aber, das Fenster stand offen. Ich wollte aufstehen, aber in demfelben Augenbiif machte ein feltsames Geräusch uns erstarren. In der leeren Raserne, in dem Raum gerace über uns, gingen leichte, ganz langjame, schlürfende Schritte. Dazwischen vernahmen wir ein Hüfteln, einen so flagenden, hohlen, gebrechlichen Laut, daß wir wie versteinert lagen. Zuweilen hielt dieses Röcheln ein. Wir begriffen plöglich, warum cer Kleine geflohen war, ohne an uns zu denken. Er war zum Fenster hinaus. Bielleicht hatte man uns im Hause gehört. Oben ging eine Tür. Jetzt tasteten die Schritte die steinerne Treppe hinunter, fie tamen deutlich immer näher. Bor unserer Tür hielten sie an. Eine Hand tastete nach der Klinfe. Aber auch mir ergriffen die Klinke und hieiten sie fest und spürten daran den ohnmächtigen Druck der fremden Hand. Draußen winselte ein Mensch, aber mit der gangen Gewalt unserer Schultern stemmten wir uns gegen die Tür und hörten nach einer Ewigkeit den Mann sich wieder entfernen.
Dann fingen oben, gerade über uns, die leisen schlürfenden Schritte wieder an. Sie führten quer über die Decke, dann hielten sie ein, und wir vernahmen ein armfeliges hilflofes Jammern. Und nun stürzte der Kohlenmann ans Fenster, Schwang fich hinaus, fiel auf die Hände und rannte fort über den Hof. Ich sprang ihm einfach nach Vor dem Zaun draußen fanden wir uns wieder. Wir fahen an der nächsten Straßenecke die Droschfengäule mit eingelnidten Beinen fiehen. Im Schein der Laternen gingen einzelne Leute vorüber. Wir atmeten auf und fepten uns aufs Bflafter nieder, gerade neben dem Spalt im Zaun. Der Morgen graute. Wir wußten nicht, wohin wir gehen sollten, wir dachten an die Markthallen. Plöblich flieg neben uns ein Mensch aus dem Loch hervor und ging schwankend, als müsse er gleich umfallen, mit einer Hand ins Leere ausgestreckt, die andere vor der Brust, die Straße hinunter. Es war ein fleiner dürrer Greis. Unter feinem Schlapphut hing weißes langes Haar hervor. Nun saben wir ihn tehen bleiben und sich an eine Hauswand lehnen und dunn langfam wie ein Bündel Kleider zu Boden sinken.
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Denn der Mensch bedarf einer Erhebung über die alltägliche Wirklichkeit. Er wird sich nie völlig befriedigt fühlen allein durch die Erfahrung", d. h. durch die auch noch so vollständig bis in alle Einzelheiten erforschte Welt der Wissenschaft. Er wird sich immer aus der Liefe feines eigenen Innern noch eine andere, eine ideale Welt schaffen, die allerdings feine logisch oder naturwissenschaftlich benennbare Welt des Seienden sein wird, sondern eine von ihm selbst gedichtete" Welt der Werte. Es fommt nur darauf an, was man unter„ Dichten" versteht, und ob diese Werte haltbar sind. Eine solche Welt aber hat uns Friedrich Schiller gelehrt, wenn er uns aus dem engen, dumpfen Leben" fliehen heißt in des Ideales Reich", in tas Gedankenland der Idee, wo alle Arbeit ihre Ruhe, aller Kampf seinen Frieden, alle Not ihr Ende findet. Damit steht er dem ursprünglichen Christentum vielleicht näher als die Dogmatik der Aufklärung seiner Zeit, die zwar den Gottes- und Unsterblichkeitsbegriff festhielt, aber die Lehre von der Erlösung als ver nunftwiorig fahren ließ.
