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schafilich und nur zum Teil siit man, dem religiösen Gewiffen Konzessionen machend, an ihr fest. Für lange Zeit war es die Ur zeugungstheorie, die man zur herrschenden Anficht machte. Leben könne sich ganz einfach durch Umwandlung anorganischer Materie in lebende Substanz bilden. Das unerwartet starke Auf­treben von Regenwürmern nach Regengüssen deutete sich Aristoteles damit, daß eben feuchte Ackererde dieje Tiere hervorbrächte. Er nahm fich nicht die Mühe, den Entstehungsursachen nachzuforschen, ihm schien die Deutung vollauf befriedigend und wie ähnlich auch spätere Naturwissenschaftler dachten, das bewiefen die Ansichten über Neubildung von Lebewesen, die bis ins 17. und 18. Jahrhundert maßgebend waren. Flöhe follten aus uringemischtem Staub, Läufe aus dem Schweiß und Fliegenmaden aus faulem Fleisch entstehen. Besonders furios ist die Anleitung des heiligen Ifidors, um Bienen zu erzeugen. Man bearbeite einen Ochsenkadaver mit Stodfchlägen. Da würden Maden entstehen und aus ihnen endlich Bienen. Diefem Unsinn wurde erst ein Ende bereitet, als die Borläufer des Mikro­slopes in Gestalt einfacher Bergrößerungsgläser auftauchten. Dant dieser Erfindung und der fritischen Verfolgung der Lebensentwid­fung sozusagen aus dem Nichts, entdeckte man bald am Entstehungs­ort die früher übersehenen Keime. Francesco Redi widerlegte die Urzeugungstheorie ohne viel Mühe. Die übliche Madenbildung auf Fleisch blieb aus, wenn das Fleischstück mit einem engmaschigen Neh bedeckt wurde. Denn fein Insett konnte jetzt seine Eier, die Bedingung der Madenbildung, ablegen.

Als man von neuem bei der Entdeckung der Infusorien auf die Urzeugung hinwies, waren es Koch und Basteur, die abermals diefer Lehre den Todesstoß versetzten. Die Infuforien( Aufguß tierchen) entwickeln sich in großer Zahl in Heuaufgüffen. Werben aber die Aufgüsse gefocht und die Gläfer gut verschlossen, so bleiben die Infusorien aus. Sie haften vordem an den getrockneten Halmen in verfapfeltem Zustand und wären in die Flüssigkeit ausgefchwärmt, hätte die Hize sie nicht getötet. Somit kann sich Leben nur wieder aus Leben, aus einer lebenden Zelle eine andere bilden.

Ein Jahr vor Pasteurs Versuchen glaubte man nahe daran zu fein, auf einem anderen Wege das Problem zu lösen. Man stellte die Behauptung auf, die ersten Organismen feien aus dem Urschleim entstanden, der aus Protoplasma zusammengesetzt wäre. Nun galt es den Nachweis zu erbringen! Als 1857 das erste transatlantische Rabel gelegt wurde, fand man zur großen Freude der Gelehrten den Meeresboden mit einem zähen, gallertartigen Schleim überzogen. Kein Zweifel, man hatte ihn, den lang gesuchten Urschleim. Biel Lärm um nichts! Trotzdem der Fund sofort einen wissenschaftlichen Namen erhielt Batybius Haeckelii Huxley), war er nicht bas erstrebte Urprotoplasma, sondern gewöhnlicher Gipsschlamm.

Eine heute gänzlich vergessene Meinung vertritt Fechner. Aus dem Weltenraum, ursprünglich selbst ein ungeheurer Organismus, bildete sich Sonne und Erde, Mensch und Tier heraus. Der anfangs feurigglühende Erdball fühlte langfam ab. Es entstand das Meer und über ihm die die Erde einhüllende Atmosphäre. In Luft und Wasser befanden sich von Anfang an Lebewesen. Es ist in diefer wunderlichen Theorie ein Körnchen jener modernen Hypothese, die von Svante Arrhenius stammt. Das Leben muß gar nicht auf der Erde entstanden sein. Kleinste Lebensfeime finden sich liberall. Sie erfüllen den unendlichen fosmischen Raum in unzähligen Mengen. Durch den Strahlungsdruck des Lichtäthers werden sie in die Erd­atmosphäre gepreßt und gelangen auf die Erde. Geeignete Nähre böden fördern ihre Entwicklung im Lauf von Jahrmillionen zu höheren, vollkommeneren Lebewesen. Und wo bleibt die Lebens­entstehung, fragt der Lefer? Die hypothetische Antwort Arrhenius ist unbefriedirend. Denn das Leben sei ewig. Dadurch wird ein Begriff in diese Theorie gebracht, der uns unfaßbar ist.

