Nummer 318. Januar 1923_ � � � ö x-,Unterhaltungsbeilage öes vorwärtsSie �Uten.Die Fernen verdunkeln,nun sich der Tag neigen will.Der Mond steigi, kalke Sterne funkeln,und die Müden stehn still.Dornen an brennenden Degenzerrissen ihr Gewand.Schweres Werkzeug legendie Gebeugten ans der mageren Hand.Und bellen die welken Gebeineder feuchten Erde ein,zufrieden, nur für eine kleineliebe Blume Boden zu fein.Fritz Martin Rintelen.Der Dichter unS öer Sillionär.Aon I. Vinzenz(Wien).Der Dichter saß in seiner Stub« und schrieb.In gefiihlvollen Romanen schreiben die Dichter immer in Dach-kammern, durch deren Luken de: Wind pfeift. Auch haben sie alle'lange jhaare.Dieser Dichter hier sah zrvar In keiner löcherigen Dachkammer,sondern wohnte als„möblierter Herr' in einer langweiligen Miet-kaferne in der Borstadt. Aber lange Haare trug er. Diese ver-.dankten ihr Dasein jedoch nicht etwa der Eitelkeit des Dichters, son-der» dessen völliger Geldlosigteit. Er brachte die 5000 Kronen für!den Barbier nicht auf.Unser möblierter Diäter hatte monatelang geschrieben. Wäh-rend dieser Zeit waren seine guten Kleider zu Brot, seine Taschen-uhr zu Papier„umgewertet' worden, bloß die Miete war er schuldiggeblieben. Weshalb ihn Frau Linsmaier, die Zimmerwirtin, mitscheelen Augen ansah. Als sie eines Tages, böser Absichten voll, inseine Stube trat, schrieb der Dichter soeben auf das letzte BlattPapier das letzte Wort.„Liebe Frau Linsmaier," rief er fröhlich aus,„bitte, lesen Siemir dieses eine Wort vorl'Frau Linsmaier blickte dos Wort ungnädig an und knurrte:„Na, Ende heißt's kalt."„Ja, es heißt End« und bedeutet das End« vielen Denkens,rastloser Arbeit und ungezählt-- Entbehrungen, lind von diesemEnde erhoffe ich mir auch das Ende all der trüben Zeit."„Und ich hoffe, daß es auch jetzt zu Ende fein wird mit IhrenSchulden, und daß wir jetzt bald ein Geld sehen werden," brummtedie Unfreundlich« und verließ die Stube.Der Dichter eilt« zum Verleger. Klopfenden Herzens gab erdas Manuskript ab. Hierauf vergingen zwei Wochen. Dann kamdas'Manuskript zurück.„Ich habe es mit großem Interesse ge-lesen, sind« es außerordentlich reizvoll, kann es aber infolge derhohen Produktionskosten nicht zum Druck übernehmen, falls Sienicht eine Million Kronen als Vorspesen erlegen."Der Dichter war dem Weinen nahe. Tagelang saß er in seinerStube und brütete vor sich hin. Herr Linsmaier, der besser warals seine„bessere Hälfte", horte von des Dichters Mißgeschick undversuchte ihn zu trösten.„Schaun S', geben Sie das Schreiben auf," sagte er in seinergemütliche» Weise,„Sie verhungern ja dabei. Sie wissen ja, wiein der Jetztzeit geistig« Arbeit geschätzt wird. Nur herabgekommeneHerrscher und hinaufgekommene Schieber können noch Bücher her-ausgeben. Versuchen Sie«? mit einer anderen Arbeit. Ich wüßt«gleich eine. In unserer Fabrik wird ein Nachtwächter gesucht____Der Dichter griff zu. Aber nicht nach der Nachtwächtersteve,sondern nach einem Gedanken, der in den Ausführungen HerrnLinsmaiers lag: Die Sckiebcrl Di« Schieber, welche„Erinnerungen"schreiben! Er kannte selbst eine-, solchen. Der wollte kein Schiebermehr sein und zählte s.ch schon zu den loliden Geschäftsleuten. SeinVermöaen wurde über lünfhundcrt Millionen Dollar geschätzt, erwar also nach österreichischen Begriffen ein Billionär. Außerdemwar er Sammler, Philantrop, Mäcen. Neben seinen Spekulationengriff der Mann der verhungernden Kunst unter die Arme, ließ sichm Wasser- und Oelfarben, in Brcnzc, Marmor und Eips der Nach-welk zur dauernden Erinnerung ausführen. Auch tal er, was bis-her noch alle„großen Männer" getan: er schrieb seine„Memoiren".Was für ihn kein Kunststück war, da er die Druckkostcn gleich imvoraus bezahlen konnte.Zu diesem Mann ging jetzt der Dichter. Und wurde in dasArbeitszimmer geführt. Es glich einem Raritätenkabinett. Aufdem Stuhl, auf welchem der Billionär