Nummer 17
Heimwelt
14. August 1924
Unterhaltungsbeilage des Vorwärts
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Auer, Bebel und ich machten im Frühsommer 1893 eine Fußwanderung durch den Bayerischen Wald , der damals noch nicht als Sommerfrische entdect" war. Nazi- wie Auer im parteigenöffischen Freundeskreise hieß hatte seine Heimatsliebe in all den Jahren, die er in Norddeutschland verlebt hatte, nicht bloß nicht ertalten lassen, sie war im Gegenteil je länger je mehr gewachsen. Soundso oft und mit vielem Stolze erzählte er uns in Berlin von den Schönheiten seiner niederbayerischen Heimat, dort gab es noch hier und da ein Stück Urwald und Urwald- Riesenbäume in Höhe und Stärke, wie wir sie, nach seiner begeisterten Schilderung, noch nie gesehen haben sollten. Und wenn wir etwas Phantasie zu Hilfe nahmen, tonnten wir später dann seine Darstellungen bestätigen. So schlugen wir denn eines Tages ein, unter seiner Führung die Reise in den Bayerischen Wald zu unternehmen. Von Berlin bis Cham brachte uns die Reichstagsfahrkarte. Dort übernachteten wir und brachen am andern Morgen in aller Frühe auf. Herrliches Frühsommerwetter begünstigte uns. Wir marschierten nie allzulange in gleichem Schritt und Tritt". Nazi, dem sein Heimatsdialekt Musik war die einzige, die er verstand und die sich auf„ Schnadahüpft" beschränkte fing mit jeder Bauersfrau, mit jedem Bauern oder Knecht, Buab'n oder Moad, die uns begegneten, ein Gespräch an, August, dem Sprache und Landessitte völlig fremd waren, besaß die föstliche Gabe überhaupt nicht, ein Gespräch zu führen, während Nazi ganz ihrem Gedankengang sich anpassen und in ihrem Wortschatze sich ausdrücken konnte. Und einigermaßen fonnte ich auch mitdisturieren". Wenn wir beide nun bei solcher Begegnung ein paar Minuten stehen blieben und Nazi mit der Kunst des Virtuosen ausfrug: woher, wohin, was, warum, wieso, wozu? dann marschierte August in seiner raschen Gangart voraus, als gelte es, möglichst bald an die Tore des Zukunftsstaates zu gelangen. Alle unsere Neckereien waren umsonst und August mußte soundso oft im Tage auf uns warten. Und er wartete mit freundlicher Geduld und freundlichem Lächeln. Meine schwache Seite waren die Kirchen, die Friedhöfe, die Kapellen; in den Kirchen die Altäre, Kanzeln und Beichtstühle; die Altarbilder, die vierzehn Stationen des Kreuzwegs; auf den Friedhöfen die Grabsteine, die Gedentkreuze, die Totenbretter( die auch auf Straßen und Feldwegen standen und lagen), die Widmungen und Marterssprüche. Und gar erst in den Kapellen und Wallfahrts tirchen die Botivtafeln und Weihgeschente! Entdeckte ich gar einmal eine besonders liebliche, findlich geschnitzte Madonna oder einen fürchterlich malträtierten Christus am Kreuze oder auf einem Friedhof ein in seiner Einfachheit prächtig wirkendes, von irgendeinem Dorftünstler geschmiedetes und mit inniger Liebe sinnig verziertes Grabkreuz, dann rief ich meine beiden Heiden" herzu und Schnißereien und Schmiedearbeiten erfreuten August's Herz und Auge ganz besonders.
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Diese Verschiedenheit unserer Auffassung und unseres Geschmackes tat unserer Fröhlichkeit und Harmonie, mit der wir abseits der Hauptstraße durch Wald und Dorf zogen, teinen Eintrag, einer richtete sich nach dem andern, wollte einer einmal ruhen, lagerten wir uns zusammen.
Augustein„ Böhm".
Am ersten Tage unserer Wanderung famen wir mittags zur " Schanze", einem einsam auf einer Höhe gelegenen Bauernhofe. Die alten römischen Legionen, die längs der Donau bis nach Ru mänien ihre Befagungstruppen vorgeschoben hatten, hatten hier wohl gegen Norden einen Wachtpofi'n aufgestellt und ihn durch Wall und Graben gegen Ueberfälle gesichert. Aus dem Lager war im Laufe der Jahrhunderte ein Bauernhof und Bauernwirtshaus geworden, das feiner schönen Lage wegen auch Gäste aus Cham und den umliegenden Orten anzog. Heute waren wir die einzigen Gäste. Die Wirtin bediente uns; gutes Bier in Flaschen und falte Küche. Gar bald war Nazi in eifrigem Gespräche mit ihr und die Wirtin erzählte ihm all ihre Familienfreuden und-leiden. Dreizehn Rinder hatte sie schon zur Welt gebracht und war doch noch in den besten Jahren. Als die Wirtin zur Erledigung eines Auftrages grade weggegangen war, belehrte August den Nazi, daß es sich nicht schicke, eine Frau nach der Kinderzahl zu befragen. Was, lachte Nazi, der immer den Schalt im Nacken hatte, Du willst mich lehren, was ich mit meinen Landsleuten zu reden habe! Sollst es
gleich hören!" Als die Wirtin wiederfam, frug Nazi leutselig nach allen Familienangelegenheiten. Und wie auf einer Wassermühle flossen die Antworten der Wirtin, die sich freute, unter den dret fremden Herren einen Landsmann gefunden zu haben, der„ gar so nett zu diskurieren" wisse.
