Tto Zichtes Wiege.tagDon Edgar Hahn«wol d.')Ein Nooembertag. Ein schneeloser, schneidend kalter NovemberBischosswerda stand starr und erfroren, der Kälte preisge-geben. Die Häuser drängten sich regungslos aneinander. Durch diekahlen Gassen schnitt der Wind.Die gebuckelten Hügel zogen als fahle Kulissen ringsumals blasse Schatten der sommerlichen Hugellandschast, die Stendhalentzückt«, als er im Gefolge Napoleons von Dresden her der Schlachtbei Bautzen entgegenzog.*Rundum lag die Landschaft in elner graubraunen, grauenßiarblosigkeit.Wir stiegen über den Butterberg, einen kleinen bewaldetenHügel nahe bei Bischosswerda.Durch mageres Stangenholz und Iungfichtenschläg« schlängeltsich«in Pfad hinab ins Ackerland. Auf Feldrainen geht man zwi-scheu gefrorenen Sturzäckern hin, an raschelnden Buschrändern ent-lang, kommt in einen dünnen Bauernwald und steht dann zwischenden Stämmen hindurch jenseits der Felder ein Dorf vor sich liegen:Rammenau.Klein, bedeutungslos liegt es im Novembergrau im Bogen um«inen großen, winterlich kahlen Teich.Es ist ein eigenartiger Eindruck: man kam durch dürftigenWald, über kahle Felder— und da liegt ein weltvergessenes Dorf,von grauen Nebeln umhaucht, von fernstehenden Hügeln von allerWelt abgeschieden, an einem kalten Teiche. Und aus diesem licht-losen Dorfe ging der Mann hervor, aus den Deutschland, auf denEuropa hörte— in diesem Rammenau wurde Johann GottliebFichte geboren.*Man schreitet auf das Dorf zu und weiß im voraus: natürlichlebt in dieser grauen Verlassenheit keine Erinnerung an den großenSohn— und man findet ein Dorf, schmuck, mit reinlichen, farbigenFachwerkhäusern, und mitten im Dorf zwischen einem Obstbaum undeiner Zypresse«in Fichte-Denkmal.Der mächtige Kopf, überlebensgroß, in dunkler Bronze, aufeinem steinernen Block über einer geschwungenen Steinbank, blicktauf die Stätte, an der einst das Elternhaus stand.Hinter dem dunklen Haupte schwebte die Sonn«, von ihm be-deckt, den Kopf umstrahlend— es war, als gmge noch von diesemBronzchaupt« aus«in Licht, ein Heller Schein in die Welt.*Wahrhaftig: Rammenau hat ein Fichte-Mufeum!Das Schloß liegt hinterm Dorfe, am End« einer hohen, fest-lichen Lindenallee. Ein schönes, weißes Schloß in ländlich heiteremBarock, umrahmt von einem Park mit kostbaren Konljeren, mitWeymuthskiefern und Douglastannen.In diesem Schlosse eutschied stch einst Fichtes Geschick. Freiherr' Ernst Haubold v. Militz, der Freund Getlerts, weilte damals als(gast des Grafen v. Hofsmannsezg im Rammenauer Schlosse. In-folge seiner verspäteten Ankunft versäumte er die Predigt des Pfar-rers Diendorf, die er gern hören wollte. Als er das Versäumnisbedauerte, sagte man ihm, halb im Scherz, daß«in Junge, derSohn eines Bandwirkers, im Dorfe sei, der das Talent habe, einegehörte Predigt wiederzugeben. Militz ließ den Knaben rufen, undder kleine Johann Gottlieb Fichte kam, im leinenen Kittel, mit einemBlumenstrauß und sprach dem Grafen und der Gesellschost, diesenund jene fast vergestcnd, die Predigt vor. Der Knabe sprach, von in-nerem Feuer durchleuchtet, vorn Zuströmen der Gedanken bervegt,bis ihn der Hausherr unterbrach, weil ihm die ernsten Gegenständeder Predigt wenig in die fröhliche Stimmung der Gefellschaft zupassen schienen. Vielleicht auch, weil es ihn