Der«Zugend-Vorwärks* ist ein Diskussionsorgan derArbeiter-Jugend und der Jungsoztalisten. Es können hier ge-lcgenkiich auch Meinungen zum Ausdruck kommen, die demStandpunkt der Partei nicht voLkommen entsprechen. DieRedaktion trögt daher sür den Inhalt dieser Beilage nur dieprcßgesehliche Verantwortung. Redaktion des„Vorwärts".�ungfozialististher Zührertag.Don Pidder am Steen.Der Führ er tag der Jungsozialisten vom 1. Oktober nahm einenüberraschend angenehmen, man möchte fast sagen: vornehmen Der-lauf. Jedenfalls war es wieder einmal ander- gekommen, als manvorher gedacht hatte. Die Wetterprognose stand auf„Sturm". Teilsdieserhalb, teils außerdem:«o waren Spannungen, Gegensätze, Rich-tungen, Gruppen in Masse vertreten, von den diversen„Weltan-lchauungen" zu fchweigen— man durfte billigerweise ein halbesDutzend Haorigkeiten erwarten. Es waren ihrer gar viele, die esunter dem Kopf von Karl Brögsr nicht tun wollten, andere hattensich den Rucksack mit Problemen vollgepfropft, die sie nicht un-geiöst wieder von hinnen bringen wollten, und Resolutionen, Reso-lutionenl!— aber es kam ganz anders. Melleicht trug der Raumdazu bei, auf dem Plüsch des Reichstagssaales geht es nun malnur mit Leisetreterei, die höfliche Akustik dämpft zu schrille Töne,der Geist der Toleranz schwebt über dem belederten Gestühl. Diel-leicht lag es auch daran, daß ein Teil der Gemüter zu überspanntwar, so platzte die prinzipiell gedacht« Bombe schon im Geschäfts-ordnungsmäßigen— und hatte keine Nachfolgerin. W e st p H a l!bekam die Leitung und seine blonde Ruhe herrschte über den Wassern, ies siedete, brauste und zischte nicht mehr W e i m a n n sprach zuleidenschaftslos, wie immer, aber er hatte seine Sache in Ordnung,!der kühle Organisator, der Derwaltungsmann, der Dämpfer. Manmerkte auch seine„Richtung", aber er blieb passiv,, regte sich nichtauf, würdigte Gründe und Gegengründe: gescheit konservativ.In der Hauptsache ging es um Karl Bröger und um die„Jungsozialistischen Blätter". Kaum einer, der mit der Zeitschrift!zufrieden war. Trotzdem hatte Bröger einen leichten Stand, erbrauchte nur zu sogen:„Wenn einer mit der Zeitschrift unzufrieden �ist, bin ich es. Aber auf mich kommt es nicht an, ich bin nur derSchriftleiter: nicht von mir, sondern von euch Jungsozialisten undeurer geistigen Kraft sollen die Blätter Zeugnis geben und dashaben sie getan: nicht mehr und nicht weniger. Wenn ihr überdos Bild unzufrieden seid, das euch der Spiegel Mistet, so klopft andie eigene Brust und schmäht nicht den, der den Spiegel hält." Daswurde denn auch«ingejehen und Bröger kam aus dem Schußfclde.„Ja," wurde gesagt,„die„Jungsozialistischen Blätter" dürfen keinKlärung»- und Ausfpracheorga» mehr fein, sondern müssen mehrwissenschaftlich, mehr Bildungsblatt werden." Diesen Tod hinten-herum aber wollten die„Iungsaziolistischen Blätter" nicht sterben,es war zu leicht nachzuweisen, daß man sich, will man seine Bildungaus 16 Seiten monatlich rationieren, ebensogut ein Haarschleischenin die Jesuslocken winden kann. Die„Blätter" hatten und habennur Sinn, wenn sie Tribüne des ringenden Geistes unserer Bewe-gung bleiben— wie der beschaffen ist, bleibt eine andere Frage.Darüber wurden viele und nicht wenig gescheite Worte gewechselt: �inzwischen toten junge Genossen eine Tat und sammelten für die„Blätter" Geld ein:«s wurde tapfer gegeben und so wurde diefinanzielle Frage des nächsten Bierteljahr- im wahrsten Sinne desWortes„aus dem Handgelenk" gelöst. Bröger sammelte