Jugend auf der Landstraße.
Wir sind gewohnt, die sogenannte Walze Junger Arbeiter als einen Reft alten Sandwerksbrauchs au fehen und fie als eine vereinzelte Crfcheinung nicht besonders zu beachten, ihr höchftens einmal eine feine Reportage über das Obdachlosenafnl oder den Bagabundenkongreß a widmen. Tatsächlich aber handelt es sich bei den wandernden jungen Arbeitslofen um einen fozialen Notzustand, der ernsthaftefte Beachtung verdient und erfordert.
noch nicht fennen, dieses Leben von sich ab. Jeder fühlt: das ist nicht Romantik eines Wochenendes, das ist beängstigende, erschredende Wirklich feit, ist ein Leben, wie es sich niemand ersehnt.
Es ist auch ein Einzelleben. Das traurige Jugendleben Es war in der Jugendherberge Affalter während einer Erwerbs dieses wandernden Klempners ist heute typisches Leben vieler lofenfreizeit. Das ungünftige Wetter haite uns früh ins Haus Jugendlichen geworden. Die unerträglichkeit des Arbeitslosenlebens gescheucht, und wir faßen alle dreiundzwanzig Leute im gemütlichen in der Stadt, deren tausend Anlockungen um so grausamer Tagesraum und warteten darauf, wer sich heute den Mut nehmen| fein tönnen, je größer der Zwang zum Verzicht ist, treibt den würde, dem Abend einen Inhalt zu geben. Wir waren es gewohnt, unsere Abende Jo aus freier Eingebung her aus zu füllen.
Wir waren eine gemischte Gesellschaft, und nur wenige der Jungen, die da an den weißgescheuerten Tischen faßen, hatten vor dieser Freizeit eine Jugendherberge von innen gefehen. Was nicht heißt, daß teiner je von Mutters Rod weggekommen wäre. Im Gegenteil. Da waren einige, die trotz ihren zwanzig, zweiundzwanzig Jahren schon sehr viel unterwegs waren. Nur eben nicht auf Touristenfahrt, wie da unsere drei Blaukutten in der Ecke, die in ihrer äußeren Sauberkeit und inneren Wohlanständigkeit und zum guten Teil auch unberührtheit wie Sprößlinge eines gut bürgerlichen Hauses erSchienen, obgleich sie ebenso die vollgeftempelte Erwerbslösenfarte in der Tasche trugen wie die anderen.
Doch gerade von jenen anderen, den echten Landfahrern, hoffte ich heute abend den einen oder den anderen zum Erzählen zu bringen. Wir waren gelpannt darauf. Schließlich fand einer das Wort, ein junger Klempner, der feit Beendigung seiner Lehre nicht dazu gekommen war, in seinem Beruf zu arbeiten, immer gerade die Ar
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und
jungen Erwerbslosen auf die Landstraße. Vielleicht hofft er auch, unterwegs eher einmal Arbeit zu finden.
Die Arbeitsämter fommen dem Wunsche der Jugendlichen, die Stadt mit der Landstraße zu vertauschen, entgegen, und stellen Wander. fcheine aus, die den Jugendlichen die Möglichkeit geben, die ihnen zuftehende Unterstügung unterwegs zu emp fangen. Das ist eine gewiffe Sicherung des Jugendlichen. Doch ist sie gering gegenüber der tatsächlichen linficherheit, die seiner draußen wartet. Tenn in Wirklichkeit fehlt heute jast noch jede Voraussetzung für ein Wanderleben der Art, wie es sich hier aus der Not heraus entwickelt. Wir wissen, auch das mittelalterliche Handwerksburschenleben war nicht entfernt fo Schön, wie es uns aus den Liedern entgegenklingt. Seine Romantik jepte ein, wenn seine Schwierigkeiten übermunden waren. Eines aber hatte der mittelalterliche Handwerksbursche dem wandernden Arbeiter von heute voraus: Er war nie ganz aus der Gemeinschaft gelöst, der er beruflich und sozial zugehörte. Er blieb selbst unterwegs ihrem Schuß, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, unterstellt und ging vor allem feiner Achtung nicht verlustig. ein Baga bund. Nicht überall in gleicher Weise und gleich unbedingt. Im allgemeinen aber doch. Er findet jederzeit die besondere Aufmerk famkeit des Pollgiften, mögen feine Papiere noch so in Ordnung fein. Er wird felbstverständlich, wenn er nach Uebernachtung fragt, den Bagabunden eingereiht, mit ihnen in einen Sammelraum ge fteckt, gleich ihnen zum Bienenappell" beordert, in Ermangelung eines Afyls ins Arresthaus gesteckt und was dergleichen verlegende Maßnahmen mehr find.
