mal fthc», vielleicht kvmm ich doch amol noch da nunter,"— undindem er das sagt, zieht er mit einem Gesicht voll Zwcisel undSdbstspott die Stirne kraus und dabei glänzen ihm die Augen hell.„T-ann schreib ich dir a Ansichtskarten", lacht er.„Wer weiß, chann, wie bald das schon ist."— Nach einer Weilesage ich:„Willst dir kein Buch mehr mitnehmen?"Er zaudert, besinnt sich, dann sagt er:„A kleines höchstens,jetzt, wo es so schön in der Welt is, geh ich mein« paar freienStundn lieber naus." Und dann schiebt er das Büchlein zu denLandkarten und geht.Seitdem war er nicht mehr bei mir— es mag vierzehn Tageher sein. Und heute nun— heute sagen sie mir, er sei ertrunken,im Main, beim Baden.Wie weh das tut, zu denken, er ist nicht mehr.Was war er? Wer war er? Ein Fabrikarbeiter. Eine Nullunter den Millionen.Was war er? O, viel war er, sehr viel, und in so jungenJahren schon— er war«in Mensch. Nicht einer von'den vielen,nein, denn er hatte«ine Welt, eine Welt der Ideen, der Träume,eine Welt des Glücks, und die trug er mit sich. Aber nicht in seinerInneren Ioppcntasche, sondern in seinem sehnsuchtsvollen Jungen-herzen, dessen Sehnsucht nun aufgehört hat zu eilen nach den Län-dern des Orients.Ich meine, die Idee ist viel, sehr viel, wenn nicht alles imLeben, und darum trauere ich um den Jungen, dessen Idee lebte,erstarkte, sein Leben füllte und ihn beglückte. Er wußte es ja garnicht, wie glücklich er war mit seiner ungestillten Sehnsucht, derdumme Junge. Mit dieser Sehnsucht, die lebte und wuchs, trotznüchternem Alltag und lärmender Maschinen.Und nun ist er nicht mehr und so viel ist mit ihm gestorben,nicht nur das arme Leben eines Fabrikarbeiters.Warum?Von Paul Glasenapp.Wir saßen beieinander und unterhielten u:rs über die Rätselmenschlicher Wesensart und jeder von uns mußte«in Beispiel ausseinem Leben erzählen:Ich weiß es noch ganz genau, wie eines Tages unser Lehrerin die Klasse trat und uns sagte, daß unser Schulkamerad Georgin der Nacht gestorben sei. Wir kannten ihn ais«inen stillen,freundlichen Jungen. Ein ganzes Jahr hatte er siech danieder ge-legen draußen in einem 5)äusch«n der Vorstadt, un-d nun war ergestorben. Hellmut, reicher Leute Kind, der neben mir saß, war ihmherzlich zugetan und es gab kaum«inen Tag, an dem er ihn nichtbesucht hatte. Als der Lehrer den Tod Georgs bekanntgegeben hatte,stieß Hellmut mich an, verzog das Gesicht fratzenhaft wie zumWeinen und lachte dann hinter den vorgehaltenen Händen...Fritz war der Liebling des Apothekers in meiner Heimatstadt.Das galt als eine Auszeichnung, um die er viel beneidet wurde:denn der Apotheker u>ar ein kunstliebender, alter Herr und verstandmehr als Arzneien herzustellen. Fritz wurde wie der Sohn desHauses geholten, hatte Anteil an den uns so geheimnisvoll dünken-den Kenntnissen des Alten, durste mit dabei sein, wenn er mit demKantor und einem kunstliebenden Kaufmann in seinem 5)a»s« musi-zierte und war beneidenswerter Gast des großen Obstgartens. EinesAbends spielten wir beide zusammen Er überredete mich, mit ihmüber die' Mauer in des Apothekers Garten zu steigen. In einigerEntfernung voni Hause blieben wir hinter Büschen versteckt stehen.Er zog eine Schleuder und glatte Kieselsteine aus der Tasche undschoß durch eine Lücke im Gesträuch eine der Fensterscheiben dessHaufes seines Wohltäters in Trümmer, und ich sah. wie ein« teuf-tische Freude in seinen Augen aufleuchtete....Ich habe einen Großindustriellen gekannt, dem zahlreich« Werkeim In- und Auslande gehörten. Ich habe niemals erlebt, daß ereinen einmal gefaßten Standpunkt