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Nummer 14

Heimwelt

Unterhaltungsbeilage des

Schrecken.

Erzählung von Alfons Paquet .

,, Vielleicht wäre ich damals unter die Räder gekommen, wenn

*

5. April 1923

Vorwärts

die Straßen sehen mit ihren blinkenden Läden, den Elektrischen, den Wagen und Gäulen, wenn wir auch mitten in dieser großen leben­digen Lichterbewegung nichts als drei sehr bedenkliche Fußgänger

waren.

Das

Erst nach elf Uhr tamen wir an unserem Ziele an. Von dem mich ein heilsamer Schreck nicht zur Besinnung gebracht hätte. Zwei- Kasernengebäude stand nur ein Flüge! noch da mit seinen langen mal schlief ich im Asyl. Da man dort nach dem Namen nicht gefragt Reihen offener Fenster. Die Laternen waren ausgelöscht. In den wird, so ging ich ruhig hin, aber öfter als dreimal darf man nicht zerbrochenen Scheiben glizerte das Mondlicht geisterhaft. tommen. Mit zwei anderen Leuten war ich am zreiten dieser Hauptgebäude war schon niedergebrochen bis auf wenige Mauern. Abende unter den letzten gewesen, die man eingelassen hatte. Ueber Das Ganze, von schmalen, dunklen, unbelebten Gassen umgeben, lag unseren Drahtbettstellen standen die Nummern 691, 692, 693. da wie ein ungeheurer verwesender Koloß. Man hörte aber aus der Nähe das Geflingel und Rollen der Straßenbahnwagen. Der Kleine führte uns an einem Bretterzaun entíang bis zu einer Stelle, wo ein lockeres Stück Holz quer über einer schmalen Deffnung hing, gerade so, daß ein Menschenförper sich noch hindurch­minden fonnte. Hier versprachen wir einander, uns nicht zu ver­lassen, was auch fommen möge. Dann bückte sich der Kleine und verschwand. Ich folgte ihm, und der Rohlenmann froch hinterher. Wir befanden uns im Kasernenhof. Vor uns standen in Rich­tung wie vergessene Soldaten vier kleine Bäume. Im Untergeschoß der Kaserne stand ein Fenster offen. Der Kleine schwang sich hinauf und half uns nach; wir standen nun alle drei in dem öden Flur vor einer breiten Treppe mit eisernem Geländer. Rechts fanden wir der Ecke stand ein halb zerstörter Herd. Die andere Tür dieser Stube war geschlossen, und die Klinke fehlte. Unsere Tür wollte durchaus nicht ins Schloß; wir stemmten uns dagegen und schlugen endlich mit Steinen, die wir aus dem Herde lösten, den Riegel zu. Dann flemmten wir noch Holzstücke in das Schloß und streckten uns nebeneinander auf dem Boden aus, mit den Köpfen gegen die Tür. Wir drängten uns eng zusammen, die Nachtluft sant durch die offenen Fenster falt herein.

Der eine war ein kleiner Knirps, ein Tischlergeselle. Wir waren vor dem Einschlafen miteinander bekannt geworden. Er hatte uns, die wir mit den Gesichtern ihm zugewendet dalagen, zugeflüstert, daß er seinem Vater fortgelaufen sei. Vor ein paar Tagen sei er aus Werneuchen gekommen und seitdem in der Stadt umhergezogen. Bulegt mit einem alten Kerl, einem früheren Meggermeister. Uebrigens habe er vor, Schiffsjunge zu werden. Wir sollten doch morgen mit ihm nach Hamburg gehen. Darüber war er mit einem vergnügten Geficht eingeschlafen und hatte angefangen zu schnerchen. Der andere, im Bett Nummer 691, hatte mir erzählt, er sei früher Lederarbeiter gewesen und sei jegt Kohlenträger. Er stand bis obenhin voll Jammer. Er habe eine Stellung, aber er getraue sich nicht mehr hinzugehen, weil er mit einem Kollegen in Streit einen Raum offen, der früher eine Küche gewesen sein mochte; in geraten sei. Außerdem habe er seinen ganzen Lohn in der Kneipe gelassen, er könne feiner Wirtin das Schlafgeld nicht bezahlen. Ich gehe mit nach Hamburg ", sagte er. Gebt bloß auf mich acht, daß wir in feine Kneipe tommen. Alles, nur das nicht."