bauen die Städte, die unter sozialdemokratischer Führung stehen. Die Parole der Jungwähler lautet deshalb am 17. November:
Wir wählen fozialdemokratisch!
beit verrichtete, die ihm die Gelegenheit bot oder der Nachweis:| Der wandernde Arbeiter von heute hingegen ist beamte zuwies, der die meiste Zeit der fast fünf Jahre aber auf der Straße lag, die auch jetzt wieder auf ihn wartete.
Er erzählte, einmal in Fluß gekommen, außerordentlich gut. Mit Bad Laufig, wo er als Ausschachtungsarbeiter tätig war und wegen Beendigung der Arbeit entiassen wird, beginnt seine Bagabondage. Sie führt mehrmals durch ganz Deutschland . Landstraße, Obdachlosenafyl, Bollstüche, Arbeits nachweis, Bolizeiwache, Arreststube, Sprigen. haus, Straßengraben und heuhausen, das sind die Stätten, an denen sich sein, an denen sich das Leben des wandernden Arbeiters von heute abspielt. Ein troftloses, ein gefährliches Leben!
Infer Erzähler ist, wie schon gefagt, zweiundzwanzig Jahre alt. Nach dem Ton feiner Stimme, der völligen Wurftigkeit feines Befens zu urteilen, aus der erschreckende innere Erschöpfung spricht, möchte man ihn für einen aften Mann halten. Er fennt alles, weiß alles, glaubt nichts, ist ein geriffener Junge, wenn es die Situation erfordert, und scheut auch einen Konflitt mit dem Gefeh nicht, denn fann etwas schlimmer fein als eine Nacht in einem Arrestlokal, das als Asyl dient, in dem sich faum die Beine ausftrecken lassen und deffen einziges fleines Fenster in den Schweineftall geht? Kann etwas unangenehmer fein als eine Fahrt in der Morgenstunde in einem dumpfen, grimmig falten Lastmöbelwagen von Berlin nach Magdeburg , als mühsam die Landstraße hintippeln zu müssen, den Koffer mit den Kleidern auf dem Rücken?
Mit allen Zeichen maßlofen Erstaunens fißen die meisten der Jungen um den Erzähler herum. Man ist ergriffen, jpannt, lacht, fragt. Im Innern aber wehrt jeder einzelne von denen, die es
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Nun wird die Gleichstellung mit den Bagabunden, den asozialen Elementen, manchen wandernden Arbeiter sicherlich nicht besonders berühren. Andere dagegen leiden ungemein unter ihr.
Ich war auch unterwegs. Die Behandlung als Angehöriger des fünften Standes hat mich faft umgebracht. Ja, ja, wenn es nur über Schuhe und Strümpfe ginge. Aber das Seelische und Moralische leidet am meisten. Nun fenne ich wenigftens das Pennen- und Afylleben, und ich glaube, daß Jack Londons Buch„ Menschen der Tiefe" nicht nur von London erzählt. Denn in Deutschland ist es nicht beffer." Dies schreibt ein junger Tischler, der im vergangenen Winter in einem Erwerbslosenfurfus faß und der, als er im Frühjahr noch feine Arbeit gefunden hatte, ebenfalls losgezogen war.
,, Aber das Seelische leidet am meisten." Mit licherem Gefühl hat der junge Tischler die Hauptgefahr erkannt, die ihm auf der Landstraße droht. Davon ahnen die meisten der Jugendlichen, die fich heute zum Wandern entfchließen, notürlich nichts. Doch lie erfahren es mur zu bald und leiden ebenfalls. Oder aber, fie werden leichtjinnig, erweisen fich als gute Schüler all der zweifel