büsch im grün«» Kleid — kein überwältigentes Bild, aber doch reizvoll, wenn man so die tote Einöde plötzlich voll Leben sieht und den großen, grünen , leuchtenden Teppich durchzogen mit blauen, weißen, roten, grauen Blumentupfen. Auch w der Tierwelt wird es lebendig. Es herrschen nicht allein Bär und Wolf, sondern vom Süden her kommen zahlreiche Scharen von Enten. Gänsen, Schwänen und anderen Wasiervögeln; !ie treten bisweilen in solchen Mengen auf, daß von ihrem durch- »ringenden Gekreisch und Geschnatter in den Lüsten das Ohr des Jägers betäubt wird. Aus den weiten Rasenflächen tummeln sich die Nenntier«, die wilden wie die gezähmte»! sie spielen eine außer- ordentlich wichtige Rolle für den Samojeden, den Tungusen, für alle Nordvölker. Nicht allein, daß sie ihnen als Zug- und Reit- tiere dienen— sie jagen mit unglaublicher Schnelligkeit dahin—, sie schaffen ihnen auch ihre ganze Existenz durch ihr« Milch, ihr Fleisch, ihre Knochen, ihre Geweihe, �uis denen diese Jagdvölker Angeln und Fischspeere machen, ihre Sehnen, die als Zwirn ver- wendet werden, ihre Felle, die ihnen Kleidung gebe». Es durch- ziehen die Steppe auch Unmengen von.�afen und Mardern und dann die von uns so geschätzten kostbaren Pelztiere des Transurals, die Hermeline, die Schwarz-, Blau- und Silberfüchse, und vergessen wollen wir nicht, weil es ein Naturwunder ist, hier huscht im Moos und Steinicht die sibirische Spitzmaus, das kleinste Säugetier der Erde. Die Flüsse sind überaus reich an Fischen— in den Flüssen von ganz Sibirien steckt ein noch ungehobener riesiger Schatz. Das viele stehende Wasser, die Sllmpse, der Morast locken aber auch eine furchtbar« Plage herbei, der lelbst die Eingeborenen kaum gewachsen sind, die für den Reisende» aber geradezu unerträglich ist: Myriaden von Mücken und Bremse», die bisweilen in solchen Schwärinen zu- sammengeballl sind, daß sie den Himmel vollkommen oerdunkeln. So sieht der Frühling m Nordsibirien aus, dieweil bei euch des Flieders Knospen springen und die Primeln blühem Strinöberg im Miauen Turm". Aus den Erinnerungen von Fanny Falkner. Slrindberg hat von der Ehe gefordert, daß sie ihn„mit der Menschheit durch das Weib veriöhn«", und drein, al ist er an dem Versuch, dieses Ideal zu erreichen, gescheitert. Wahrend die Ge- schichte dieser drei Ehetragvdien in seinen Werken mit so schonungs- josem Bekennerdrang dargestellt ist, wußten wir bisher von feinem vierten Versuch einer„Versöhnung mit der Menschheit durch das Weib" sehr ivenig. Und doch hat der Sechziger noch einmal die feste Absicht gehabt, die von ihm so furchtbar empfundenen Ehe- banden �>us sich zu nehmen. Es war eine Zwanzigjährige, mit der er sich»erlobte: die Nialerin und Schauspieierin Fanny Fat k- Ii e r. Er kam zu dem Mädchen in nähere Beziehung, indem er in das Haus zog, in dem die Familie Falkner wohnte, und sich bei Fannys Mutter in Pension gab. In diesem Haus, das er den „Blauen Turm" lauste, hat er noch einige Jahr« glücklichen Schaffens verlebt, und Fanny trug nicht wenig zu der milden, müden Heiterkeit seines Herbstes bei. Er lebte mit ihr und mit der Familie S vertraut, wie es bei einem sochen mißtrauischen Fanatiker der rbeit möglich war Er bringt Fanny zur Bühne, nennt sie sein „Ostermädchen", weil sie sein Bild von der Heldin des Dramas „Ostern " verwirklicht«, studiert mit ihr die Hauptroll« in„Schwanen- weiß" ein, in der sie große Erfolge erringt. Sie wird sein«„««kre- tärin", er läßt sich von ihr malen, und schließlich nach einer langen Zeit des aufreibenden Anziehens und Abstohens, während deren auch sie unter dem dämonischen Zauber des Genies steht, verlobt er sich mit ihr. Aber Fanny konnte sich nicht entschließen, den ge- alterten Dichter zu heiraten. Der Altersunterschied war zu groß. Ihre Beziehungen zu ihm Hot sie später in einer Schrift„Strind- berg im Blauen Turm geschildert, die jetzt in der Ueber- tragung von Emil Schering bei Georg Müller in München erscheint. Die Eindringlichkeit der Beobachtung und die schlichte Ehrlichkeit der Darstellung niocht dies Buch zum wichtigsten Zeugnis von den letzten Schoifensjahren des Dichters. Mit allen Einzelheiten Hai sie seine Lebensweise Im „Blauen Turm" erzählt.