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Nr. 124.
Diese Zeitung erscheint
breimal wöchentlich,
und zwar:
Dienstags, Donnerstags und
Sonnabends Abends.
Bestellungen
werden bei allen Bostämtern, in Berlin bei der Expedition,
sowie bei jedem Spediteur entgegengenommmen.
-
Mittwoch, den 20. Oktober 1875.
Neuer
5. Jahrgang.
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Inhalt.
Die Frage obligatorischer Staats- Unterstügungsfaffen. Politische Uebersicht: Zur Kaiserreise". Unsere socialen Zustände. Der Rückzug ber 80,000 und die Reptile. Aus Straß Neuer Handel mit
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Russisches. Deutsche Preßfreiheit".
Menschenfleisch.
baden.
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Tondern.- Wies
Laienevangelinm von Sallet.( Fortsetzung.) Deutsche Rechtszustände im 16. Jahrhundert. Vermischtes.
Feuilleton: Ein nobles" Gefängniß.
Die Frage obligatorischer Staats- Unterstützungskassen.
Ein lehrreiches Beispiel dafür, wie weit Derjenige von den Bahnen gesunder Volkswirthschaft abgelenkt wird, wel cher die naturgemäßen socialistischen Forderungen außer Augen läßt und auf der einen Seite den Unterschied von Rapitalistentlaffe und Arbeiterklasse aufrecht erhalten wissen will, auf der anderen Seite aber an den Schäden unserer Gesellschaft herumboktort, bietet uns die Berl. Staatsbürgerzeitung". Ob der Geist Held's über dem Verfaffer des Leitartilels jener Zeitung vom vorigen Sonnabend schwebte, sei dahin gestellt, unglücklichere, mehr Wirrwar erzeugende und noch weniger Nuzen für das arbeitende Bolt mit sich bringende Vorschläge, als dort entwickelt worden sind, lassen sich aber kaum aufstellen. Blos des tönenden Wortes halber scheint jene Zeitung eine allgemeine vom Staat gegründete Pensions- und Untertügungskasse, obligatorisch für jedes erwerbs= thätige Mitglied der staatlichen Gemeinschaft" zu befürworten, denn wenn die Wirksamkeit eines solchen Instituts unter den heutigen Staatsverhältnissen von dem Leitartikel- Schreiber nur einigermaßen genau in's Auge gefaßt worden wäre, so hätte derselbe erkennen müssen, daß
die bestehenden Schäden dadurch verdoppelt würden.
Wir wollen übrigens, um nicht parteilich zu verfahren, die Begründung der„ Staatsbürgerzeitung" hier dem Wortlaute nach wiedergeben. Dieselbe lautet:
" 1
"
Der Hülfsbedürftige muß in einem social gefunden Staate das Recht zur Beanspruchung der Hülfe haben. Ein Beispiel für das, was wir im Auge haben, finden wir in der Staats- Pensionskasse, die dem arbeitsunfähigen Beamten das zahlen muß, wozu er im Verhältniß seines Dienstes und der von ihm gezahlten Beiträge berechtigt ist, widrigenfalls er seine Ansprüche im gewöhnlichen Rechtsverfahren geltend machen kann.
Jeder Mensch, der nicht als Krüppel geboren ist oder noch vor seiner Erwerbsthätigkeit zu einem solchen wird, hat an seinem Theil mitzuarbeiten an dem Wohle der Gejammtheit, und thut er dies, so erwirbt er sich schon um des Willen einen moralischen Anspruch auf deren Unterstüßung, ohne daß diese den Charakter eines Almosens trägt. Vielleicht wird er auch im Stande sein, einige, wenn auch noch so geringe Ersparnisse für den Fall der verminderten Erwerbsfähigkeit oder der gänzlichen Erwerbsunfähig feit zu machen, die ihm aber in der Regel keinen Trost schaffen, weil sie nur in den allerseltensten Fällen ausreichen, ihm eine sorgenlose Zukunft zu gewähren.
" Die Vereinsthätigkeit hat diesen Punkt in's Auge gefaßt, sich aber hierbei so eingeschachtelt, daß ganze Kategorien von Arbeitern völlig ausgeschlossen bleiben und lediglich auf sich selber angewiesen sind.
