Wir Oegenwärtigen!

Vor uns find andere gewesen,

Nach uns werden andere kommen.

Aber heute sind wir die Gegenwart,

Opfermut.

Die Rede vom Opfermut, von der Aufopferung für die Sache des Proletariats ist oftmals eine Phrase. Meist reicht die Begeiste­rung nur bis zum Geldbeutel. Dennoch gibt es innerhalb der flaffenbewußten Arbeiterschaft einen wirklichen Opfermut, eine Auf­

Diebarhäuptig und fingend durch die Länder marschiert. opferung, die über den Mammon hinausgeht, die soweit geht, daß

Wir sind der Erde verwandt

Und der Sonne!

Wir sind in den Städten zu eigen 10

Und dem Rhythmus der Welt!

Wir sind die Verfündung des Neuen

Und tragen mit gläubigem Mut All unsere Sehnsucht,

Unseren Willen

Und unsere Junge Kraft

In die Nacht unserer Zeit;

Daß wir das Eisen besiegen,

Daß wir die Steine beherrschen, Daß wir die roten Wimpel

Unserer Herzen

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Aufziehen über die drohenden Türme,

Daß wir einherschreiten

Durch die Felder und Städte

Im Lied der Sichel und im Taft der Haue Ungebeugte freie Diener

Der menschlichen Gemeinschaft!

Vorfreuden.

Alfred Thiems.

Das war einer der schönsten Heimabende der legten Zeit, als wir alle im Kreise zusammenfaßen und uns über unsere Jugendtage, und vor allem über Dortmund  , unterhielten. Und als ein älterer Genosse uns von den Tagen in Weimar  , Bielefeld  , Nürnberg   und Hamburg   erzählte, was sie der Bewegung bedeuteten und was fie für den einzelnen waren, da erwachte in uns allen die Sehnsucht nach Dortmund  , und der größte Teil kann sie nun in die Tat umfehen. Mit welchem Eifer wird jezt an unserer Fahrt gearbeitet, die anschließend an den Jugendtag ins schöne Sauerland   gehen soll! Was uns in der Gruppe noch fehlt, ist ein Einblick in die große Industrie des rheinisch- westfälischen Reviers. Ihn uns zu geben, bazu muß einer der nächsten Heimabende dienen. Auch unfere Mädchen intereffieren fich jetzt nur noch für die feuerfpeienden Hoch ösen und für den Werdegang der Kohle. Ob wir Gelegenheit haben, ein Bergwerk zu besichtigen? Wir möchten fo gerne einmal unter Tag" fahren!

Nur die, die nicht mitkommen fönnen, find nicht so recht bei der Sache, wenn wir all diese Dinge durchsprechen. Diesen bitteren Tropfen aus dem Kelch unserer Freude zu entfernen, ist jeßt unsere Hauptaufgabe. Wenn wir wenigstens unser Küken, den fleinen Willi, mitfriegen! Er freut sich schon am längsten auf Dortmund  , und nun foll es nichts werden? Unser Borsigender meinte, daß er noch einmal einen Borstoß" bei der Parteiabteilung unternehmen wolle; follte er abgeschlagen" werden, fo muß der Werbebezirf dran glauben. Ich habe sogar geträumt, daß unfer größter Wunsch in der Gruppe, plöglich viel Geld zu bekommen, wahr geworden fel, und es brauchte nun feiner in Berlin   zu bleiben. Aber es war nur ein Traum. Als ich in den letzten Tagen einmal einen An­Jchnauzer" von meinem Meister befam, war ich gar nicht so ärgerlich über ihn wie fonft, im Gegenteil, ich empfand etwas Mitleid, mit diefem Manne, der sich so in feine Arbeit verbohrt hatte und sich wohl niemals auf ein Dortmund   freuen konnte. Ja, ich würde mich nicht wundern, wenn wildfremde Menschen mich auf der Straße fragten, ob ich mit nach Dortmund   fahre, da ich ein fo vergnügtes Geficht mache. All unfer Sinnen und Trachten kreist um diesen einen Bunft. Wie ein Leitstern steht er jegt über unseren Tagen. Ob sich die Dortmunder   Arbeiter euch so freuen auf die kommende Jugend, wie wir uns auf den Empfang?

Als ich gestern in der Mittagspause auf unserem Fabrithof in der Sonne saß und an Dortmund   dachte, da glaubte ich ein riefiges Fabriktor zu sehen, durch das wir schritten; aber statt der dumpjen Werkstatt mit dem mürrischen Meister erwarteten uns freudig die Arbeiter; ihre Frauen und Kinder trugen Blumen in den Armen, Blumen ranften an den grauen Wänden empor, Blumen bedeckten den Fabrikhof, der zur blühenden Wiese wurde, Blumen erblühten selbst auf dem großen Fabriktor, und alles glich einem riesigen Festplate, auf dem jung und alt die Hände schlang, das Fest der Arbeitenden zu feiern. 2. R.

man das Leyte zu geben vermag. Auf Jugendtagen habe ich diesen Opfermut kennengelernt.

