Nummer 13
Heimwelt
28. März 1923
Unterhaltungsbeilage des Vorwärts
Der Mann, die Frau und der andere.
Nocturno.
Von Troll
Aus jedem Hause drängten Schatten gleich wie Alengste hinter bunkeln Fenstern horchender Menschen, strömten in Straßen füllende Finsternis, die zwischen Mietstasernenfronten wie die Wässer der Sintflut stieg und über den Dächern auseinander floß. Zwei Men fchen schritten untergefaßt durch die stille Nacht, Mann und Frau; äußerlich einig, wie Kettenringe hingen ihre Arme ineinander,- innerlich veruneinigt durch Mißtrauen, und schwiegen grollend. Der Weg war lang und die Wortlosigkeit peinigte, erregte die Nerven, ängstigte wie Schwüle vor Gewitter. Dunkel flatterten Gedanken. Einer spürte des anderen Berstörtheit.
" Dort liegt eine Leiche." Wie zu sich selbst sagte sie's. Er fuhr zusammen und hemmte den Fuß und fand ihren Blid in die Spalten der Jalousie vor geöffnetem Fenster und sah unter fladernden Kerzen aufgebahrt einen Toten, gefaltete Hände, das bleiche Haupt auf weißem Rissen wie aus Wachs, und vor der Bahre, geneigt unter Schwarzem Tuch, ein Weib, das Gesicht in die Hände gelegt.„ Totenwacht."
Geschreckt eilten sie weiter; aber der eifige Tote lief mit ihnen. Sein wächsern Geficht stand im Lichthof jeder Straßenlaterne; dürr griffen naßblante Aefte danach, und Schatten tauerten trauernd umber.
Der Staubfeine Regen legte sich, durchbringend, wie ein neu leinend Hemd auf die Haut.
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„ Wenn ich's nun mar?" fragte er in sich hinein; und Mitleid bämpfte sofort seinen Groll. Sie sollte allein, einsam ihre Straße wandeln, allein mit dem Gesindel fertig werden, bas breitbeinig wie Betrunkene, glozend, Arm in Arm sich stüßend, ihr den Weg verträte: die Not und die Sorgen, Verstellung, Heuchelei und Lüge, bazu ihr heißes unruhig Blut, fie, noch immer das liebe eigen finnige, verwöhnte Rind wie damals, da er als übermütiges Fohlen sie mit dem Lasso der Liebe fing?! Urplößlich war die Liebe getommen, wie die Quelle springt aus Geftein. Sie fammelte sich zum Flüßchen und strömte bann breit und ruhig durch das Ehebett, die Landschaft der Ufer befruchtend, vor mancherlei Hindernis fich gabelnd, doch, immer rasch wiedervereinigt, dem Endziele zustrebend, ber Mündung in den unendlichen Ozean, in's Delta des Todes. Nebenflüsse traten hinzu, liebedurchsonnte Freundschaft, des Stromes Kraft vermehrend.
Da troch aus der Freundschaft die listige Schlange, bot Even als prangende Frucht eines andern Liebe dar: sollte es wirklich bem freien, modernen Weibe verboten sein, ihrer zu genießen?
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Konflikte häuften sich und störten heilige Zweieinigkeit. Seinen wachen Sinnen ist nicht entgangen, daß von ihm selbst, wie die Pflanze vom Dunkel ab, zu dem Andern", dem Licht, ste fich hin neigt, fein flirrenber Blic, wie die Morgenfonne die Blüte, die Wange ihr färbt, fein lüftern Lächeln in ihrem Auge wie Mondglanz in der Perie von Tau sich spiegelt, Berlangen fie zu ihm brängt, wie die Spielluft das Jungpferd auf die Wiese, die Liebe zwischen ihnen glitzernde Fäden spinnt wie der Spät Sommer zwischen Birken, die gern zueinander möchten und es body nicht können, ihre Hände sich heimlich suchen, und die Berührung fie burchschauert, in bebenden Untertönen ihrer Stimmen die Liebe singt.
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Er blickt der Schreitenden ins Geficht: wie finster, hart, die feinen Brauen zusammengerückt, die Lippen gepreßt.
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und Menschheit, Daseins Inhalt und 3wed. Allmählich hatte sie ihm sein Selbst entwunden, Zug für Zug seiner Besonderheit unter jocht. Ihr zu gefallen, ihr zu genügen, sie zufrieden und glücklich zu sehn, hatte er sich verkrochen ins tiefste Innere, bis er sich selbst nicht mehr wiederfand, alle Leidenschaften erloschen, die eigenen Wünsche verborrten, er ganz und gar von ihr allein erfüllt war, ihr Leben lebte, ihre Wünsche wünschte, ihr Leib litt. Einer Mel nung, eines Sinnes, wußte jeder, was der andere dachte, einer dachte, einer sprach des andern Gedanken aus. Und Langeweile begann fie zu quälen.