Eine Reform nach dieser Richtung hin wäre allerdings denkbar und eine sehr dankbare Aufgabe für Die jenigen, welche wirklich Geschick und Neigung haben, sämmtliche Arbeiter für eine derartige Vereinigung zu gewinnen; aber immer würde ein derartiges Unternehmen scheitern müssen, weil die Anforderungen mit den Leistungen nicht in Einklang zu bringen sind.
" Hier kann nur eine Radikalfur helfen, und die be
nun
allgemeine Mode der Literaten ist, aus einem ganz selbst verständlichen Saße die verkehrtesten Schlußfolgerungen gezogen. Jeder vernünftige Mensch wird nämlich dem beipflichten, daß in einem wohlorganisirten Staate kein Mitglied desselben in Folge unverschuldeter Noth hülflos zu Grunde gehen darf; wenn solches heutzutage trotzdem der Fall ist, so beweist dieses eben, daß das heutige Staatswesen von guter Organisation sehr weit entfernt ist. Aber aus dieser Erkenntniß einen plöglichen Sprung zur Pensionirung aller Staatsangehörigen zu machen, das ist allerdings ein Kunststück von sehr zweifelhaftem Werth. Die vernunftgemäße Folgerung aus den heutigen mangelhaften Gesellschaftszuständen ist nämlich jene, die Frage zu beantworten, ob das unverschuldete Elend nicht etwa daher rührt, daß der Arbeitsertrag nicht von denen erworben wird, welche die Werthe durch ihre Arbeit schaffen, sondern zum großen Theil in die Taschen Anderer fließt. Und wenn sich ein solcher Zustand allerdings ergiebt- und die„ Staatsbürgerzeitung" wird dies arbeitenden Volke zu seinem vollen Arbeitsertrage, zum nicht bestreiten können- dann ist es unsere Aufgabe, dem arbeitenden Volke zu seinem vollen Arbeitsertrage, zum Arbeitseigenthum zu verhelfen, nicht aber künstliche Pensociale Unrecht in weniger scharfem Lichte erscheinen lassen fionirungssysteme zu erfinden, welche im besten Falle das
würden.
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Selbst der Einwand, vor einer gründlichen socialen Gesellschaftsumformung in der Gegenwart, wo es Hülflose Nußen schaffen, ist ganz unzutreffend. in Menge giebt, könne ein solches Staatspensionswesen
Wollen wir dies untersuchen, so gilt es zuvörderft, die Hülfloser so sehr gegen die Menschenwürde verstößt. Frage zu beantworten, weshalb denn die jeßige Verpflegung
-
Ist etwa die Gemeinde nicht die zur Hülfleistung verpflichtete und befähigte Körperschaft? Gewiß ist fel bige dies; denn es wäre ganz entschieden ungerecht, wollte das Gesetz nur irgend eine Berufsgenossenschaft oder betrauen, während die Gemeinde alle Staatsbürger in sich einen engeren Kreis mit der Sorge für die Hülflosen schließt. Nur das ist zuzugestehen, daß ein Ausgleich der unterſtügungskosten der verschiedenen Gemeinden, damit nicht einige überlastet werden, durch den Staat, durch eine Centralisation des Hülfswesens geschehen muß, aber die nächste Ueberwachung desselben und die Aufbringung der Kosten von Gemeinde wegen ist die natürlichste Lösung
der Frage.
Dem gegenüber wird die„ Staatsbürgerzeitung" vielleicht einwenden, wir wollten das jetzige Almosenwesen vertheidigen. Nichts liegt uns aber ferner. Denn die Schäden desselben beruhen nicht darauf, daß die Gemeinde die Unterſtüßung leistet, sondern darauf, daß die Gemeindeverwaltung, Dank der Communal- Wahlgeseze, in den Händen der Bourgeoisie liegt und der Hülfe Suchende nur zu oft mit Leuten zu schaffen hat, welche die Armuth für eine Sorte Verbrechen halten. Wenn durch das allgemeine Wahlrecht dem arbeitenden Volke eine Kontrole über die Gemeinde- Unterstügung ermöglicht ist, und wenn in dem Hülfesuchenden alsdann nicht der der Bettler" gesehen wird, sondern derjenige, welcher im ar
zu führen droht. Außer der Selbstverwaltung fehlt aber jenen Hülfskaffen jedweder andere Vorzug vor den Gemeindekassen; sie besißen sogar den großen Mangel, daß als Rente nur ein ganz bestimmtes Fixum gezahlt wird, welches trog dringlicher Ausnahmefälle nicht überschritten werden darf.
