Nummer 43Ak � 1. November 1923Heimweh_.___Unterhaltungsbeilage öes Vorwärts-Sei einem öeutstben �lrbeiteröichter.Aus dem Tagebuch:.Als ZNärchenerzählerin durch Deutschland'.Von Lisa Tetzner.Ich wollte ihn schon lange einmal wiedersehen, um zu spüren,wie es diesem guten Menschen geht, und wie er und seine Frau mitihrem Leben fertig werden.Spät abends am Ziel angekommen, pilgerte ich zu Fuß nachdem 5>aus, in dem der Dichter wohnt. Es liegt an einem Bahndammim westlichen Industriegebiet. Das Haus selber sieht seltsam wohl-habend aus, und während ich die Stufen hinaufgehe und denKlingelzug ziehe, habe ich das Empfinden, zu einem gutsituierten,wohlhabenden Bürger zu kommen., Beide sind setzt glücklich wie Kinder am Weihnachtsabend. Sieuntersuchen einsehend die Pakete, die Knaben klettom auf Stuhl! und Tisch, um besser sehen zu können.Ich gehe mit Heiner die Treppe hinauf. Links liegen zwei� Räume, die unbewohnt und kaum berührt sind. Es ist ein gutbürgerliches Eßzimmer und ein„Salon". Die kleine Frau stammtaus Industriekreisen. Als sie den armen unbekannten Arbeiter-dichter heiratete, überwarf sie sich mit ihren Eltern. Die Ehe wurdedann gegen den Willen der Eltern geschlossen, und sie bekam das zuihrer Ausstattung als pflichtschuldigste Mitgift.I Ich muß lächeln. Nach wie vor meidet er fast feindlich diese> Räume. In seinem Arbeitszimmer ist es, seit ich es nicht mehr be«' trat, noch leerer geworden. Ich sehe mich suchend um.Hah," lacht er auf,„da staunst du, ja, es hat manches Stück-> � Ä rJlber»Uf- rf M Hemdsmmel ohne Kragen, daran glauben müssen. Aber weißt du. Lisalinka. er legt seine beidensein« Weste steht Halb o fen. Es sit die nur wohlbekannte kleme. �e ernst auf meine Schultern und tritt vor mich hin„wenn ichgeduckte und magere Gestalt, m.t dem blassen Gesicht, aus dem dl«> bem'<. ,,nhzwei guten, ehrlichen Augen lebhaft herausleuchten. Das Haar fälltbei seinen raschen Bewegungen immer wieder in die Stirn zurück.Er erkennt mich nicht gleich in der draußen herrschenden Dunkelheit.„Mädchen mit Rucksack, einsames Weibsbild in der Nacht?"murmelt er fragend. Als ich näher trete, bricht seine Freude durch:„Lisalinka, Mädchen, Mütterchen, Täubchen, wer anders als du!Frau, Herz meiniges, die Sonne geht auf, komm, wir haben Besuch!"Seine Freude ist unbeschreiblich.Aus der erleuchteten Küche tritt die junge Frau. Sie hat nochganz die holdselige Schlichtheit, die ich als Mädchen an ihr kannte.Ihre Gestalt ist kindlich und unbeholfen wie ehedem. Nur blaß istsie, und die Kleider sehen abgetragen aus. Mit ausgebreitetenArmen kommt sie mir entgegen. Hinter ihr fängt ein dreistimmigesKindergeschrei an. Die Küche, in die wir setzt kommen, sieht unge-wöhnlich aus. Ich weih nicht, wo ich treten und stehen soll. Zweider Knaben balgen sich um eine Zwiebel, ein ganzer Korb dieserPflanzen scheint umgeschüttet zu sein und sein Inhalt auf den Bodenzerstreut. Vorm Kllchenschrank sitzt das Jüngste und ist damit be-schäftigt, Töpfe, Tiegel und anderes Gerät mit großem Geschrei indie Stube zu schleudern. Auf dem Tisch neben dem Ofen liegenzwischen Kartoffeln, Brot und Strümpfen dick« Stöße beschriebenerBlätter, und ein riesiges Tintenfaß steht inmitten.„Jünkcn, Männekenl" ruft Frau Eva und klatschte lachend indie Hände,„Heiner, sieh doch nur, was Iünken macht!" Der Kleinejauchzt vor Vergnügen.„Laß Ihn, laß ihn," sagt dieser. Er hat die Hände in den Hosen-taschen und steht stolz und breitbeinig vor seinem Jüngsten.„Immerraus damit, jawohl, du bringst es weiter wie Ich.— Siehst du, Lisalinka, das ist der jüngst« Anarchist und Syndikalist. Ich bin noch sodumm, für die bürgerliche Gesellschaft zu arbeiten wie ein Vieh.!Das wird ein anderer Kerl, der zerschlägt beizeiten alles, sogar iseines Vaters Hausrat." Er hebt dm schreienden Knaben hoch undküßt ihn heftig.Ich bin endlich auf einen Stuhl gekommen und kann atmen.