aufgegeben hätte, auch wenn erihn als falsch erkannt halt«. Diese Starrheit gab ihm den Wesens-zug der Härte und Unbeugfamkeit. und alle fürchteten, keiner liebteihn. Er besaß nur ein Kind, einen Jungen, der damals fünf odersechs Jahre alt sein mochte. Wenn der Vater nach Haus« kaniund Eduard, so hieß der Knabe, zu ihm sagte:„Wir wollen jetztspielen I", so kam er diesem Wunsche seines Sohnes ohne Säumennach. Direttoren und ausländische Geschäftsfreunde mußten warten,wenn Eduard es so wollte. Es ist Tatache, daß der Vater auf allenVieren durch das Zimmer kroch und daß Eduard aus ihm ritt unddabei mit der Peitsche knallte und auch zuschlug....Von einem scheuen, unzugänglichen Menschen will ich erzähle».Wir teilten in der Knegszcit dieselbe Stube in einem Heimat-lazarett. Eines Tages stiegen wir zu de» Bergen hinauf, um dieAusficht zu genießen. Unterwegs bückte er sich nach einem Schmet-terling. der eben ausgekrochen war und nun matt und unbeholfenmitten auf dem Wege faß. Er hob ihn behutsam auf, betrachtete ihnmit andachtsvoller Neugier von allen Sellen und setzte ihn dann,ohne ein Wort zu verlieren, in das Gebüsch.— Einige Jahre daraushörte ich, daß gegen ihn die Anklage erhoben worden war, einenArbeitsgenosscn erschlagen zu haben. Aus Mangel an Beweisen warer freigesprochen worden. Mit einem höhnischen Auslachen hatte erden Richlerspruch vernommen. Seine Mutter l«bte noch. Sie schrieb<ttl ihn, er solle zu ihr kommen. Er wüßt«, was sie von ihm wollteund konnte doch nicht anders, er mußte zu ihr fahren. Sie saßim Lehnsiuhl. als cr grüßend zu ihr ins Zimmer trat.„Da, setzdich!" sagte sie und sah ihn forschend er.„Sag, hast du s getan?"fragte sie ihn und ließ ihn nicht los mit ihren Blicken. Er setzte sichinnerlich zur Wehr gegen die Gewalt des Mutterwortes, bäumte{ichauf, stierte sie an. schwieg. Wie zugeschnürt war seine Kehle. Her-mann!" rief sie brfehlcnd.„hast du's getan?"„Ja!" stieß er her-vor und sank in sich zusammen. Sie drang in ihn, sich dem Gerichtzu stellen. Er sagte:„Mutter, das tue ich nicht! Du bist mehr alsder Richter!"„Junge!" schrie sie auf und schüttelte abwehrend denKopf. Ob sie wohl daran dachle, daß sein Vater ein abwegigerMensch gewesen und an den Irrtümern seines Lebens zerschelltwar?„Warum hast du's getan?" fragte sie ihn.„Ach, Mutter, inmir war solche Wut, als er mich lächerlich machte und stichelte, alsdie anderen dabei waren. Da Hab ich ihn mir gegriffen als wirbeide allein waren und da war's aus mit ihm," entgegnet« er. Alser dann von ihr ging, wußie sie daß sie ihn nicht wiedersehen würde.Er trug die Dumpfheit seines Gemüts und den Zwiespalt leinerSeele in die Fremde....Es sind Kleinigkeiten, die ich anführen möchte, nichts Außer-gewöhnliches. Man denkt leider nur zu oft an ihnen vorbei. Wirhören fade, zweideutige Witze mit an, ohne uns zu wehren, ver-leumderischen Klatsch, ohne ein Wort der Berteidigung für den An-gegriffenen, der zumeist nicht anwesend ist. zu finden. Wie ist dasmöglich? Feigheit! Aber warum find wir feig«?— Warum verstumme ich urplötzlich mitten m einer lustigen Gesellschaft und denkean den Tod?— Wie erklären Sie folgendes?:„Ich komme tief-innerlich bewegt aus der neunten Sinfonie von Beethoven, steheeinen Augenblick an der Straßenecke, um den Straßendamm zuüberqueren, oernehme die lustigen au'ftetzenden Klänge der Musikdes nahen Cafes und sitze bald darauf mitten im Trubel."Wir sind mit Erklärungen sehr schnell bei der Hand und dock)vermögen wir die Antwort aus das Warum nicht zu geben. Waswissen wir denn von uns selbst? Was von unseren Mitmenschen?Wenn Eltern und Erzieher behaupten, ihre Kinder restlos zu ver-stehen und zu kennen, so irre» sie. Wir müsse» uns verpslichjetfühlen, zu versuchen, der Eigenart jedes Menschen gerecht zu wer-den. In jeder Wesensart unserer Mitmensch«» ein geheimnisvolle»Wunder zu sehen, das ist ein Weg zu der eigenen seelischen Aus-wärtsentwicklung. Das ist allerdings nicht Sache des kalten Ver»standes, sondern verlangt ein Mitfühlen, ein Mit'-rl-'b-n.