gipfelt, daß nur der einzelne selber sich seine seelischen Erlösungen gestalten kann. Aber andere auf einen höheren Gesichtspunkt heben — Über ihre Eigenart und Lebenslage hinaus—, so daß ihr Trieb zur Selbsterlösung, zur chingabe ans ewig Allgemeine kräftiger und heftiger wird: ja, das, das ist die Sehnsucht meines Lebens, ist der innerste - Same aller meiner eigenen Erlösungen." Er glaubt nicht an den sozialistischen Staat, daß er auch nur einen Funken mehr wahren Glückes bringe.„Aber diese Leute, die nur die Not der Armut kennen, die nichts wissen von der Last des Wohlbehagens, sie, sie glauben doch daran!" Jetzt ist in diesen Leuten,„die im Dienste der Kultur oder gar unter der Fron einer Ueberkultur von ihren Regungen oder Ueppigkeiten ausgeschlossen bleiben... ein eigener Erlösungsdrang erwacht."„Und darum: in die Seele dieser Leute hinein begreife ich ihr sozialistisches Ideal und billige es." Er billigt es, weil„der begeisterte Glaube des Proletariers an sein materia- listisches Dogma rätselhafterweise einen idealistischen Rückschlag zu Üben beginnt auf das sittliche Bewußtsein des ganzen Volkes". Er wollte die„Millionenstimme, die hell nach Brot vor Seelenhunger schreit, in rechte Töne bringen". Er sieht an dem Parteiproletarier, daß er bereit ist,„sein persönliches Lebensglück dem Ideal zu opfern", was reiche Früchte tragen wird. Und um dem Opfer die Bitterkeit zu rauben,„muß der Idealismus jene Höhen seliger Betrachtung er- fliegen können, von denen her des Leibes Not und Notdurft nicht mehr sichtbar ist, muß ein Idealismus nicht des sorgenden Ber- standes, sondern des starken, gläubigen Gemüts errungen werden, der auch die Vernunft befriedigt und beruhigt, indem er jeden zwingt und fähig macht, den Lebenswert des einzelnen nur noch am großen ewigen Gesetz der Allentwicklung zu messen,„zumal den Wert des eigenen Lebens". Auch das hat er in seinen Gedichten zu gestalten versucht. Später, in einem Brief an Karl Henckell , findet er, daß wohl von manchen Parteiseelen die Dnrchschnittsstreberei gepredigt werde und daß ihm der kritische Sozialismus der Massenpolitiker nicht imponieren kann, und doch muß er anerkennen,„In diesen Schichten ist ja heut die meiste Sehnsucht flügge, frischen Menschenadel zu erzeugen". Sehr warm tritt er für seinen Freund und Dichtergenossen Liliencron ein, wenn bei ihm auch nicht„gerade jedem einzelnen Gedicht der sozialistische Hemdenzipfel hinten und vorn heraushängt". Er will „dem Arbeiter nicht bloß ein Mitleid mit seiner eigenen Klasse, son- dern ein allgemeines Verständnis für menschliches Leid ins Herz pflanzen". Wonach es Ihm aber vor allem verlangt, das ist der Glaube„an die Glückhoftigkeit, auch des bedrängtesten Gemüts, des beengtesten Geistes, des gequältesten Leibes". Diese Qualen des Leibes und des Geistes hat Richard Dehme! genugsam zu kosten bekommen, zuerst als Angestellter einer Versiche- ungsgesellschaft, dann als Sekretär des Verbandes der Zuckerfabriken. Und als er endlich diese Last von sich wirft, tut er es mit der Zuver- ficht:„Arbeiten, das habe ich gelernt in meinem Amte, das ist der Segen, der immerhin aus dieser siebenjährigen Seelensklaveret für unser Leben erwachsen ist. Nun aber: würdig arbeiten! Das werde! ich jetzt lernen, und brauche es nicht erst zu lernen, werde es können." Nach einer kleinen Pause hatte er sich sofort wieder in die„Tret- Mühlenarbeit" stürzen mästen, daß er nicht zu sich selbst kam. Dann aber packte es ihn:„Seit Monaten diese entsetzliche 10-, 12-, llstündige Tageslast fürs liebe Brot! Endlich, vor einer Woche, versagte mein Gehirn den Dienst: in einem Anfall schwerer Nervosität, von dem ich