hundertAnregungen in die Scheuer seiner zukünftigen(Weiter-)Heraus-geberschaft: auch die Wahlen kamen schnell und kameradschaftlichzum End«. Zum Schluß sprach Westphal, wie ich ihn seltenreden hörte:. es wurde uns wohl und warm dabei ums Herz....Selbst für den kritischen und unpathetischen Beobachter bleibtfolgendes Ergebnis: der Jungsozialismus ist eine geistige Ein-h e i t, trotz aller„Gegensatz e", die meist nur solche der Tem-peranwnte sind; er ruht auf einer Art junger Menschen, die sowohlihrer Erscheinung als auch ihrem Bewußtsein und ihrer Vitalitätnach durchaus geeignet ist, Herr über die aus der Zukunft heran-drängenden schweren Aufgaben zu werden. Und darauf kommt esan. Frei Hejll___*„Res publica".Aon Walter Spengler.Unser Begriff Republik ist ein« Ableitung vom römischen respublica imd heißt: die genicinsame Sache. Wir haben eineRepublik. Ist sie uns gemeinsame Sache? Wenn es nur auf dieFchm ankäme, möcht's leidlich scheinen. Es kommt aber auf mehran, und tneles Mehr ist der Inhalt.Wenn das Leben und Treiben unserer Tage an uns vorüber-zieht, dann bietet sich dem Betrachter zunächst ein Bild der Würde-losigkeit, der Demoralisation. Schieber, Wucherer, Demagogen be-herrschen das Feld, Industriekapitäne und Junker halten die Handan die Kehle des deutschen Volkes, jeden Augenblick bereit, zuzu-drücken. Auf der anderen Seite die arbeitenden Massen. Der Der-elendung entgegcnschreitend, hilflos, fatalistisch und nur zuweilen eindumpfer Aufschrei. Ihre Führe, von edlem Wollen beseelt, dennochnicht in der Loge, den rettenden Weg zu zeigen.Wenn das der Inhalt unserer Republik sein soll, dann graut unsvorm eigenen Werk Es gibt Kreise, die uns dieses Bild des Elendsund des Verfalls, an dem sie bestimmt nicht die wenigste Schuldtrogen, immer wieder als das Produkt der Staatsform Republikaufreden wollen. Wohlgemerkt, diese Kreise sind nicht so dumm,daß sie die Zusammenhänge nicht begriffen, sondern sie verfolgendamit einen klaren pvlltilchen Zweck: Tod der Republik! Weg mitres publica! der Staat sei nicht gemeinsame Sache, sondern Sacheeiniger Interessenten. BersorgunZsanstalt für die Söhne der ewigGestrigen. Sind wir uns darüber klar, diese Ao tation. diese geradein der Gegenwart so gefährlichen Machenschaften fallen nicht ausunfruchtbaren Boden, wir können an ihnen zugrunde gehen: Eskommt alles daraus an. daß wir die Kraft und den Mut besitzen,aus uns heraus der Republik Inhalt zu geben. Wir, die Arbeiter,und vornehmlich die Jugend.Wir haben eine starke Jugendbewegung Sie war einmal hoff-nimgsoollsr als heute, aber sie kann eine Keimzelle sein, aus derwirtlich Reue, kommt Allerdinqs muß sie dann vieles, was sieheute für wesentlich hält sein lasten und wird sehr viel hinzulernen.Sie muß begreifen, doß Ansdnicksformen eben nicht mehr sind alsAusdruck. Die Sache w�rd fatal, wenn man nichts auszudrückenhat. Die Zielrichtung der Jugendbewegung ist eine pädagogische.Es handelt sich als« darum, wie diese Erziehung lein soll. Und esist kein Zweifel, daß das spartanische Ideal heute wieder mehr Be-deutung erlangt hat. als b;e meisten ahnen und wistsn. Wirbrauchen Menschen, die schakfonskrcudig, einfach, hart und unbeirr-bar sind. Die Sache mit dem wesentlichen Menschen muß aufgegebenwerden. Wesentlich wird man, wenn man etwas Wesentliches ge-Nummer 9/ Sonnabend, den 14. Oktober 1922schaffen hat. Dos Werk, die Sache macht die Person-l i ch k e i t. Hier liegt auch der Gedanke der Gemeinschaft. Auch siewird durch Kampf, durch Arbeit