Ich hatte den beiden am Abend ein Beispiel geben können, das ihnen Eindruck machte. Beide hatten in ihren Schuhen schlafen wellen, denn es kam vor, daß einem hier in der Nacht die Schuhe gestohlen wurden. Ich aber hatte meine Schuhe ausgezogen und die beiden unteren Bettpfosten hineingesetzt. Das machten sie mir nach. Die anderen schienen bald zu schlafen. Nur ich lag wach in Aber ich wollte ja von den beiden anderen Leuten erzählen. einem unsäglichen Gefühl der Verlassenheit auf dem harten, von Um vier Uhr morgens riß uns eine überlaute elektrische Schelle aus Mörtel und Ziegelsteinsplittern bedeckten Boden. Die Leiber der dem Schlaf. Das hieß sofort aufstehen, sich waschen und das Haus beiden unbekannten Menschen schüßten mich rur wenig gegen die räumen. Wir fünfzig Mann im Saal erhoben uns faft gleichzeitig, Rälte; ich verfpürte plötzlich ein Bittern, ganz leise und nach innen mit uns alle die fiebenhundert in den vierzehn Sälen an den Seiten gehend, wie das Bittern, das dieses feste Gebäude ergriffen hatte, des Ganges . Wir falteten unsere Drelldecken zusammen und legten als langsam der Putz von den Wänden abfiel und die. Decken lautlos fie nach Borschrift ans Fußende des Lagers. Dann gingen wir zu sprangen, bis es nun, von den Menschen aufgegeben, in der dunklen den Waschbecken. Es schellte noch einmal durch das ganze Haus. Nacht sich selbst überlassen dastand. Der Mond und die Straßen­Das war das Zeichen, daß wir am Schalter der Küche anzutreten lichter warfen gespenstische Flecken an die Wand. Zuweilen rasselte hatten. Dort bekam jeder ein altbackenes Brötchen und einen Becher draußen eine Droschte vorüber. Unfern schnauften die Stadtbahn­mit heißer Kaffeebrühe, fünf Minuten später standen wir wieder züge; wenn sie in die gewölbte Halle einliefen, brach ein Donner an der frischen Luft: das Tor wurde sofort hinter uns geschlossen. aus. Ich sah cinen dieser Züge fahren, fern, auf einer unendlich Ich war wieder mit dem Kohlenmann zusammen. Der Kleine weiten grünen Ebene, und ihn plötzlich um einen Hügel biegen. Dort lief wie ein Hündchen bald hinter uns, bald vor uns her und über einen Fluß führte eine Brücke, dürr wie ein Sfelett und ohne schwenkte seine langen Arme mit den großen Händen. Wir ver- Geländer; auf ihr ging ein Mann mit Medaillen auf der Brust. Der spürten Hunger. Auf einmal war der Kleine verschwunden. Wir Bug fam rasch, der Mann auf dem Brückengleis, mit dem Strom beiden gingen langsamer, doch ohne uns nach ihm umzusehen. Nach tief unter dem Gestänge des Brückenbodens, begann erschreckt zu einer Weile war er wieder bei uns. Unter seiner Jade hielt er laufen, er rannte wie ein Beseffener. In dem Augenblick als die einen weißen, mit blauen und roten Sternchen zierlich gestickten Sack Maschine ihn fassen wollte, ließ er sich durch die Brücke hinunter­voll frischer warmer Brötchen. Wenn das einer fieht!" meinte der fallen. Er fiel tief unten auf den Sand am Ufer, und als er auf­Rohlenmann erschrocken. Aber der Kleine verteilte rasch die Portio- stand, griff er an feinen Kopf und taumelte und lachte hell und nen und schob das leere Säckchen durch einen Gartenzaun. Dann, glücklich über das Blut an seiner Hand. Nun verwandelte er sich während wir gemächlich fauend weitergingen, meinte er: Das muß in einen anderen Menschen, der dort im Asyl den Namen Natur­für eine größere Familie gewesen sein." doftor hatte, einen dicken Kerl mit Schmissen auf der Bade und Wir gingen quer durch die ganze Stadt bis zur Jungfernheide. einem Kneifer auf der Nase. Er trug in einem Futteral aus Pappe Draußen legten wir uns ins Gras; der Tau war schon geschwunden, ein dickes Buch über die Naturheilmethode unterm Arm, das er die Sonne machte warm. Gegen Mittag, als es anfing heiß zu nachts als Ropfkissen benutzte. Mit ihm erschien Reinhold, ein es war im August fegten wir uns an den Kanal und blasfer Narr, der den Leuten für Zigaretten das Hemd, die Weste betrachteten die Kähne, die vorüberzogen. Auch Angler saßen da, oder die Hosenträger abzulaufen pflegte. Er stand plötzlich neben und indem wir ihnen zusahen, verging die Zeit. mir und flüsterte mir ins Ohr, er habe gestern mit einem Kollegen pon einem Neubau ein bleiernes Rohr gestohlen, ein schweres Ding, die Schultern seien ihm noch rot und blau davon. Das hätten sie gemeinsam versteckt.

werden

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Als endlich die Schatten länger wurden, wurde es uns plöglich klar, daß wir eilen müßten, um zeitig ins Asyl zu kommen, denn es wurde schon um sechs geschlossen. Es war noch so schön hier draußen. Da machte der Kleine den Vorschlag, entweder im Freien zu übernachten, oder in die Stadt zu gehen. Die Kaserne am Alexanderplatz sei im Abbruch. Dort könnten wir Quartier beziehen. Er hatte schon einmal dort geschlafen.

Ich wachte auf, mich fror am Halse. Ich hatte meine Jade als Kissen unterm Kopf liegen, neben mir rechts und links lagen die beiden Leute und schliefen. So wagte ich nicht mich zu rühren und schlief mit diesem Frostgefühl wieder ein.

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Wir überlegten nicht lange. Wir konnten nicht mehr den ganzen Jemand ergriff plöglich meinen Arm. Ich sah den Kohlenmann Abend hier draußen bleiben und eine endlose falte Nacht. Der halb aufgerichtet neben mir fizen. Er sah starr über mich hinweg Kohlenmann fürchtete zwar, die Polizei werde uns in der Stadt und stotterte: Du, der Kleine der Andere ist weg." ausheben. Aber das sagte er erft, als wir schon unterwegs waren. Ich verstand ihn nicht gleich, doch erschrat ich sehr, als ich den Es war ziemlich weit bis zum Alexanderplatz . Doch wir wollten Kleinen nicht mehr bei uns jah. Die Türen waren noch geschlossen,