Die allein richtig begründete Verbesserung des Hülfswesens ist daher die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für die Gemeinde- Verwaltung und die Erhebung des gewissermaßen ehrenrührigen Almosens zur Rente während der Erwerbsunfähigkeit auf Grund einer progressiven Gemeinde- Einkommensteuer.
Was bringt uns aber die Staatsbürger- Zeitung?" Sie wählt das Schlechtere aus beiden bisherigen Systemen, erstens das Verwaltungs- System durch von oben einge= sezte Beamte und zweitens das Kopfsteuer- System. Nicht nach der Art einer progressiven Einkommen- Steuer, sondern wie bei den Steuern der Hülfskassen, also per Kopf sollen die einzelnen Staatsbürger ihr Geld beitragen, dagegen ist ihnen die Selbstverwaltung genommen. Wahrlich, ein schlechter Tausch!
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Die Staatsbürger- Zeitung" möge uns nicht auf die gemein mit dem vorgeschlagenen System, denn der nicht Pensionskassen der Beamten verweisen; diese haben nichts
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pensionirte Beamte bezieht sein Gehalt, und die Pension stellt nur das gekürzte Gehalt des Ausgeschiedenen dar, alle jene harten Untersuchungen, ob der Hülfesuchende arbeitsunfähig und also unterstüßungsberechtigt ist, fallen daher fort. Will man den rechten Vergleich des Projektes der Staatsbürger- Zeitung" haben, so blicke man auf das Pensionswesen der Militär- Invaliden, und wer nur im Geringsten Kenntniß davon hat, welches Sparsystem" dort herrscht und welchen lästigen Untersuchungen seiner Arbeitsfähigkeit sich so mancher Invalide Jahr aus Jahr ein zu unterziehen hat, um vielleicht seine Pension zu verlieren, der wird die Wichtigkeit der Selbstverwaltung hoch genug schäßen, um jede Jdee einer Pensionirung der Arbeiter durch den heutigen Staat und eine Unterstellung derselben unter die heutige Bureaukratie weit von sich zu weisen. Dergleichen Pläne tauchen nur auf, wenn eine Projektenmacherei auf socialem Gebiet erfolgt, mittelst der man den Forderungen der Social- Demokratie aus dem Wege gehen möchte.
Pensionirung der Arbeiter praktisch versucht, aber auch daDer Einzige, welcher übrigens eine solche Staats
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mit Schiffbruch erlitten hat, ist Niemand Anders als Louis Napoleon . Und die Staatsbürger- Zeitung" hat also das wenig beneidenswerthe Verdienst, die Erbschaft des gekrach= ten Gesellschafts- Retters anzutreten. Wohl bekomm's ihr!
Politische Uebersicht.
Die Zeitungen füllen gegenwärtig ihre Spalten zum großen Theil mit Berichten und Besprechungen über den Besuch des deutschen Kaisers bei dem König von Italien. Wir sind der Ansicht, daß wir unsere Spalten mit wichtigeren Dingen füllen können, als mit den Reisen hoher Potentaten. Das Pläneschmieden der Diplomaten, welches unter solchen Verhältnissen in's Werk gesetzt wird, entzieht sich dem Lichte der Deffentlichkeit. Uebrigens scheint die Bismarck 'sche Politik wieder einmal auf den Sand gerathen zu sein, da zum großen Jammer der Liberalen nicht betheiligen will. Die italienische Regierung ist offenbar zu ausgesprochen franzosenfreundlich.
beitsfähigen Zustande Steuerzahler ist und im arbeitsunfähigen Zustande eine Gegenleistung aus der Gemeindekasse zieht, dann giebt es kein entehrendes Almosen mehr, sondern der Arme kann ebenso selbstbewußt Hülfe beanspruchen, wie die Aktionäre des abgebrannten Kaiser- Bismard, angeblich aus Gesundheitsrücksichten, sich an der Reise hofs von den Feuerversicherungs- Gesellschaften Zahlung verlangen.
