Mit meinem Schweizer Freund hatte ich verabredet, den Sonntag zu einem Kreuz- und Quermarsch durch die nordwestlichen Biertel der Riesenstadt zu benutzen. Es mußte doch zum Teufel in der Hauptstadt Argentiniens noch mehr und Interessanteres geben als das, was sich dem Fremdli sofort aufdrängt, als den Gegensatz zwischen raffiniertem Lugus im Zentrum und den er. bärmlichen Blech- und Holzbuden der Arbeiterquartiere.
Bis zur Avenida Santa Fé brachte uns die Straßenbahn. An einer Kaserne vorbei, in deren Borgarten üppiges Unkraut über umgestürzte Lichtkandelaber wuchert, gingen wir die große Straße, die nach Belgrano führt. Ein Maueranschlag interessiert uns: Para beneficio de la biblioteca Augusto Bebel..." Eine fozialistische Veranstaltung, die Mittel für den Ausbau des lite rarischen Kulturwerts bringen foll, das den Namen unseres großen Bebel trägt. Hatte uns unser Hauswirt frühmorgens gesagt, man lähe uns die Deutschen auf eine Meile Entfernung an, so find wir
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Pampa, die Cordilleren und den Urwaldchaco. Meisterhände haben dieses herrliche Wert geschaffen, das hoch oben die Göttin mit der Phrygischen Müze frönt.
Ueberquert man die Avenida, so steht man vor den Pforten bes 3oologischen Gartens. Wir opfern zehn Centavos und treten ein. Zwar finden wir wenig von der Bielgestaltigkeit der Tierwelt, die vor dem verbrecherischen Krieg in deutschen Tiere parts zu finden war. Aber um so intereffanter ist die peinlich genaue und vollzählige Sammlung der südamerikanischen Fauna, Die Sonne finkt eben bedenklich, und wir eilen, eine Straßenbahn zur Heimfahrt zu erwischen. Um das Garibaldi- Denkmal auf dem Plaza d'Italia herrscht ein Fahrzeug- und Fußgängergewühl, gegen das der Potsdamer Platz ein Buen Retira" ist. In einundeinhalb Stunden werden wir unſfer Quartier in Sicht haben. Zeit wird's, Fleischnot noch die Fleischpreise unseres lieben Heimatlandes. denn der Magen rumort. Zum Glück fennt Argentinien weder die Karl Berg .
nun boch ſtolz darauf, als deutſche Sozialisten in Südamerika ben Wie Hugo Wolf den„ Corregidor" Schuf.
Namen unseres alten Kämpfers zu lesen und wir empfinden den Maueranschlag wie einen Gruß.
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( Aus neuen Briefen.)
Zu unserer Linken erheben sich auf anscheinend fünstlich er. höhtem Gelände eine Reihe militärischer Institute. Alle find feines- Hugo Wolf , der geniale Komponist, hat auf seinem in hastigem wegs alt, aber ihre an alte spanische Zitadellen erinnernde Bauweise Schaffen durchstürmten, in tragischer Umnachtung endenden Lebens und mehr noch ihr aus echt südamerikanischem Schlendrian refulties wege wenigstens das Glück gehabt, treue Freunde und Verehrer render Berfall gibt ihnen ein fast mittelalterliches Aussehen. Häuser zu finden. Einer der innigsten und hingebendsten dieser Freunde und Gärten tragen den gleichen Charakter. Es fehlt an Erdboden war Dr. Heinrich Potpeschnigg, ein Grazer Zahnarzt, der in Buenos Aires . Drum sehen wir lints und rechts am Wege zugleich ein leidenschaftlicher Liebhaber der Musit war. Potpescha Schilder, die da ankündigen, daß man ,, Erde annehme". Das heißt nigg fezte sich früh für die Liederkunst des jungen Wieners ein und auf gut Deutsch : Hier tann Schutt und Asche abgeladen werden. tam dadurch in eine Beziehung zu ihm, die in den letzten Jahren von Die Folge diefer freundlichen Einladung ist, daß Bauplätze und Wolfs Leben immer inniger wurde. Die Zeugnisse dieser seltenen Hühnerhöse dicht neben marmor- und meffingglizernden Billen- Freundschaft, Wolfs Briefe an Botpeschnigg, werden jetzt von Hans besät sind mit unmöglichem Gemisch von Balmftrünten, Alteisen Nonveiller bei der Union , Deutsche Berlagsanstalt, in Stuttgart teilen und verfaulenden Pferdebeinen. herausgegeben.
