Nummer 29
Heimwelt
3. August 1922
Unterhaltungsbeilage des Vorwärts
Poverelli tutti sono fratelli.
Bon Mar Barthel.
Tränen, sah die lichtlosen Hinterhöfe und Keller und den erbitterten Rampf des unterdrückten Bolles um den Bissen Brot, um die Lunge voll Luft, um die Hände voll Arbeit, hörte ihr verzweifeltes Schreien und ihre messianische Hoffnung. Q
Getto ist riesengroß, der Sohn, die Hoffnung und Stüße der alten Ein Lied verschwebte unsagbar schwermütig. Das Elend im Mutter, geht in die Fremde, nach America, das Gold zu graben. Im Lieb rinnen die Tränen über die alten Wangen der Frau, herz
Die Stadt Roccaftrada liegt im Tostanischen auf einem hohen Berg, auf den ich an einem Regentag anstieg. In den Borbergen wuchs wilder Lorbeer, das Land aber beherrschte die Stadt oben im Felsen, selber ein fleines, weißes Felsennest. Der Silberspiegel des Meeres war verblißt, die Brandung verdonnerte. In Grofetto vermietete ein alter Italiener dem Wanderer für eine Nacht brechendes Leid schluchzt. Der Abschiedsgesang geht wie eine Toten bie Hälfte seines breiten Ehebettes. Das Mütterlein an meiner Seite war hoch in die Siebzig. Aber nun regnete es.
tlage:
Schreib mir einen Brief, Einen lieben Brief,
Und dent an deine Mamen."
Nach Roccastrada war noch nie ein Fremder gekommen, denn es lag abseits der großen Straßen. Auf dem Stadthaus wurde ich Das„ Mamen" endet wie das schmerzliche Amen in einem Choral. mit großen Gebärden empfangen. Das ganze Haus lief zusammen, den Fremden zu sehen, der um ein Nachtlager bat. Der Bürgermeister fam, die Polizisten, die Schreiber. Db ich in Rom den König gesehen habe, ob Rom gigantesca und Italien bellissima sei, ob meine Eltern noch lebten, wie meine Schwestern heißen und, mit funkelnden Augen, ob ich auch schreiben könne.
Ich antwortete, Rom sei gigantesca, Italien bellissima, den König habe ich nicht gesehen, meine Schwestern heißen alten Wünschen blies ich lebendigen Odem ein- Laura, Johanna, Beate und Narzissa, meine Eltern feien schon lange tot, aber meine Großmutter lebe noch und schreiben sei mein Beruf, ich sei ,, un piccolo poeta"( ein fleiner Dichter).
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Das solle ich beweisen! Sie brachten Papier und Tinte und der Kleine Boet schrieb einige Berse hin, die in der Luft lagen. Ob ich auch mit lateinischen Buchstaben schreiben tönne? Natürlich! Die Männner waren des Lobes voll. Oh, ich fei ,, un gran poeta"( ein großer Dichter) lächelten sie liebenswürdig. Warum aber fahren Sie nicht mit der Bahn?" Wandern sei so schön, sagte ich, da gehe der Mensch in den Spuren des Glückes, suche und finde auch, wo nach sich sein Herz verzehre. Was haben Sie sonst zu verzehren?" fragte unter großem Gelächter der Bürgermeister. Ich sagte mein Beitelsprüchlein her, wurde mit zwei harten Lire getröstet und unter vielen„ Addios" nahm ich Abschied, der Wein war gut, die Suppe war gut, das Bett himmlisch.
Nachtwanderung im silbernsten Mond vor Florenz , Stimmen und Glocken von den hohen Türmen, erster Ruch des Frühlings, dann Siena , hoch und einsam, übertrumpft von Florenz , das ich am selben Tage erreichte.
Wir faßen in der Weinkneipe„ La Bohemia" bei großen Blänen. Der Karneval war in der Nähe. Der Böhme fagte, mit der Pfennigbettelei sei es nichts, man müsse die Sache richtig schieben, Masten müßten her, einige rote und blaue Nasen, Schminke müsse getauft werden und einige Bärte, dann los, mitten hinein in den Trubel, zugepackt und zugegriffen, wenn es auf unsre ehrenwerten Sprüche nichts gibt. Wenn man die Sache richtig anpace, garantiere er für jeden Mann zehn Lire.
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Machen wir!" schrie der Pole,„ aber es muß alles in einen Hut und dann geteilt werden!" Das war selbstverständlich und eines der ungeschriebenen Gesetze der Landstraße. Aber das Gesetz wurde von einem jungen Juden gebrochen, der heute erst angekommen war das wußten wir vom Konsul zehn Lire geholt hatte, und trotzdem behauptete, fein Geld zu haben. Vom ersten Augenblick an wütete zwischen dem Polen und dem Juden erbitterte Feindschaft. Der Streit begann damit, daß der jüdische Russe bestritt, das Russisch des Polen zu verstehen, worauf der Pole giftete, die Juden feien minderwertig und alles andere eher als Russen. Alter Rassenhaß warf seinen Schlamm an unseren Tisch, verbitterte den Wein und saß in einer Ede und weßte die Zähne.
