Kunstgeschichte.
Bon John Schitowsti.
Eine gewaltige Umwälzung vollzieht sich gegenwärtig im Runft schaffen aller Kulturvölker, eine Umwälzung, wie die Welt sie seit länger als einem halben Jahrtausend nicht mehr erlebt hat. Der Scheffensgeift ist ein anderer geworden, neue Ziele tauchen auf und die Entwicklung schlägt Bahnen ein, die von den bisher verfolgten weit abweichen. Kein Wunder, daß die neuen Tendenzen, die das Runft schaffen bestimmen, auch dem Kunst urteil neue Gefichtspunkte eröffnen und daß man das, was frühere Zeiten auf dem Gebiet der bildenden Künfte geleistet haben, heute anders wertet, als es bisher geschah.
Die funstgeschichtliche Epoche, die mit der italienischen Renaissance begann, im sogenannten Impressionismus unserer Lage ihren Höhe. punkt und Abschluß erreicht hatte und jetzt zu Grabe getragen wird, jah das Ziel alles fünstlerischen Schaffens in der Nachahmung der äußeren, finnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit und sie lebte in dem Irrtum, daß das fünstlerische Schaffen aller Bölter und aller Zeiten dieses Ziel verfolgt habe. Die Runsthistorifer der jetzt ablaufenden Epoche, die man furz als die naturalistische bezeichnen fann, gingen von dem Standpunkt aus: Die Kunst strebt nach möglichst vollkommener Wiedergabe des äußeren Naturbildes, und wenn sie zu irgendeiner Zeit dieses Ziel nicht erreicht hat, so lag das nur daran, daß die Künstler nicht über die notwendigen technischen Mittel und Fähigkeiten verfügten.
Der inzwischen verstorbene Wiener Kunstgelehrte Alcis Riegl war der erste, der diesen Standpunkt aufgab und in die funft geschichtliche Untersuchungsmethode ben Begriff des Runft wollens" einführte. Er sagte: nicht mangelndes Können, sondern ein auf andere Biele gerichtetes Wollen ist die Ursache, daß die bildende Kunst lange Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch die äußere Natur nicht nachgeahmt hat. Die alten Aegypter 3. B. fonnten die Natur sehr getreu nachahmen, wie zahlreiche Porträtstatuetten beweisen. Ihr Kunstwollen aber war nicht darauf einge stellt, und wo es sich um eigentliche hohe Kunst bei ihnen handelte, ba sind ihre Schöpfungen nichts weniger als naturalistisch, fondern, wie man heute jagen würde, er pressionistisch". Das zeigen ihre für die Ewigkeit geschaffenen Pharaonenmonumente. Und ebenfo verhält es sich mit der Runft des gesamten europäischen Mittelalters von den frühchriftlichen Zeiten bis zur Gotif. Mehr als zwanzig Jahre sind vergangen, feit Riegl der Kunstbetrachtung diefen neuen Standpuntt anwies, aber bis heute haben die Männer der zünftigen Wissenschaft von dieser bahnbrechenden Erkenntnis faft teinen Gebrauch gemacht. Unfere bekannten großen funstgeschichtlichen Werte behandeln die Entwicklung nach wie vor unter einseitig naturalistischem Gesichtswinkel. Die Einzelforschung hat eine Fülle von neuem, zum Teil sehr wichtigen Material zufammengebracht, aber sobald es sich um Sichtung und Würdigung bes Materials handelt, tommt man zu den schiefften Resultaten. Dann erscheint z. B. die grandiose, in ihrer Art vollendete altorientalische Kunft lediglich als eine unzulängliche Borstufe der griechischen, die tatsächlich ganz andere Ziele verfolgte als jene und Saber gar nicht mit ihr zu vergleichen ist. Malerei und Biaftit des Mittelalters werben ihrem innersten Wesen nach mißverstanden, weil man sie mit den Maßstäben des Naturalismus mißt, bem fie abfolut wefensfremd find. Als Gipfelpunkte der altorientalischen und der mittelalterlichen Kunst preift man einige Werte, die zufällig naturalistische Züge tragen, aber für das Kunstwollen ihrer Zeit leineswegs tennzeichnend find.
