Nummer 32 9. Kug. 1923 ir—-—- � Unterhaltungsbeilage öes Vorwärts Dalars Rache. Van Max Dauthrndeq Die Frau des Dakar stand an einer Straßenpumpe in«in«? der Eingeborenenstraßen von Bombay . Sie drehte den Hahn auf und hielt den Kopf ihres sechsjährigen Knaben darunter und wusch ihn mit den Händen. Es ist morgens fieben Uhr, und die Straße wimmelt von Indiern, die wie nackte Rudel Rotwild aneinander vorübereilen. Ziegenherden und Scharen von Truthühnern treiben neben zwei- räderigen hohen Lasttarren über das Pflaster. Indier sitzen am Trottoirrynd, lassen sich rasieren, die Ohren reinigen und den Leib massieren. Die Strahenfriseure, mit dem Toilettenwerkzeug im Gürtel, und bis auf Gürtel und Turban unbekleidet, hocken neben ihrer Kundschaft am Trottoirrand. Die Frau des Dalar hatte ihrem Knaben das schwarze Haar blank gestrichen, daß sein Kopf wie der Lackschuh eines Europäers glänzte. Sie öffnete jetzt ihr eigenes Haar und hielt ihren Kopf unter die Straßenpumpe; sie ließ den Wasserstrahl wie einen Glas- kolben aufschlagen, und das Wasser zerplatzte weit im Kreise. Ein Zebukalb, ein wilder Hund und ein paar Truthühner, die sich um die Pumpe tummelten, kanien herbei und schlürften die Wassertropfen auf. Die zwei indischen Arbeiter in Dalars offener Schneiderbude, welche Turbanbonder und Schleier auf englischen Nähmaschinen säumten, lachten über den spritzenden Wasserstrahl, und Oliman, der eine der Gehilfen, rief der Frau des Dalar den Brahmanenjpruch zu:„Ebda, nimm Dein Haupt in acht, daß es nicht zu Wasser wird unter der Quelle." Elida, die Frau des Dalar, ant- wartete ihm nicht. Sie schickte ober, als sie ihr schwarzes Haar auswrang, und sich ausrichtet«, mit. der Wimper zuckend, den Knaben zu dem, der ge- sprachen hatte. Oliman legte seine Hand eine Sekunde auf das frische schwarze Haar des Knaben, murmelte ein Gebet über ihn und ließ ihn wieder gehen. Dann beugte er sich demütig und scheu über seine Nähmaschine, tropfte Oel aus der Kanne in die Räder und nähte weiter. Niemand in der Straße dachte darüber nach, warum Oliman den Knaben jeden Morgen segnete. Aber Dalar, der Besitzer der Nähmaschinen, saß jetzt tagelang drüben beim Silberschmied an der Ecke und dachte nach. Er ließ seine Wasserpfeife oft ausgehen, zün- dete sie wieder an und dachte weiter. Dalar konnte quer über das Gewühl der Zebukarren und über das Gerenne des Basarvvlkes und heimlich über die Schulter feines Freundes, des Silberschmieds, hin- weg seinen Laden beobachten, seine Nähmaschinen, sein Weib an der Pumpe, den Knaben und Oliman. An diesem Morgen, als die Frau mit dem Kind ins Haus ge- gangen war, wischte sich Dalar mit der Handfläche den Schweiß von der Stirn, stand auf, schlüpfte mit den Füßen in seine Pantoffel, ging finster in Gedanken fort in das Straßengewühl. Im Geschäfts- getricb« bemerkte niemand bei dem Silberschmied, daß Dalar ver- schwand. Dalar ging, bis er in ein« Gaffe vor eine Zeltbude kam. Bor dem Zeltvorhang saß die rächende Göttin Kali, die Niel- armige, aus Holz geschnitzt. Drinnen im Zelte sind die rächenden Todesgöttcr der Indier aufgestellt, die bei Prozessionen an Fest« tagen durch die Straßen getragen werden. Bor dem Zelteingang neben der Göttin steht ein großer Blechkasten als Opferstock. Dalar warf«in Silberstück hinein und wünschte sich einen rächenden Ge- danken. Er starrte dabei sinster auf die hölzerne, schwarze Gestalt der Göttin Kali , die auf einem zitronengelben Tiger sitzt, welchem statt Menschcnblut rote Oelfarbe um das Maul gemalt ist. Die-vielen schwarzen Arme der Göttin schwingen vergiftete Dolche, vergiftete Säbel und vergiftete Speere; sie hält ein ganzes Arsenal blitzender Waffen in die Luft. Alles Stroßrnvolk geht grüßend an ihr vorüber, und aller Indier Augen blitzten für eine Sekunde beim Gruße, wie Raketen in der Nacht. Dalar verbeugte sich dreimal und klatschte in die Hände, um die Aufmerkjamkeit der schwarzen Göttin zu erwecken. Daß ihn sein Weib Elida mit Oliman betrogen hatte, wußte er jetzt, und er sah es deutlich an dem Kinde, welches Oliman täglich ähn- licher wurde. Heute hatte er endlich