Freilich, diese Erlösung ist nicht die kirchliche, von außen an uns herangetragene, und durch das Blutopfer eines Gottes uns erkauft, fondern, wie bei Kant, eine Selbst erlösung des wahrhaft glaubenden" Menschen, der das Ueberirdische, Unaussprechliche,„ Göttliche" als sein wahres Wesen wieder erkennt und es deswegen„ in den eigenen Willen aufzunehmen" vermag. Gewiß, solche Augenblide reinster religiöfer Erhebung können bei der Natur unferer Seele nicht beständig andauern. Denoch wirfen fie, jo oft sie wiederfehren, befreiend und erläuternd auf das Gemüt. So hat unter anderen einer der edelsten Jünger und Dolmetscher unserer DichterPhilosophen, Friedrich Albert Lange ( 1828 bis 1875), feinen Schiller aufgefaßt. Und ebenso steht es mit der Kunst. Denn mer will, um ein Wort desselben Lange zu verlieren, die Neunte Sinfonie Beethovens oder die Lyrik Goethes widerlegen" oder Raffaels Madonna des Irrtums" griben?
Unser praktisches Hand ein aber stelle sich, damit Schillers„ Staat der Vernunft" einst heraufgeführt werde, unter das Banner jener ille und Herz erhebenden großen Idee, die, wie Lange fagt,„ den Egoismus hinwegfegt und menschliche Bollkommenheit in menja den persönlichen Vorteil ins Auge faßt". Auch das ist, wenngleich nicht mit den Worten des geschichtlichen Schiller, ja vielleitt nicht einmal genau in den Grenzen seines in der Hauptlache noch individualistisch befangenen politischen Sinnes, wohl aber in der Richtung feiner weltumspannenden Liebe Seid umschlungen, Millio. nen!", feines Glühens für die Idee der Menschheit gedacht, den wir uns nur auf die sozialen Berhältnisse der Gegenwart übertragen tenten, wenn wir für die Berwirklichung des wellumfpannenden Gedankens eintreten, den Schiller noch nicht gefannt hat: den des Sozialismus.
Ich beugte mich auf den Alten nieder und faßte ihn am Hermel und sagte:„ Hel" Aber er fah mich nur mit effenen Augen an, und Jein Arm fant von selber. Da ging ich langfam zwei Schritte feitlicher Genoffenschaft an die Stelle der raftlofen Arbeit jetzt, die allein märts und blieb stehen und jah mich nach ihm um. Er rührte sich nicht. Ich aing noch ein paar Schritte, fah mich nochmals um, aber er rührte sich nicht und faß wie lauschend. Da ging ich weiter und lief schließlich lo rasch ich fonnte, bis ich endlich weit von jener Stelle und ganz erschöpft vor einem Brunnen stand. Erst als mir das Waffer eiskalt über Kopf und Hände floß, tam ich zur Besinnung. Ich machte mich sofort auf den Weg nach Hamburg . Göttsche hieß bas Heuerbureau, Borfeßen 53. Eine Woche später fuhr ich die Elbe hinab auf See."
Schiller, der Idealist.
Bon Karl Borländer.
Schillers philosophische Gedankenwelt ist eigentlich unerschöpflich, denn ihr innerster Lebenstern, die Idee, fann ihrer Natur nach nie versiegen. Das empfinden wir immer wieder, so oft wir in seine philosophischen Aufsäte, in den Ideengehalt feiner Dramen und nicht zum mindesten auch in seine vortreffliche Gedankenlnrif uns verfenfen. Wir haben schon seine Resignation", seinen„ Rampf", feine Götter Griechenlands", feine Künstler" und vor allem die herrlichste und auch von ihm selbst am höchsten gestellte Schöpfung dieser Art:„ Das Ideal und das Leben" berührt. Ich erinnere des weiteren an das Goethe besonders wohlgefallende„ Die Ideale", die den schwärmerischen Idealismus des Jünglings zu dem scheinbar nüchternen, aber gehaltvolleren und bleibenderen des reifen Mannes vertiefen: dem Idealismus der rie ermattenden und reftios, obzwar mit fleinen Schritten vorwärtsdringenden Arbeit( Beschäftigung fagt Schiller) unt der Freundschaft, die wir uns erweitert denfen können zur Gesinnungsgemeinschaft überhaupt. Oder an den Spaziergang, der, von der Einzelpersönlichkeit ablenfend, in der anspruchslosen Form eines Spazierganges uns ein Bild des fulturgeschichtlichen Werdeganges der Menschheit entwirft und von der ersten Einfalt der Natur durch die Spannungen und den Streit des Kulturlebens uns zuleht in den Schoß der reinen Natur wieder zurückführt. Oder an feine in föstlicher Fülle vorhandene, ir: der Regel in die antife Form des Distichons gegoffene Spruchdichtung. Hervorgehoben feien nur:„ Die moralische Kraft"," Die Führer bes Lebens"; tie zum Politischen hinüberleitenden: Pflicht für jeben" und" An einen Weltverbefferer", sowie das fein psychologische furze Distichon über die Sprache". Und an das wort von der Philofophie", das uns zum Schlusse noch einmal so recht Schillers allem pebantischen Richtungs- und Schulwesen abgewandte philoJophische Art vor Augen zu führen geeignet ist:
Belche wohl bleibt von allen Philosophien? Ich weiß nicht. Aber die Philosophie, hoff' ich, soll ewig bestehn."