für eine gemeinsame Sache. Leuch-tendes Beispiel ist immer wieder die Kameradschaft im Felde, sinddie Forscherexpeditioncn usw. Zu dieser gemeinsamen Art gehörtaber, daß man sich auch wirklich anstrengt, seine Kenntnisse zu er-weitern, damit man aus den Geschehnissm sofort das Entscheidendeherausfindet, d. h. in der Lage ist, den Sinn der Dinge zu begreifen.Es ist sehr faul, wenn Jugend sich damit entschuldigt, daß sie einProdukt ihrer Berhältnisse seiWas hat das mit dem Inhalt der Republik zu tun? Wirwerden sehen.Die Republik ist nicht von den Arbeitern gemacht worden, aberals sie da war, wurde sie von ihnen gehalten und geschützt, wenn auchnicht nur von den sozialistischen allein. Sie werden ihr auch Inhaltzu geben hcHen. Die große Masse hat vor allem die Aufgabe,aus sich heraus Menschen zu schaffen, die einmal bestunmend sind:Führer. Was die Masse selbst kann, das Ist: Format und Haltunghaben.In unser Volk muß etwas hinein von der Selbstficherheit desEngländers. Jeder einzelne muß die Freuden und Leiden desStaates selbst mitempfinden und sich dafür irgendwie mitverantwort-lich fühlen. Es sollen hkr einige Wort« Goethes aus seinen Ge-sprächen mit Eckermonn stehen. Goethe bewundert den Stolz unddie Beliebtheit der Engländer, worauf ihm Eckermann erwidert:„Ich möchte jedoch nicht behaupten, daß unsere weimarischen jungenEngländer gescheiter, geistreicher, unterrichteter sind und von Herzenvortrefflicher wären als andere Leute auch." Darauf Goethe, undnun kommt das, worauf ich hinaus will:„In solchen Dingen, meinBester, liegt es nicht. Es liegt auch nicht in der Geburt und imReichtum: sondern es liegt darin, daß sie eben die Courage haben,das zu sein, wozu die Natur sie gemacht hat. Es ist an ihnen nichtsverbildet und verbogen, es sind an ihnen keine Halbheiten undSchiefheiten, sondern wie sie auch sind, es sind immer kompletteMenschen. Auch kon plette Narren mitunter, das gebe ich vonHerzen zu: allein es ist doch was und hat doch'auf der Wage derNatur immer einiges Gewicht. Das Glück der persönlichen Freiheit,das Bewußtsein des englischen Namens und welche Bedeutung ihmbei anderen Nationen beiwohnt, kommt schon den Kindern zugute,so daß sie souohl in der Familie als in den Unterrichtsstunden mitweit größerer Achtung behandelt werden und eine weit glücklich-freiere Entwicklung genießen als bei uns Deutschen."Wir müssen auch, selbst auf die Gefahr hin, in den eigenenReihen mißverstanden zu werden, wieder etwas auf unt-als Deutsche halten. Dazu gehört auch der Mut, immerdort, wo der deutsche Name beschmutzt wird, für ihn einzutreten.—Es sind keine Tagemärsche, die zurückgelegt worden sind, wennwir das Gesagte beherzigen, aber Schritte nach vorwärts sind esbestimmt.Utopististhe paüagogik.Bon Herbert Heiland.W y n e k e n hat auf der Reichsschulkonferenz die optimistischenWorte gesprochen:„Hier ist der Ort, an dem die alte Schule zu Grabegetragen wird." Aber die bürgerliche Gesellschaft hat ihn gebrand-markt, ihn, den U t o p i st e n. Denn was war er anderes? Diesozialen Utopisten der Vergangenheit wendeten sich hilfesuchend andas Bürgertum selbst. Fourier hat bis an sein Lebendsende aufden„Kandidaten gewortet, der ihm die Mittel zum Bau eines Ver-suchsphalansteriums zur Verfügung stellen sollte. Auch WynekensBersuchsschule in Wickersdorf war ein kapitalistischesUnternehmen und war ein Experiment. Trotzdem kannWynekens Versuch, pädagogische Erkenntnisse auf ihre praktische Ver-wertbarkeit zu prüfen, nicht hoch genug