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Man brennt hier fein Holz; niemand bückt sich um ein altes Hufeisen, denn es gibt feine Schmelzöfen hierzulande, und die Pferde sind so billig, daß man nicht mehr dafür zahlen muß, als für ein Paar guter Stiefel. Krepiert irgendwo irgendein Gaul, fo nimmt der Reiter Sattel und Zaumzeug mit und überläßt den Kadaver samt dem Fell den kleinen und großen Leichenbestattern
der Tierwelt.
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In einer Parfoase rasten wir einige Minuten. Hier wie übrigens an jeder möglichen und unmöglichen Stelle finden fich einige„ Denkmäler". Sie sind von der üblichen Geschmacklofig teit. Die Bäume des Parks find zum größten Teil Palmen, zum fleineren immergrüne Eichen oder Conifèren.
Die liebenswerte, bei aller nervöfen Unraft geistreich- herzliche Persönlichkeit des Komponisten tritt uns aus diesen Schreiben lea bendig entgegen, mag er feine literarische Urteile abgeben oder von feiner durch Wanzen arg geminderten Freude an der neuen Boha nung oder von seinen Versuchen im Radfahren plaudern. Am ause führlichsten aber wird die Entstehung von Wolfs wundervoller Oper, bem Corregidor", behandelt, denn Botpeschnigg war bei dieses Arbeit des Meisters rechte Hand. Er verfolgte das Schaffen Wolfs mit leidenschaftlicher Anteilnahme. Eine Niederschrift nach der ana deren wird, taum erst vollendet, eiligst nach Graz geschickt," schreibt der Herausgeber, und Wolf kann es gar nicht erwarten, bis das Urteil des Freundes eintrifft, das ihm maßgebend und bedeutungsa Eine Bahnlinie überquerend tommen wir in ein typisches Arvell wie nicht leicht eines der anderen Menschen geworden ist. beiterviertel. Unglaubliche Straßen", baufällige Häuser Ueberdies weiß er auch, daß der Freund jedes seiner neuen Werke oder solche, die eben erst aus dem Blech alter Petroleumbüchsen zuvor Freude und Begeisterung abschreibt und abschreiben läßt und fammengenagelt find. Regelrechte Pfahlbauten" trifft man. Hieran, es von nun an nicht mehr als einzige Niederschrift in der Welt wie an der Schlammfrufte, die die spärlich vorhandenen Gehwege herumflattert, sondern in einer oder sogar zwei Abschriften lebt, bedeckt, sehen wir: wir sind in einer Gegend, die der Rio periodisch die gut aufgehoben und im Gebrauchsfall immer zu finden sind. mit Hochwasser beglückt. In einer primitiven Fonda nehmen wir Der Freund beschäftigte sogar für Wolf einen und mehrere vortreffe unser Essen ein. Mit gutem Rotwein tostet die Sache für jeden von liche Abschreiber. Bei der Schöpfung des Corregidor" schickt Wolf uns 70 Centavos, also noch heinen Stundenlohn. die einzelnen Teile nach Graz und schreibt oft täglich zwei, brel Rarten mit Bitten um Aenderungen und Verbesserungen nachträglich entdeckter Fehler, die die Kopisten ausmerzen sollen.
auch er
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Als wir auf die Straße treten, fehen wir an jeder Straßenede eifrig diskutierende Gruppen. Aber sie treiben beileibe keine Politit. Sie haben das Rennprogramm vor sich und schließen Wetten ab. Diese Seuche ist hier gerade in Arbeiterkreisen fchlimm verbreitet. Ein berittener Bigilante". passiert die Gruppen. Rein Gedanke daran, daß er dem verbotenen Wettbetrieb zu Leibe geht. Er läßt sich vielmehr ein Programm zureichen. Wer weiß, vielleicht Wir legen einen Schritt zu und sind bald auf der breiten Straße, die am Rio entlang läuft. Sie grenzt an einer Seite an das große Golffeld und ist ganz unargentinisch dauerhaft aus Asphalt gebaut. Links und rechts flankieren Eukalyptushaine die Straße. Rechts vor uns erhebt sich eine riesige Wasserfläranlage. Weiter voraus wird die Gegend„ romantisch". Grasbestandene Hügel tauchen auf, und wir gewinnen den Blick auf den gewaltigen Rio de la Plata , dessen argentinisches Ufer hier mit einer fast chinesischen Mauer geschüßt ist.
