Einzelbild herunterladen
 

Gott und Tier, stets darum weiß, daß sein Ich nur wahrhaft lebendig ift, wenn er sich löst von der Schwere des Gestern und der Haft nach bem Morgen, nur der lebt in Wahrheit seinen Gott.

" Ich? Was ist mein Ich, mein tiefstes, abgrundtiefes Ich?" fragte Herbert nach einem Schweigen. Seine Stimme ging flüfterno, eine stille Frage, die zag den Schleier heben will von den Geheim­nissen des Lebens,

In der Tiefe flimmerten die Lichter der Stadt, Sterne, die niedergefprüht waren ins Tal, Funten, die sich spiegelten im dunkeln Schweigen eines Abgrundes... o, es war schön, in dieses Schweigen eine Frage zu werfen wie einen Stein, der Kreise zog im Wasser, wundervolle Ringe um das Eine, das Bewegung und Kraft und Anstoß war und nun ruht irgendwo in der schwarzen Tiefe. Und die Göttin erhob sich leise, wie ein Flügelschlag eines großen feltfamen Bogels war das Rauschen ihres Kleides, und nahm seinen Ropf in ihre schmalen Hände und sprach: Ich bin Du..."

-

Die russischen Serapionsbrüder.

Bon Alfons Fedor Cohn.

E. T. A. Hoffmanns Einfluß auf die russische Literatur datiert nicht erst aus unseren Tagen. Schon zu den Zeiten Buschfins und Gogols brachten Zeitschriften Ueberfegungen seiner Erzählungen. P. W. Annentow schrieb bewundernd über diese mächtige Bersonifizierung der leblojen Natur". Herzen entwickelte in einem Esan seine Ansicht von der charakteristischen Mischung schwarzer Mystit" und lebendigem, scharfem und brennendem Humor". Gogol überwand den Einfluß des deutschen Romantiters, gegen den er intensiver als jeder andere ankämpfte, durch seine eigene Kunst, und der junge Dostojewsti, der in ihm ein ernstes Problem fah, entwuchs langsam dem Schatten, den er auf seinen Weg warf. Erst das Zeitalter des Realismus ließ ihn in Vergessenheit geraten und die allgemeine Umwälzung unserer Tage, die in so vielem an Hoffmanns eigene Werdezeit in der Napoleonischen Epoche erinnerte, fand wieder zu ihm zurüd.

Ein schwedischer Literaturkritiker Ad. Stender- Peter fen macht auf eine Gruppe von 9-10 jungen russischen Schrift ftellern aufmerksam, die Anfang 1921 in Petersburg eine besondere Htterarische Gruppe unter dem Namen Serapionsbrüder " bildeten: Menschen, deren Seelen von dem phantastischen Schatten des Todes, des Hungers und der Kälte gezüchtigt und gebeugt worden find; die Zeit der Not und des Blutes hat ihnen Seiten des mensch lichen Daseins gezeigt, von denen der Philister" niemals in feinen allerunwirklichsten Träumen geträumt hat, und während eine Welt in Nacht und Graus unterging, hat sich ihr Gesicht und ihr Gehör bis an die Grenze der Aufnahmefähigkeit schärfen müssen, um die Nüance im Chaos der Baute und Bilder aufzufassen.

"

