Beilage zu Nr. 143 des Neuen Social Demokrat".

( Schluß aus dem Hauptblait.)

Meine Herren! Praktisch mag ein solcher Gedanke wohl etwas Wahres in sich tragen. An sich aber ist theoretisch doch wichtig, daß die Ein­kommensteuer eigentlich die richtige wäre, wenn man sie so veranlager fönnte, wie es das Recht und die Billigkeit mit sich bringt. Es wäre das Natürlichste und das Natürliche ist immer das Richtige wenn jeder Staatsbürger nach dem Maße seines Vermögens seine Quote für den Staat direkt hergäbe. Da das aber nicht ausführ bar und sich durch alle Zeiten unausführbar erwiesen hat, so hat man dem Einkommen der einzelnen Staatsbürger in einer anderen Art beizukommen sich bemüht und ist dann auf die indirekten Steuern gekommen. Dabei bin ich ganz damit einverstanden, daß man so viel wie thunlich aus den indirekten Steuern nehmen muß, daß man den Zollarif bis auf wenige Positionen, auf die sogenannten Finanzollpositionen repuziren soll, wie der Herr Reichskanzler es uns dargelegt hat. Aber mit dem also Gewonnenen wird man nimmer auskommen, wenn wir nicht unendlich viel sparsamer werden. Wir werden nimmer auch der direkten Steuern nicht entbeh­ren können, und ich glaube, so lange die Welt steht, werden wir das gemischte Steuerfyftem behalten.

Uebrigens glaube ich nicht, daß der Versuch des Herrn Reichskanz lers, diese Vorlagen als den Anfang einer Steuerreform nach der Richtung seines 3deals darzulegen, vollständig gelungen ist. Zunächst hat der geehrte Herr selbst gesagt, daß die von ihm gegebenen Ausfüh­rungen nur seine eigenen Ansichten seien. Er hat uns die unendlichen Schwierigkeiten dargelegt, im deutschen Reich mit den verschiedenen Regierungen und den verschiedenen legislativen Körper ein allgemein zutreffendes Steuersystem so aufzustellen, daß man es als das des Bundesraths, also das der vereinigten Regierungen ansehen könne. Aus der Darlegung dieser Schwierigkeit folgt für mich, daß ein eigent­liches festgestelltes System der deutschen   Regierungen für die Steuer­reform nicht vorliegt. So lange dieses System der Bundesregierungen aber nicht vorliegt, können wir uns auf die Diskussion eines solchen überhaupt gar nicht mit Erfolg einlassen, auch nicht annehmen, daß die Vorlagen einzelner neuen Steuern der Anfang der Ausführung solchen Systems seien.

Auch darf ich wohl sagen, daß ich in der ganzen Diskussion, die bis zur Rede des Herrn Ministerpräsidenten stattgefunden hat, von der Jdee sehr wenig gehört habe, daß mit den gegenwärtigen Vorlagen eine Steuerreform in Aussicht genommen sei. Es handelte sich in der That immer um die Frage: werden wir für das Jahr 1876 eine Ver­mehrung der Einnahmen nöthig haben und wollen wir diese Einnahmen durch diese Steuer bewirken? Also handelt es sich um neue Steuern, und nicht um eine Steuerreform.

Es ist sodann in den Steuervorlagen noch eine Steuerreform gefunden mit Rücksicht auf die Matrikularbeiträge. Ich begreife, daß die Regierungen, und insbesondere die kleineren, namentlich die thü­ringischen, die Matrikularbeiträge sehr unangenehm empfinden. Ja, ich kann mir denken, daß der Druck dieser Matrikularbeiträge so stark wird, daß sie die kleineren Staaten erdrücken.( Bewegung.)

Es scheint, daß dieser oder jener gegen ein solches Erdrücken nichts einzuwenden hätte; ich höre wenigstens solche Laute. Ich meinestheils wünsche diese Erdrückung nicht. Das aber möchte ich doch den einzelnen Regie: rungen sagen: bas System der sogenannten eigenen Mittel des deutschen Reichs greift sie ebenso sehr an, wie die Matrikularbeiträge, die Finanz­taffe ihres Landes freilich nicht, aber die Kassen ihrer Unterthanen; und dabei haben sie wohl zu beachten, daß mit jeder neuen Reichs­steuer, die das Reich sich schafft, das Reich in die inneren Verhältnisse hineinabministrirt und hineinadministriren muß. Biele Steuern dieser Art werden sie gauz bestimmt wegadministriren. Sie haben in der That, wie die Dinge liegen, nur die Wahl zwischen dem Wegadministri­ren durch die Reichssteuerverwaltung und dem Erdrücken durch die Matrikularbeiträge. Das haben die Herren selbst gewollt, fiat justitia!