Vielleicht sind wir heute der Lösung nahe. Bor nicht zu langer Zeit ist eine bedeutsame Entdeckung befannt geworden. Der fran­zöfifche Forscher d'Hérelle fand eine Substanz, die Bakteriophagen oder Bakterienfresser, die einer Batterienkultur zugesetzt, alle Batterien tötet. Die bazillenvernichtende Substanz ist also allem Anschein nach das. Impfmittel der Zukunft. Doch seine Bedeutung für unser Problem? Man weiß von den Batteriophagen noch sehr wenig, faft gar nichts. Nicht einmal, ob sie belebt oder unbelebt oder ob sie nicht etwa gar ein lebergang von dem einen Stadium zum anderen find. Denn dann wäre es gefunden, bas Ziel so vielen Ropfzerbrechens.

Bei den Eskimos.

Interessante und vielfach unbekannte Dinge waren es, die der Bolarforscher Christian Leden jüngst in einem mit Lichtbildern, Filmen und Phonogrammen ausgestatteten Bortrag in der Berliner Urania" über seine Reise zu den primitivsten zurzeit noch vor­handenen Eskimostämmen hielt. Die Reise, die den Forscher drei Jahre von seiner norwegischen Heimat fernhieft, ging zu den weft lich der Hudsonbay( öftliches Kanada ) anfäffigen, um den Churchull fluß herum wohnenden Stamm der Pardlernuit Estimos. Als wichtigstes Ergebnis glaubte der Forscher auf Grund der Ber­gleiche der Phonogramme von Bolksgesängen der Eskimos und der Indianer eine nahe Verwandtschaft ber beiden festzustellen derart, daß die Estintos von den Indianern abstammen. Aber beide Bölker, die nahe aneinander grenzen, lieben fich feineswegs. Der kanadische Indianer geht nördlich nicht über die Baumgrenze hinaus, und ber nördlich der Baumgrenze wohnende Estimo vermeidet es ängstlich, fich zwischen Bäumen aufzuhalten. Dennoch gibt es zwischen beiden Völkern feinen eigentlichen Streit, wie den Estimos das Wort

Krieg" völlig unbekannt ist. Sie wiffen nicht, was es bedeuten foll. Und wie bei uns das griechische Wort polemos ", das ursprünglich Krieg oder Kampf bedeutete, in dem Wort Bolemit die edlere Bedeutung des Streites, des unblutigen Kampfes der Geifter angenommen hat, fo fennt der durchaus friedfertige und ruhige Estimo nur einen Streit der Geister, nicht der Körper. Läst fich eine Auseinandersehung mit einem Gegner nicht mehr ver meiden, so kommt eines Tages der ganze Stamm mit den Frauen zufammen. Die beiden Gegner treten fich gegenüber und es beginnt nun gegenfeitig etwas, was die Bayern mit Froggeln" bezeichnen. Der eine beginni alles, was ihm an feinem Gegner als tabelnswert erscheint, vorzujingen, und zwar in einer Form, die den andern lächerlich macht. Der andere hat zunächst geduldig still zu schweigen, bis er an der Reihe ist. Dann beginnt er dasselbe Spiel mit seinem jett gleichfalls stillen Gegner. Das Spiel wiederholt sich solange, bis alle Gründe der Gegner erschöpft sind. Wer nun den anderen am meisten durch den Kakao gezogen hat", der ift Sieger und über weffen Untugenden am meisten gelacht worden ist, der hat verloren. Es wäre aber ganz verfehlt, aus dieser Art der Eskimos, Streitig teiten auszufechten, auf Feigheit zu schließen. Der Eskimo beweift Mannhaftigkeit, Mut. Entschloffenheit und Lapferkeit im höchsten Maß, aber nicht gegen seinen Mitmenschen, sondern gegen einen ganz anderen Gegner, nämlich den Eisbären, der sein schlimmster Feind ist. Wieder ist es ein besonders sympathischer Zug dieser primitiven Menschen, daß sie die Art des Europäers, den Bären durch das Gewehr zu erledigen, als eines Mannes unwürdig betrachten. Sie meinen, das fei kein Kunststück Mit dem Eisbären ficht der Eskimo ein regelrechtes Duell aus. Er geht nur mit dem Messer auf das Raubtier los. Nicht selten fommi es vor, daß der Bär dem Eskimo den Garaus macht, aber in der Mehrzahl der Fälle ist der Mensch Sieger. Biele Estimos tragen tiefe Narben von furchtbaren Ber­wundungen, die ihnen der Bär beigebracht hat. Auch die sonstigen Charaktereigenschaften dieser Kanada - Estimos find hervorragend, während die Grönlandestimos durch ihre Berührung und Mischung mit den Europäern das Beste bereits eingebüßt haben.