seltsam beirrte, seineGäste von einem achtjährigen Gänsejungen derart bezwungen zusehen.Diese merkwürdige Stimde entschied über Fichtes Zukunft.Milch holt« den Sohn des armen Bandwebcrs auf fein OberaucrSchloß und ließ ihn die Meißner Stadtschule, später aber di«Fürstenfchule Pforta bei Naumburg besuchen.Des Vaters kühnster Traum war es gewesen, seinen Sohn der-einst als Pfarrer des Dorfes in der kleinen Kirche der ganzen Gc-n�inde den Segen sprechen zu hären. Davon träumte er, wennder siebenjährige Gnttlieb der Familie dos Abendgebet vorlas. Undum den Sohn für fernen Fleiß zu belohnen, brachte ihm der Nat«reinst aus Bischosswerda die Historie vom hüru«n«n Siegfried mit.Es war das erste Buch außer Bibel und Gesangbuch, dos demKnaben in die Hände kam. Und es erfüllte ihn so, daß er darüberim Lernen nachließ und deswegen bestraft wurde. Da entschloß ersich, das geltebte Buch von sich zu tun. Er nahm es und warf esnach langem Kampfe und mit äußerster Selbstüberwindung in denDorsbach. Aber als es dahinschwamm, meinte er bitterlich. So fandIhn der Vater, der den Verlust des Buches als nichts anderes alsWir entnehmen diese Schilderung dem Buche Sächsisch«Landschaften von Edgar Hahncwald, der al? 3. Band der Hei-matbücherei im Verlage des Landesvereins Sächsischer Hcimatschutzin Dresden erschienen ist. Es enthält 27 verschieden abgestimmteSchilderungen sächsischer Städte, Landschaften und Menschen.eine Vernachlässigung sein«? Geschenke? ansah, und er bestrafte»mSohn mit ungewöhnlicher Härte. Später aber, als das vergessenwar, kaufte er ihm dn ähnliches Buch, um den Sohn zu erfreuen.Aber da wollte dieser es nicht annehmen, und um nicht neuen Ver-suchungen zu unterliegen, bat er, das Buch lieber feinen Geschwisternzu schenken.So stark regte sich In diesem still gearteten Knaben schon derspätere unbeugsam«, geradeaus denkend« Mann Fichte, at» derBoter noch davon träumte, dereinst der Boter eines Dorfpfarrerszu fein.Die Spuren des Elternhauses in Rammenau hat die Zeit ge>tilgt. Rur einig« ehrwürdige Reste bewahrt das klein« Heimat-mufeum.In einer Ecke liegen in verglasten Kästen die Fichte-Llndenken:Bilder feiner Eltern, Bilder und Briefe von ihm und von Zeitge-noffen,«ine Stammtafel seines Geschlechts, vom Postagenten mitunsäglicher Geduld geschrieben, Erstausgaben seiner Werke. Es sindklein« Dinge, aber man betrachtet sie, erfreut durch die pietätvoll«Liebe, di« das alles zusammentrug, der noch ein winziges Zetrelchenteuer war.Zwei Gegenstände dieser kleinen Sammlung betrachiet manmit stärkerer Bewegung: die hölzern« Wieg« und die bäuerliche Uhraus Fichtes Elternhaus. Uhr und Wiege— diese beiden Symbolemenschlichen Kommens, Daseins und Vergehens blieben erhalten.Die Wiege, di« Ficht«? erste, unbewußt« Atemzüge umschloß, undüber die sich seine Mutter neigte, ahnungslos, wessen Mutter siegeworden, und die Uhr, di« die Stunden seiner Kindheit abzählte.Unwillkürlich bringt man di« Wiege zum Schwingen und sieht sin»nend in dieses erste Gehäuse eines Menschen, aus dessen Stimm« eineNation hörte.