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Auch die große Geschichte der Kunst aller Zeiten und Bölker von Karl Woermann ), deren zweite Auflage jetzt mit dem Erscheinen des sechsten Bandes vollständig vorliegt, tranft an diefem Grundübel der falschen Einstellung. Man bewundert die Riefenleistung deutschen Gelehrtenfieißes, aber man darf sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Werf heute eigentlich nur als Materialfammlung und Quellennachweis brauchbar ist. Wer zur Kunst in lebendige Fühlung fommen, wer in den schaffenden Geift fremder Völker und ferner Zeiten eindringen will, der findet hier feine Erleuchtung und feine Führung. Er wird, wenn er die sechs Bände durchgearbeitet hat, eine Fülle positiver Einzelfenntnisse gesammelt haben, aber auf die Frage, auf die alles ankommt, wird er eine Antwort vergebens fuchen: welches Wollen spricht aus dem Kunstschaffen der einzelnen Epochen und aus welchen materiellen Grundlagen wirtschaftlicher und sozialer Art ist dieses Wollen jeweils crwachsen?
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In dem neuen Bande, der die Kunst der Neuzeit von 1750 bis zur Gegenwart behandelt, treten diefe Mängel weniger hervor, weil die jüngste Bergangenheit eine naturalistische Betrachtungsart sehr wohl verträgt und weil der Verfasser offensichtlich bemüht ist, auch der jetzt im Werden begriffenen Kunft nach Möglichkeit gerecht zu werden. Nach Möglichkeit denn daß der heute 79jährige Gelehrte noch ein lebendiges Einfühlen in den Expressionismus zustande bringt, wird niemand erwarten. Aber er bleibt objektiv, er sucht, da er einen eigenen Standpunt zu dem Neuen nicht recht finden fann, aus den theoretischen Erörterungen literarischer Wortführer des Expressionismus einen Star dpunkt zu gewinnen und für den Leser zu formulieren. Daß er dabei nicht immer aus einwandfreien Quellen schöpft und daher zu manchem schiefen Urteil gelangt und auch mancher tatsächliche Irrtum ihm unterläuft, wird man dem alten Herrn nicht allzu scharf anfreiden. Es geht aber wirklich
nicht an, fast in einem Atemzuge mit Rundinsky und Chagall einen Laffar Segall oder gar Herrr Jefim Goinfcheff zu nennen, und der mehrmals erwähnte Maler von Malzahn" egiftiert überhaupt nicht, sondern beruht wohl auf einer Berwechselung mit dem braven Johannes Molzahn , der nichts weniger als ein Junter, sondern, wenn ich nicht irre, der Sohn einer sehr schlichten Bauernfamilie ist. Im großen und ganzen aber sind die positiven Daten des Bandes reichhaltig und zuverlässig und er ist daher als Nachschlage. buch durchaus zu empfehlen.
Die große, wirklich moderne Kunstgeschichte aber, die die Resultate nicht nur der neuesten hiftorischen Forschung, sondern auch der ästhetischen Kritik und Theorie fich zu eigen gemacht hat, fehlt uns noch. Ob ein einzelner imftande sein wird, sie zu schreiben, erscheint fraglich. Denn es gehört mehr als ein Menschenalter dazu, um das gesamte Material fich so zu eigen zu machen, wie es der greife Woermann in der unermüdlichen Arbeit seines langen Lebens permocht hat. Aber es wäre schon ein großer Gewinn, wenn ein dazu Berufener fich entschlöffe, ben deutschen Kunstfreunden ein fnappes Kompendium zu schaffen, das die richtigen Gefichtspunkte aufzeigt und flärende Ueberblicke gibt.
Bei den Nordseefischern.
Bon J. Kliche.
Frei ist der Fisch und frei ist der Fang. Das alte Wort der Küstenbewohner, es gilt heute noch ebenso wie zu Zeiten Störte beders. Alles, was in Schlick und Schlamm patscht und fraucht, was im Sonnenspiel der Meeresoberfläche oder in graufiger Tiefe fich tummelt, ob Muschel, Krebs oder Molch, ob Hering, Seehund ober Walfisch: jedem steht ein Sagdrecht gegenüber diesen Meeres bewohnern zu. Fragt sich nur, ob er über Mittel und Möglichkeiten verfügt, es auszuüben.