11

Die russischen Serapionsbrüder" haben mit eigenen Augen das gesehen, was bei Hoffmann die Form einer literarischen Methode annahm, nämlich, daß die Grenze zwischen wirklich" und unwirklich" imaginär ist, und ebenso, wie die deutschen Romantifer im allge­meinen es liebten, mit ironischer" Konsequenz die Illusion" des dramatischen Geschehens zu zerbrechen, preßt auch Leonid Lung, Der von seinen Freunden Bruder Spaßvogel" genannt wird, ein Bruchstück aus der Wirklichkeit des Bürgerkrieges in eine, roman­tische" Komödie, die durch ihren Mangel an Kaufalität immer wieder an Gozzis Märchen" oder Tieds Gestiefelten Kater" erinnert. Lung ist von Fach Philologe, der nach Abschluß feiner Studien an der Petersburger Universität feine wissenschaftliche und literarische Ausbildung in Spanien fortsetzte. Dort begann er eine fatyrische Novelle Atten, Journal Nummer 3749", worin er mit scharfer Ironie die Dummheit, die Blindheit und das Durcheinander des neuen ruffi­schen Kommissariatlebens schildert. Aber seine eigentliche Begabung verweist ihn auf das Drama. Neben einer Tragödie vom Trouba bour Bertran de Born schrieb er eine Komödie, charakteristisch für feine ironische Lebensansicht und seine Abstammung von der deutschen Romantit: Die Affen fommen!" In einem Durcheinander der ver­Ichiedenartigsten Dekorationen, hier ein Schloßinneres, dort eine Bauernhütte, die durch einen vorzeitig aufgezogenen Borhang ficht­bar wird, treffen sich verschiedene einander völlig unbekannte Men­fchen: Bauern, Damen, Streichholzverkäufer usw., schließlich der " Theaternarr", der allein weiß, daß die Auftretenden Schauspieler sind und ein patriotisch revolutionäres Stüd aufführen follen, während die anderen weder wissen, was sie sind, noch was sie in der merkwürdigen Dekoration tun follen. Der Wirrwarr nimmt zu, in dem bas Theaterpublikum in die Handlung eingreift, burch eine düftere Begräbnisprozession, die auf ble Szene drängt, durch einen Zirkusclown, der plötzlich durch den Schornstein niederfällt und schließlich durch eine Patrouille von Rotgardisten, die aufmarschiert und die Anwesenden als Spefulanten und Konterbandisten zu vifitieren, fonfiszieren und arreftieren beginnt. Gleichzeitig hört man eine Stimme hinter der Szene, die denselben sinnlosen Say ruft: Der Feind tommt! Die Affen kommen!" Sie erflingt immer lauter, fommt immer näher und verbreitet Angst und Unruhe unter den Spielenden. Dieses Chaos erreicht endlich seinen Höhepunkt und feine Ende, als alle, Jogar die Berfouen aus bem Zuschauerraum, unter wechselnder Erregung und Efftafe Barritaben aus ben Suliffen zu bauen beginnen, um sich gegen ben seind zu verteidigen. Das Stück, das sicherlich unter dem Eindruck von Judenitichs Marsch gegen Petersburg geschrieben ist, vereinigt alle Mittel auf die Haupt

wirkung: die Zuschauermaffen zu enthusiasmieren und eine Art gegenstandslosen Pa hos zu schaffen. Das ganze liegt auf derselben ,, ironischen" Linie, wie das sogenannte Dritte Studio des Moss kauer Künstlerischen Theaters". Dieselbe romantische Ironie in der Novelle vertritt der Bruder Mundschent", Michail Leonidowitsch Sloninstij. Er ist still und janft und liebt Schokolade," sagt einer seiner Freunde, aber feine Erzählungen sind wahre Räubergeschichten." Er entnimmt feinen Stoff direkt dem phantastischen Leben, das ihn im Rußland der Revolution umgibt oder umgab, Geschichten aus der Zeit des Terrors und des Bürgerkrieges, und erzählt sie mit eisiger Ruhe, die sie doppelt unheimlich und unwirklich machen. In einer seiner Novellen( veröffentlicht im Petersburger Almanac 1922) nimmt er den Kannibalismus zum Stoff: man zwingt den Helden Fleisch zu essen. Das von einem geschlaerteten Menschen stammen soil. Mit großer technischer Birtuosität schildert Sloninskij alle Schrecken des Hungers und der Menschenfresserei, aber mit teuflischer Ironie wird die Frage in Komit verwandelt; denn das Fleisch, das der Held essen muß, erweist sich nachher als Hammeifleisch.