„Am 10. Juli 1908 zog Strindberg in den „Blauen Tunn ". Alles, was er aus seiner Wohnung im„Roten Hause" mitbrachte, waren einige Koffer mit Büchern. Photographien und Kleidern, die fast alle ans den Boden kamen. Die Möbel hatte er irgendwo in Berwahrung gegeben. Er schien übel daran zu sein, als er zu uns kam: leidend, qualvoll, schlecht gepflegt und abgetakelt. Er gab sich auch als krank und müde aus und sprach von Krämpfen. die nach seiner Ansicht von Krebs herrührten. Er hatte es sicher nicht gut gehabt unter seinen vielen wechselnden Diensimädcheii. Die Tagesordnung wurde sofort bestimmt, bis in jede Einzelheit. Er ging sehr früh spazieren: nachdem er eine Tasse Kaffee getrunken hatte. Etiva um acht Uhr kam er zurück und setzt« sich sofort an den Schreiblisch. Dann arbeiieie er bis elf. bis ihm das Frühstück heruntergebracht wurde. Es bestand auf seinen Wunsch nur aus einigen Buttcrbrödchen mit Anschovis und Nenntierbraten. Als Strindberg in den„Blauen Turm" einzog, hatte ei die Vorstellung. ein spartanisches Leben werde ihm gut tun. Er begann auch mit diesen drei Butterbrödchen mit einfachem Belag: als aber mein« Mutter dielen Belag immer appetitlicher machte, gelang es ihr auch allmählich, die Ration zu vergrößern, und es zeigte sich, daß es ging. Die Folgen blieben nicht aus. Strindberg lebte wieder auf, wurde ruhiger, munterer, setzte so viel Fleisch an. daß der Schneider leine Anzüge weiter machen muß!«. Daß sein Interesse für das Häusliche stieg, drückte sieh u. a. darin aus, daß er Tischzeug, Silber,
Kassceservic« einkaufte. Einen Kajfeekocher hatte er bereits: den b«. nutzte er jeden Tag für seinen Morgenkaffee, den er von keinem anderen kochen ließ. Strindbergs Neigung zu asketischer Lebensart, die er am Anfang dieser Epoche zeigte, hing sicherlich damit zu» sammen, daß er sich wirklich krank fühlte. Es ist jedoch möglich, daß dieses G«fühl zum Teil auf Einbildung beruhte— er hatte eigentlich nichts dagegen, sich gequält zu fühlen, der zu sein, der die größten Schmerzen zu tragen hatte. Ueber den Arbeitstisch, der groß und bequem war, breitete sich eine von den orientalischen Decken aus, die früher in Stockholm von umherwanderNden Süd« ländern verkauft wurden. Diese Decke nahm Strindberg fort, um sie an die Wand vor dem Schreibtisch zu hängen, dann kaufte er sich selbst eine andere in mehr.grobischem Stil, die er auf den Tisch legte. Er hat selbst erklärt, dieser einfach« Wandbehang, den er beständig vor Augen hatte, habe seine Gedanken auf die alten Ge- schichten von„Abu Eafems Pantoffeln", geführt und ihn zu dem Märchenspiel mit diesem Titel inspiriert. Dies« Arbeit war die erste, die er in seinem neuen Heim ausführte. Von meinen kleinen Ge» Ichwistern lieh er, was sie von„Tausendundeiiier Nacht" besaßen:«r kaufte sich mehrere Bände der Bibliothek„Saga", darunter einige deutsche Märchen." Strindberg verkehrte mit der Umwelt am liebsten schriftlich und schrieb auch dem jungen Mädchen, das ihm besonders nahe stand,' täglich„Promemorias. Di« innere Spannung, in der sich sein un- ermüdlich schassender Geist stets befand, strahlte eine nervöse Unruhe um ihn aus: auch war er außerordentlich mißtrauisch.