eingeschätzt werden. UndWynekens Utopie? Man müsse, sagt er, die Jugend herausnehmenaus dieser ihrer schlechten-, Umgebung, sie trennen von der fürkünftiges, reines Menschentum unrettbar verlorenen Generation derAlten, sie in einsamer, einfach-natürlicher Umwelt erziehen.Aber es ist ein fundamentaler Irrtum, anzunehmen, daß eineUmgestaltung„des" Menschen und nicht- weiter vonnöten sei, daßder Geist, die Idee Ursprung und Triebkraft aller Bewegung undEntwicklung sei: es Ist das, was wir das F r e i d e u t s ch t u mWynekens nennen wollen. Und der damit verbundene Gedanke,daß die Jugend im Alter den Feind zu sehen habe. Eine solcheDifferenzierung nach Jahren und Gemütseinstellungen kennt dieArbeiterklasse nicht. Wyneken ist der Schöpfer des Begriffs„Iugendkultur". Er hat mit größter Schärfe das Recht derJugend auf sich selkfft und auf eigene Lebensgestaltung proklamiert.Das ist eine Auffassung, die mehr und mehr Anerkennung gewinnt:die Jugend ist nicht nur Vorbereitung auf das Frauen- oderManncsalter, sondern ein Zeitraum im Leben des Menschen miteigenen Lebensgcsetzen und eigenen Forderungen. Die Erziehungsoll also auch nicht nur in Hinsicht auf einen späteren durch andereGesetze bestimmten Lebenszeitraum gestaltet werden. Freilich hatdas Wort„Jugendkultur" auch manchen Wirrwarr angerichtet.Sonst gäbe es nicht soviel« Alte, die allen Ernstes an ihr jugendlichesHerz glauben.—Die Rudolstädter Strafkammer hat in diesen Tagen Wynekenabermal«, wie im vorigen Jahre, zu einem Jahre Gefängnis ver-urteilt. Es scheint also, daß unsere„moralische" Gesellschaft den Ver-fehmten nicht mehr rehabilitieren wird. Und Wyneken legt wohl selbstkeinen Wert darauf.„Mir mag widerfahren, was da will...Tragisch ist für mich nur das, daß Verrat aus den Reihen derJugend selbst... den Dolch zückte gegen den, der sein Leben derJugend geschenkt und anvertraut hatte." Die Jugend selbst möge dieTat sühnen: eine Bewegung möge in ihr aufflammen,„die nichteher ruht, als bis sie gesiegt, als bis sie erreicht bat, daß niemalswieder solche Erniedrigung und Schändung des Gros möglich ist."Die junge Generation der Arbeiterschaft hat nichts, zu sühnen.Und die kommende Pädagogik geht andere Wege. Eines aber istzu beachten. Die Person Wynekens ist den Reaktionären herzlichaleichgültig. Mit ihm gedenkt man den Gedanken der Schulreformin Deutschland überhaupt totzuschlagen. Und dieser Umstand ruftuns aus den Plan. Nicht für Wyneken, aber gegen dieSchulreaktion!-/lbstbieö von der?ugenö.Von E l l- E l l.Ja. es ist kein Zweifel! Was mich vor einiger Zeit in blitz-artiger Ahnung überfiel, wird mehr und mehr wahr. Es heißt:Abschiednehmen von der Jugend. Abschied vom holdesten Traum,der uns Menschen zu träumen vergönnt ist..'Was waren das für Jahre- Zwischen achtzehn und zwemnd-zwanzig! Ist ee möglich st- zu schildern? Den Reiz der durch selbst-aewählte Beschränkung im Zaum gehaltenen Ungebundenheit, dieherrliche Sorglosigkeit, die edle Auswallung, die großen Mcnschheits-ziele, die selbstlose Hingabe' Wo wird sich jemals wieder einFreundestreis zusammenfinden, gleich jenem, der uns Jünglinge undMädchen umschloß: Einer dem anderen unbedingt vertrauend, Freudeund Lächeln beim Begegnen, übermütige Ausgelassenheit, neidlosesStreben mit und nebeneinander. Buben und Mädels in ehrlichsterKameradschaft zusammen. Ohne Arg, ohne störendes Beiwerk. KeinAlkohol, keine Zigarette, keine heimlichen Witze. Und doch volljubelnder Lebenssieude, voll tollster Ausgelossenhcit.Welche