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Ich begreife es einfach nicht", schloß er, indem er in die Flamme starrte und sie endlich austlies, " Sagen Sie selbst: ist das nicht, um an seinem Verstand zu zweifeln?"

Er sprang aus dem Bett, fuchte das Fenster und machte es weit auf. Der Tag graute schon, ein falter Wind blies ins Zim­mer. Der Mann stand da im Hemd und starrte auf das Meer hinaus.

Jetzt ist er unterwegs, der arme Kerl. Wieviel Uhr mag's fein? Das Schiff ist noch nirgends zu sehen, und schrecklich falt muß es auf dem Wasser sein."

Er schloß das Fenster und legte sich wieder. " Entschuldigen Sie; ich sah Sie vorhin im Testament lesen. Bei Gott, es scheint mir die einzige Rettung zu sein, wenn man von Kind an fromm und gläubig ist und nicht jedes Gelüft an sich herantreten läßt und nicht überall hin will. Ich meine gerade meinen Bruder. Könnte ich für ihn beten! Ich bin so fürchterlich beunruhigt."

Ich hörte es teilnahmlos. Die Augen waren mir schwer ge­worden. Endlich schlief ich ein.

Ein paar Stunden später, als wir gewedt wurden, sprangen mir beide rasch aus den Betten und zogen uns in größter Auf­regung an, denn wir sahen durchs Fenster in der Ferne zwei Dampfschiffe, von denen eines sicher das erwartete war.

Wir gingen sehr rasch am Strande entlang dem Bahnhof zu, der die Landungsstelle verdeckte. Der schmale Pfad vom vorigen Abend zeigte sich nun in einer weiten, salzig riechenden Fläche von Muschelsand; wir liefen und purzelten dann eine glatte grüne Anhöhe hinan, auf der Schafe weideten, umgingen die Zäune und fonnten an einer freien Stelle wahrnehmen, daß ein Dampfer so­eben an der Brücke hielt.

Wir bestiegen gleich darauf den Zug. Jeden Augenblick konnte er abfahren.

unsere Zahl noch stetig wuchs. Ich traf dabei manchen altbewährten Borkämpfer unserer Bewegung wieder, so die Abgeordneten Lieb­fnecht, Singer und Grillenberger, lernte auch manche neue Kraft fennen. Ich vermißte meinen alten Freund Hafenclever, der doch der eigentliche Veranstalter der Kurgarten- Bersammlung gewesen war, und sollte bald die Trauerkunde erhalten, daß er in Dessau in Irrsinn verfallen und in einer Heilanstalt untergebracht war, um nicht wieder zu genesen. Unter den spät berufenen Zeugen befand fich ein junger Mann von schmächtiger Figur, mit feingeschnittenem bartlosen Gesicht, schlichten blonden Haaren und sinnenden blauer Augen, von ernstem, zurückhaltendem Wesen. Ich erfuhr, es sei der Schriftsteller Hauptmann aus Berlin , muß aber sagen, daß mir sein Name damals noch unbekannt war.

Am 11. November begannen die Zeugenvernehmungen. Auch ich wurde bald hineingerufen und mußte über die Kurgarten- Affäre, die angebliche geheime Organisation, die Verbreitung des Züricher Parteiorgans u. a. aussagen. Dabei wurden zwei Briefe von mir vom Jahre 1882 an einen Breslauer Befannten produziert, die auf verdächtige Weise in die Hände der Polizei gelangt waren. Während eine Anzahl Zeugen am Schlusse dieser Sizung entlassen wurden, legte der Staatsanwalt Rentwig gegen unsere Entlassung Einspruch ein, und so blieb ich noch mehrere Tage in Breslau und wohne den nächsten Verhandlungen bei. Dabei fonnte ich wahrnehmen. welch große Rolle in diesem wie in anderen Geheimbundprozeilen die Spionage spielte, namentlich wenn Polizei oder Kriminal beamte als Zeugen sich auf vertrauliche Mitteilungen" beriefen, deren Urheber sie nicht namhaft machen durften.

