Eine Serie von Mordtaken hat das polltische Leben Deutsch- lands erschüttert. Und es scheint, als sei da? Zeitalter gewalttätiger Auseinandersetzungen noch nicht vorüber. Recht und Gewalt sind Legrisse, die sich oft nicht decken. Wir erleben das deutlich in unseren Tagen. Klasse steht gegen Klasse. Die organisierte Arbeiter- schaft hat bis aus wenige Splitter(Richtung Moskau ) die Gewalt abgelehnt. Roch ist in Deutschland kein Nationali st en- blut geflossen.„Die Arbeiterschaft hat in den bitteren Tagen, wo das Chaos über uns hinwegging, keinem, der der alten Staats- sortfi treugeblieben ist, auch nur ein Haar gekrümmt/ sagte Wirth unter lebhafter Zustimmung der sozialistischen Parteien im Reichs- tage. Aber„in den Tiefen gärt ein Vulkan", so hieß es auch. Die Provokationen von feiten rechtsgerichteter Kreise nehmen kein Ende. Das Recht ist auf selten der Republikaner . Sie werden zeigen müssen, daß ihnen auch die Macht gehört. Da? bedeutet nicht Bürgerkrieg und nicht Massenmord, der Schuldige und Un- schuldige— die Geschichte lehrt es— vernichtet. Das bedeutet nichts anderes als I u st i z r e s o r m. Aber das Gespenst des Bürgerkrieges geht um in Deutschland , und her» ausbeichworen haben es die, die nicht» sehnlicher wünschen al» da» Chaos. Kunstglas. Von K u h e i. Nicht viel mehr als zehn Wegminuten hinter Oberschreiberhau, mitten im Tannenhochwald, neben einem teuren Hotel und nächst einer schnurgerade vom Berg herunterkommenden Rodelbahn sür den Wintersport hat sich eine Arbeitsstätte seit nun bald einem Jahr- hundert festgewurzelt, die ein ganz eigenes Stück deutscher Arbeits- kultur darstellt— die I o s e s i n e n h ü t t e. Nebenbei: hier in dieser Gegend gehört alles dem Grasen Schassgotsch: überoll stehen Warnungstafeln:„Di« Verunreinigung des herrschaftlichen Waldes tst verboten!" Die Herstellung des�Kunstglases, der gefärbten, geschliffenen und gemalten Tisch- und Schmuckglöser erfolgt restlos in allen Stadien durch qualifizierte Handarbeit. Verwundert stehst du im Zubereitungsraum der Glasmasse. Rund herum an der Mauer große Holzkisten: sie sehen aus ww Futter- kästen Im Pferdestall. Feiner, gewaschener, weißer Sand, klumpiger Salpeter, rote Mennige, auch weißpulveriges Arsenik, genug, um ganze Provinzen zu vergiften, Farben usw. usw. werden hier auf- ewahrt. In Holzmulden mit Traggrifsen, gleich unseren Maurer- Mörtelkästen, werten die Pulverchen mit großen Holzlöffeln gemischt. Das Verhältnis der einzelnen Materialien zueinander ist das ängstlich gehütete Fabrikgeheimnis. Die fertige Mischung wird in feuerfeste zylindrische Tontöpfe geschüttet.(Es gingen sicher 30 Liter Zitronenlimonade hinein.) Der niedrige runde Ofen in weiter Halle faßt wohl ein Dutzend Glas- Höfen. Hier kommt dem Rohmaterial— dem Sand usw.— böses Feuer unter die Deine, so bleibt ihm nichts anderes übrig: es schmilzt. Um den Ringofen herum führt ein breiter Tritt mit Geländer- aufbauten, die Werkzeugständer und Arbeitsstützpunkie darstellen. Vor jedem Glashasen, vor weißglühendem Ofenrachen steht ein Ar- beiter, der Geselle, der Künstler(wie sich mancher nicht ungern nennen läßt). Junge Kerlchen,- noch Schuljungengesichter, sind die Adjutanten. Nun beginnt ein närrischer Spuk. An Stangen, ähnlich dem Billardqueue, ober hohl, wird ein Klümpchen Glas aus dem Hafen geholt. Ein Wunder: Glas ist nicht fpröd, durchsichtig, hart, es ist rötlichweißglühender Kitt, es ist Bäckerteig und Seifenblase zugleich, es ist