Frühlingsgedanken.

Ich size am Fenster und blide traumverloren über die Straße und den Platz an der Kirche. Die Menschen eilen an meinem Fenster vorüber, ihren Wohnungen zu. Es ist ein linder Februar. nachmittag. In den Kronen der Bartbäume hantieren die Gärtner mit ihren langen Baumfägen. Sollte der Winter schon an das Ende feiner Regierungszeit gefommen sein? Fast will es so scheinen. In den Boden- und Rumpelkammern harren noch immer die Rodelschlitten mit rostigen Rufen auf einen kräftigen Schneefall. Heißa, sollte es dann lustig über den hartgefrorenen Schnee gehen. Fröhliches Kinderlachen würde dann über den jetzt so grauen und ftillen Platz flingen, und die allezeit fampfluftige Jugend würde sich an Schneeballschlachten ergögen. Die roten Rafen und Wangen wür. den der blaffen Großstadtjugend recht gut stehen, und das Umher­tollen in der frischen und falten Winterluft vor Krankheiten schützen. Nun sitzen sie, die Buben und Mädel, in den Stuben. Der Tag wird zur Ewigkeit. Die Märchenbücher und Jugendschriften sind längst zwei- und dreimal durchgelesen und das tägliche Schulpenfum ödet langsam an. Die Wangen sind blaß; die graue Großstadt hat fie schon früh gezeichnet.

Ein Geräusch auf der Straße läßt mich aufwachen aus düsteren Gedankengängen. Kinder sind es, Arbeiterfinder, die mit Fahnen und luftigem Gesang durch die Straßen ziehen. Freudig glänzen die Augen und schauen so trozig und kampfesmutig in den grauen Tag. Sie singen das Lied von der neuen Zeit, die mit ihnen ziehen soll, einer besseren Zeit, der Freiheit, entgegen. Mit uns zieht die neue Zeit

Der Gesang verliert sich im grauen Nebel des nahenden Abends. Wieder ist es still über der Straße und dem weiten Platz, und meine Gedanken wandern der Zeit voraus, in den Frühling, in den goldenen lachenden Sonnenschein. Auf stiller sonniger Wiese liegt noch der Morgentau auf den Blumen und Gräsern und blinkt in der Sonne wie gleißendes Gold. Die Vögel fingen ihre Morgenlieder und freuen sich des neuen Tages.

Da kommt auf der Landstraße ein Zug Kinder geschritten. Fahnen flattern über ihren Häuptern. Und hell flingen wieder die Stimmen: Mit uns zieht die neue Zeit." Bald tummeln sich die Kinder auf der Wiese in fröhlichem Spiel und Tanz. Jubel tönt laut in den lustigen sonnigen Frühlingstag. Schnell, viel zu schnell ver­geht der Tag der Freude und Freiheit. Die graue Großstadt wartet schon wieder auf ihre Kinder mit grauem Elend und Sorge. Der morgige Tag wartet mit den dumpfen Schulstuben.

Ein heftiges Getlingel schreckt mich auf. Draußen ist es dunkel geworden und die Gaslaternen lassen ihr fahles Licht über die Straße geistern. Bermummt eilen die Menschen fröstelnd an meinem Fenster vorüber. Es ist ja noch nicht Frühling; mir träumte es ja nur.

Da flingelt es wieder, als riffe jemand meine Türflingel ab. Ich öffne und lasse meine kleinen Freundinnen und Freunde ein treten. Heute soll ja der Gruppenabend in meiner Stube abge­halten werden, weil das Heim renoviert wird. Und wie eine Ge­dantenübertragung schien es mir, als meine kleinen Freunde mich bitten, ihnen etwas vom Frühling zu erzählen. Und ich erzähle ihnen, was ich an meinem Fenster geträumt und wie wir im fom­menden Frühjahr auch bestimmt auf Fahrt gehen und uns draußen austummeln wollen. Von der alles erfreuenden und belebenden Sonne sprechen wir, von Spiel und Tanz, von den Schönheiten des Frühlings. Auch der bunten Blumen und schlanken Gräfer gedenken wir, und der Bögel bunter Chor zog an uns vorüber.