Da

cude neben vielen anderen bekannten Benciien Liebknecht und

Den Höhepunkt erreichte unser Brozeß bei der Verhandlung gegen die Studenten Heinrich Lug, Julian Marcuse und Johann Casprowicz. Wie ich jetzt erfuhr, hatten sie sich an einem Verein Bacific und an sozialistischen Teeabenden beteiligt und den füh­Wir rannten über den Bahndamm und fletterten an der Stein- nen Plan betrieben, in Amerika eine cmmunistische Ko­rampe des Bahnhofes in die Höhe, kurz vor der zischenden Malonie nach dem Muster von Cabets Jfarien zu gründen, auch schon fchine. Der Zug füllte sich bereits. Ich kümmerte mich nicht mehr Schritte dazu getan. Ehrliche Schwärmerei hatte sie und eine An­um meinen Begleiter und suchte nur nach meiner Mutter. Endlich zahl anderer junger Männer begeistert, und sie hatten offenbar ge­entdeckte ich sie wirklich in der Zollhalle, wie sie sich tapfer mit dem glaubt, der Menschheit neue Bahnen zu roeifen, und am wenigsten Matrosen zu verständigen suchte, der ihre Tasche trug. Ich weidete geahnt, deswegen auf die Anklagebant zu kommen. Besonders leb­mich einen Moment an ihrem Anblick, dann hielt sie mich in den hart gestalteten sich die Verhandlungen am 14. November. Armen und vergoß Tränen der Freude. Grillenberger vernommen. Das meiste Interesse aber erregten die Aussagen einer Anzahl Akademiker in Sachen der jungen Jtarier. Unter ihnen befanden sich der Professor Meier, der dem Angeklagten Lug, der bei ihm gearbeitet hatte, das denkbar günstigste Zeugnis ausstellte, und der Mediziner Samuelsohn, der dereinst durch sein tragisches Ende von sich reden machen sollte. In später Stunde fachlicher Weise machte er über ihre Tätigkeit im Kreise der Jkarier wurde auch Hauptmann aufgerufen und verhört. In flarer seine Angaben, die für die Angeklagten entschieden entlastend flangen. Er, ich und viele andere Zeugen wurden nach Schluß diefer Sizung entlassen und nahmen im Hause von einander Ab­schied. Ich reifte nach meiner Heimat zurück und las in den Zeitun­gen vom Ausgang des Prozesses, der am 17. Nopember ablief. Dieser Ausgang war weit ernster, als ich erwartet hatte. Kräcker und viele andere Genossen erhielten Gefängnisstrafen, Lur die drakonische von einem Jahre. Daß seine und seiner Freunde dem reinen Idealismus entſprunnene Lestrebungen so hart verfolgt wurden, erschien mir barbarisch.

Mein Schlafgenoffe war der einzige, der nicht einstieg. Man mahnte ihn dazu, aber er ging nur mit tief befümmerter Miene auf dem Bahnsteig hin und her und sah in jedes Fenster. Er blieb zurück. Ich winkte ihm noch einmal, als wir aus der Halle fuhren. Er schüttelte traurig den Kopf und wandte sich rasch um, er hielt die Hand vors Gesicht, Adieu, du guter, armer Kerl."

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Der Breslauer Geheimbundprozeß.

Eine Erinnerung an Gerhart Hauptmann .

Bon Max Schütte.

Im Sommer 1887, als ich in meiner Heimat an der Ostsee als Gymnasiallehrer wirfte, erhielt ich eine Vorladung vom dortigen Amtsgericht als Zeuge in der Straffache gegen den Studenten Lug und Genossen. Ich kannte feinen Studiofus dieses Namens und wußte anfangs nicht, was ich von der Sache halten sollte. Es handelte sich in Wirklichkeit um die geheime fozialdemokratische Ber­fammlung im Kurgarten zu Kleinburg bei Breslau am Himmel­fahrtstage 1882, wegen der schon fünf Jahre vorher viele Ver­nehmungen erfolgt waren- anscheinend ohne pofitives Ergebnis. Jetzt wurde ich viel darüber verhört und erfuhr bei dieser Gelegen­heit, die Sache habe in den fünf Jahren einen sehr starken Umfang angenommen. Tatsächlich wurden sie mitverwertet zu einem der großen Geheimbundprozesse, wie sie seit mehreren Jahren gegen die deutsche Sozialdemokratie angestrengt wurden, nachdem die Behör= den erkannt hatten, daß die bloße Anwendung des Sozialistengefeßes der Partei nur wenig Schaden zugefügt hatte. Mit einem solchen Prozeß wurde nun auch Breslau beglückt, und dazu mußte nebst vielen anderen Vorkommnissen auch die Kurgarten- Affäre herhalten. Gegen den Reichstagsabgeordneten Julius Kräder, Bertreter des Breslauer Wahlkreises, und siebenunddreißig andere Genoffen, die man meist als Leiter der geheimen Organisation hinstellte, richtete sich die Anklage, deren Verhandlung am 7. November vor der Straf tammer des Landgerichts I in Breslau beginnen sollte.

