Der«Zugend-Vorwärks* ist ein Diskussionsorgan der Arbeiter-Jugend und der Jungsoztalisten. Es können hier ge- lcgenkiich auch Meinungen zum Ausdruck kommen, die dem Standpunkt der Partei nicht voLkommen entsprechen. Die Redaktion trögt daher sür den Inhalt dieser Beilage nur die prcßgesehliche Verantwortung. Redaktion desVorwärts". �ungfozialististher Zührertag. Don Pidder am Steen. Der Führ er tag der Jungsozialisten vom 1. Oktober nahm einen überraschend angenehmen, man möchte fast sagen: vornehmen Der- lauf. Jedenfalls war es wieder einmal ander- gekommen, als man vorher gedacht hatte. Die Wetterprognose stand aufSturm". Teils dieserhalb, teils außerdem:«o waren Spannungen, Gegensätze, Rich- tungen, Gruppen in Masse vertreten, von den diversenWeltan- lchauungen" zu fchweigen man durfte billigerweise ein halbes Dutzend Haorigkeiten erwarten. Es waren ihrer gar viele, die es unter dem Kopf von Karl Brögsr nicht tun wollten, andere hatten sich den Rucksack mit Problemen vollgepfropft, die sie nicht un- geiöst wieder von hinnen bringen wollten, und Resolutionen, Reso- lutionenl! aber es kam ganz anders. Melleicht trug der Raum dazu bei, auf dem Plüsch des Reichstagssaales geht es nun mal nur mit Leisetreterei, die höfliche Akustik dämpft zu schrille Töne, der Geist der Toleranz schwebt über dem belederten Gestühl. Diel- leicht lag es auch daran, daß ein Teil der Gemüter zu überspannt war, so platzte die prinzipiell gedacht« Bombe schon im Geschäfts- ordnungsmäßigen und hatte keine Nachfolgerin. W e st p H a l! bekam die Leitung und seine blonde Ruhe herrschte über den Wassern, i es siedete, brauste und zischte nicht mehr W e i m a n n sprach zu leidenschaftslos, wie immer, aber er hatte seine Sache in Ordnung,! der kühle Organisator, der Derwaltungsmann, der Dämpfer. Man merkte auch seineRichtung", aber er blieb passiv,, regte sich nicht auf, würdigte Gründe und Gegengründe: gescheit konservativ. In der Hauptsache ging es um Karl Bröger   und um die Jungsozialistischen Blätter". Kaum einer, der mit der Zeitschrift! zufrieden war. Trotzdem hatte Bröger einen leichten Stand, er brauchte nur zu sogen:Wenn einer mit der Zeitschrift unzufrieden ist, bin ich es. Aber auf mich kommt es nicht an, ich bin nur der Schriftleiter: nicht von mir, sondern von euch Jungsozialisten und eurer geistigen Kraft sollen die Blätter Zeugnis geben und das haben sie getan: nicht mehr und nicht weniger. Wenn ihr über dos Bild unzufrieden seid, das euch der Spiegel Mistet, so klopft an die eigene Brust und schmäht nicht den, der den Spiegel hält." Das wurde denn auch«ingejehen und Bröger kam aus dem Schußfclde. Ja," wurde gesagt,dieJungsozialistischen Blätter" dürfen kein Klärung»- und Ausfpracheorga» mehr fein, sondern müssen mehr wissenschaftlich, mehr Bildungsblatt werden." Diesen Tod hinten- herum aber wollten dieIungsaziolistischen Blätter" nicht sterben, es war zu leicht nachzuweisen, daß man sich, will man seine Bildung aus 16 Seiten monatlich rationieren, ebensogut ein Haarschleischen in die Jesuslocken winden kann. DieBlätter" hatten und haben nur Sinn, wenn sie Tribüne des ringenden Geistes unserer Bewe- gung bleiben wie der beschaffen ist, bleibt eine andere Frage. Darüber wurden viele und nicht wenig gescheite Worte gewechselt: inzwischen toten junge Genossen eine Tat und sammelten für die Blätter" Geld ein:«s wurde tapfer gegeben und so wurde die finanzielle Frage des nächsten Bierteljahr- im wahrsten Sinne des Wortesaus dem Handgelenk" gelöst. Bröger sammelte hundert Anregungen in die Scheuer