beschlossen, sich an Elida zu rächen. Dalar trat in die staubige Tempelbude, um sich«inen Tod für sein Weib auszusuchen. Lang« Reihen hölzerner, rot, gelb und grün gemalter Puppen standen drinnen unter dem grauen Zelttuch auf langen Tischen. Da waren Menschen an Marterxfähle gebunden, mit brennenden Pfeilen gespickt: englische Soldaten, welche vom wütenden Elefautengott zer- stampft wurden; die Göttin Kali in unzähligen Gestalten auf roten und schwarzen Tigern, Feuer und Pest darstellend; der blaue Affengvtt, der die Menschenr.vgen irrsinnig macht mit seinen Grimassen und Verrenkungen. Es wurden Menschen von der Rache- götttn zu Tode gepeitscht, der Tiger hielt Verzweifelte in seinen Tatzen und riß ihnen die Gedärme aus der Bauchhöhle. Der gelbe Tigergott hatte grüne Glaskugeln als Augen und echte, heilige, zor- nig« Tigerkrallen. Jede mögliche Folter und jeder schrecklichste Tod i hatte sein Bild hier. Um das vergossene Blut zu schildern, war an den plastischen Wgurengruppen nicht mit Scharlachfarbe, Purpur i und Rötel gespart. >. Dalar grübelte: Seine Augen liebtosten die rotgemalten Folter- quälen, als stünde er vor den Blumenbeeten in den Gärten des Poradiefesl Aber als er die langen Reihen zweimal auf und ab ge- gangen war und alle Todesfchmerzrn am eigenen Leibe nachgefühlt ! hatte, fand er unter allen grausamen Todcsarten keinen Tod grau» fam genug für fein Weib. Nicht den roten Tod, das Feuer, das den Menschen zernagen konnte;' nicht den schwarzen Tod, die Pest, mit ihren schwarzen Beulen; nicht den blauen Tod, den Wahnsinn, mit seinen verrenkten Grimassen; nicht den gelben Tod, den Tigerhunger, mit den eigenen Därmen im Maule; den Tod, den Dalar für Elida suchte, fand er nicht unter den dreihundcrtsechzig Todesarten. Wie von der Götttn gekränkt, wollte Dalar schon die graue i Tempelbude verlassen. Da— unter dem Zeltausgang blieb sein ! Turban an einem rostigen Nagel der Zeltstangen hängen, das Turbantuch schlitzt« auf, und Dolors ganzer' Gewvorrat, den er, wie alle ärmeren Orientalen, stets in den Turban' gewickelt trug, rollt« in hundert Silbermünzen über Schultern, Rücken und Brust a, ihm herab, auf die Erde, der vielarmigen Göttin Kali zu Füßen. Dalar sah und horchte erstaunt auf die klingenden Münzen, als hörte er jedes Silberstück sprechen. Erleuchtet von einem plötzlichen Gedanken, beugte er sich drei- mal tief und ehrfürchtig vor den: Götterbiw, oerließ dann das Zelt und ließ fein ganzes Gew hinter sich bei der rächenden Göttin liegen. „Die Göttin Kali hat gesprochen!" „Den grauen Tod, die Armut, wünscht dir die Göttin Kali , Elidal" Und Dalar nickt« ernst und zustimmend, dann verschwand er im Strahengewühl. Tief in der Nacht, als die grellem Tropensternbilder wie Stachel- zäune über den Häusern standen, schlich Dalar an seine Haustür und malte mit«in wenig Jndigofarbe einen blauen Kreis an den Tür- pfosten, zum Zeichen, daß einer im Haufe gestorben sei. Dann ging der Mann weiter durch die Nacht. Sein Weib würde am nächsten Morgen glauben, er wäre an der Türjchwelle umgefallen und von der englischen Nachtpatrouille als pestverdächtig in die Baracken fort- getragen worden. Der Offizier der Patrouille- hätte, dann das blau« Zeichen, wie gewöhnlich, lakonisch an die Tür gemalt. Dalae. wanderte unter den Ketten der schweren'Sterne durch die Nacht. Morgen war der Monatsanfang, an dem die beiden Näh- � Maschinen dem unerbittlichen englischen Fabrikanten bezahlt werden mußten; morgen war der Monatsansang, an dem die Hauspacht ent- richtet werden mutzt«. Die armseligen feigen Ladcngchilsen konnten Elida nichts nützen. Morgen mußt« Oliman sich eine andere Stelle suche», morgen mußte Elida mit ihrem Knaben betteln gehen. Dalar schritt unter dem Sleingewichte der Sterne durch die Nacht, und ihm war, als hätte er alle Arme der Göttin Kali am Leibe, so glücklich fühlte er sich ! Dalar wanderte in dieser Nacht, reich wie die Finsternis, als � Pilger zum Berge Abu, um ein Jain zu werden. Die Iains leben l dort am Berge nackt und sprechen dem Weibe jede Seele ab.
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