nur nicht zu raten, ihn anzufassen. Mit der Schere werden ihm überflüssige Zipfel abgeschnitten, ein Lufthauch durch das un- aufhörlich flink gedrehte Blasrohr, die„Pfeife", vergrößert das Bällchen, ein leicht angelegtes Werkzeugholz deutet erste Formung an. In aufklappbaren hölzernen Modellkästen wird sie durch den Druck des Atems vollendet. Dabei wandert das" ewig tanzende Werkstück hin und wieder ins Feuer zurück, es werden ihm Stücke angeklebt und andere abgeklopft, es wechselt vom Gehilfen zum Lehrjungen, bis, dennoch wie Zauberei, ein schönes Glas ent- standen ist. Das rohferttge Kunstglas steigt zur Abkühlung erneut in mäßig erhitzte Oefen. Von ihnen aus geht es in die Hand der Fertig- macher, der Schleifer. Sie schneiden scharfe Ränder, sie schleifen, zu Dutzenden eng beieinander sitzend, vor flott rotierenden Scheiben von unterschiedlichster Größe und Randgestaltung, unterstützt durch ständig rieselnden Wasier-Sandsttahl, die schönsten Formen und EchmÜckungen. Nur flüchtig werden die Musterungen auf dem noch glatten Glase vorgezcichnet, dennoch löst sich die Fläche bald tn rhytlnnische Zierlmien auf. Im Säurebad— nicht nur an der harten Holzscheibe— poliert sich der Schliff, durch Demalung und nochmalige Ofenkur setzen sich Farben auf dem Glase fest: von der Mithilfe des Feuers abgesehen, ist die Leistung— ausschließlich Hand arbeit— vollbracht. Die Josefinenhütte hat natürlich rasend zu tun: die böhmische Glasindustrie im jungen tschechoslowakischen Staat, nur zwei Weg- Itunden von ihr entfernt, läßt einen Ofen nach dem anderen ver- öschen. Eine tschechische Krone gilt<t5 Mark, dennoch übersiedeln die Arbeiter nach De:rtschland. zur schlechteren Valuta: sie wollen Im„Sieger".Staat nicht umkommen. Das dsulsche Kunstglas reift in die ganze Welt, weder Baccarat noch sonstige ausländische Produktionsstütten des Schelglcses vermögen es daran zu hindern: die billig« Papiermart siegt.(Sie wird dennoch verlieren I> Es gibt in der Josefinenhütte keinen unorganisierten Arbeiter, fast sämtlich find sie auch Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei. So rundet sich auch dies Bild unserer Zeit: Der Herr ist ein s.hle- sischer Magnat, seine Arbeiter sind Gewerkschaftler und Sozialdemokraten, die Leistung ihrer Hände glitzert und leuchtet auf den gedeckten Tafeln reicher Leute der alten und neuen Welt, und dennoch langt der Wochenlohn nicht für einen Sonntags-, anzug. Wer schafft das Gold zutage...? Strinöbergs Zimmer. Von Ortrud Freye. Es sind jetzt zwölf Jahre her, daß Schweden seinen größten Dichter verlor. Und es sind sieben Jahre her, daß man in, Stock- holmer„Nordischen Museum" ein„Strindberg-Museum " einge- richtet hat. Dieses„Museum" beschränkt sich auf einen kleinen, halbdunllen Kellerraum, das Arbeitszimmer Stcindbergs, und einen daran an- schließenden größeren, die Bibliothek mit dem„Sterngucker". Das Arbeitszimmer ist unverändert, alles an seinem Platze ge- blieben, wie es Strindberg bei feinem Tode verlassen. In diesem Zimmer hat er seine letzten vier Jahre zugebracht, die Jahre, die er trotz Enttäuschungen, Mißerfolgen und Krankheit zu den besten und glücklichsten seines Lebens rechnete. Hier endlich hatte er das Gefühl, den Rest seines Lebens ungestört verbringen zu können. Niemand machte hier Ansprüche an ihn, von seiner dritten und letzten Frau war er getrennt, und sein Zimmer Haie das Gute, für Beköstimmg und Bedienung mit einem im Hause befindlichen Pensionat in Ber- bindung