Biel   zu schnell entschwinden uns die wenigen Stunden, die wir fröhlich beisammen waren. Bergessen waren Kummer und Sorgen des Alltags für wenige und doch so freudige Stunden. Die sonst so gleichgültigen Großstadtaugen der Kinder erglänzten in stiller Vor­freude kommender Fahrten, und hell erflangen die Stimmen: Mit uns zieht die neue Zeit!" Henry Backhofer.

Fahrtenbilder.

Ein Sipplag. Um die Osterzeit vor dem Stettiner Fern­bahnhof. Man sieht es fofort an der Erregung des Wanderleiters der dort postierten Gruppe, daß wenige Minuten vor Abgang des Buges wieder einmal jemand fehlt.( Seht dieses jemand bitte in Unführungsstriche, denn es ist immer derselbe.) Schließlich tommt er aber doch noch um die nächste Straßenecke gerannt, um uns, wie schon immer, ganz außer Atem die Worte ,, man los, damit wir noch' nen Sthplay friegen" von weitem zuzurufen. Auf dem Bahnsteig. Hinten ist es voll. Geht man alle nach vorn, da ist es ficher leerer." Aber vorn ist es ebenso voll. Ob der Vorzug da drüben leerer ist?" Aber auch er ist voll. Na, dann wieder nach hinten, und inzwischen fährt der Vorzug ab. Dann eine erregte Diskussion mit dem Aufsichtsbeamten über die Deffnung eines Frei­abteils, die negativ ausläuft. Und dann wird der Wanderleiter, es

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fet zu seiner Ehrenrettung gefagt, plößlich energisch und schiebt feine Gruppe in das erste beste Abteil und ausgerechnet in einen Raucher". Bech, sagt ihr? Nun, unser Jemand" denkt anders darüber. Entschuldigen Sie, darf ich mich auf diesen Koffer setzen?" Gewiß," antwortet ein Reisender. Und' nen Gizplatz hab' ich doch,"

Eine Rast. Rast am Nonnenfließ. Ein lebhaftes Treiben entwickelt sich. Hier springt jemand über das Fließ. Ein anderer Bursche ist damit beschäftigt, einen schräg über den Bach ge wachsenen Baum zu erklimmen. Er rutscht aber ab und eine große Wasserfontäne zeigt uns die Unglücksstelle an. Zwei Burschen, die fich gerade in den Haaren liegen, laffen voneinander ab, um zu sehen, ob ihr Genosse im flachen Fließ   nicht etwa ertrunken wäre. Der denkt aber gar nicht daran und klettert eben wohlbehalten, allerdings ein wenig naß ans Ufer. Um eine Sorge leichter prügeln fich die anderen weiter. Eine andere Gruppe beschäftigt sich ein­gehend mit der Generalstabstarte. Darunter befinden sich auch die Mädel, die rege die Möglichkeit einer Wegfürzung beraten. Es fommt zu feiner Einigung. Erfolg: eine ganze Gruppe prügelt sich, bis schließlich der Schiedsspruch des Wanderleiters dem Streit ein Ende macht. Es bleibt alles beim alten. Weshalb nicht gleich so?

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Besser ein Mädel. Wir marschieren einen kleinen Helde­bach aufwärts. Drüben auf der rechten Seite liegen die mit Heide bestandenen roten Höhen des Mudener Schießplages, links ein dichter, kaum zu durchdringender Wald. Diese Wiesen zu beiden Seiten des Baches find mit vielen Gräben, die alle quer zu unserer Marschrichtung verlaufen, durchzogen. Diese einmal breiten, dann auch wieder schmalen Gräben machen unseren Mädel viel Kopf­schmerzen. Durch eine schnell geschaffene Organisation werden jedoch diese Schwierigkeiten überwunden. Erst springt der Wanderleiter über den Graben. Dann noch einige Burschen, danach alles Gepäck, darauf die Mädel von drüben gezogen, von hinten geschoben und schließlich der Rest der Burschen. Barum erst das Gepäck und dann die Mädel hinüberkommen, fragt ihr? Bei vieler Arbeit lassen bekanntlich die Kräfte nach, und beffer ein Mädel fällt ins Waffer, als unser Brot wird naß.