Ein Glück, daß August den„ Diskurs" nicht verstand, aber das manchmal schnell herausbrechende übermütige Lachen der Bäuerin, Nazi's schelmische Züge um den Mund und seine spitbübisch blin zeinden Augen ließen ihn vermuten, daß Nazi sich bei diesem nieder. bayerischen Dialog sich nie die Reserve auferlege, die Knigge in einem Umgang mit Damen " vielleicht gezogen hätte. Nazi aber tannte seine Landsleute, er sprach in ihrer Ausdrucksweise und Gedankenwelt, ohne je die Grenze des dort üblichen Anstandes zu verletzen.
Plözlich schlich im Hintergrund ein Mann in Unterhosen eilig um die Ecke; es war der Wirt.„ Ja, meinen Sie, der leidet eben an der Infaullenzia!" beantwortete die Wirtin etwas weg, werfend Nazi's Frage, ob das der Wirt und ob er frant sei. Der schelmische Nazi führte das Gespräch lachend weiter, bis August aus den lachenden Antworten der Wirtin schlußfolgerte, daß Nazi den Vorwurf der Infaullenzia" auch auf das Schlafgemach be= zogen hatte, was die Wirtin unter Lahen nicht verneinte. Er gab Auer einen Buff und mahnte ihn, seine Spottluft zu zähmen. Die gewandt und auf Bebel deutend:„ Das ist wohl ein Böhm!" Wirtin verstand August auch nicht, meinte aber, halb zur Seite Allen Ernstes bejahte Nazi diese Frage, die in dem Grenzlande, wo das Sprichwort gilt: Trau, schau mem, besonders wenn ein Böhmi" nichts weniger als eine Schmeichelei war, und erntete dafür ein verständnisvolles Blinzeln der Frau. Mich hielt sie, weil ich eine Brille trug, für einen Doktor. Auch diese Frage bejahte Nazi. Nun ließ die Frau an mir nicht mehr locker, ihr doch für ihren Mann etwas gegen die Infaullenzia" zu verschreiben. Auf den energischen Protest August's lehnte ich ab, was die Frau noch einen Wink von Nazi schien ich nicht ganz abgeneigt zu sein, auf mehr gegen den Böhm" aufbrachte. August hielt uns dann eine scharfe Strafpredigt über unsern leichtfertigen Uebermut, lachend verteidigten wir uns und entfernten uns de nn, nachdem wir über den einzuschlagenden Weg uns von der Wirtin hatten unterrichten lassen. Kaum waren wir fünf Minuten weit gegangen, als wir nach rechts abgingen, während wir den Weg nach rechts" abvor einem Kreuzweg standen, von dem nicht weniger als drei Wege biegen sollten. Ich mußte also zurück, um den rechten Weg zu erfahren. Nun die Wirtin mich aber allein hatte, machte sie nochmals einen dringlichen Versuch, etwas verfchrieben" zu erhalten, Wirtin nicht anders habe helfen können, als daß ich auf ein Motizund lachend erzählte ich bei der Rückkehr, daß ich mir gegen die blatt ein paar unleserliche Worte geschrieben hätte. Auch darüber war aber August noch ärgerlich, während Nazi den Scherz sofort durchschaut hatte. Noch lange Zeit später gab uns der Böhm" oft Anlaß zu Scherzen.
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Bebel und Bismard.
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Am ersten Nachmittag unserer Wanderung durch den Baye. rischen Wald befolgten wir den Rat eines Bauern, den Weg„ abzuschneiden". Ein Fußweg, den man nicht verfehlen könne und der mitten durch den Wald führe, fürze uns den Weg der Fahr straße ganz bedeutend. Uns lockte der Weg durch den Wald. Er war auch prächtig. Während draußen auf den Wiesen schwälende Sonnenglut. brannte, gingen wir im herrlichen Tannenwalde, den ab und zu ein Schlag Buchenwald durchbrach, in angenehmer Kühle und gedämpftem Lichte plaudernd unsern Weg. Kein Laut außer Fintenschlag und dem Widerhall unferer Stimmen unterbrach die Kirchenstille des Waldes; allmählich fanden wir, daß die uns angegebene Beitdauer für die Waldwanderung reichlich überschritten fei, und auf einmal war auch der Weg unter unseren Füßen ver. schwunden. Zurück gingen wir; rechts bogen wir aus, links wir fanden keine Fuß- oder Wegfpur außer der, die wir gekommen waren und die ganz zurück zu verfolgen zu lange gedauert hätte.
Auf Geratewohl gingen wir so ein halbes Stündchen freuz und quer durch den Wald, ob wir nicht doch einen Menschen oder einen Weg finden könnten; das unangenehmste war, daß es allmählich zu dämmern anfing und weit und breit auch nicht ein Laut auf unsere Rufe antwortete. Plötzlich war mir, als hörte ich einen Artflang; wir standen stille:„ Nein, man hört nichts!" Kurz darauf erscholl wieder ein Arthieb, dann noch einer und noch einer.