Nummer 31
Heimwelt
2. Aug. 1923
Unterhaltungsbeilage des Vorwärts
Der tolle Bomberg.*)
Bon Josef Windler.
Die Rußepidemie oder praktisches Christentum. In früherer Zeit zogen viele westfälische Bauernjungen als Böttler, das heißt Riepenterle, über die Grenze nach Holland oder Holstein. Man nannte sie Lödden, Zugvögel. Manche brachten es zu großen Kaufmannshäusern und sizzen jetzt däftig und breit zu Amsterdam auf der Kalwerstraat. Die Brenningmeier, die Boß, die Beeck und Kloppenburg sind solche ehemaligen Böttker.
Kamen diese Lödden in der Watanz nun heim zu ihren Familien, die meist auf den Dörfern wohnen blieben, so spielten sie den dicken Wilm, ritten und fischten, tranken, schwadronierten und schütteten die Gulden und Dubbeltes wie Flöhe aus dem Sack. Auch wußten sie mit Findigkeit sich um die Steuern zu drücken. Ergo waren sie nicht beliebt, wie schon der Holländer als feister Mynheer seit je vom Westfalen herzlich verachtet wurde. Der Holländer rächte sich und nannte den Deutschen „ Muff ". Ueber die Entstehung dieses Schimpfwortes sind sich beide Grenzvölker noch nicht einig geworden.
Nun wohnte ein Lödde als Nachbar des Barons, und jene Abneigung übertrug sich auf beide Teile. Schließlich haßten sie einander, daß der Lödde mit bramstigen Tagen die Haustür zuknallte, wenn der Baron nur fern vorüberritt, und dieser seinerseits schrie ihm aus dem Sattel durchs Fenster:" Du bajelig Sissemännten!", obwohl feiner von beiden den eigentlichen Grund dieses Jasses fannte.
Der Baron hatte schon durch einen Mittelsmann versucht, den Tödden einfach aufzukaufen, war aber abgeblitzt. Der Lödde erwarb vielmehr noch das Tannenwäldchen hinterm Garten dazu und umfriedete seine ganze Siedlung mit einem grünen Lattenzaun. Ja, er hatte die Dreiftigkeit, eine wallende, knatternde Fahne bei je weiliger höchst persönlicher Anwesenheit wie ein regierender Fürst hochzuziehen. Da er zu Amsterdam ein Ronfeflionsgeschäft betrieb, ließ der Baron zum Hohn nachts eine alte Hose an die Fahnenstange hängen.
Dafür strüppte dieser ihm gewilderte Hasenschwänze an die Schloßpforte.
Die Rinder, hintern Zaun verstedt, riefen:„ Cousin, Cousin!" benn so hießen die Zirtusnarren.
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Dachs ging auf eigene Faust los und band im Dunkeln der Frau des Lödden die Röcke überm Kopf zufammen daß sie fluddernd stundenlang irrlief und mitten im Dorf als Verrückte landete.
Der Tödde warf dem Baron eine faule Kaze durchs Fenster auf die Tafel. Niemand sah den jeweiligen Uebeltäter, und doch wußten beide Parteien, wer die Knoten in den Faden schlug.
Der Baron ließ ihm sämtliche Fensterscheiben schwarz streichen. Da fing der Lödde ihm die Gänse weg. Wer sollte es sonst sein? Es roch tagelang sehr lecker aus dessen Küche. Der Haß ward groß wie der Zuider See.
Nun fam Mission ins Dorf. Der Bater wetterte gegen Feindschaft und Haß und rief: Chriftus gab sogar Judas den Liebestuß!"
Sofort erhob sich der Baron vor der ganzen Gemeinde und füßte den Tödden.
Am folgenden Tag ging er offen in das Haus hinein. Der Tödde sprang verbiestert vom Sofa, als blieb ihm ein Kabeljau im Halse stecken. Lieber Bruder!" schon umarmte ihm Bomberg und füßte ihn gewaltig ab. Bei dieser Szene trat die Fraut ins Haus, und der Baron stürmte mit ausgebreiteten Armen auf fie los, die durch den Flur davon, er hinter ihr her: Schwester! Schwester!" und friegte sie im Garten ans Schlafittchen und schmagte sie ab.
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*) Einige Anekdoten aus dem Tollen Bomberg ", westfälischer Schelmenroman von Josef Winckler ( Deutsche Berlagsanstalt, Stuttgart ). Der tolle Baron von Bomberg lebte und wirfte in der zweiten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts als der westfälische Eulenspiegel; feine Streiche und Abenteuer sind noch heute in ganz Westdeutschland in aller Munde wahres Legendengut des Bolkes geworden. Winckler hat das umfangreiche Material ge= sammelt und zum erstenmal zu einem Lebensbilde abgerundet.