seiner zukünftigen(Weiter-)Heraus- geberschaft: auch die Wahlen kamen schnell und kameradschaftlich zum End«. Zum Schluß sprach Westphal, wie ich ihn selten reden hörte:. es wurde uns wohl und warm dabei ums Herz.... Selbst für den kritischen und unpathetischen Beobachter bleibt folgendes Ergebnis: der Jungsozialismus ist eine geistige Ein- h e i t, trotz allerGegensatz e", die meist nur solche der Tem- peranwnte sind; er ruht auf einer Art junger Menschen, die sowohl ihrer Erscheinung als auch ihrem Bewußtsein und ihrer Vitalität nach durchaus geeignet ist, Herr über die aus der Zukunft heran- drängenden schweren Aufgaben zu werden. Und darauf kommt es an. Frei Hejll___ *Res publica". Aon Walter Spengler. Unser Begriff Republik   ist ein« Ableitung vom römischen res publica imd heißt: die genicinsame Sache. Wir haben eine Republik  . Ist sie uns gemeinsame Sache? Wenn es nur auf die Fchm ankäme, möcht's leidlich scheinen. Es kommt aber auf mehr an, und tneles Mehr ist der Inhalt. Wenn das Leben und Treiben unserer Tage an uns vorüber- zieht, dann bietet sich dem Betrachter zunächst ein Bild der Würde- losigkeit, der Demoralisation. Schieber, Wucherer, Demagogen be- herrschen das Feld, Industriekapitäne und Junker halten die Hand an die Kehle des deutschen   Volkes, jeden Augenblick bereit, zuzu- drücken. Auf der anderen Seite die arbeitenden Massen. Der Der- elendung entgegcnschreitend, hilflos, fatalistisch und nur zuweilen ein dumpfer Aufschrei. Ihre Führe, von edlem Wollen beseelt, dennoch nicht in der Loge, den rettenden Weg zu zeigen. Wenn das der Inhalt unserer Republik   sein soll, dann graut uns vorm eigenen Werk Es gibt Kreise, die uns dieses Bild des Elends und des Verfalls, an dem sie bestimmt nicht die wenigste Schuld trogen, immer wieder als das Produkt der Staatsform Republik  aufreden wollen. Wohlgemerkt, diese Kreise sind nicht so dumm, daß sie die Zusammenhänge nicht begriffen, sondern sie verfolgen damit einen klaren pvlltilchen Zweck: Tod der Republik  ! Weg mit res publica! der Staat sei nicht gemeinsame Sache, sondern Sache einiger Interessenten. BersorgunZsanstalt für die Söhne der ewig Gestrigen. Sind wir uns darüber klar, diese Ao tation. diese gerade in der Gegenwart so gefährlichen Machenschaften fallen nicht aus unfruchtbaren Boden, wir können an ihnen zugrunde gehen: Es kommt alles daraus an. daß wir die Kraft und den Mut besitzen, aus uns heraus der Republik   Inhalt zu geben. Wir, die Arbeiter, und vornehmlich die Jugend. Wir haben eine starke Jugendbewegung Sie war einmal hoff- nimgsoollsr als heute, aber sie kann eine Keimzelle sein, aus der wirtlich Reue, kommt Allerdinqs muß sie dann vieles, was sie heute für wesentlich hält sein lasten und wird sehr viel hinzulernen. Sie muß begreifen, doß Ansdnicksformen eben nicht mehr sind als Ausdruck. Die Sache w�rd fatal, wenn man nichts auszudrücken hat. Die Zielrichtung der Jugendbewegung ist eine pädagogische. Es handelt sich als« darum, wie diese Erziehung lein soll. Und es ist kein Zweifel, daß das spartanische Ideal heute wieder mehr Be- deutung erlangt hat. als b;e meisten ahnen und wistsn. Wir brauchen Menschen, die schakfonskrcudig, einfach, hart und unbeirr- bar sind. Die Sache mit dem wesentlichen Menschen muß aufgegeben werden. Wesentlich wird man, wenn man etwas Wesentliches ge- Nummer 9/ Sonnabend, den 14. Oktober 1922 schaffen hat. Dos Werk, die Sache macht die Person- l i ch k e i t. Hier liegt auch der Gedanke der Gemeinschaft. Auch sie wird durch Kampf, durch Arbeit für eine gemeinsame