zu stehen. Hier fühlte er sich wohl und ruhig. Ja, iu diesem Zimmer, dos er den„Blauen Turm" nannte, hatte er sich noch einmal als Sechzigjähriger mit einem ganz jungen Mädchen auf drei Tage verlobt. Ein bescheidenes, einfaches Zimmer, lang, schmal und klein. Aber Strindberg machte nicht große Ansprüche. Den einzigen Luxus bildete ein einfacher Diwan mit einem kleinen, runden Tischchen. Wenn man bedenkt, welche Leiden er auf diesem Diwan ausgestanden, wieviel peinvolle, schlaflose Nächte, kann man auch dieses Lager kaum als Luxus bezeichnen. Ein Schreibtisch, klein und bescheiden und von einer erstaunlichen Ordnung, wie sie immer bei Strindberg geherrscht hat. Auch hier auf seinem Schreibtisch ist nichts angerührt worden. Sogar die Asche von seiner letzten Zigarre liegt noch im Aschbecher. Bleistift ist an Bleistift gereiht, wohl acht an Zahl, fein wie mit der Maschine angespitzt und der Größe nach geordnet. Sogar der kleinste, 3 Zentimeter lana. hat noch eine saubere Spitze. Daneben liegen fast ebenso viele Feder- Halter, tn Reih und Glied. Strindberg war äußerst sparsam und bei all seiner Großzügigkeit in manchen Dingen pedantisch. Kein Schmuck- oder Wertgegenstand auf dem Schreibtisch, nur eins rahmenlose Photographie seiner kleinen Lieblingstochter, das Kind seiner dritten Frau. Neben dem Tintenfaß zwei Flaschen mit Puloer, mit dem er wohl seine häufigen Schmerzen zu stillen ver- sucht hat. Ueber dem Schreibtisch ein kleines Schränkchen, das er den„Giftschrank" genannt hatte. An der Tür sein Telephon, da- neben ein Register mit Namen und Nummern derjenigen, die gerade bei ihm in Gnade standen. In großen Buchstaben sieht man den Namen seines Freundes Falck. An den Wänden Regale mit Nach- schlagewerken, Weltgeschichte, Meyer. Hier tn diesem Zimmer hat er gelebt und gearbeitet, gedarbt und gelitten. Von diesem Zimmer aus hat er die Huldigungen de« Arbeiter- und Studentenschaft zu seinem sechzigsten Geburtstags ent- gegengenommen. Es war für ihn ein Freudentag! Aber bald wo« auch dieser Tag vergessen, und mit ihm Strindberg. Weiter gearbeitet, tagaus, tagein Gratisartikel für die„Abend- zeltung" und den„Sozialdemokraten" verfaßt, dabei geschrieben wi< gestochen— das war sein Leben. Weiter gedarbt und gewartet auf Erfolg, gehofft auf den Nobelpreis— vergebens! Aber es kanr der„Antinobelpreis", eine Nationalsammlung, die er an dia Armen verstreute, an„seine Leute", die er immer geliebt hatte. Bis zum Tode haßte er das reiche Bürgertum und wollte nicht einmal zwischen den Reichen begraben seim Zuletzt war er körperlich gebrochen. Zu den Oualen, die er sich, wie kein anderer Mensch auf Erden, selbst bereitete, kamen furcht« bare Körperschmerzen. Noch einmal ein Ausflackern, entfacht durch den Besuch seines großen..deutschen Freundes" Professor Ludwtal Schleich, der ibn nach Berlin mitnehmen wollte, um die Zeiten des „Schwarzen Ferkels" aufzufrischen. Aber Strindbergs Kraft wa« zu Ende. Er verließ den„Blauen Turm" nicht mehr. Bis manl Ihn an einem strahlenden Maisonntag herausholte, früh am Morgen, wie er es gewollt hatte. Lein ganzes Leben war ein unendliches Leid gewesen. Eq endete auch mit gräßlichen Oualen. Di« Zwietracht schlingt mit Schlangenarmen We Todessack«! ohn' Erbarmen und würgt mit Wut in einem Augenblick, der göttlichen Vernunft zur Schande, die ganze Hoffnung ganzer Land« und mancher Jahre schönes Glück. s« u m». i _____,_________
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