*Als wir im winterabendlichen Dunkel, vom Nooembersturmrauh umbraust, unter den Sternen dahin, über wogende Feldhöhenund an nachtbleichen Gewässern vorüber nach Großharthau schritten, klang der gläsern« Glockenschlog der Uhr im Ohr« nach wie eineheile Mahnung, daß die Ideale, die Fichte in seinen Reden an diedeutsche Nation seinem Volte als Ziel setzte, in unseren Tagen er-neut und dringlicher denn je auf Erfüllung drängen: Bildung nichtals auswendig zu lernendes Wissen, sondern als Erziehung desganzen Menschen, und nicht als Sonderrecht einzelner Stände, son-dern als Angelegenheit der Gesamtheit des Volkes zu betreiben.vüchertischHessings Werke In acht Teilen. Unter Mitwirkung von GustaoKettner. Richard M. Meyer und Arnold Zehme, herausgegeben vonTheodor Matthias. 5)esse u. Becker, Leipzig, ö Bände. DerVerlag der Deutschen Klassikerbibliothek löst mit dieser Ausgabe eineEhrenschuld ein: seine alte Lejsing-Ausgab« genügte den Anforde-rungen nicht mehr, di« wir heute zu stellen berechtigt sind. Dasvon Theodor Matthias unter Mitwirkung von drei anderen Ge-lehrten herausgegebene Werk ist, um es kurz zu jagen, die Lessing-Ausgabe für weitere und weiteste Kreise. I» acht Teilen wird allesgeboten, was von Lessing lebendig geblieben ist. Reben den G«-dichten und den wunderbar prägnanten Fabeln finden wir dieJugenddramen und die fünf klassischen Werke„Miß Sara Sainpson",„Philotas",„Minna von Barnhelin",„Emilia Galotti" und„Nathander Weise". Die in den Schulen gelesenen kritischen Hauprschriften„Hamburgische Dramarturgie" und„ßaotoon" sind in mustergültigerForm vertreten: der„Laokoon" enthält als wertvollen Anhang diefür Lessings Schaffen bedeutsamen Entwürfe. Vollständig erhaltenwir auch die„Briefe, di« neueste Literatur betreffend", bekanntlich«ins der wichtigsten Zeugnisse für di« Literaturentwicklung im18. Jahrhundert. Die Horaz-Ähriften, eine glückliche Auswahl ausden Antiquarischen Briefen, die schone Abhandlung„Wie die Altenden Tod gebildet" und die lang« Reihe der theologischen und philo-sophischen Schriften vervollständigen das Bild des streitbaren Kri-titers und machtvollen Reformators. Mit Anerkennung ist schließ-lich der reichen Auswahl aus Lessings Briefen zu gedenken. DasLebensbild(aus der Feder des Herausgebers), die Einleitungenund die sorgfältigen Anmerkungen: alles steht auf der Höhe derheutigen Forschung und wird vielen erwünscht« Aufklärung geben.Der Text kann als mustergültig und vorbildlich bezeichnet werden.K. O.Bruno H. Bürgel,..Me«schen unteretnender" und„Zn,Karten Gottes".(Beide im Verleg Ullstein, Berlin.) Im erstenBuchs spricht der Berfasse.' von Menschen, wie sie sind, zu Men-scheu, wie sie sein sollten. In 16 gut geschriebenen Aussätzen zurLebensführung. Vieles, aber nicht alles können wir unterschreiben.An mehr als einer Stelle wendet Bürgel sich gegen die„Masse".Gerate er, der seine Biigraphie„Bom Arbeiter zum Astronomen"sehrieb, hätte das Problem vorsichtiger und tiefer fassen müssen.Und inzwischen dürfte Ihn auch die Haltung der„Masse" an Rheinund Ruhr im guten Sinn« stutzig gemacht haben. Ausgezeichnet istdagegen das zweite Buch, abgesehen vom Titel, denn der Verfasserführt uns„Im Garten Gottes" keine Gewächse, sondern abgeschlos«sene Bilder aus der Geschichte der Erdoberfläche, der Sonne undGestirne und einschlägigen Gebieten vor. Hier ist der Astronom,Physika und bewährte Beherrscher volkstümlicher Darstellung inseinem Element. Ein Buch auch für lernfreudige Arbeiter undVolksbü hereien! L. L.