Sache. Leuch- tendes Beispiel ist immer wieder die Kameradschaft im Felde, sind die Forscherexpeditioncn usw. Zu dieser gemeinsamen Art gehört aber, daß man sich auch wirklich anstrengt, seine Kenntnisse zu er- weitern, damit man aus den Geschehnissm sofort das Entscheidende herausfindet, d. h. in der Lage ist, den Sinn der Dinge zu begreifen. Es ist sehr faul, wenn Jugend sich damit entschuldigt, daß sie ein Produkt ihrer Berhältnisse sei Was hat das mit dem Inhalt der Republik   zu tun? Wir werden sehen. Die Republik   ist nicht von den Arbeitern gemacht worden, aber als sie da war, wurde sie von ihnen gehalten und geschützt, wenn auch nicht nur von den sozialistischen   allein. Sie werden ihr auch Inhalt zu geben hcHen. Die große Masse hat vor allem die Aufgabe, aus sich heraus Menschen zu schaffen, die einmal bestunmend sind: Führer. Was die Masse selbst kann, das Ist: Format und Haltung haben. In unser Volk muß etwas hinein von der Selbstficherheit des Engländers. Jeder einzelne muß die Freuden und Leiden des Staates selbst mitempfinden und sich dafür irgendwie mitverantwort- lich fühlen. Es sollen hkr einige Wort« Goethes aus seinen Ge- sprächen mit Eckermonn stehen. Goethe bewundert den Stolz und die Beliebtheit der Engländer, worauf ihm Eckermann erwidert: Ich möchte jedoch nicht behaupten, daß unsere weimarischen jungen Engländer gescheiter, geistreicher, unterrichteter sind und von Herzen vortrefflicher wären als andere Leute auch." Darauf Goethe, und nun kommt das, worauf ich hinaus will:In solchen Dingen, mein Bester, liegt es nicht. Es liegt auch nicht in der Geburt und im Reichtum: sondern es liegt darin, daß sie eben die Courage haben, das zu sein, wozu die Natur sie gemacht hat. Es ist an ihnen nichts verbildet und verbogen, es sind an ihnen keine Halbheiten und Schiefheiten, sondern wie sie auch sind, es sind immer komplette Menschen. Auch kon plette Narren mitunter, das gebe ich von Herzen zu: allein es ist doch was und hat doch'auf der Wage der Natur immer einiges Gewicht. Das Glück der persönlichen Freiheit, das Bewußtsein des englischen Namens und welche Bedeutung ihm bei anderen Nationen beiwohnt, kommt schon den Kindern zugute, so daß sie souohl in der Familie als in den Unterrichtsstunden mit weit größerer Achtung behandelt werden und eine weit glücklich- freiere Entwicklung genießen als bei uns Deutschen  ." Wir müssen auch, selbst auf die Gefahr hin, in den eigenen Reihen mißverstanden zu werden, wieder etwas auf unt- als Deutsche halten. Dazu gehört auch der Mut, immer dort, wo der deutsche Name beschmutzt wird, für ihn einzutreten. Es sind keine Tagemärsche, die zurückgelegt worden sind, wenn wir das Gesagte beherzigen, aber Schritte nach vorwärts sind es bestimmt. Utopististhe paüagogik. Bon Herbert Heiland. W y n e k e n hat auf der Reichsschulkonferenz die optimistischen Worte gesprochen:Hier ist der Ort, an dem die alte Schule zu Grabe getragen wird." Aber die bürgerliche Gesellschaft hat ihn gebrand- markt, ihn, den U t o p i st e n. Denn was war er anderes? Die sozialen Utopisten der Vergangenheit wendeten sich hilfesuchend an das Bürgertum selbst. Fourier hat bis an sein Lebendsende auf denKandidaten gewortet, der ihm die Mittel zum Bau eines Ver- suchsphalansteriums zur Verfügung stellen sollte. Auch Wynekens Bersuchsschule in Wickersdorf   war ein kapitalistisches Unternehmen und war ein Experiment. Trotzdem kann Wynekens Versuch, pädagogische Erkenntnisse auf ihre praktische Ver- wertbarkeit zu prüfen, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Und