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In Luckenwalde   kam ich anläßlich eines Berlin  - Branden­ burger   Bezirksjugendtages zu einer kinderreichen Familie in Quar tier. Der Vater war Arbeiter, die Frau mußte mit anfaffen, um die große Familie zu ernähren. Mit ihren älteren Kindern trug sie die Luckenwalder   Parteipreffe aus. Und doch hatten sie es sich nicht nehmen lassen, zwei Burschen in ihre kleine Wohnung, die fast für die eigene Familie zu eng war, zu nehmen. Selbstverständlich war, daß wir voll beföftigt wurden. Wir haben sicherlich nicht wenig eingehauen, denn wir waren erst von einer achttägigen Harz­wanderung, zu der wir uns das Geld von unserem Lehrlings­taschengeld zusammengespart hatten, ausgebrannt hier angekommen. Doch immer wieder war unsere Wirtin besorgt, daß wir auch fatt wurden. Als unser Gastgeber dann erfuhr, daß wir kein Geld mehr hatten, wollte er uns gar ein Taschengeld geben.

Beim Rottbuffer Bezirksjugendtag war die Begrüßungs. feler überfüllt. Die Arbeiterjungen und Mädel aus der ganzen Mark Brandenburg saßen und standen mit den Kottbusser Partei­genoffen durcheinander und folgten den Darbietungen in bester Stimmung. Nur die Jugendtagsleitung, insbesondere die Quartier. fommiffion lief nervös umher, denn der Borraum stand voller Rucksäcke von Jugendgenoffen, die noch fein Quartier hatten. Doch als in der Festpause der Jugendfekretär mitteilte, es feien noch viele Jugendtagsteilnehmer ohne Quartier, da wurden die Parteigenoffen und Genossinnen unruhig. Jungen und Mädel ohne Unterkunft? Das durfte nicht sein, das ging wider ihre Ehre. Die Frauen be­rieten mit ihren Männern, wo sie noch jemanden unterbringen fönnten. Ein über das andere Mal hörte man die Genossinnen bedauern, nur für zwei Gäste Eßwaren eingekauft zu haben, und nun haben wir gar vier bei uns. Und immer wieder mußte darauf hingewiesen werden, daß ja für Massenspeisung gesorgt sei. Bei Schluß der Feier waren jedenfalls alle untergebracht, und die Gastgeber zogen stolz mit ihren vier oder sechs Gästen, besser ge­fagt mit einer halben Ortsgruppe nach Hause.

Der Höhepunkt der Inflation mar fast erreicht, als wir 1923 nach Nürnberg   zum Reichsjugendtag fuhren. Auf dem Nürn berger Marktplay, vor den Geschäften stand man Schlange. Die Frauen wollten für ihre Pfundpakete Papiergeld Lebensmittel ein­laufen. Die Kartoffeln waren sehr knapp. Die Löhne der Nürn­ berger   Arbeiterschaft waren niedriger als die der Berliner  , und die Lebensmittelpreise höher. Und trotzdem, auch hier Opferfreudig­feit und Gastfreundschaft im wahrsten Sinne des Wortes, trotz der Not der Zeit. Meine Gastgeberin wollte sechs Jungen aufnehmen. Doch zwei befam fie nur, und mich griff sie auf der Straße auf, als ich vor dem Hause stand, in dem meine eigentlichen Gastgeber wohnten, die nicht daheim waren. Kaum war ich in der Wohnung der Genoffin, als im buchstäblichen Sinne die Maftfur begann. Ich mußte effen, soviel nur hineinging. Auf dem Tisch stand der Maß­frug mit Bier, dem bayerischen Kaffee- Ersaß, und ich wurde ge­nötigt zuzugreifen. Raum hatte ich erflärt, daß ich fein Bier trinke, wurde auch schon Tee gefocht. Beim Mittagessen bedauerte unsere Genoffin die Kartoffelknappheit, denn sie wollte uns doch zu gern Knödel vorseßen. Abends ging ich mit dem Sohn des Hauses aus, der mir die Stadt zeigte. So ging das zwei Tage. Am dritten Tage ging die ganze Familie arbeiten. Was sollte da werden, wo sollte ich hin, da wir Berliner   erst gegen Nachmittag heim fuhren. Die anderen Gäste waren schon am Abend vorher abge­fahren. Das war einfacher, als ich dachte. Man drückte mir den Wohnungsfchlüffel vertrauensvoll in die Hand, stellte Effen für den ganzen Tag auf den Tisch und ließ mich allein. Den Schlüffel mußte ich, als ich ging, bei den Nachbarsleuten abgeben. Zum Opfermut, zur Gastfreundschaft gefellte sich hier noch das Vertrauen au einem fremden Menschen. Zeichen des tiefen Inhaltes der so­ zialistischen   Idee.

Neben dem Massenerlebnis des Jugendtages, dem Erleben cines Stüd Sozialismus, jene Opferfreudigkeit und Gastfreund­schaft der Bevölkerung. All das zusammen runden die Einwirkung des Fest- und Kampftages auf seine Teilnehmer zu einer Einheit ab, die begeisternd wirft. Und mit jenem Gefühl fahren die Ju­gendgenoffen, die schon einen Jugendtag erlebt haben, nach Dort­ mund  . Alle aber, die das erstemal on einem Jugendtag teil­nehmen, werden begeistert sein und von der Idee des Sozialismus innerlich erfaßt werden. Karl Birnbaum  .