Begeisterung für die Kunst, sür die Literiaturl Wie saßensie da und lasen mit feurigem Ausdruck und nachhelfender Geberdedie„Räuber", den„Wallenstein" und mit erstem Verstehen, mehrAhnen noch, Ibsens Gesellschaftsdramen. Welche Liebe zur Natur!Haben Berge und Täler je wieder so frische, fröhliche Wanderer ge-sehen? Ohne Zupfgeigen und ohne rote Halstücher und all denFirlefanz, mit dem ein verstiegener Sport dieses edelste Vergnügenumgibt. Und die Stadt! Wie gern wandelten wir nachts nach dengemeinsamen Zusammenkünften durch die Straßen, in die das Mond-licht phantastische Schatten warf. War ich des Nachts die fünfTreppen zu meiner Mansarde hinaufgeturnt, dann lag ich vor demSchlafengehen einige Minuten am Fensterchen. Das war über alleMaßen schön. Oft wurde dieser nächtliche Blick aus dem Mansarden-fensterchen letzter Ausklang harmonischer Abende, angefüllt mit demSchwärm jugendlichen Ideenreichtums, innigster Verbrüderung vonFreund zu Freund.In breitem Strom flössen unseren offenen Hirnen und Herzendie Ideale der Arbeiterbewegung zu. In uneigennützigem Streben,das noch nichts wußte von reiner Zwccksetzung, in tiefster Hingegeben-heit, die dem edlen Ziele geweiht war, so reiften wir dem Kampfder Männer und Frauen des arbeitenden Volkes entgegen.Im Flug ging der Arbeitstag vorüber. Der Abend, diegemeinsamen Stunden oder auch das einsame Studium in der Man-sarde brachten erst lebendige Bewegung des jugendlichen Geistes. Soreich waren wir alle! Nie wieder habe ich mich so reich gefühlt.Das war alles Proletarierjugcnd. Ueber die freilich noch nichtdie Kriegsfurie dahingebraust war.Lag nicht in jenen Jahren auch die„Tippel-Zeit"? Jene Wochenvollkommenster Freiheit, weitgehendster Selbstbestimmung, wie siewohl das Leben nie wieder bietet? Der Rhein, blühend und leuch-tend zuerst, berußt und mit harter Fron beladen später, dos Kohlen-bott, die riesenhafte Industrie Rheinland-Westfalens, die weite Ebenedes westlichen Westfalen, Holland, Belgien, Frankreich, Schweiz,Dänemark, Schweden. Und nicht zuletzt das schöne deutsche Land.Ein Epos von jugendlichem Schauen und Erschauern, von Penn-'bnideni und Kohldampsschiebcrn, von holländisch-belgischep Kirchenund Rathäusern in sein ziselierter Gotik mit Glockenspielen, vonfranzösischen Kathedralen und Weinbauern, die dem im Sonnenbranddahinziehenden Wanderer kühlen Wein der Lobe bieten. Noch nichtsvon„Boche". Noch überall gutmütige Menschlichkeit. So die feinenholländischen Genossen in Amsterdam, die erstaunt über die Unter-nehmungslust des eben Ausgelernten, ihn mit aller Freundlichkeitumgeben. So das alte Ehepaar in der belgischen Provinz Limburg,das dem durchnäßten Tippelbruder Obdach bietet, ihn bewirtet mitsoviel Zutraulichkcit, daß ihm ordentlich warm ums Herz wird, undihist zuletzt noch seinen Rucksack vollstopft mit Kuchen und gutenSachen.'<Weil nämlich gerade Kirchweih war.) So die Kollegenalle, die in liebenswürdiger Hilfsbereitschaft dem jungen deutschenHandwerksburschen zur Hand gingen. Auch so jene prächtigen wallo-Nischen Bergorbeiter, die den fremden Genossen hochleben ließen, be-geistert die Internationale sangen(die sie hinreißender singen alswir Deutschen) und nicht aufhörten, mich ihrer Sympathie, ihrerinternationalen Solidarität zu versichern. Herrlichste Einsamkeit derschweigenden, schwarzblauen Wälder Schwedens, der stillen Seen.Stundenlang kein Haus, kein Mensch. Ganz allein mit mir undGott. Und das Meer und die Sonn«!Doch dem kühnen Wanderer ist«in Ziel