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Stimme und verlangt nach mir. Ich erlchreck« über sein Aussehen und verberge mühsam meine innere Erregung. Er erzählt mir von seiner Krankheit und ist ganz voller Hoffnung. Ich sah an seinem Bette und suhlte Todesnähe. Das Herz tat mir weh, wie dieser grundgütige st lle Weise, ein vom Tod« Gezeichneter, voller Hoff» nung war. Ich trank mit ihm Tee, und er plauderte angeregt. Die besorgte Gattin und die Krankenschwester um ihn. Der Wind heulte um das Haus und verwehte die Fensterkreuze, und wir sprachen vom Frühling. Blumen standen auf seinem Nachtschränkchen. Die Gattin und Schwester ließen uns allein. Seine Sprache war leiser und longsamer als sonst, aber alte Erinnerungen machten ihn lebhaft. Er sprach von seinenArm- seligen Besenbindern", die«r in Dresden wiederholt gesehen, fast verklärt: er fragte mich, welches Drama mir am nächsten stünde. Ich sprach begeistert« Worte über seine TrilogieAuf goldener Straßen", besonders über seineMusik". Da drückte er mir die Hand und erzählte, welche Schwierigkeiten er hatte, sie an einer unserer Bühnen unterzubringen. Mir schien es, als ob der Dichter seinenAbtrünnigen Zaren", den ich im Manuskript gelesen, am bächsten bewertete. Glücklich war er darüber, daß der ehemalige Regent von Gera zu seinem Geburtstage denAbtrünnigen Zaren" im Friihsnhr aufführen wollte.Auch Sie erhalten eine Einladung und müssen kommen. Denken Sie, Wegener als Abtrünniger Zar! Der Fürst stellt ein ideales Ensemble zusammen." Die Erfüllung seines schönen Trauines zerstörte der Tod. Eine Stunde verging. Er wurde lebhafter. Von der Literatur kam er zur Politik, er sprach über die Zukunft unserer Knust und unseres Vaterlandes. Nie hatte er sich mit Politik befaßt. Er, der Kranke, wollte mir Trostworte geben! Glücklicher Optimist Carl Hauptmann , der du wohl die Sprache der Blumen und Vögel be- lauscht host, das Summen der Bienen und die Untertim« des Orkans, wenn er über deine Riesengebirgsgipfel braust, der du selbst den 5?>inger an deinem Leibe spürtest, das danke ich dir, daß du in deinen letzten Tagen dir selbst Treue hieltest, daß du von deinem deutschen Volk« hoffnungsfroh und begeistert sprachst!Kein Volk der Welt, dos glauben Sie mir, arbeitet jetzt so wie das deutsche Volk! Die Arbeit wird die Religion die Weltmacht." Und r. iedcr zitierte er sich selbst:Vom Menschen Großes deuten das ist die Krafti" Das SchicksalEinhart des Lächiers" stieg vor mir auf, des stillen Helden seines wundervollen Künstlerromans. In solchen Stunden spürte man in die Seele dieses Weisen und Poeten. Hllslos und stark war der feine Träumer und Philosoph. Aber trotz Kamps und Not in der rauhen Gegenwart hatte er sich das Herrlichste bewahrt, die Wundergabe, Kind zu sein. Und ich mußte daran denken, mi« mein lieber Berggeist, der jetzt hilflos im Bette lag und von Plänen und dem Frühling sprach, während der Tod seiner harrte, mich einmal in Dresden be'uchte. Wir wanderten von�meincr Wohnung in der belebtesten Strohe Dresdens nach dem Stadtinneren Arm in Arm. Im lebbaften Ge- spräche. Mir schien's, als dabe er seine Umgebung vollständig ver- pessen. Keine Straßenbahn und kein rasendes Auto vermochten seinen Schritt zu hemmen oder zu fördern. Lebhost gestikulierend, war er so in feine Gedankenwelt vertieft, daß mir schwindlig wurde bei dem Gedanken: Herrgott, wenn jetzt dein lieber Prediger in seiner Weltvergessenheit allein auf der belebten Großstadtstraße stände! Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß er selbst ein verkapptes Märchen sei,«in guter Berggeist, der gegen alltägliche Hemmnisse gefeit ist, zu dem gläubig seine Gebirgler schauten, ein Arzt, dessen wunder- sam heilende Medizin seine eigene Hoffnung und Ueberzeugung auf Besserung ist, ein glücklicher Optimist, der mit seinem Wesen andere heilte, ein stiller Prediger, dem man in die leuchtenden Augen, die seinen Kindheitsglauben spiegeln, schauen muß, um die seinen Unter- töne und Regungen seines Herzens in feinen Worten erklingen zu hören, die werbende Liebe, die gern Leben zünden möchte. Ein heftiger Hustenanfall erlchütterte den Kranken. Ich fühlte: du siehst ihn nicht wieder. Vielleicht schon morgen... Unvergeß- (ich wird mir der prüfende Blick bleiben, der sich an mich heftete. Ich verabschiedete mich, doch immer zog er mich wieder auf den Bettrand zurück. Ein quälendes Abschiednchmen für immer. Mir war bang«, das anhaltend« Sprechen könnte dem Kranken schaden. Verehrtes Schwesterchen, jetzt Helsen Sie mir, daß mich 5)«rr Dr. Hauptmann enläß, ich fürche..."O, Herr Hauptmann freut sich, wenn er einmal plaudern kann." Und schon mußte die Schwester dies und das aus Truhen holen, das er mir noch zeigen wollte. Ich sah leine Rübezahlhandschrift, die fast keine Korrektur auswies. Cr lächelte über mein Erstaunen.Wir mußten freilich beim Druck manche Worte streichen, da weder ich noch meine Schreiberin sie entziffern konnten. Mit nieinem inneren Schauen und Gestalten kann die Feder nicht Schritt halten..." Beim Abschiednehmen rief er mir noch zu:Kommen Sie bald wieder! Morgen? Uebcrmargen?" Ich habe ihn nicht wieder- gesehen: ich wurde plötzlich heimgerufen. Wehmut liegt über meinen Erinnerungen. Die reine Stimme aus der Stille des lieben Träu- »ners und Schönheitsuch«rs klingt nicht mehr im unfroh-m Lärm unserer Tage... Am Bahnhofe empfingen mich die Meiniaen, denen ich zwei Tage zuvor Grüße von dem Dichter sandte.Carl Hauptmann ist tot! rief mir mein Töchterchen entgeg«n. Der Tele- grapb war schneller als mein Zug. Ich vergaß in meinem Schmerz«, die Meinen zu begrüßen. Meine Gedanken weilten bei dem stillen Träumer, bei der tiesinnerlichen Schöpfcrnatur, die voller Märchen, Wunder und Gesichte war.Kommen Sie bald wieder!" Zu spät. Der grundgütig« Mensch und tiefsinnige Dichter ist zu seinen Traum- gestalten und Wundern heimgegangen.,. berliner KontrokimZöchen. Von Hans Merz. Nicht von denOberen Zehntausend" will ich erzählen, von jenen, die draußen in Berlin W. ihre eigenen Wohnungen haben und im Telephonbuch alsSchausvielerinncn",Schriftstellerinnen" undPrivate" verzeichnet sind, nicht von jenen, denen der Eintritt ins Palais de Danse oder in die Animierknbinctts der Friedrichstadt gestattet ist. Wovon ich im Folgenden berichten will, das sind die Aermsten der Armen, sind die, die lang um da» Bewußtsein Mensch zu sein gekommen sind, die solange gleich herrenlosen Tieren im Dunkel umhrcschleichcn, bis sie einmal die Großstadt geschluckt hat. Auf Nimmerwiedersehen. Was von ihnen gefunden wurde, wandert in denNasenquetscher" und mit ihm in die Leichcnjammel- stelle. Die Nutte. Der Berliner Volksmund bezeichnet mit diesem nichts weniger als hübsch klingenden Wort das junge Mädchen, so von vierzehn bis zwanzig Jahren, das so lange mit lüsternen Augen in die Welt gesehen hat, bis es der Verführung zum Opfer gefallen ist. Aus derNutte" kann sich, wenn die Umstände, unter denen das Mädchen lebt, nicht entgegenwirken, dieVohse" entwickeln, der Typus dessen, was man in Paris als Lorette bezeichnet. Bei derVohse" beginnt sich das Unterscheidungsvermögen zwischen dem was man im polizeitechnischen Sinne als gewerbsmäßige Unzucht versteht, arg zu verwischen. Sie huldigt nur mehr selten dem Idealismus", in den meisten Fällen wird sie sich ihreLiebe«. dienste" in bar bezahlen lassen. Dadurch macht sie sich aber nach dem Gesetz strafbar. Es dauert nicht lanae, und die Vohse wird von derSitte" aufgegriffen. Hat sie das Alter von 21 Jähren er» reicht, wird sie unter Kontrolle gestellt. In einer urlangen und am Abend nrdunklen Straße, die auf denAlex" mündet, ist eine Konditorei� die