Nummer 17
Heimwelt
26. April 1923
Unterhaltungsbeilage des Vorwärts
Durch einen überraschend geführten Schlag drangen wir in das Dorf Karatou( oder so ähnlich) ein. Es waren nur Frauen, Kinder und Greise daheim. Alle Krieger Lolobés( fo ungefähr nannten sich die Seidenaffen, aber beschwören kann ich es nicht) waren zufällig an diesem Abend auf die Jagd gegangen.
Dank der dichten Dämmerung und der Tatsache, daß einer der unseren in aller Stille einen Hanswurst mit einem Gesicht voll Runzeln gleich einem alten gewichsten Schuh niedergeschlagen hatte, der, nahe der Einfriedigung hockend, das Dorf zu bewachen glaubte, fonnten wir bis zu den Anfängen des Hauptplates herankriechen, ohne die Aufmerksamkeit auf uns zu lenken.
Hinter den Hütten verborgen, machten wir unsere Gewehre fertig und legten an, um aus unserer gedeckten Stellung alle diese nichtsahnenden Schatten niederzufnallen, die auf der Erde und den Steinen herumhodten oder hin und her gingen.
Gerade vor mir saßen auf einer Bank gegen eine Wand gelehnt zwei Neger, unbeweglich und stumm, einer ganz nahe beim anderen, und einer dem anderen ganz gleich, und ich fragte mich, was sie sich wohl alles nicht sagen mochten
Das Signall Von allen Seiten zugleich brach das Knallen unserer Gewehre los Es war schnell geschehen; alle diese schwarzen Schatten wurden in zwei Minuten zu den Vätern geschickt; man hätte fast glauben fönnen, die Erde hätte sie verschlungen oder sie seien fortgeflogen und hätten sich verflüchtigt wie Rauch.
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Gewiß, ich gestehe, das wir die paar überlebenden Neger und Negerinnen, die wie Ratten in ihren Hütten hockten und so unserem Gewehrfeuer entronnen waren, ein wenig unsanft hinüber beförderten. Diese Ausschweifungen, im Kriege ganz natürlich und menschlich, waren durch die Siegesfreude entschuldigt und dadurch, daß wir betrunken waren weil wir im Frauenhaus ein Fäßchen Zuckerbranntwein entdeckt hatten, das durch irgendeinen erbärmlichen englischen Händler den Lolobés verkauft worden war. Was mich anbelangt, so muß ich zu meiner Entlastung sagen, daß ich nur eine außerordentlich wirre Erinnerung an das habe, was vorging. Doch, trotzdem, eine Einzelheit: Die zwei Wilden, die mir gegenüber gesessen hatten, während ich mein Gewehr lud und von denen ich einen aufs Korn genommen hatte, die sah ich wieder: ich fiel fast über sie. Zu Füßen der Bank, auf der sie sich noch vor einem Augenblick so fomisch angeschwiegen hatten, bildeten sie einen einzigen Leichnam. Es waren ein fleiner Neger und eine fleine Negerin, eins ans andere geklammert und gekrampft wie zwei Hände.. Zwei Liebende! Die Sache ging mir wider meinen Willen nach in einem Maße, daß ich im Laufe dieses historischen Abends nicht umhin konnte, ein paarmal darüber zu scherzen.
Dann ift in meinem Gedächtnis alles durcheinander: die Orgie, unser Geschrei, unsere Tänze, unfere Grimassen und unsere Bewegungen und plößlich ein scharfer Schmerz im Schädel... Ich falle... Nichts mehr.
Erst sechs Wochen später kam ich wieder zur Besinnung, im Spital zu St. Louis : eines Morgens öffnete ich die Augen in einem weißlichen Raum, in dem es nach Jodoform roch.
Man berichtete mir nach und nach, in fleinen Dosen, was sich ereignet hatte: Unsere Kolonne hatte sich unflugerweise in dem eroberten Dorf verspätet und war auf dem Plage eingeschlafen. So hatten die Krieger Lolobés, als sie zurücfamen, alle die unseren, alle, bis auf den letzten Mann, getötet.
,, Und ich?" machte ich.
Man erklärte mir, daß ein Zufall mich gerettet habe: der Einsturz einer Hütte, deren Trümmer mich zu Boden geschlagen, aber auch verborgen hatten. Am folgenden Tag hatte das Gros der Expedition das Dorf wieder in Besitz genommen und dem Erdboden gleichgemacht, alle Lolobés getötet und mich an den Füßen unter den schüßenden Trümmern herausgezogen.