Da trat der Freund in ihren Kreis: eigenwillig, unbeugsam, nochig, fehnig, wißig, von Duft galanter Abenteuer umweht, und roch babel nach Stall, Wald, Feld und Wiese.-- schleifte hinter ihnen brein in die tiefere Finsternis über den Flur, Ein dunkles Haustor verschluckte sie, und alle Angst der Straße den naffen, übelriechenden Hof, die vielen Treppenstufen hinauf bis in die Wohnung unterm Dach. Armselig Licht über armseligen Hausrat.
Auf hartem Beltrand saß sie, das Kinn auf die Fäuste gestemme ... schüchtern wagte er die Frage, die Frage, die ihm in der Seele brannte.
Baß mich! laß mich!" schrie fie. Dhrwurm! bohrft mir mein Angst rief erschütternd aus ihr. Die Herz durch und durch!" Wände horchten, bas ganze Haus und die Straße lauschten, und Schatten dürftiger Möbel lagen wie erstarrt. Die schluchzende Frau füllte den Raum mit beklemmender Bangigkeit. bebend ihren Namen, rieb wie ein treuer Hund seinen Ropf an Er fant vor ihr nieder und umspannte ihren Schoß, flüsterte ihrem Knie. Aber nachdem der Sturm sich gelegt hatte, redete er in seiner Seelennot vor sich hin:
Ich sehe dunkel schwelende Kerzen an einer Bahre
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Müde frivolen Spiels, wird er dich abtun, ablegen wir irgend was nach dem Gebrauch, und das wächferne Ideal beiner Liebe wird Dann hast du nichts mehr: erfließen in betnen heißen Händen. denn mich hast du heute verloren--" los von ihr, trat wie aus dumpfer Stube in sternfunkelnde Nacht In blefer Nacht riß das Band der Liebe. Er löfte sich innerlich hinaus in die schrankenlose Einsamkeit.
Elektrische Straßenbahnen zerschneiden die Atmosphäre". Ein Fabritschlot dichtet in das Straßenbild hinein ein Tristichon. Am Frauenplan das Goethe- Haus . Die Schaufenster der Anfichtskartenhändler haben einem das Motto eingepauft: Warum stehen Sie bavor? Ist nicht Türe da und Tor? Kämen Sie getrost herein,
Würden wohl empfangen sein".
ein. Der Eintritt foftet 50 M.( Bei Schiller , siehe unten, bie Lür ist da und Tor - von 2 bis 4- und ich will wohl empfangen Hälfte.) An der Bahnsperre vor der Reise in ein flaffisches Land ein feudaler Billettverkäufer. Dann: auf den Treppen, in den Sälen uniformierte Balladenerzähler. Alles feierlich, olympisch. In jedem Raum eine Handvoll Beschauer, die schier eine Olympiade lang verweilen. Unerhört geheimrätlich. Haben nicht heute die Herzogin zum five o'clock befohlen?
Zweihundert Schritt weiter das Schiller- Haus. Eine liebe, alte Frau empfängt. Wem Goethe zu teuer ist, der spricht für 25 M. Strindberg" murmelt er, und„ Totentang" höhnt sie. bei Schillern vor. Ja, also eine feine, weißhaarige Frau empfängt, Zweifel schnüren sein Herz, das enge: Wiffen will ich, wieweit Untontrolliert steigt man drei fanfte Treppen hinan. Einsamkeit. das tändelnde Spiel nun gediehen; wiffen, ob ich in efliger Dritt- Ach, auch hier atmet das Requifit, das erinnerungsgefüllte, verklärte Ding. Jambenluft! Standierte Seele. Auf Schillers Bett und auf gemeinschaft lebe! Wahrheit soll sein, damit Lüge und Heuchelei uns seinem Schreibtisch liegen frische Blumen: Schneeglöckchen, Brie nicht vollends verderbe! So schrie es in ihm; doch sein Mund blieb| mein... ein paar frühe Veilchen. Niemand wird sie anrühren, sie verschlossen. Weil Ungewißheit ihn martert, wünscht er Gewißheit werden hier opfernd welten; niemand sah auch, wer sie spendend und fürchtet doch, sie nicht tragen zu können; war sie ihm doch Welt streute.
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