gesetzt. Mitten imRausch des Erlebens faßt ihn ein Gefühl an, wie er es ähnlich nieempfunden hatte. Ja, es ist Heimweh. Heimweh nach demStädtchen, das seine Kindheit umschloß. Heimweh nach der Stadt,die seine erwachende Jugend umfangen, wo die Freunde ihn er-warteten. O seliges Gefühl! Wie erstaunt. Wie unerwartet. Heim-weh! Heimgekommen ging er dann die alten Wege, die der Knabefast täglich zu gehen hatte. Ja, was war da vorgegangen? Wardas derselbe Weg, derselbe Wald, die gleichen Wiesen und Gürten?War das je jo schön gewesen? Hatten je so heftig die Pulse ge-schlagen und das Auge geglänzt? War je so beimlich-innige Freudeins Herz gezogen beim Schreiten auf diesem Pfad? Da wurde esdem Heimgekehrten klar: Die Fremde mit all ihren Herrlichkeitenhatte nicht vermocht, ihn blind für die Schönheit der 5)eimat zumachen. Nein: sie hatte ihm erst die Augen geöffnet sür den Boden,dem er entsprossen.Und dann: die schöne Zeit der jungen Liebe. Gibt es überhauptWorte dafür. Kann man, soll man das beschreiben, was als holdesteErinnerung tief im Herzen eingeschreint ist. O Schönheit! O Jugend!O seligstes Entzücken! Wie leicht der Schritt, der uns dem geliebtenMädchen näher bringt: wie bang das Herz, wenn die verabredeteZeit vergangen und sie nicht erschienen ist. In die tiefsten Gründetragischer Verwicklung stürzt sich da das junge Herz. Und lächeltunter Tränen, selig, wenn nach Hause gekommen, ein Brieflein vonihr da liegt. Ihr Bäume im Frühlingsgrün, ihr Straßen und Plätze,ihr Wälder und Berge und Täler, und ihr Wände. Ihr seid Zeugender geweihten Stunden, da das junge Liebespaar Hand in Hand,Seele in Seele wandelte auf den Fluren jelbstgebauter Zukunft. DerHändedruck, der Blick der Augen, der erste Kußl Wie zag noch, wieverschämt. Und doch: wie glücklich. Abseits aller verzehrendenWünsche, in Licht gebadet, in Freude und Stolz genährt. Nie wiederwird das sein!Ja, es ist wahr: Es ist aus mit der Jugend. Es heißt Abschied-nehmen endgültig, für immer.War es nicht schon längst aus? Hat nicht dos Heraufziehen desKriegsunwetters alles mit rauhem Getöse zerrissen? Zerstört dieliebliche Idylle, der es gleichwohl nicht an heldenhaften Zügen fehlte?Der Krieg brachte in den gleichgestimmten Chor der Freunde dieDissonanzen. Er brachte frühzeitig die Jugend zum Abschluß, ent-wickelte schneller als sonst die selbständigen Anlagen und Triebe, dieden einen vom anderen schieden. Die Jugend enteilte und nahm mitsich das Band, das uns alle umschlang.Einige der Freunde sind tot. Und wir, die Ueberlebenden?Sollen wir uns glücklich preisen? Das„Ja" will nur schwer vonden Lippen. Gewiß haben wir Ereignisse von weltgeschichtlicherGröße erlebt. Großartige Veränderungen in Staat und Gesellschaft,die noch irniinterbrochen andauern. An den Hoffnungen der Jugendgemessen überwältigend. Aber auch wieviel Trübes, wieviel ge-brochene Herzen und kummervolle Gemüter, wieviel Jammer undElend sieht diese Zeit. Das Leben so hart und schwer. Es frißt Zeitund Geist und Frohsinn. Immer seltener werden die Erhebungendes Gemütes, immer kärglicher fließt die Quelle innerer Begeisterung.Der Kampf ums Dasein zermalmt den Menschen. Das große Ster-ben der alten Leute, der Witwen und Waisen, der verschämtenArmen: O.Vs ist entsetzlich. Tag für Tag empfängt das Herz bluttgeStiche. Verzweiflung und Ohnmacht, nicht helfen zu können,zerren an Nerven und Gesundheit.Habe ich recht, bin ich zu tadeln, wenn ich nur schwer die Be-jahung des Lebens, dieses Lebens, über die Lippen bringe?