Nummer 15
Heimwelt
Unterhaltungsbeilage des
Der Hann.
Eine fränkische Geschichte von Kuni Tremel- Eggert . Sonntag ist's! Sonntagnachmittag! Aber nicht für die Bauern, jetzt, in der Ernte und bei solchem Wetter!
Laut rasseln die leeren Wagen über das hoiperige Pflaster und durchs Fenster tommt mit einem warmen Luftzug der unangenehme Geruch des Bremsenöles, mit dem der Bauer seine Ochsenfchecken freuz und quer beschmiert hat, so daß sie aussehen wie Landkarten mit schwarzgezeichneten Flüssen.
Die paar Hühner, die man sonst wohl auf der Gasse sieht, haben sich vor der Hize irgendwo in eine fühle Ecke gedrückt. Ich gehe ins Zimmer zurück; hier ist es leidlich fühl, und mache mich daran, Briefschaften zu erledigen.
Eine Stunde mag so verstrichen sein, da hörte ich von einem vorübergehenden Jungen den Sat:„ Sie haben ihn, sie haben ihn eben gefund'n!"
Sofort sehe ich ihn vor mir, den Hann, und nun läßt es mir keine Ruhe, ich muß von ihm schreiben und wenn es nur ein feines Blättchen wird.
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Ich meine, ich bin es ihm schuldig, ihn nicht untergehen zu laffen unter den vielen, zu denen er nicht gehörte. Er war einer unter den vielen, und er wollte nichts anderes sein, und eben weil er nichts anderes sein wollte, darum war er so ganz anders als die anderen.
Er war noch sehr jung, noch nicht achtzehn, und ging doch immer so einsam für sich herum, wie ein Leidgetroffener oder ein Ueberfatter.
Er war aber keiner von diesen.
Früh schon mußte er seinen alten Eltern Stüße und Ernährer werden; er hatte nicht Zeit, erst zu lernen, jahrelang in die Lehre zu gehen, er mußte gleich, fofort Geld verdienen. So ging er in die Fabrik.
Nie und niemandem fiel er auf. Er ging nach dem grellen Pfiff der Dampfpfeife so schnell wie die anderen aus dem großen Tor heim, zum Essen, und beim nächsten Pfiff, eine Stunde später, ging er wieder durchs große Tor hinein, in den großen lärmvollen Saal, in dem die Maschine stand, die er bediente.
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Tagaus, tagein jahraus, jahrein äußerlich selbst nichts anderes als eine Maschine.
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Einmal, er ging sonst oft an mir vorbei, ohne daß ich mir etwas dachte, sah ich ihm nach es ist noch nicht allzulange her. Mit seinem breiten Rücken sah er von hinten nicht nach achtzehn, eher nach vierzig Jahren aus. Sein Gesicht war schmal und hatte Zimmerfarbe. Die Nase war schmalrüdig, gebogen und die Oberlippe bedte ein leichter, dunkler Flaum. Schön waren seine Augen, tiesdunkelbraun und voller Glanz.
Ein paar Tage später begegnete er mir wieder, er fam eben von einem Spaziergang, und der schöne Abend hatte den sonst so Stillen gesprächig gemacht Wir tamen in's Plaudern und wir tamen auf Bücher. Da bot ich ihm von den meinen zum Lesen an, was ihn sichtlich freute.
Am anderen Mittag schon kam er, sie zu holen.
Ich gab ihm zwei Ullstein- Bücher, einen Rosegger und„ Uli, der Knecht". Acht Tage später brachte er sie wieder. Ich war neugierig auf sein Urteil und fragte ihn: Nun, Hann, welches Buch hat dir am besten gefallen?"
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Da lehnte er sich an die Türfüllung, kreuzte die Füße, legte den Kopf seitlich und sah nach der Decke, dabei schaukelte er hin und her. ,, Die Ullstein- Dinger", sagte er nach kurzem Befinnen, mog ich net. Lauter Große sind do drinn. Grofn, Baron, Fabrikanten, Gutsbesizer, Leutnant und Frauenzimmer, wu ihra Männer ausschmieren, andere mögn und lauter Dummheiten machn, weil sie nig weiter zu tun hom. Und sowas schreibt aner auf, well a nig welter zu tun hat, statt daß er sich schämt, daß die anderen Leut von seiner Faulheit erfohrn. Ich," er schüttelt den Kopf, mog folches Zeug net gern lesen." Er macht eine Pause.
17. Juli 1924
Vorwärts
Da fragte ich:„ Na, und der Waldbauernbub?"