Wynekens Utopie? Man müsse, sagt er, die Jugend herausnehmen aus dieser ihrer schlechten-, Umgebung, sie trennen von der für künftiges, reines Menschentum unrettbar verlorenen Generation der Alten, sie in einsamer, einfach-natürlicher Umwelt erziehen. Aber es ist ein fundamentaler Irrtum, anzunehmen, daß eine Umgestaltungdes" Menschen und nicht- weiter vonnöten sei, daß der Geist, die Idee Ursprung und Triebkraft aller Bewegung und Entwicklung sei: es Ist das, was wir das F r e i d e u t s ch t u m Wynekens nennen wollen. Und der damit verbundene Gedanke, daß die Jugend im Alter den Feind zu sehen habe. Eine solche Differenzierung nach Jahren und Gemütseinstellungen kennt die Arbeiterklasse nicht. Wyneken   ist der Schöpfer des Begriffs Iugendkultur". Er hat mit größter Schärfe das Recht der Jugend auf sich selkfft und auf eigene Lebensgestaltung proklamiert. Das ist eine Auffassung, die mehr und mehr Anerkennung gewinnt: die Jugend ist nicht nur Vorbereitung auf das Frauen- oder Manncsalter, sondern ein Zeitraum im Leben des Menschen mit eigenen Lebensgcsetzen und eigenen Forderungen. Die Erziehung soll also auch nicht nur in Hinsicht auf einen späteren durch andere Gesetze bestimmten Lebenszeitraum gestaltet werden. Freilich hat das WortJugendkultur" auch manchen Wirrwarr angerichtet. Sonst gäbe es nicht soviel« Alte, die allen Ernstes an ihr jugendliches Herz glauben. Die Rudolstädter   Strafkammer hat in diesen Tagen Wyneken abermal«, wie im vorigen Jahre, zu einem Jahre Gefängnis ver- urteilt. Es scheint also, daß unseremoralische" Gesellschaft den Ver- fehmten nicht mehr rehabilitieren wird. Und Wyneken legt wohl selbst keinen Wert darauf.Mir mag widerfahren, was da will... Tragisch ist für mich nur das, daß Verrat aus den Reihen der Jugend selbst... den Dolch zückte gegen den, der sein Leben der Jugend geschenkt und anvertraut hatte." Die Jugend selbst möge die Tat sühnen: eine Bewegung möge in ihr aufflammen,die nicht eher ruht, als bis sie gesiegt, als bis sie erreicht bat, daß niemals wieder solche Erniedrigung und Schändung des Gros möglich ist." Die junge Generation der Arbeiterschaft hat nichts, zu sühnen. Und die kommende Pädagogik geht andere Wege. Eines aber ist zu beachten. Die Person Wynekens ist den Reaktionären herzlich aleichgültig. Mit ihm gedenkt man den Gedanken der Schulreform in Deutschland   überhaupt totzuschlagen. Und dieser Umstand ruft uns aus den Plan. Nicht für Wyneken, aber gegen die Schulreaktion!- /lbstbieö von der?ugenö. Von E l l- E l l. Ja. es ist kein Zweifel! Was mich vor einiger Zeit in blitz- artiger Ahnung überfiel, wird mehr und mehr wahr. Es heißt: Abschiednehmen von der Jugend. Abschied vom holdesten Traum, der uns Menschen zu träumen vergönnt ist..' Was waren das für Jahre- Zwischen achtzehn und zwemnd- zwanzig! Ist ee möglich st- zu schildern? Den Reiz der durch selbst- aewählte Beschränkung im Zaum gehaltenen Ungebundenheit, die herrliche Sorglosigkeit, die edle Auswallung, die großen Mcnschheits- ziele, die selbstlose Hingabe' Wo wird sich jemals wieder ein Freundestreis zusammenfinden, gleich jenem, der uns Jünglinge und Mädchen umschloß: Einer dem anderen unbedingt vertrauend, Freude und Lächeln beim Begegnen, übermütige Ausgelassenheit, neidloses Streben mit und nebeneinander. Buben und Mädels in ehrlichster Kameradschaft zusammen. Ohne Arg, ohne störendes Beiwerk. Kein Alkohol, keine Zigarette, keine heimlichen Witze. Und doch voll jubelnder Lebenssieude, voll tollster Ausgelossenhcit. Welche Begeisterung