Auch ich wurde als Zeuge dorthin berufen und bekam nun meine alte liebe Universitätsstadt wieder zu sehen, die ich im Herbst 1882 verlassen hatte. Pünktlich fand ich mich an dem stattlichen Ge­richtsgebäude am Schweidniger Stadtgraben ein. In dem großen Saale, der sonst zu Schwurgerichtssigungen diente, wurde der Ge­heimbundprozeß gegen Kräder und Genoffen durch den Landgerichts­direktor Freytag eröffnet, die Deffentlichkeit gleich zu Beginn ausge­schlossen. Wir Zeugen wurden hineinberufen und fahen auf den Anklagebänken und denen der Geschworenen Kräcker und sechsund­dreißig andere figen und achtunddreißigste war in die Schweiz geflüchtet. So manchen guten Freund sah ich zum ersten Male feit fünf Jahren wieder, ohne mich mit ihnen begrüßen zu dürfen. Freytag stellte unsere Anwesenheit feft und entließ uns bis zum nächsten Morgen. So fanden wir uns an den folgenden Tagen regelmäßig wieder im Gerichtsgebäude ein und nahmen wahr, daß

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So blieb der Breslauer Geheimbundprozeß für mich eine sehr ernste Erinnerung. Und doch gedachte ich seiner oft mit Interesse, war er doch eine nur allzu charakteristische und lehrhafte Beit­erscheinung. Besonders gern gedachte ich der Persönlichkeiten, mit denen der Prozeß mich in Berührung gebracht hatte, dazu gehört Gerhart Hauptmann . Als er anfing, sich als Dramatiker einen Namen zu machen und als ich vollends seine Weber" zum ersten Male über die Bühne gehen sah und davon bis ins tieffte Mark er­schüttert wurde, war es mir doppelt lieb, ihn persönlich kennen ge­lernt zu haben, noch dazu bei einer so bedeutenden Gelegenheit.

Der größte astronomische Entdecker.

Zu William Herschels 100jährigem Todestage. Bon Felix Linte.

In der Geschichte der Wissenschaften begegnen wir nicht selten der Tatsache, daß Abtrünnige ihres Berufs ihren Namen mit goldenen Lettern in die Geschichte anderer Tätigkeitsgebiete eingruben. So fönnen es die Buchbinder noch heute dem großen Elektriker und noch größeren Menschen Faraday nicht verzeihen, daß er aus ihren Reihen desertiert ist, um die Physik mit den hervorragendsten Taten zu befruchten. Und jetzt wedt die Erinnerung das Gedenken an einen andern Großen, der von der lärmhaften Kunst der Musik zu der geräuschlofen eines Sternguckers überging.

Es sind am 25. August hundert Jahre verflossen, seitdem Friedrich Wilhelm Herschel das Zeitliche segnete. Wer ist Herschel? Mit Beschämung muß man sagen, daß Millionen in Deutschland keine Ahnung haben, wer dieser Mann gewesen ist und was er bedeutete. Die Schulbildung ist heute noch immer auf einem Niveau, das es nicht gestattet der ältesten Wissenschaft der Menschheit in der all­gemeinen Boltsschule, ja nicht einmal durchgehends in den höherer Schulen, einen Plaz, geschweige denn den gebührenden Blaz eins zuräumen. So werden viele nicht verstehen, wenn ich sage, daß wir Herschel unsere Neuorientierung oder überhaupt eigentlich erſt