So wird denn auch der Dichter Schiller , solange deutsche Philosopie besteht, d. h. hoffentlich noch für lange Zeiten, als ihr zugehörig betrachtet werden. Und was für eine Philosophie mar, beffer ift bas? Das hat er uns in den letzten Zeilen feiner Borte des Wahnes" gesagt. Das Schöne, das Wahre und( wir dürfen in seinem Sinne hinzusetzen) auch das Göttliche oder Gute,
„ Es ist nicht draußen, da sucht es ter Tor, Es ist in dir, du bringst es ewig hervor!"
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Es ist mit anderen Worten die Philosophie des Idealismus von Platen bis Kant und Schiller und über sie hinaus bis zu uns, die „ ewig bestehen" wird und foll.
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( Britdenschläger zwischen ber flaffischen deutschen Philofophie( Rant) und dem Hassischen beutschen Sozialismus( arg) war Rarl Borländer wie fein zweiter berufen, auch die Philofophie unserer Riaffiter uns heute wieder nahe zu bringen. In dieser Schrift( bei 3. H. W. Die Nachf. in der Internationalen Bibliothek foeben erferienen), woraus wir ein Aapitel philofophische Weltanschauung Leffings, Serders, Schillers, Goethes entwickelt.) bieten, hat der Wiedererneuerer Rants in allgemeinverständlicher Form die
Der Fuchs bekehrt seine Jungen.
Eine Fabel von Mar Rolmsperger( München ). Der alte Fuchs hatte sich, von der Kugel eines Jägers schwer getroffen, mit Aufwand der letzten Kräfte in seine Höhle gerettet. Er war schon öfter verwundet worden von erzärnten Bauern und pirschenden Jägern, aber so schwer noch nie, und er wußte wohl, daß er nur noch wenige Tage zu leben hatte. Heute waren feine Schmerzen milder, und so schleppte er sich, von der warmen Sonne angelockt, durch den breiteren Haupteingang vor seine Höhle. Seine Jungen, die das Unglüd ihres Baters faum erkannten, begleiteten ihn. Luftig sprangen fie um ihn herum, balgten sich und fugelten, einander haschend, über den sonnigen Rafen. Waren auch Brachtterle, die jungen Füchslem!
Wie sie der sterbende Bater jo vor fich sah, überfam ihn plötzlich eine tiefe Reue und ein heißes Begehren, seine Kinder besser au wiffen als sich selbst.
Und er rief sie zusammen und sprach zu ihnen: Ich habe viel gesündigt. Ich habe auf allen Wegen geraubt, gemordet und geftohlen. Der Ruf unseres Geschlechts war von jeher fein guter, aber ich habe ihn noch vollends schlecht gemacht. Hühner und Hasen, Hunde und Menschen tönnen euch Greuliches erzählen. Oft, wenn ich in Gefahr war, habe ich Befferung gelobt, aber wenn die Gefahr glücklich bestanden war, trieb ich es ärger denn zuvor. Nun aber nach! Laßt das Rauben und Morden und nährt euch redlich!" Erhat mich der Jäger getroffen und ich muß sterben. Folgt mir nicht griffen hörten ihm seine Kinder zu.
Da hüpfte ahnungslos ein junger, feister Hafe vorüber, vom delikaten Klee heimkehrend. Den alten Fuchs riß es in die Höhe, fast wie in gefunden Tagen. Aber der Sprung gelang ihm nicht. Kraftlos fant er zurück. Die jungen Füchse regten sich nicht. Ruhig ließen sie den Hafen paffieren. So hab' ich es nicht gemeint, ihr Dummköpfe", röchelte der Bater.
Ein letzter Atemzug frümmte den Leib des Befehrers. Dann war der alte Fuchs tot.