Am leichtesten wirds dem Krabbenfänger, der zur Ebbezeit feinen Schildschlitten übers Watt zicht, die Fangförbe befestigt und sich nun durch die nächste Flut die kleinen, grünlich- grauen, lang schwänzigen Krebse, auch Garnelen genannt, in diefe hineintreiben läßt. Mit aufgefrempelter Hofe im Sommer, in hohen Wasserstiefeln im Winter patsant dieser im gurgeladen Uferfchlamm umher, holt nach jedem Flutwaffer feine Beute, focht diefe bei lebendigem Leibe in Ealzwasser und verkauft sie dann pfund- oder literweise für menschliche Delitateßzwede, als Bogeifutter, oder, falls die Maffe schon in Bermesung übergegangen ist, auch als Düngemittel. Sein Fanggerät ist primitiv, und mancher huidigt dieser zumeist recht lohnenden Beschäftigung im Nebenamt. Wenn er von der Acerscholle, vom Bau oder aus der Fabrik fommt.
Mit ganz anderen Mitteln als der im quiclenden Uferschlamm watende Krabbenfänger arbeitet der Küstenfischer. Mit großen Booten fährt er hinaus auf die See, wirft feine Rehe aus und birgt nach mehrstündiger Arbeit feinen fett oder mager ausgefallenen Fang. Freilich, zurzeit befindet sich auch der Küstenfischer in einer Notlage. Während des Krieges war das anders.. Da ruhte ber Hochfeefischfang, die Küfienfischer waren ohne Konkurrenz und emp fanden ihr Gewerbe als lohnend. Der Fisch war dazu ziemlich gutmütig, er gondelte arglos im Küftenwaffer, heute hat er sich er fahrungsgemäß wieder in die tieferen Gewäffer zurückgezogen, wo es schon feetüchtiger Schiffe bedarf, um ihn zu fangen. Zumal jeht im Winter. Zweifellos befindet sich die mit geringem Kapital arbeitende Rüftenfischerei in einer Depreffion. Das hat auch die Reichsregierung anerkannt und daher den Fischern staatliche Unterstüßung zugesicher.
Das Renner machen die och leefischereigesellschaf ten. Allerdings mit wechselndem Erfolg.. Angeblich je nachdem die Ausfuhr der Fänge regierungsfeitig erlaubt oder verboten ist. In dieser Frage ist man fich völlig im inftaren. Als feinerzeit die Grenzen geöffnet wurden, gingen regelmäßig deutsche Fischladun gen nach der Schweiz und nach Holland , was zur Folge hatte, daß bei uns die Breife stiegen und der Fisch in den Markthallen und noch mehr auf den Tischen der deutschen Berbraucher zu einem feltenen Gast wurde. Alfo verriegelte man vor gut Jahresfrist erneut die Türen. Doch hier und dort verstand man das Berbot zu umgehen. In den ersten zwei Wochen des Bestehens der Sperre hatten nicht weniger als 27 deutsche Fischdampfer ihre Ladung in muiden gelöscht. Trok Verbots waren für rund acht Millionen Mart Fische ins Ausland gebracht worden. Balutafischer. Um die Ausrede mar man nicht verlegen. Man hätte sich in Seenot befunden und den nächsterreid baren Hafen aufsuchen müssen. Da bei hatte die Regierung die Fischereigesellschaften noch vorzugsweise mit Kohle versorgt..
Eine mißliche Sache. Kurzum: am ersten Märztage des vori gen Jahres öffnete man wieder die Grenzen, um das freie Spiel der Kräfte sich ausleben zu laffen, ein halbes Jahr später aber schloß man sie, aus Rücksicht auf die augenblickliche Ernährungslage" zum drittenmal. Um fie in diesen Tagen auf den dringenden Rat ber Fischereigesellschaften hin voraussichtlich wieder zu öffnen!
Da finde sich einer noch zurecht. Zu allem Ueberfluß meldete fürzlich der römische Korrespondent eines großen Berliner Blattes, daß sich in Italien eine Gefellschaft für den Großbetrieb des Fisch fanges in der Nordsee gebildet habe und daß Deutschland hierzu 25 moderne Fischdampfer auf Reparationsrechnung liefere.
Man sieht: die deutsche Nordsee bleibt immer ein Problem, fo wohl für die internationalen Marinestrategen wie für die Fischerei. fpetulanten.