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Aber es tam noch schöner: der Gouverneur trat an mein Bett, um mir anzuzeigen, daß ich zum Ritter der Ehren| legion ernannt worden sei. Alle meine Kameraden tot, ich ausgezeichnet! In unaussprechlicher Aufregung und ungetrübter Glück. seligkeit schlief ich an jenem Tage ein.
Ich brauchte nicht lange um gesund zu werden: ich hatte solche Eile, mit dem Kreuz, das ich erworben hatte, in mein Dorf zurüdzukommen! Ich baute Luftschlösser, in denen ich mir vorstellte, was für Gefichter sie alle machen würden: Bater, Mutter, Nachbarn. Meine früheren Freunde, die arme Kerle geblieben waren, würden nicht wagen, mit mir zu sprechen: der Werkmeister der Fabrik würde mit mir Brüderschaft trinken. Wer weiß, ob nicht sogar das reiche Fräulein Mounier, trotz ihres Alters, einwilligen würde mich zu heiraten!
Der heiß ersehnte Tag tam heran: an einem Julimorgen landete ich in Billeneuve, das Bein nachschleppend, den Kopf hoch, mit meinem alten Mantel und meinem neuen Kreuz.
Welcher Empfang, meine Herren! Der Bahnhof war vollgestopft mit Musit, und es gab eine Reihe Ehrenjungfern, von den fleinen, die zum erstenmal kommuniziert, bis zu den großen, heiratsfähigen, mit Fahnen und Blumensträußen. Ein in einem zu engen Gehrod eingezwängter Mann, so rot wie eine Ruh, be grüßte mich mit einer Rede, als ich noch auf dem Trittbrett stand, und der Herr Graf von Wilvert, dem das Schloß gehört und der im Jagdkostüm war, lächelte mir zu. Die Leute pufften sich, stießen sich, einander zurufend:„ Da ist er!", so wie man schreit:„ Es lebe der König!" Und in der Menge blähten sich meine Eltern, in Sonntagsgewändern fast unkenntlich.
Man schleppte mich zum Frühstück ins Rathaus: vorher wur den Ansprachen gehalten und nachher. Bei alledem war nur die Rede von mir. Man nannte mich den glorreichen Ueberlebenden von Karakou", den Helden von Senegal ". Man erzählte mir meine Lat in zwanzig verschiedenen Fassungen, mit einer gewissen Art, plötzlich Dinge wie Frankreich und Zivilisation damit zu vermischen.
Schließlich fand ich mich allein in der Abenddämmerung, nahe den Fabriken.
Ich folgte dem Pfad, der rund um die Kirche führt, um heim. zugehen. Obwohl die Nacht hereinbrach, blinzelten meine Augen wie geblendet, und meine Füße waren schrecklich schwer. Ich hatte einen leeren und hohlen Kopf, und trotzdem quälte mich etwas
Da sah ich bei einer Begbiegung im Halbdunkel auf der Bank einer Hütte zwei Wesen nahe beieinander sitzen. Sie mußten sich bei der Hand halten, sie sprachen nicht; aber sie schienen sich diesem gegenseitigen Stillschweigen wie einer wichtigen Sache hinzugeben. Man sah im Abendnebel nichts weiter von ihnen, als daß sie menschliche Gestalten hatten und daß sie Besseres als Worte tauschten.
,, Ah!" machte ich und stand von neuem still.
Und sogleich sah ich, die Augen starr auf diesen dunkein Winkel des Dorfes gerichtet, ein anderes Dorf vor mir, das jetzt vernichtet, mit all' feinen Bewohnern vom Erdboden verschwunden war, vor allen Dingen aber mit diesen zwar fleinen schwarzen Geschöpfen, die zusammen vor mir gezudt hatten, und von denen ich nichts fannte als ihre Menschenform und ihr umschlingendes Schweigen... Und dieses schwarze Paar glich in der Vereinfachung der Nacht genau diesen beiden Schatten da.
Diese Schatten, diese Neger... Es war wirklich einfältig, Zusammenhänge zu sehen... Aber ich sah sie. Wenn man zuviel getrunken hat, wird man sozusagen unschuldigen und einfachen Geistes. Und ich mußte ordentlich betrunken sein, denn dieser spaßhafte Bergleich, der mich hätte lachen machen sollen, machte mich weinen; und ich griff nach meinem Kreuz, nahm es don der Brust und verbarg es schnell wie ein gestohlenes Gut in meiner Tasche. ( Aus der Novellensammlung Wir Anderen", M. BascherBerlag, Zürich .)
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