Elegante Automobile halten an den Hügeln. Freilich, für deutsche Augen will dieser Fleck Natur recht armselig erscheinen, denn selbst die Eukalyptusriesen vermögen nicht ein einziges Bild zu schaffen, das der schlichtesten märkischen Idylle gleichfäme. Hinter großen Rugelfanghügeln eines Schießplazes hervor bringt wahnwißiges Getnalle in die Sonntagsstille. Wir umgehen das Terrain, sehen beim Umschauen gerabe noch, wie ein Rio Fischer seinem Handwerk im flachen Wasser zu Pferde ,, nachgeht". Wir kommen am Eingangstor zum Schießplaß vorüber, das von der von uns belächelten Inschrift geziert wird: Hier lernt man, sein Vaterland verteidigen!" dann schreiten wir der Avenida Sarmiento zu. Ein mächtiges Monument aus weißem Marmor zieht unsere Aufmerksamkeit an. Ich habe so manches wirkliche Runstwert und so manche steinerne Scheußlichkeit gesehen; bies Monument hat mich begeistert. Ein Geschent Spaniens zur Zentenarfeier der argentinischen Republik( früher spanische Kolonie!) vermeidet es jeden Anflang an triegerische Reminiszenzen. Gemaltig im Ausmaß zeigt das weißschimmernde Wert nichts als die Berherrlichung der Arbeit. Alle Völker schicken ihre eine neue Heimat suchenden Söhne und Töchter in die Arme der großen
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Wolf vollbrachte die schwierige Inftrumentierung dieses Werkes im Sommer 1896, wo er als Gaft auf Schloß Mazen in Tirol weilte, Potpeschnigg wohnte im nahegelegenen Birlegg mit feiner Familie Wolf bewohnte das tief im Park versteckte einsame Jägerhäusle", erzählt Botpeschnigg. Die Bauernstube, in der er fast den ganzen lieben langen Tag über seinen Noten saß, war sehr nieder und hatte hereinließen. Aber wenn die Sonne schien, schenften sie dem emfig nur drei ganz winzige Fensterchen, die wenig von der Außenwelt Arbeitenden dennoch Licht genug für seine zierlichen Zeichen. Diesen Sommer regnete es aber nun schon an die drei Wochen hindurch Tag und Nacht. Alles triefte vor Nässe. Am Jägerhäusl herum dampften förmlich die geduldigen Bäume, und dunkle Nebel schoben fich dichtgedrängt wie Kulissen nahe an den fieinen Fenstern vorbet, So eingesponnen, umstellt und abgesperrt, hielt Wolf trotzdem une unterbrochen bei seiner Arbeit aus. Erlahmten aber einmal doch feine Hände, oder erbindeten seine Augen, dann sprang er auf und stürmte, unter dem eilig übergeworfenen Lodenmantel geborgen, bie schmalen Jägersteige des Parts hinab nach Briglegg. Er wußte, er fand meine Familie und mich ständig gerüstet, mit ihm einen feiner bekannten Renner" zu wagen."
In den Briefen verfolgen wir das mühevolle Ringen des Koma ponisten mit der Bewältigung des schwierigen Stoffes. Manchmal wollte er fast erlahmen. So schreibt er am 15. Oftober 1895 an den Freund:" Deine Bemerkung von dem gedeckten Tisch" und der Mühe, die dieses Tischdecken verursacht, war mir wie aus de Seele gesprochen. Tausendmal schon sagte ich mir, wenn ich off verzweifelte, über eine schwierige Stelle hinwegzutommen: für wen schiudest Du Dich denn eigentlich? Wozu diese schändliche Bladerei, diese Seelenangst, es möchte nicht gelingen, diese schlaflosen Nächte, wirren Träume und diese verfluchte Hezze, in die ich mich selber hineinhusse? Wahn! Wahn! Ueberall Wahn! Ja, da steckts. Dieses alte tolle Wahn hat mich doch einmal drangefriegt. Db ich ihn auch werde bemeistern" fönnen? Denn das ist der einzige Ausweg, diesen alten Satan loszuwerden.!