mich erst jetzt zu erholen beginne, schmiß ich den ganzen Kram an die Wand und lief eines Abends auf und davon, fuhr nach Hamburg zu meinem Freunde Liliencron , mit den kindischsten Fluchtplänen." Darauf erst bekamen die dicken Zuckerbarone ein Einsehen und be- willigten ihm endlich nach sieben Jahren einen Urlaub und statteten ihn mit einem Reisestipendium aus. Aber er hat in die Tretmühle wieder zurückkehren müssen, und als der den„Krösussen von der Zuckerindustrie", die einen Ring zur Steigerung der Preise bilden wollen, das Protokoll führen muß, tut er es mit dem mephistopheli- schen Behagen:„daß nämlich diese Leute mit dem wirklich großartigen Plan einer Produktionsorganisation, den sie ihrem kapitalistischen Hauptzweck haben zugrunde legen müsten, die eigentlichen Vorarbeiter für die spätere Verstaatlichung ihres ganzen Betriebes geworden sind. Bequemer kann es der sozialistischen Zukunft gar nicht ge- macht werden." Später noch wußte Richard Dehme! ganz genau, daß seine wärmsten Verehrer in den Kreisen der Handarbeiter und Volksschul- lehrer sitzen, und er pfiff auf das ganze verbildete Publikum, das ihn nicht verstehen konnte oder wollte, das sogenannte ungebildete hat ihn verstanden und war ihm lieber. Dehmel erkannte eben, daß es sich bei den Gebildeten um eine absterbende Klasse handelte und daß die Zukunft der Arbeiterschaft gehört. Was er damals ahnte, ist heute schon eingetroffen: das Bürgertum kann all feine Kunst- Institutionen nicht mehr halten, und schon muß sich der Theater - betrieb auf die Theatergemeinden und Volksbühnen der Arbeiter- schaft stützen. Künstler, die vor wenig Jahren noch aus Angst vor dem Bürgertum die Mitwirkung bei Arbeiterfesten versagten, stehen heute ganz in dem Dienst der Kunstbestrebungen der Arbeiterschaft. Mensch, benimm öich! Von Hans Klabautermann. Es wäre dumm, wenn wir in Deutschland nicht noch eine Reihe von Männern hätten, bei denen wir anfragen können, was sich ziemt. Da die Edlen von Gottes Gnaden nicht mehr im Land weilen, ge- raten wir in dieser Frage, wie wir uns zu benehmen haben, vollends in Konflikt. Wir wissen nicht, ob es sich mit dem guten Ton ver- trägt, im Parlament„jüdische Frechheit" zu schreien oder Aktenstücke Abgeordneten an den Kopf zu werfen. Wir sind uns nicht im klaren, ob Feldherren tüchtiq genannt werden müssen, die einen Krieg mit zahllosen herrlichen Siegen führen und durch eine unvorher- gesehene zufällige Niederlage an dem Erkämpfen weiterer Siege gehindert werden. Es herrscht sogar darüber Meinungsverschieden- heit, ob an ihnen Kritik geübt werden darf, nachdem ihre kriegerische Brauchbarkeit durch die Verleihung des medizinischen Doktortitels erwiesen ist. In solchen Fragen des Taktes sind die Sozialisten nicht kompetent. Die Leute beschäftigen sich mit dem Problem, wie man die Masse der arbeitenden Bevölkerung bessern kann, und ähnliche Belanglosigkeiten und behaupten/ das nehme sie völlig in Anfpruch. Unter diesen Umständen können wir von Glück sagen, daß wahre Ideale noch leben. Wer wäre wohl geeigneter, sie lebendig zu er- halten, als ein Lehrerl Herr Knobel aus Guhrau gehört zu diesen begnadeten Geistern. An den erhebenden Auoenblick werden die von ihm geführten Jünglinge bis in ihr spätes Alter in weihevoller Stimmung denken, wo Herr Knobel so ergreifend sprach:„Das ist ein Judenfriedhof. Spuckt alle dreimal aus:„Eins"— fst— „Zwei"— fft— �drei"— fft. Dies Tun ist in mehr als einer Hinsicht bewunderungswürdig. Es zeugt von Mut und Totkraft. Gegen lebende Juden hetzen ist an sich schon gefährlich. Manch schallende Ohrfeige stempelte den Antisemiten zum Märtnrer. Aber was ist das für eine Tapferkeit, sich