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Wieder im Gegensatz zu den Grönlandestimos verfügen die Kanadaesfimos über eine ausgezeichnete Gesundheit. Hautkrankheiten find ihnen fremd, weil sie fein Ungeziefer haben, und das hat wieder einen Grund in einer höchst einfachen aber wirksamen Hygiene, Gerade an der Stelle, wo wir Europäer am empfindlichsten sind, nämlich am Unterleib, lassen die Estimos, Männer wie Frauen, zwischen der Fellbekleidung des Oberförpers und der der Beine einen Spalt, durch den die falte Luft an den Körper gelangen tann. Sie halten diese Maßnahme für notwendig, weil sie sich nicht waschen und baden können, denn der Winter dauert zehn Monate. In dieser ganzen Zeit wohnen sie in Schneehütten, in deren Inneren eine höchste Temperatur von minus 3-4 Grad herrscht. Jede Feuchtig feit würde fofort zu Eis erstarren. Nachts entfleidet sich die ganze Familie, Männer, Frauen und Kinder, bis auf die Haut und ge meinsam, einer den andern wärmend, schlafen sie in Belzdecken. Die Grönlandseskimos leiden hingegen unter Ungeziefer in hohem Maß. Bon natürlicher Reinheit sind bei den Kanadaestimos die Liebes und Ehefitten. Jeder reife Jüngling und jedes Mädchen muß heiraten. Wenn das Mädchen reif ist, beginnt sie ein Gewand zu tragen, das auf dem Rüden eine Tasche hat. In dieser Tasche nämlich tragen die Frauen ihre fleinen Kinder mit sich herum. Sobald ein Mädchen das tut, begibt sich ein Bote zu ihrem fernen Erwählten die Estimos versprechen schon die Kinder zur Ehe und teilt ihm das mit. Bedächtig macht sich der Berlobte auf die Reise. Ueberall tehrt er ein und bleibt eine Nacht. Er sagt fein Wort von seinem Vorhaben und man fragt ihn auch nicht, trotzdem jeder Gastgeber weiß, was feinen Goft heimmärts treibt. Ist er bei seinem Stamm angekommen, so bezieht er die am weitesten von seiner Berlobten entfernte Hütte und tommt jeden Tag etwas näher. Endlich ist er bei ihr, fagt aber immer noch nichts. Bis er eines Abends furz und bündig erklärt: Morgen fahre ich zurück und du kommst mit." Mun beginnt bei dem Mädchen ein großes Sträuben und Weinen, Am andern Tag steht der junge Estimo reisefertig da. Wieder Entweder du kommst mit oder langes Parlieren. Endlich fagt er: ich fahre allein." Das Mädchen kommt dann mit und die Reise geht los. Oft fommt es vor, daß die junge Frau unterwegs entweicht und zu ihren Eltern zurückkehrt, von wo sie fich der junge Ehemann wieder einholt. Dieses Sichsträuben ist eben auch nichts weiter als ein Stückchen der auf dem ganzen Erdenrund verbreiteten Evafitte, fich recht begehrenswert zu machen. Wenn es nun vorkommt, daß ein verheirateter Estimo eine große und schwere Reise nordwärts ausführen muß, und er hat nur ein schwächliches Frauchen, dann tauscht er mit einem andern Stammesbruder, der eine fräftigere Frau hat, während der Daheimbleibende fich so lange mit der Schwächeren be- und vergnügt. Die chriftliche Mission ist es wieder einmal gewesen, die dazu beigetragen hat, daß die natürlichen Ver­häftnisse in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Die Missionare dangen darauf, daß die Frauen verschiedenfarbige Bänder im Haar trugen, bamit man auch äußerlich sehen konnte, wer ein eheliches und wer ein uneheliches Kind empfangen follte oder hatte. Das hatte aber glücklicherweise vielfach die entgegengefehte Wirkung, denn die Männer sahen nun eine Ehre barin, ein von den Missionaren be­mateltes Mädchen erst recht zu heiraten.

So könnte man mit dem Dichter auch von diesen Wilden sagen, baß sie manchmal doch bessere Menschen feien als wir Europäer . Und der große unschätzbare Wert der vergleichenden Bölkerfunde und Böllerpsychologie, wie Wilhelm Wundt sie gelehrt hat, liegt eben darin, daß wir aus den Ergebnissen der Forschungen zu Bergleichen mit unseren eigenen Kulturen und Untulturen gedrängt werden.