,, Der is mir a alter Bekannter,' n Rosegger sei Zeug kenn ich alles und les ich allemol wieder gern. Aber„ Uli", der hot mir gfalln! Des is wos! Do is des richtige Leben drinn, so wies is, mit all seim Schwindelzeug, und mit' n Uli, der wo so is, wie Menschen sein sollen und net sein. Und eins- is schön, daß die Lieb net so tab is drinn, die Narretei is nig, fümmt nig Gscheids dabei raus und hot tan Bestand."
Er schaufelt noch immer langsam hin und her, dann sagt er sinnend: Wenn ich schreibn tät, nig anders wie so. So wie es Lebn is. Von die klan Leut schreibt seltn aner, die müssn arbeiten, daß sie ihr Maul fortbringen, die haben die Zeit net dazu und verstehns a net, so fümmt höchstens emol a Großer, der von die Kleinen schreibt, und des is grad, wie wenn a Fisch von Fliegn erzählt und a Lerch von Schwimma. Nein, Prügel muß man felber gefriegt haben, dann kann man erzählen, wies geschmeckt hot." " Da hast du recht, Hann, und siehst du, es ist eines meiner liebsten Bücher."
" No ja, mir hots gfalln, ober mei Liebsts sind halt Reisebeschreibungen, und am allerliebsten hob ich die von der Türkei . Der Orient intressiert mich am meistn, bin neugierig, wos jetzt noch ' n Krieg do druntn alles werd. Amerika und alles, wo Industrie hat und so a Gejog, das zieht mich net an, aber die Türkei , die möcht ich fenna lern."
,, Konstantinopel ? Den Bosporus ?
,, Ach," sagt er wegwerfend, Konstantinopel is bei mir fa Türkei ! Persien , dort nunter möcht ich. Man liest ja oft, daß sie Reisebegleiter mitnehma, oder Diener, das wär mei Fall. Ich wollte nig wie mein wenig Effn und mein Fohrgeld. Ich könnt jeden führn, do hintn kenn ich mich aus, fenn ich jedes Nest, wo auf der Kartn is und das Klima und die Eignschaftn von Land und seina Bewohner."
Dabei zieht er einen Back zerlesener Landkarten aus seiner inneren Joppentasche, sucht darunter und breitet dann einige Karten auf den Tisch. In einigen Minuten hat er mir fünf, sechs Reiserouten erklärt und ich muß immer wieder staunen, mit welcher Sicherheit er Fluß und Städtenamen ausspricht, als lägen sie für ihn, wie seine Heimat, rechts und links des Mains.
Ich gebe meinem Erstaunen Ausdruck, da sagt er leichthin und fährt dabei mit der schwieligen Rechten im Halbkreis über die Karten:„ Des is mer bald bekannter wie Bayern ." ,, Wo hast du denn die guten Karten her?"
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" No, die sind doch überall ausgschriem, laß ich mir sie halt schicken und nach' n Maßstab rechn ich mer nachher die Kilometer und Wege aus und die Beschaffenheit vom Land."
Lange höre ich ihm noch zu und sehe mit Staunen, wie sich das junge, noch mit dem Ausdruck ringende Gesicht verschönt, unter dem glücklichen Glanz der dunkelbraunen Augen.
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Darauf legt er die Karten sorgfältig zusammen und schiebt sie in die Tasche zurück, dann sagt er sinnend, langsam, refigniert:" Ja", ( Pause) Türkei , Persien , Indien - ich mach Reisn im Tram und- mit' m Zeigefinger über die Landkarten, wenn ich draußen im Wold am Sunntag unter an fühlen Baum lieg morgens früh um sieben, wenn's pfeift, geht mei Reis wieder an, in die Fabrik und meine Maschin is die Lokomotiv , die zieht mich durchs ganze Jahr. Das einzige sind die Bücher! Aber immer mag ich halt a net lesen, nocher lauf ich, ich kenn in Umkreis von acht bis zehn Stund jeds Dorf, jedn Wald und jedn Weiler."
,, Du bist doch noch so jung, Hann, da weiß man nicht, ob du nicht doch noch dahin komst, wo du so sehr wünscht zu sein, es ist doch leicht möglich
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,, Möglich, möglich," fällt er mir ins Wort, im Leben, wenn was möglich is, is nig Gscheids, und dies wär was Gscheids, drum ist es net möglich! So is. Und wer a armer Teufel is, der bleibt einer, bis er sterbt."
„ Na, bis dahin haft du noch weit," sagte ich lachend.
Da lacht auch er und nimmt dabei seinen Hui:" No ja, woln