Der produktivste und vielleicht bedeutendste unter den Serapionsbrüdern" ist femollod Iwanow, der in noch stärkerem Grade als Sloninstij Naturalist ist, aber ohne Ironie. Er taucht plötzlich am literari, chen Horizont, am Himmel der sibirischen Nachrevolution auf. Sie erfüllt seine Novellen bis zum Rande, und mit Recht hat man ihn den graufamften unter den modernen Schrift. stellern genannt; denn er weicht feinen Schritt vor dem düsteren Spiel der Wirklichkeit zurück und wirft feinen mildernden und ver­föhnenden Schleier über den Kampf zwischen sterbendem Alten und blutigem: Neuen, das er mit eigenen Augen angesehen hat. Un wissende tierische Bauern, grausame und gleichzeitig gutmütige Sol­daten, Weiße und Rote, in Lumpen gefleidete Flüchtlinge, hungernde Männer und Weiber, Kirgifen und Tartaren sind seine Helden oder richtiger die Wesen, die ihn am meisten interessieren. Ohne ein Wort der Erklärung oder Entschuldigung schildert er in der Erzählung Das füße Kind", wie sibirische Rotgardisten, gewöhnliche Bauernjungen aus irgend einem Ort, die einen weißen Offizier und seine Frau getötet, aber ihre Kinder geschont haben, ein gefangenes Kirgifen­weib, das unlängst geboren hat, zwingen, das fremde füße Kind an Stelle feines eigenen zu stillen; wie sie entdecken, daß es heimlich seinem eigenen Jungen die Brust gibt. während des andere hungern muß; wie sie zur Strafe das eigene Kind in die Steppe werfen, wo es sterben muß, und wie sie an jedem Abend sich vor ihrem Zelt versammeln, um zu sehen, ob das unglückliche Weib das füße Kind" nährt, und um sich daran zu freuen, daß es ihm von Tag zu Lag besser geht.

"

Eine andere Novelle: das Gerücht ron der Revolution ist all­mählich in ein abgelegenes sibirisches Dorf in der Steppe als eine religiös gefärbte Legende gelangt, wonach die Bolschewisten Jeru falem eingenommen und einen gewissen Lenin an Christi Stelle gefeht, aber sein heiliges Grab vernagelt hätten, da fein Bedarf mehr dafür vorhanden sei". Da wäre die heilige Jungfrau und Mutter Gottes vorgetreten und hätte zu Lenin gefagt: Da du nun alfo Chriftus bift, so tue auch ein Wunder!" Aber Lenin - er schwieg. In diese Welt der mittelalterlichen Legende, in der die Bauern, um Gottes Gnade zu erlangen, in feierlicher Prozession vierzigmal einen wundertätigen See umschreiten, faägt plötzlich wie ein unerwarteter Bliz das neue revolutionäre Leben in Form con bolschewistischer Kavallerie ein, die sofort alles mobilisiert, was einen mit Erde gefüllten Sack auf dem Rücken tragen fann, und es zu Rampf und Krieg und unbekanntem neuen Leben fortführt, während die anderen in ihren mittelalterlichen Zustand zurückſinken. Iwanow am nächsten steht N. N. Nititin, der Bruder Ranonarch", der vielleicht nicht über dasselbe Erzählertalent ver fügt, aber doch in seinen Novellen, die dem Kriege und dem Bauern leben entstammen, eine große sprachliche Meisterschaft bekundet, aber Konstantin Fedin , der während des Krieges Zivilgefangener in Deutschland war und dann in einer russischen Landstadt durch die harte Schufe des Kommunismus ging, und Kawerin, der ein vielversprechender Novellift ift, folgen in ihrer Runft mehr Hoff­manns Spuren als Iwanow und Nikitin: Fedin hat außer zahl reichen Novellen und Erzählungen einen geschichtlichen Zweiafter Bafunin in Dresden "( 1920) verfaßt, Kawerin das von Hoffmann so oft gewählte deutsche Mittelalter in einer phantastischen Chronik von der Stadt Leipzig " verwendet. Der einzige reine Humorist unter den Serapionsbrüdern" ist Michail 3 oftienfo, ber eine Zwischenstellung zwischen Hoffmanns feltenen Humoresten und Gogols Toten Seelen" einnimmt; nicht umsonst ist Zoftjentos Kleinruffe.

91

Lebensentstehung.

Bon Otto Deigner.

" 1

Ranch grauer Gelehrtenkopf mag der Lösung dieses schwierig. sten aller Probleme nachgeforscht haben. Dem Zeitalter der Tech nis zum Hohn, troß Mikroskop und wissenschaftlichem Fortschritt fiehen wir heute noch gerade so unwissenb wie der Philosoph und Naturforscher des Altertums vor dem unverratenen Geheimnis, suchen es auf die allerschlaueste Weise zu liften und müssen doch wieder zum aiten Sgnoramus" zurüdtehren.

Die Frage nach dem Ursprung bes Lebens hat von jeher den Menschen beschäftigt. Wie er bei allem, was ihm fremb unb uner. flärlich war, der Phantasie freies Spiel lles, fo auch hier. Bon der alten Schöpfungslehre wich man bald ab, die galt afs unwiljen­