dadurch bekannt ist, daß in ihr noch mehr kleine Mädchen verkehren als in anderen Lokalen gleicher Art. In dieser Konditorei gibt es einen Kaffee, der nie eins Kaffeebohne gesehen hat, Kuchem der keinen Zucker kennt und eine Limonade, deren Zubereitung Geheimnis der dicken Dame am Büfett ist. Trotzdem erfreut sich gerade dieses Lokal beim weiblichen Publikum großer Beliebtheit. Das macht, weil drei Musikanten da sind, ein Pianist, ein Geiger und ein Cellist, die sieben Stunden lang die neuesten Lieder und Tänze aussolelen, und weil es in dieser Konditorei gerade somnllich" ist. Da gibt e» Nischen, die Charnbre separ6s der kleinen Leute, di« so wahnsinnig eng sind, daß der Kontakt zwischen liebc rn Herzen um so rascher geschlossen wird, und Bilder hängen au den Wänden, an deren Buntheit man sich kaiWi satt sehen kann. In dieser hübschen Konditorei finden sich nun Nutten, Bohlen und Kontrollmädchen. Sie sitzen da und harren der Ding«, die kommen sollen. Ich nehme an einem Tischchen Platz, an dem be- reits drei junge Mädchen sitzen. Junge Mädchen? Sie scheinen es zu sein, trotzdem ihre Gesichter schon Farbe und Runen de» Alters zeigen. Sie haben sich bis zu meiner Ankunft lebhaft unter» halten, schweigen aber, als ich bei ihnen Platz nehm«. Um mir ihr Vertrauen zu erobern, biete ich ihnen Zigaretten an, nach denen sie mit Gier greifen. Sie sind unsagbar häßlich, meine Nachbarinnen, häßlich und /schmutzig. Sie stecken in alten, durchgescheuerten und zerfransten Mänteln, die sie trotz der herrschenden Wärme nicht ab» gelegt haben, wahrscheinlich darum, weil sie sich der Lumpen unter ihnen schämen. Ihre Hände und Fingernägel sehen aus, als ob sie wochenlang nicht gereinigt worden sind. Ihr Haar ist unfrisiert und klebt an der Stirn. Die Mädchen qualmen mit Eilzugsschnelligkeit mein« Zigaretten. Das bißchen Tabak hat sie wirklich zutraulicher gestimmt. Sie nehmen ihre unterbrochene Unterhaltung wieder auf. Sie dreht sich um den Aufenthalt im Polizeigewvhrsam und im Fröbelkran kenhau«. Dort hätten sie wenigstens ein Dach über dem Kopse gehabt. Keine von Ihnen kann es zu eine,- festen Wohnung bringen. Im Sommer läge ja nichts daran, im Winter aber.... Dann erzählen sie von ihren Kerls, den Bräutigamen. Natürlich hat jede einen. Durch eine Tasse Kaffee, die ich ihnen bringen lasse, bewirke ich, daß sie sich auch mit mir zu beschästigen beginnen. Ich weih, daß mindestens dreiviertel von dem, was ich aus ihrem Munde hören werde, Lüge ist, immerhin.... Die eine ist sechzehn, die zweite einundzwanzig, die dritte dreiundzwanztg Ialxre alt. Ihnen gemein- sam ist, daß sie alle drei im Elternhaus« so arg behandelt wurden, daß sie es vorzogen, sich auf eigen« Füße zu stellen. Di« jüngste ist erst acht Tage in Berlin . Sie ist aus einer kleinen Stadt in Thürin- gen. Die älteren Mädchen nehmen sich ihrer so lang« an, bis sie eines Kunden wegen mit ihr in Streit geraten werden. Vorläufig bemuttern sie noch in ihrer Art dasKücken" und g«ben ihr Rat- fchläg«, wie sie sich am besten vor der Sitte schützen könne und wo» sie zu sage» hätte, wenn sie doch einmalhochgehen" würde. Sind diese Mädchen einmal ins Sprechen gekommen, dann kargen sie nicht mehr mit dem Wort. Und doch: ein genü"«» Mißtrauen bleibt zwischen ihnen und dem. der sich mit ihnen unterhält. i Meine drei schmutzigen, häßlichen Mädchen ye.�en später ihre Anbeter gefunden: zwei ebenso verwahrlost aussehend« junge Bur- schen und einen älteren Mann, dem die Provinz au» allen Falten und Fältchen seines Gesichts sah. Ich war noch Zeuge, wie die sechs, nachdem der Alte gutmülig aus einer dickgefüllten Brieftasche dl« große Zeche für alle bezahlt hätte, aufbrachen und gemeinsam in die Nacht hinausspazierten..., Und ich rechnete bestimmt damit, morgen im Polizeibcricht von einem Ueberfall auf einen Fremden zu lesen.