sogar gegen tote Juden auf- zulehncn. Heutzutage, wo die Geister schwirren und der Okkultismus was einbringt. Darüber hinaus besitzt Herr Knobel einen beacht- lichen Blick für Zucht und Ordnung, der ihn als großzügigen Or- ganisntor für völkische Veranstaltungen erscheinen läßt. Spucken und vielleicht auch andere den Körper entleerende Handlungen takt- mäßig von Menschenqruppen ausgeübt, das heißt den Parademarsch wieder zu Ehren bringen, ja ihn auf ein höheres Niveau führen. Für die Verwirrung, die in der Frage der guten Sitte herrscht, ist es bezeichnend, daß manche das Handeln des Herrn Knobel nicht geschmackvoll fanden. Klarheit schaffte Herr Maurenbrecher, der als Gottesgelahrter, also als Lehrer der Ethik berufen ist, Tugenden ins Volk zu tragen. Er meinte, zum mindesten feien die Spuckereien harmlos, da sie im Sand an der Kirchhofsmauer versickerten. Diesen Hinweis war er zu machen verpflichtet, um ähnliche Harmlosigkeiten zu verhindern, die sich in seinem jetzigen Arbeitsfeld, der Redaktion der„Deutschen Zeitung", abspielen könnten. Wenn man hinein� spuckt, versickert es nicht so schnell, weil in diesen Räumen wenig Sand, dafür viel Blech anzutteffen ist. Herr Marenbrecher ist ebenso wie Herr Superintendent Raak Verfechter des modernen Christentums, das sich von der starren und einseitqen Religion der Liebe losgelöst und der Zivilisation der Maschinengewehre und der Giftbomben angepaßt hat. Nach den neuesten Forschungen des Herrn Raak sind Völkerversöhnung und Weltfrieden mit dem wahren Christentum nicht vereinbar. In dan- kenswerter Weise hat er damit einen deutlichen Trennungsstrich zwl� schen den veralteten Lehren des Neuen Testaments und den mo- dernen Anschauungen gezogen, mit denen die Welt, wie sie sich täg� lich zeigt, viel weiter kommt. Wir fürchten, der neue amerikanische Botschafter Houqhton wird nicht den Beifall des Herrn Raak finden. Er scheint völlig überleb- ten und albernen Ansichten zu huldigen. Auf einem Abschiedsdiner hielt er eine Rede mit folgendem, sehr merkwürdigem Anfangt „Ich glaube nicht an einen'moralischen, geistigen oder gar wirt- schaftlichen Wert des Hasses. Der Haß dient keinem nützlichen Zweck. Haß schafft nur Verwirrung und Zerstörung." Herr Raak wird sagen, so kann nur ein Mann sprechen, der das herrliche Ge- dicht Ernst Lisiauers nicht kennt, das die Brust jedes wahren Deut- schen schwellt. Geliebte Gemeinde, wir hören, was geschrieben steht. Lissauer, Buch 1, Vers zwo: Haß zu Wasser und Haß zu Land, Haß des Herzens und Haß der Hand, Haß der Hämmer und Haß der Kronen, drosselnder Haß von siebzig Millionen. Das ist ein Programm, Herr Houghton, mit dem sich eher was anfangen läßt. Er sollte sich das um so mehr zu Herzen nehmen, als er in eine Stadt kommt, die modernen Geist atmet und, was den Ver- kehr anlangt, New Pork in den Schatten stellt. Um ein Beispiel her- auszugreifen, stellen wir mit Genugtuung fest, daß nach einer Mit« teilung der Oberpostdirektion in der Dreimillionenstadt nicht we« niger als 1— in Worten: ein— Fernsprechautomat die ganze Nacht hindurch in Betrieb ist. Sie würde sich sogar entschließen, die Zahl solcher benutzbaren Sprechstellen um zwei oder drei zu ver- mehren, wenn die Häuschen nicht mit Bedürfnisanstalten verwech- selt würden. Herr Houghton wird, wenn er die Fernsprechzellen demnächst in Augenschein nimmt, zweifellos über derartige Berliner Gepflogenheiten in Erstaunen geraten. Erstens sind die verwechfel- ten Apparate für den von der Oberpostdirektion gerügten Zweck zu klein, zweitens erfordert es akrobatenhafte Geübtheit, sie dafür zu benutzen.
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