Jugendnot auf der Landstraße.

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war es in verschiedenen Handwerken noch Brauch, daß der Lehrling nach Beendigung der Behrzeit auf die Wanderschaft gehen mußte, um fich hauptsächlich in seinem Handwerk zu vervollständigen. Gleichzeitig war ihm die Ge­legenheit gegeben, Land und Leute kennenzulernen.

Wie sieht es heute damit aus? Wird heute noch auf die Walze gegangen? Troß Eisenbahn   und allen modernen Berkehrsmitteln. gibt es leider immer noch viele Menschen, die ihr Leben lang nicht aus ihrem Geburtsort herauskommen. Ist es ihnen gegeben, einen Beruf zu erlernen und haben sie dann ihre drei oder vier Jahre Lehrzeit beendet, so heißt es Geld verdienen, wenn für sie jetzt Arbeit da ist.

Ist ihnen das Glück hold und sie tönnen noch bei dem Lehr meister bleiben oder fie bekommen sofort eine andere Stelle auf ihrem erlernten Beruf, so wird der Verdienst bald ausreichen, um ihren Unterhalt bestreiten zu können. So find fle gezwungen oft für immer in ihrem Ort zu bleiben, und es wird ihnen nicht einmal die Gelegenheit geboten, das Land, in dem ihre Sprache gesprochen wird, tennenzulernen. Denn die Ersparnisse vom Lohn reichen schließlich auch nicht aus, um eine Reise zu unternehmen oder die dazu er­forderliche Zeit ist wieder nicht vorhanden.

Wie sieht es aber bei denen aus, die ihre Lehrzeit beendet haben und dann keine Arbeit finden? Monatelange Arbeitslosigkeit nach Beendigung der Lehrzeit bringen es mit sich, daß sie ihr er­lerntes Handwert aufgeben müffen, well fie die nötige Berufskennt nis nicht mehr befizzen. Oft finden sie auch als Arbeuer feine Be schäftigung mehr und so wurden die jungen Menschen auf die Land­Straße getrieben, wo sie dann auf die planlofe Arbeitssuche gehen.

Ein Einblick in die Not diefer Jugend zeigt uns eine Statistit der Alfelder   Wanderarbeitsstätte in Hannover   über den Besuch der jugendlichen Landstraßenwanderer, und zwar in der Zeit vom 1. Oftober 1925 bis 31. März 1926. Es wurden insgesamt 519 Jugendliche erfaßt, die sich nach folgendem Lebensalter gruppieren: 15-16 gleich 2, 16-17 gleich 4, 17-18 gleich 43, 18-19 gleich 121, 19-20 gleich 194 und 20-21 gleich 155.

Diesen jugendlichen Landstraßenwanderern ist allerdings die Gelegenheit gegeben, die Welt tennenzulernen, jogar richtig fennen­zulernen mit der Not und den größten Entbehrungen Oft enden diese Fahrten damit, daß die jungen Menschen von der richtigen Bahn abkommen hier liegt eine wichtige Aufgabe für Staat und Kommunen. Sie müssen fogiale Einrichtungen schaffen, in denen die erwerbslosen Jugendlichen unterkommen tönnen. Bisher sind diese Einrichtungen noch nicht in dem Maße vorhanden, wie es notwendig ist, um die gesamte Jugend vor der Not zu bewahren, da für die Jugendpflege immer noch am wenigften Geldmittel vorhanden find. Jugendnot ist aber Boltsnot! Das follten die gefehgebenden Körper­schaften bedenken. Ermin Krüger, Köpenid.