Bon unserem Tisch übersahen wir die Schenke. Die gefalften Wände waren mit lächerlichen Bildern von einem simplen Maler bemalt, die er Murgers Bohême entnommen hatte. An den Holztischen saßen italienische Gäste, fleine Bürger, Arbeiter und Fuhr leute bei Wein oder dampfender Schüssel, schwakend, trinkend, rauchend und sahen neugierig auf unfre zerlu npte Tafelrunde, die ihren Hunger im Wein ersoff.
Der Wein verschwemmte den Haß, wir wurden fentimental und fangen. Am schönsten aber fang der jüdische Russe. Man sah über das blaue Meer die trostlosen Einöden Weißrußlands , sah in das Getto von Binst oder Minst sah Schmuz und Massaker, Blut und
Schwermut überfiel uns. Wir alle waren aus einem Getto entflohen, das Gold zu graben Neuer Wein prangt auf dem Tisch. Die Trunkenheit taumelt durch unsre Gehirne, das Blut steigt, eine schwärmerische Flamme, in uns empor. Nebel raucht, Sterne beginnen zu tanzen. Das Elend verfintt, Troy stählt den Naden. Du hast mich weich gesehen, nimm dich in acht, daß dir die Fäuste nicht den Schädel zerhämmern!
Der Wein fag verschüttet auf dem Tisch. Der Böhme machte aus den roten füßen Tiere und Bauernhäuser, denn er war Knecht gewesen, ehe er auf den Landstraßen in die Welt hinauslief.
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Neuen Wein her!" schrie der Bole, der Russe muß bezahlen!" Er hieb mit der Faust auf den Tisch. Die Gläser tanzten, der Böhme malte springende Pferde und weidende Kühe aus den Prüßen. Der Russe lehnte sich an die gekaikte Wand, selbst talt weiß, erbittert, mit zusammengebiffenem Mund, in eisiger Abwehr.
,, Geld raus!" brüllte der Bole, starr und gereizt wie ein böser Stier. Mein", sagte der andere mit toter Stimme und äugte nach der Tür. Der Poie rückte näher.„ Dho" zischte er ganz leise.
Die fühle Abwehr stacelte auch uns auf. Es ging jetzt nicht mehr um den Liter Wein, den hätten wir noch bezahlen können, es ging um die unverletzbaren Gesetze der Landstraße. Der Russe wollte über uns stehen und gehörte doch in unsre Tiefe.
Der Pole begann plöglich in einer fremden Sprache zu reden. Ich verstehe nicht polnisch" sagte der Russe. Es ist russisch " heulte vor Wut der Pole.
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„ Laß doch den Kerl!" Das war der Böhme, der sich von seinen weingezeichneten Pferden und Kühen erhob und lächelte. Wir starrten verbiestert auf den Russen, der fremd und unbeteiligt in seiner Ede saß, zum Greifen nahe und doch wie auf einem anderen Stern. Ich gebe kein Geld", sagte er fanft, wenn ihr Wein haben wollt, trinkt, ich will nicht mehr."
Die Italiener waren von ihren Tischen aufgestanden und starrten uns an. Harte Worte prasselten wie Steinwürfe in unseren Streit. Der tobte weiter und schäumte in blinder Wut. Der Pole goß feinen Weinrest dem feindlichen Kameraden ins Gesicht. Der schlug mit der Faust um sich, riß sich aus den Armschlingen seines Feindes und floh in die Nacht, verfolgt von dem Polen , der nach einer Minute feuchend zurückkam,„ Der Hund war weg" sagte und einen neuen Liter Wein bestellte.
Dann stand der Trunkene auf, wutverzerrt, unverkühlt, ging Che die an den Tisch der Italiener und stieß ein Weinglas um. But der Beleidigten losbrüllen fonnte, stand ein Mann auf, ein Fuhrknecht oder Arbeiter und ging mit breiten Schritten auf uns u. Der Pole ballte abwehrend die Fäuste, senkte den Kopf und erwartete den Angriff. Doch der Fremde lächelte nur und sagte: Poverelli tutti sono fratelli"( alle Armen sind Brüder). But verschäumte, Erbitterung zerschmolz. Das Blut verkühlte sich und floß dann ruhig und sicher nach dem Herzen und nahm den lehen Schlammrest Erniedrigung mit fort. Das Herz schlug still und feierlich die alten, ruhigen Schläge.
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Auch der Krampf des Bolen löfte sich. Der Böhme malte wieder springende Pferde und weidende Kühe. Die Sterne der Trunkenheit gingen unter, und wir sahen unser Elend und das Elend der Armen, die Arbeitslosen, die Fabrithöllen, die Kranken, die Verzweifelten, die Weinenden und die Hoffenden.
Wir tranten den bitteren Rest vom letzten Wein und gingen in die Nacht und bettelten unser Schlafgeld zusammen.