„Ja, Lisalinka, da erschrickst du, was? Ich habe drei wildeRangen, ich selber bin ein Rabenvater und krähe dazu. Und ich binder Schrecken aller guten Bürger, aller Verleger und Polizisten.Aber weißt du, Mädchen," er reckt sein« Arme hoch und versuchtmich zu umfassen, nun du da bist, wollen wir uns oben ein warmesFeuer anstecken, ein Bett für dich habm wir auch und Brot undKartoffeln auch, oder— Frau?" Er schweigt betroffen.Frau Eva ist jetzt hausfraulich besorgt. Die Essenfrage ist ihrschwer aufs Herz gefallen. Ich kenne ihre Nöte und drücke ihr einigePaket« aus dem Rucksack in die Hand.Sie küßt mich stürmisch auf die Stirn, Mund und Augen.„Ohdu bist gut, ja," sagt st«�„nun ist ja alles gut geworden."Er wiroelt mit einem der Knaben durch die Küche:„Siehst du,Mädchen, nun sollst du auch wissen, daß wir heute merkten, daß wirnur noch Kartoffeln und Brot essen tönntm, bis wieder Geld kommt,wenn, Hab ich gesagt, wenn kein Wunder vorher geschieht. Nun sageiner an, ob das Wunder nicht geschieht?"von dem Erlös einen Monat schreiben kann und meinen Romandazu beenden werde, dann ruhig fort mit dem unnützen Zeug. Wozuauch? Haben wir nicht genug darin? Stuhl und Tisch, sogarSchreibtisch und Ruhebett, der Bücherschrank kommt nächstens dran,alle Bücher müssen auf ein Bord. Das ist nicht schade, denn dassage ich dir: Wenn es nötig ist und sein muß, dann gebe ich auchnoch den Schreibtisch her."Sein« Augen leuchten fast fiebrig. Er stützt sich mit der Handauf den schweren Eichentisch.„Soll ich dann in die Schmiede gehen,schuften wie«in Vieh und am Abend zerschlagen, müde heimkehren?Was soll ich dann noch schreiben?" Er steht mit einer großen, hilf-losen Gebärde vor mir.„Wie denken sich das die Herren Verlsger?"Mit großen Schritten geht er im Zimmer herum.„Ach, sie soll derI Teufel holen und das ganze Abendland dazul Drangsalieren einen,schreien nach Manuskripten wie das Kind nach dem Zulp, posaunenuns in die Welt mit Reklametamtam, und der gute Bürger fällt reinauf den ganzen Schwindel, nimmt in den Arm die Bücher, liegt aufdem Sofa dabei und vergießt Tränen der Rührung darüber.„Was,"| sagen sie,„was, ein Arbeiter, ein Bergmann, ein Kesselschmied singt! solche Verse? Ach Gott, wie schön!— Ja, aber Geld fürs täglichei Brot.— Tut uns leid, wir haben an ihnen Desizi.. Weiß Gott,j Mädchen, du weißt das wohl, ich arbeite gern und ich stehe an� meinem Amboß und mache meinen Werktag und meinen Sonntag,! und ich verdien mein schönes Stück Geld und kann mit meinem1 Weibe in Frieden leben. Aber wenns hier oben hämmert und saustim Schädel und man fast betrunken ist davon..." Er bleibt vormir stehen und schüttelt sich wie im Fieber. Ach, zum Teufel damit,! jetzt will ich mich freuen, freuen sag ich, weil ein lieber Mensch zu> mir kam. Und weißt du was? Ich habe noch einen guten Schnopsim 5)aus, so einen richtigen Klaren, der spült vieles runter, den laßuns trinken heute abend, dann lese ich dir aus der Arbeit vor." Erhat schon allen Ernst abgestreift und lacht wie ein KindEs herrscht noch«in furchtbarer Tumult im Haus. Die Kindersind nicht zur Ruhe zu bringen Sie jagen treppauf treppab. FrauEva irrt hilflos klagend, dann wieder übermütig lachend zwischenihnen umher. Heiner sitzt mit angezogenen Beinen aus demSchreibtisch, dicke Stöße Manuskripte um ihn, den Klaren zur Seite:„Ist das nicht närrisch?" Er lauscht mit verzückten Augen»ach dentobenden Knaben.„Je chaotischer es um mich zugeht, um so mehrfreut mich das Leben."Endlich ist Ruhe im Haus. Die beiden Menschen sitzen auf demDiwan eng aneinander geschmiegt wie zärtliche Kinder. Heiner hatlang« vorgelesen, zwischen den Worten sprang er auf, weil ihn neueBilder packten. Jetzt hebt er seine Arme zum Himmel und ballt dieFäuste:„Und das sage ich dir. Das ganze Proletariat soll darinleben. Ich will es der Bourgeoisie mit all seiner Schönheit, seinerWonne und Lust und seiner ganzen Oual und Not zeigen, daß sieeinmal davon gepackt werden, und wenn mein Kadaver dabei zu-gründe geht und ich verhungern muß dadurch. Was schadet das?"„Heiner, liebster Mann!" Sein Weib streckt erschrocken dieArme nach ihm aus.„Du," sagt sie,„du, komm, rede doch nicht sol"