laß, hatte angeblich MariaStuart ihre letzt« Nacht zugebracht. Aus dem Schreibtisch, wo jetztder„Börsenkurier" und ein Stoß Kurszettel lagen, sollte der Kar-dinal Richelieu sein politisches Testament geschrieben haben. DerMorgenstern des Bauernführers Stephan Fadinger und die Streit-axt des Hulstten Ziska waren um eine verbeulte Monstranzgruppiert. An den Wänden hingen mottenzerfressene Gobelins, diedie Krönung Karls V. gesehen haben sollten, und ein großerEichentlsch, aus der Burg Götz von Berlichingens, trug eine Anzahlschweinslederner Folianten.Der Billionär schob beim Eintritt des Dichters den letztenBörsenbericht zur Seit« und ergriff einen Bürstenabzug seinerMemoiren.„Was kann' ich für Sie tun." fragte er freundlich.Der Dichter zückte fein Manuskript uno wollte in beredtenWorten seinen glücklicheren Kollegen bitten, ihn durch den Pumpeiner Million ebenfalls zu Bürstenabzügen zu verhelfen, da klingeltedas Telephon. Der Billionär nahm das Hörrohr und horchte. Undsteine Stirne umdüsterte sich. Dann rief er in den Apparat:„Ja.kaufen Sie alles zusammen. Kchle, Eisen und Elektrizität!" Hier-auf legte er unmutig das Höriohr weg.Es ist eine betrübliche Sache, wenn sich Börsengeschäfte mitMenschenliebe kreuzen. Die letzlere schneidet dann immer schlecht ab.„Ja, also, was kann ich für Sie tun?" fragte der Billionär noch-mals. Man sah es ihm aber an, daß er nicht-wehr bei des DichtersManuskript, sondern bei Kohle, Eisen und Elektrizität war.Mit heißen Worten begann der Dichter nochmals seine Bitteherzustammeln und reichte!>abei dem Billionär das Manuskript hin.Schon wollte er danach langen, da trat der Diener ein und meldeteHerrn Weißfisch.„Ich lasse bitten," sprach der Billionär zum Diener und„Sieentschuldigen," zum Dichter. Das Manuskript blieb in des DichtersHand. Der erhob sich und der Billionär sprach freundlich:„Ichwerde sehen, was ich für Sie tun kann!" Dann trat Herr Weihfischein und der Dichter abHerr Weißfisch war sozusagen der Leibantiquar des Billionärs.Das ganze Gerümpel hier hatte er zusammengeschleppt. Jetzt schälteer, geheimnisvoll tuend, einen Gegenstand aus seiner Lederhülle,hielt ihn behutsam dem Billionär vor die Augen und sprach an-dächlig:„Hier bringe ich ein seltenes Stück. Es ist eine Flinte,aus welcher Karl IX. in der Bartholomäusnacht auf die Hugenottengeschossen hat. Diese Flinte müssen Sie kaufen, dann haben Sienicht nur ein würdiges Seitenstück zur Pistole Gustav Adolfs ausder Schlacht bei Lützen, sondern Sie haben auch einen Gegenstandvon unschätzbarem, historischem Wert. Die Flinte ist Besitz einesfranzösischen Marquis, der sich in Not befindet und st« verkaufenmuß. Sie kostet nur zehn Millionen.Der Billionär nahm Band„B" des Konverfationzlerikons,suchte«Bartholomäusnacht", fand sie und auch alles bestätigt, wasHerr Weißfisch über sie erzählte. Also kaufte er die Flinte. Dannwandte er sich seinen Kursen zu und später diktiert« er dem Tipp-fräulein einen Brief an den Dichter.Der Dichter hatte einem Tag und eine Nacht in nicht gelinderAufregung verbracht. Dann kam der Brief. Der Empfänger lasaber nur das eine Wort:„Bedaure... dann warf er den Briefzur Erde- und sich selbst auf das ärm'lche Lager. So fand ihn HerrLinsmaier, als er abends aus der Fabrik kam. Cr setzte sich zumDichter hin und versuchte es wieder mit Trostworten und bemerkte,daß die Nachtwächtersteve in der Fabrik noch immer unbesetzt sei.Der Dichter seufzte tief und ging am andern Morgen mit HerrnLinsmaier und bekam richtig die Stell«.Nun bewacht er das große Fabrikgebäude vor Dieben, bekommtein Gehalt, da» immerhin zum Sattesten und zur Bezahlung derMiete reicht, worüber niemand froher ist als Frau Linsmaier.Der Billionär aber, der setzt Geld genug hat, hat sich von seinenGeschäften zurückgezogen und betreibt die Schriftstellerei im großen,worüber niemand froher ist als sein Verleger.