«in Er-sassen des ganzen Menschen.öer Zeit der Neger fklevereBon H. Budzislawfti.Im Tagebuch des amerikanischen Quäkers John Woolmm,(übersetzt von Alfons Paquet, Ouäkerverlag, Berlin W. 8) lesen wir,wie im 18. Jahrhundert bereits die Mitglieder der„Gefellschaft derFreund«", von wahrer Menschenlieb« beseelt, von den Grundsätzender christlichen Religion aus zu pazifistischen Idealen gelangten.Anders als dl« Geistlichen unserer Tage, waren sie„vollkommenüberzeugt, daß alle Einrichtungen, die mit dem Kriegführen zu-sammcnhängen. mit der reinen christlichen Religion nichts zu tunhaben. Interessant ist aber, daß darüber hinaus bei einigen vonihnen ein passiver Widerstand gegen alle Regierungsmaßnahmen ge-übt wurde, die diesem Friedensideal und also dem religiösen Ge-wissen zuwiderliefen. Ein Teil der Quäker weigert« sich. Kriegs-steuern zu bezahlen, und kürzte die behördlichen Steuerbescheid« umden Betrag, der laut Budget für Kriegszwecke ausgeworfen wurde.Bei Aushebungen weigerten sich die Quäker, Militärdienst zu tun,und sonderbarerweise wurde» si« von den amerikanischen Muste-rungsoffizleren sehr schonend behandelt, da diese viel Verständnisfür die Gewissensnöte der Quäker aufbrachten. Dies geschah zurselben Zeit, als die friederizianischen Offiziere wenig skrupellos mitden preußischen Untertanen umgingen. Allerdings war Preußencm bewährier Kultur- und Ordnungsstaat, Amerika dagegenKolonialland.Aber auch in Amerika herrschte keine lautere Humanität, undmancher Prolet stöhnte über die gottgewollte Ordnung der Dinge.Amerika war damals noch das Land der Negersklaverei, und dasLeben Woolmans war in der Hauptsache der Agitation für dieNegerbefreiung gewidmet. Da ist es nun interessant zu sehen, daßdie persönlich hochachtbaren Quäker doch sehr viel schneller den Gegen-satz zwischen dem Bezahlen der sowieso unbequemen Kriegsstcüernund dem lebensgesährliche i Solbatspielen begriffen, als sie einsehenwollten, daß die so angenehme Einrichtung der Negersklaven gegenein göttliches Gebot perstoße.Woolmon erzählt von Versammlungen, in denen er die merk-würdigsten Rechtfertigtstigen des Sklavenwesens hören mußte. Einguter Theologe hatte herausgefunden, daß die schwarze Haut ebenjenes entwürdigende Zeichen fei. mit dem Gott den BrudermörderKain bestraft habe. Die Neger als Nachkommen dieses Kam seiengar nichts Besseres wert, als eben versklavt zu werden. Daß einesolche Rechtsertigung der Sklaverei einmal versucht wurde, erscheintheute absurd. Wir können nicht mehr mit dem Ernst eines Wool-man auf solches Gefasel eingehen, der darauf erwidert, nach derhelligen Schrist könne Kain keine Nachkommen haben, den» nurNoah und sein« Kinder hätten die Sintflut überlebt. Und trotzdem:in anderer Form wird diese theologisch« Begründung der herrschen-den Ungerechtigkeit und Ausbeutung auch heute noch gegeben. Essind eben gottgewollte Abhängigkeiten. Gott weiß, warum er dieArbeiter straft. Und auch rationalistisch existiert diese Theorie, nachder die Tüchtigen zur Zeit des beginnenden Kapitalismus(und auchheute noch) sich zu Bürgern aufschwingen, die Arbeiter als die Nach-