Abends brachte eine Musikkapelle ein Ständchen. Der Baron erschien in Gehrock und Zylinder und feierte vor den Versammelten die Liebe. Dann tüßte er das widerstandslose Ehepaar unter der Haustür. Wo Dachs den Mann oder die Frau sah, stürzte er zum Küffen herbei. Wo der Baron sie sah, stieg er vom Wagen und umarmte beide. Die Bauernburschen machten sich schon den Scherz und füßten das Dienstmädchen, so oft es sich mur blicken ließ. Bald stürzten die Dorfrangen über die flüchtenden Löddenfinder und füßten sie. Alle Schitane gegen den Mynheer entlud sich im Kuß. Ohnmächtig erlagen sie der allgemeinen Bützerei: Küsse, Küsse, Küsse!
Der Lödde verkaufte Haus und Hof und floh wieder ins Tulpen- und Käseland.
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Meine Herren: die Lerche!"
Wohl wenige wissen, woher die Redensart stammt:„ Meine Der Antisemit Stöcker gehörte zu den Herren: die Lerche!" deutschen Sieben, die den Juden nicht lieben, und hielt in Münster nach der großen Judendebatte in der Sigung des Preußischen Abge= ordnetenhauses vom 22. November 1880 eine Brandrede. Er fuhr die fossilsten Geschüße auf: die Juden bekämen heimlich Steine in die Särge, um nach dem Tode, falls sie Christen begegneten, fie bombardieren zu können. Wer einmal im Leben eine Jüdin gefüßt hätte, sei im Blute verdorben, denn das jüdische Gift dringe fofort durch die Boren ein! Schaddei heiße Teufel und sei des= halb der Gott Abrahams! Der Meineid würde von seiner Sippe bis heute als Religion gefordert, zu Ritualgebräuchen verpflichtet, die einen Christen schaudert, auszusprechen! Der internationale Mädchenhandel ist ihre Domäne! Verfippt über alle Länder, zehren fie den Völkern das Blut aus! Die Presse, die Kunst wird von ihnen beherrscht, die Wissenschaft ist schon halb erobert! Die Landwirtschaft feufst nach Befreiung von jüdischen Bichhändlern, die städtische Kaufmannschaft von ihrer unsauberen Konkurrenz! Man glaubt, die Juden zu fennen, weil man ihre Bärte gesehen," spottet Heine, aber man fennt sie nicht, sie sind ein wandelndes Geheimnis!" Und" der Redner hob die Fäuste schlafen wir denn alle noch? Wer besitzt die erste Stimme, die uns weckt?" Da erscholl die tiefe Grabesstimme Bombergs aus der hintersten Saalecke: Meine Herren: die Berche!"
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Als ungeladener Leidtragender.
Der Adel mied ihn mehr und mehr. Bei Taufen, silbernen Hochzeiten, schließlich sogar bei Begräbnissen überging man ihn wie reffend Feuer." Wir wollen auch ihre Scheinheiligkeit züchtigen!" sagte er zu Dachs.
Eine uralte Gräfin war gestorben, und der amtierende evan gelische Geistliche hielt die öffentliche Beileidsrede vor der schwarz. drapierten Gleichgültigkeit. Der einfältigen alten Schachtel, ohne nähere Verwandtschaft, gaben alle aus bloßer Konvention das Geleite; der ganze Hochadel umstand vor zuschauender Menge mit Aplomb und Trauermiene die Gruft.
Plötzlich schluchzte jemand tief auf. Man recte verwunderte Hälse. Der Pfarrer hub befriedigt die Stimme, und jeßt erkannten sie erst Bomberg, der ein Tuch vor die Augen führte. Je weiter die Galbadereien gingen, desto heftiger schluchzte er auf. Verwunde rung, Argwohn der Versammlung wandelte sich zu Effronterie, doch vermochte niemand dem Pfarrer einen Wink zu geben oder diesen brüstierenden Ausbruch des Schmerzes zu hindern. Der Pfarrer hingegen glaubte einen Verwandten oder Freund zu sehen und loftete wenigstens diesen einen Triumph in gesteigerter Suada aus. Aber sieh! schon begann ein zweiter voll Ergriffenheit, der. Baron fing den Taumelnden auf, denn in diesem Moment begann Dachs in gelben Stulpen und blauer Livree zu heulen, und der Baron tröstete ihn, heftig die von Zwiebeln tröpfelnden Augen ihm wischend. Doch Dachs war nicht mehr zu beruhigen:„ Ö Goit! O Gott! D Gott !"
Der Pfarrer zog jezt alle Register.
Die hohe Versammlung litt machtlos ihre offene Berfiflage. Es lag feine Handhabe vor, aus ihrer zum Bersten geschwollenen Erregung gegen zwei Leidtragende einzuschreiten, die nur den Worten des Pfarrers gemäß von Schmerz zerrissen dem unermeßlichen Jammer um die teure Verblichene sich hingeben."
Dann traten Dachs und der Baron ordnungsmäßig an die Gruft und warfen noch drei Schippen Eand herab.