„Mit allen leinen großen Zügen legte er Kleinigkeiten oft eine Bedeutung bei, die bestürzte. Alles in feiner Nähe wurde leicht unruhig. Er war ganz unberechenbar. Darum wußte man niemals, was kommen würde, wenn er im Telephon läutet«, oder wenn man in fein« Tür trat. Immer hing über unseren Köpfen die Gefahr, daß er eine» Tage« all« um sich vernichten könnte. In Geldsragen war er auch unberechenbar Doch muß man sagen, daß er äußerst sparsam lebte. Einst überraschte er uns durch eine Kart« mit folgendem kräftigen Inhalt:„Wo ist meine Wäsche und mein Silber? Ich kaufte für 12S Kronen, als ich hierherzog." Ms Antwort bekam er eine Ab» Handlung, die ihn aufklärte. Das SiI6er würde sich auf feinem Platz im Büfett wiederfinden, sobald e» geputzt worden sei, was nach einem eben abgehaltenen Festessen geschehen müsse. Von der Wäsche lieg« soundso viel im Schrank, dos übrige fei bei der Wäscherin. Diese nicht unwesentlichen Einzellheiien hatte er ganz übersehen bei der strengen Revision, die er plötzlich vorgenommen. Wenn eine Idee bei ihm entstand, mochte es sich um etwas Großes oder Kleine» handeln, wurde sie sofort in Handlung umgesetzt, rücksichtslos, im» pulsio, ohne daß er daran dacht«, wie dieses Vorgehen auf andere wirken'könnte.... In der Frage des Aufräumens konnte er raffi» nierte Methoden erfinden, um den zu erreichen, den er für den Schuldigen hielt. So fiel es ihm ein, aus der obersten Latte einer Jalousie einen Knops anzubringen, um zu sehen, ob es dem ge- lang, sich die Aufmerksamkeit der Aufwärterin beim Staubwischen zuzuziehen. Da all« Fenster und Balkontüren Jalousien besaßen, so war es wohl zu verzeihen, wenn eine Lotte übersprungen wurde und der Knopf unberührt blieb. Denselben Trick wandte er beim „Grünen Sack" an, wie jp den Schrank mit grünen Glasscheiben nannte, in dem er seine wissenschaftlichen Manuskripte verwahrte. Er legte einen Knops auf den Schrank und sah später nach, ob er liegengebliel'en war Falls er die Sache humoristisch genommen hätte, könnte man diesen Kunstgriff als unschuldige Zerstreuung de- zeichnen, aber das war kaum der Fall. Sein gutes Herz zeigte sich auf andere Art. Besonders gegen die vielen Armen, von denen er heimgesucht wurde, und die er sein» ..Kunden" nannte. Unter den Günstlingen befand sich eine Madam Nilssan, die so groß und dick war, daß sie kaum Platz im Fahrstuhl hatte. Sie stellt« sich eines Tages«in, als wir noch nicht wußten, daß sie zu den besonders Begünstigten gehört«. Da Strindberg gerade ruhte, baten wir sie, etwas später am Nachmittage wieder» zukommen. Als er hörte, daß sie dagewesen sei und ihn habe sprechen wollen, rief er aus:„Potztausend, ein« Kundin! Die dürfen Sie nicht ohne Hitse gehen lassen!" Dann steckte er fünf Kronen in einen Umschlag für die Alte. Weihnachten wurde immer ein« Reihe> Umschläge mit Geld an dies« Kunden verteilt. Unter ihnen befand sich ein origineller Mann, der Aldion hieß und behauptete, ein' Schulkamerad von Strindberg gewesen zu sein. Er soll früher i Strindberg geholfen haben und auch anderen Dichtern. An einige von diesen wurde er von Strindberg empfohlen, um Mannskripte> für die Bühne abzuschreiben. Man kann nicht sagen, daß Strindberg gab, ohne zu prüfen: und er glaubte sicher nicht all die Geschichten, die ihm ausgetischt wurden. Im Gegenteil gebot er uns, diesen Betrügern nicht zu glaiCbcu, die sich für seine Schulkameraden aus- gaben, um etwas Geld oder abgelegte Kleider zu erpressen. Ost konnte es auch geschehen, daß er Mina morgens in die Stadt schickte, um vornehmeren Kunden Geschenke zu bringen. Zuweilen gab er rücksichtslos seine Kleider fort. Einst konnte er seinen ollerseinsten Anzug nicht finden. Er schlug gewaltigen Lärm und sprach heslig« Beschuldia ungen aus. Natürlich war der Anzug gestohlen worden. Da kam Mina auf den Gedanken, er habe ihn vielleicht selbst mtt alten Sachen zusammengepackt, die sie ihn hatte fortgeben sehen. Sie erinnerte sich sogar, wer dieses Paket erhalten hatte. Man schickte zu dem Betreffenden. Der war sehr enttäuscht, als ihm der elegante Anzug wieder abgenommen wurde. Nach dieser Lektion zeigte sich der freigebige Echenke-r iehr verdutzt, hat ober keineswegs um Entlchuldigung: äußerte auch kein versöhnendes Wort über die Umstände, die er gemacht hatte."