für die Kunst, sür die Literiaturl Wie saßen sie da und lasen mit feurigem Ausdruck und nachhelfender Geberde dieRäuber", denWallenstein  " und mit erstem Verstehen, mehr Ahnen noch, Ibsens Gesellschaftsdramen. Welche Liebe zur Natur! Haben Berge und Täler je wieder so frische, fröhliche Wanderer ge- sehen? Ohne Zupfgeigen und ohne rote Halstücher und all den Firlefanz, mit dem ein verstiegener Sport dieses edelste Vergnügen umgibt. Und die Stadt! Wie gern wandelten wir nachts nach den gemeinsamen Zusammenkünften durch die Straßen, in die das Mond- licht phantastische Schatten warf. War ich des Nachts die fünf Treppen zu meiner Mansarde hinaufgeturnt, dann lag ich vor dem Schlafengehen einige Minuten am Fensterchen. Das war über alle Maßen schön. Oft wurde dieser nächtliche Blick aus dem Mansarden- fensterchen letzter Ausklang harmonischer Abende, angefüllt mit dem Schwärm jugendlichen Ideenreichtums, innigster Verbrüderung von Freund zu Freund. In breitem Strom flössen unseren offenen Hirnen und Herzen die Ideale der Arbeiterbewegung zu. In uneigennützigem Streben, das noch nichts wußte von reiner Zwccksetzung, in tiefster Hingegeben- heit, die dem edlen Ziele geweiht war, so reiften wir dem Kampf der Männer und Frauen des arbeitenden Volkes entgegen. Im Flug ging der Arbeitstag vorüber. Der Abend, die gemeinsamen Stunden oder auch das einsame Studium in der Man- sarde brachten erst lebendige Bewegung des jugendlichen Geistes. So reich waren wir alle! Nie wieder habe ich mich so reich gefühlt. Das war alles Proletarierjugcnd. Ueber die freilich noch nicht die Kriegsfurie dahingebraust war. Lag nicht in jenen Jahren auch dieTippel-Zeit"? Jene Wochen vollkommenster Freiheit, weitgehendster Selbstbestimmung, wie sie wohl das Leben nie wieder bietet? Der Rhein  , blühend und leuch- tend zuerst, berußt und mit harter Fron beladen später, dos Kohlen- bott, die riesenhafte Industrie Rheinland-Westfalens, die weite Ebene des westlichen Westfalen, Holland  , Belgien  , Frankreich  , Schweiz  , Dänemark  , Schweden  . Und nicht zuletzt das schöne deutsche Land. Ein Epos von jugendlichem Schauen und Erschauern, von Penn-' bnideni und Kohldampsschiebcrn, von holländisch-belgischep Kirchen und Rathäusern in sein ziselierter Gotik mit Glockenspielen, von französischen   Kathedralen und Weinbauern, die dem im Sonnenbrand dahinziehenden Wanderer kühlen Wein der Lobe bieten. Noch nichts vonBoche". Noch überall gutmütige Menschlichkeit. So die feinen holländischen Genossen in Amsterdam  , die erstaunt über die Unter- nehmungslust des eben Ausgelernten, ihn mit aller Freundlichkeit umgeben. So das alte Ehepaar in der belgischen Provinz Limburg  , das dem durchnäßten Tippelbruder Obdach bietet, ihn bewirtet mit soviel Zutraulichkcit, daß ihm ordentlich warm ums Herz wird, und ihist zuletzt noch seinen Rucksack vollstopft mit Kuchen und guten Sachen.'<Weil nämlich gerade Kirchweih war.) So die Kollegen alle, die in liebenswürdiger Hilfsbereitschaft dem jungen deutschen  Handwerksburschen zur Hand gingen. Auch so jene prächtigen wallo- Nischen Bergorbeiter, die den fremden Genossen hochleben ließen, be- geistert die Internationale sangen(die sie hinreißender singen als wir Deutschen  ) und nicht aufhörten, mich ihrer Sympathie, ihrer internationalen Solidarität zu versichern. Herrlichste Einsamkeit der schweigenden, schwarzblauen Wälder Schwedens  , der stillen Seen. Stundenlang kein Haus, kein Mensch. Ganz allein mit mir und Gott. Und das Meer und die Sonn«! Doch dem kühnen Wanderer ist«in