein Ist die Rache." Der BegriffVaterland", d. h. die Verpflichtung, in einem auf der Landkarte rot markierten Erdenwinkel zu leben und die anderen grünen Winkel zu verfluchen, ist mir stets eng, beschränkt und stupid erschienen. Ich bin der Bruder von jedem, der lebt. F l a u b« r t.