Es ist lediglich ein wesenloser Schein, zu glauben, daß die Hülfe weniger bitter sei, wenn sie von einer bestimmten Kasse, als wenn sie aus dem allgemeinen Gemeindesäckel ausgeht, am deutlichsten zeigen dies die Verhältnisse der
Bergleute, denn da deren Knappschaftskassen von den Grubenbesizern allein verwaltet werden, so treten bei Jnan=
spruchnahme derselben seitens der invaliden Arbeiter die gleichen Härten und die nämliche Klarheit hervor, welche
ſteht in einer allgemeinen, vom Staate gegründeten Benions- und Unterstützungskasse, obligatorisch für jedes erwerbsthätige Mitglied der staatlichen Gemeinschaft. die Gemeinde- Unterstüßung fast allerorts so mißliebig ge,, Ernährt müssen die Hülfsbedürftigen überhaupt wer- macht haben. Die Selbstverwaltung des Volkes ist eben den, und welche Summen dazu gehören, das weist wohl der Schwerpunkt in allen Unterstüßungs- Fragen. Und am besten der Etat der Stadt Berlin nach, in welchem über lediglich Letteres ist der Grund, weswegen die selbstständivier Millionen Mark für die Armenpflege in Ansatz gebracht Hülfskaffen der Arbeiter sich so großer Beliebtheit erworden find. Rechnet man von dieſer Gumme han auch freuen. Thatsächlich beruhen dieselben auf einer der ungewirklich die Ausgaben für diejenigen Personen ab, welche rechtesten Grundlagen, nämlich auf Kopfsteuer der Armen. He Krüppel nicht zu der Klaffe der einſt erwerbsfähigen Durch eine solche werden die Beiträge aufgebracht, ein perBewohner Berlins zählen, so bleibt immerhin eine sehr große anziehen der hohen Einkommen der in derselben Gemeinde Summe übrig, welche unter der Bezeichnung„ Almosen" an Leute vertheilt wird, die im Stande waren, sich ein Recht ja, die Arbeiter weisen wohnenden Grundbefizer und Kapitalisten findet nicht statt; und zwar mit Recht die Beiauf eine Unterstüßung durch eigene Thätigkeit zu er steuer der Fabrikanten zurück, blos um den Preis der Selbstverwaltung, weil jede Unterstüßung, welche nicht durch das Volk selbst oder seine direkt gewählten Beamten
als
werben."
So weit die„ Staatsbürgerzeitung". Wir finden in diesen Vorschlägen, wie es feider fast
-
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ertheilt wird, zur stolzen Mißachtung des Hülfesuchenden
Die Deutsche Landeszeitung" wirft in ihrer letzten
Wochenrundschau einen Rückblick auf unsere socialen Zustände im letzten Vierteljahre und schreibt:
Das letzte Vierteljahr des fünfundsiebenzigsten Jahres ist mit dieser Woche begonnen, der letzte Rest des dritten Viertels Die öffentliche | dieses neunzehnten Jahrhunderts. Seltsam! Die von ,, Kultur"
Meinung schwärmt immerdar von„ Kultur“ und„ fortschreitender Civilisation"; der„ Humanismus "" wird auf allen Stegen und
und die Schule" übermannt den Dämon in der Menschennatur
Wegen gepredigt und doch nimmt der Krieg in erschreckendem Maße überhand, der Zwist der Völker wächst in Progressionen. Die Schienen- Verbindungen sollten die Völker näher aneinander bringen, also träumten die Doktrinäre, und siehe da: sie sind zu echten Heerstraßen des Krieges geworden. Auch die„ Bildung" nicht; tros aller Schulbildung wächst die Zahl der Berbrechen. die Gelehrten bie Köpfe zerbrachen, aber auch den Gründer- und Börsen- Schwindel, die ganze Papier - Differenz- und BrozentchenWirthschaft kannten unsere Vorfahren nicht. Sollte dies nicht Alles im kausalen Zusammenhang stehen? Für uns ist dies zweifellos. Die Menschennatur ist nicht besser und nicht schlechter geworden; sie blieb immer diefelbe; nur die Verhältnisse sind es, die sie zu jenen räthselvollen Erscheinungen an den Individuen zwingt, die wir, wir fönnen nicht anders, als
Die sociale Frage" war sonst kein Sphingräthsel, über das sich
eine beginnende Auflösung und Anarchie der Geſellſchaftszustände