Ziel gesetzt. Mitten im Rausch des Erlebens faßt ihn ein Gefühl an, wie er es ähnlich nie empfunden hatte. Ja, es ist Heimweh. Heimweh nach dem Städtchen, das seine Kindheit umschloß. Heimweh nach der Stadt, die seine erwachende Jugend umfangen, wo die Freunde ihn er- warteten. O seliges Gefühl! Wie erstaunt. Wie unerwartet. Heim- weh! Heimgekommen ging er dann die alten Wege, die der Knabe fast täglich zu gehen hatte. Ja, was war da vorgegangen? War das derselbe Weg, derselbe Wald, die gleichen Wiesen und Gürten? War das je jo schön gewesen? Hatten je so heftig die Pulse ge- schlagen und das Auge geglänzt? War je so beimlich-innige Freude ins Herz gezogen beim Schreiten auf diesem Pfad? Da wurde es dem Heimgekehrten klar: Die Fremde mit all ihren Herrlichkeiten hatte nicht vermocht, ihn blind für die Schönheit der 5)eimat zu machen. Nein: sie hatte ihm erst die Augen geöffnet sür den Boden, dem er entsprossen. Und dann: die schöne Zeit der jungen Liebe. Gibt es überhaupt Worte dafür. Kann man, soll man das beschreiben, was als holdeste Erinnerung tief im Herzen eingeschreint ist. O Schönheit! O Jugend! O seligstes Entzücken! Wie leicht der Schritt, der uns dem geliebten Mädchen näher bringt: wie bang das Herz, wenn die verabredete Zeit vergangen und sie nicht erschienen ist. In die tiefsten Gründe tragischer Verwicklung stürzt sich da das junge Herz. Und lächelt unter Tränen, selig, wenn nach Hause gekommen, ein Brieflein von ihr da liegt. Ihr Bäume im Frühlingsgrün, ihr Straßen und Plätze, ihr Wälder und Berge und Täler, und ihr Wände. Ihr seid Zeugen der geweihten Stunden, da das junge Liebespaar Hand in Hand, Seele in Seele wandelte auf den Fluren jelbstgebauter Zukunft. Der Händedruck, der Blick der Augen, der erste Kußl Wie zag noch, wie verschämt. Und doch: wie glücklich. Abseits aller verzehrenden Wünsche, in Licht gebadet, in Freude und Stolz genährt. Nie wieder wird das sein! Ja, es ist wahr: Es ist aus mit der Jugend. Es heißt Abschied- nehmen endgültig, für immer. War es nicht schon längst aus? Hat nicht dos Heraufziehen des Kriegsunwetters alles mit rauhem Getöse zerrissen? Zerstört die liebliche Idylle, der es gleichwohl nicht an heldenhaften Zügen fehlte? Der Krieg brachte in den gleichgestimmten Chor der Freunde die Dissonanzen. Er brachte frühzeitig die Jugend zum Abschluß, ent- wickelte schneller als sonst die selbständigen Anlagen und Triebe, die den einen vom anderen schieden. Die Jugend enteilte und nahm mit sich das Band, das uns alle umschlang. Einige der Freunde sind tot. Und wir, die Ueberlebenden? Sollen wir uns glücklich preisen? DasJa" will nur schwer von den Lippen. Gewiß haben wir Ereignisse von weltgeschichtlicher Größe erlebt. Großartige Veränderungen in Staat und Gesellschaft, die noch irniinterbrochen andauern. An den Hoffnungen der Jugend gemessen überwältigend. Aber auch wieviel Trübes, wieviel ge- brochene Herzen und kummervolle Gemüter, wieviel Jammer und Elend sieht diese Zeit. Das Leben so hart und schwer. Es frißt Zeit und Geist und Frohsinn. Immer seltener werden die Erhebungen des Gemütes, immer kärglicher fließt die Quelle innerer Begeisterung. Der Kampf ums Dasein zermalmt den Menschen. Das große Ster- ben der alten Leute, der Witwen und Waisen, der verschämten Armen: O.Vs ist entsetzlich. Tag für Tag empfängt das Herz bluttge Stiche. Verzweiflung und Ohnmacht, nicht helfen zu können, zerren an Nerven und Gesundheit. Habe ich recht, bin ich zu tadeln, wenn ich nur schwer die Be- jahung des Lebens, dieses Lebens, über die Lippen bringe?