Was die Frage betrifft, ob wir hier im Reichstage bei den Matri fularbeiträgen mehr Macht haben, als bei den eigenen Steuern, so halte ich es nicht der Mühe werth, darüber zu streiten, denn, meine Herren, glauben Sie doch nicht, daß wir irgend welche Macht haben. Wir werden, wie die Dinge in Deutschland   jetzt sind, stets einen über­aus geringen Einfluß auf den Gang der Regierung und die Leitung des Staates haben. Und wenn wir es einmal versuchen wollten, eine Kraftprobe zu machen, meine Herren, diese Probe würde sehr schlecht ausschlagen. Wollen wir den Anschein der Macht, die man uns viel­fach zuschreibt, bewahren, so rathe ich vor Allem, keine Kraftprobe zu machen.

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Dann ist auch noch die Frage hierher gezogen, ob man besser einen einzelnen Mann als verantwortlichen Minister oder ob man beffer ein Was wollen die follegialisches Ministerium habe.( Unruhe.) Herren? Diese Frage ist erörtert und wird mir deshalb zustehen, die Erörterung zu vervollständigen. Also ein wenig Geduld.

Der Herr Ministerpräsident und Reichskanzler hat geglaubt, daß mit der desfallsigen Einrichtung im Reich wir uns dem englischen System mehr genähert haben. Ich kann wohl sehr unrecht unterrichtet sein ich habe gar feinen Einblick in die Berichte des Grafen Münster aber in England hat es einen Minister mit der Machtvollkommenheit, mit dem Umfange der Geschäfte, mit der Alleindisposition, wie sie der Reichskanzler im deutschen Reich hat, ganz bestimmt niemals gegeben, die Engländer würden einen einzelnen Minister mit dieser Stellung sich niemals gefallen lassen. Inzwischen will ich damit heute und hier einen diretten Tabel gegen die Einrichtung, wie sie sich im deutschen Reiche Wir kommen auf historisch gemacht hat, noch nicht aussprechen. Dieses Kapitel wohl einmal ex professo zurück. Jm Reiche kommen in diesem Punkte noch ganz besondere und andere Fragen in Betracht, als bloß die Fragen der Zweckmäßigkeit in der Leitung der Geschäfte und Berantwortlichkeit. Bor Allem kommt es bei der Frage der Einrichtung auf Titel kann von Reichsministerien im wahren Sinne des Wortes, wesentlich darauf an, die Stellung der Reichs­es ja nicht ankommen ministerien zum Bundesrathe und zu den Einzelstaaten klarzustellen. Und so lange nicht dargelegt ist, wie man sich das Reichsministerium in seinen Beziehungen zum Bundesrathe und den Ministerien der Ein­zelstaaten denkt, fann man vollgiltige Entscheidung in der Sache nicht treffen. Ich erkläre mich damit keineswegs gegen ein Reichsministerium, ich habe zu anderen Zelien mich über diese Frage sogar bejahend zu äußern gehabt. Ich habe nur herporheben wollen, daß hier nicht der Ort sein kann, die Sache, die so ungeheuer komplizirt ist und sich geradezu an die Verfassung des deutschen Reichs aufs engste verknüpft, furzer Hand abzuthun.

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Was die Verantwortlichkeit betrifft, meine Herren, so hat die zur Beit jedenfalls nicht piel in recessu. Denn so lange wir kein Verant wortlichkeitsgeseh und feinen Gerichtshof haben, der über Verantwort lichkeit spricht, ist die Minifterverantwortlichkeit ein Wort ohne Inhalt. D6 wir jetzt oder wann etwas Anderes bekommen, lasse ich dahinge= stellt. Bis dahin wollen wir der Gewissenhaftigkeit des Mannes ver= trauen. Von einer Ministerverantwortlichkeit im Sinne tonstitutioneller Auffassungen ist bei uns im Reiche absolut keine Rede. Wenn ich aber ganz allgemein den Say hier habe aufstellen hören, daß ein einzelner Winister besser sei, als ein Ministerkollegium, daß die Verantwortlich­feit des Einzelnen schärfer sei, so muß ich dem durchaus wider­sprechen. Wenn man in Breußen versuchen wollte, die kollegialische Verfassung des Staats- Ministeriums zu ändern und den Ministerprä­fidenten init Befugnissen auszustatten, wie sie der Reichskanzler im Reich heute noch provisorisch hat, dann würde ich glauben, daß die ganze preußische Vertretung wie ein Mann sich dagegen erheben würde. Es ist ein solcher Versuch undentbar.

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Es ist nicht nöthig, weiter auf die Sache einzugehen. Es ist dieses Thema sehr häufig erörtert. Der Herr Reichskanzler hat wieder­holt seine Meinung darüber dargelegt, sie ist ihm ebenso oft wider­sprochen, wir werden darüber nie zu einem Verständniß kommen, so lange nicht formulirt die Organisation der einen oder der anderen Einrichtung vorliegt. Wenn wir diese Formulirung haben, dann wür ben wir vielleicht im Stande sein, uns zu verständigen; bis dahin bleibt es bei allgemeinen Redensarten, und die können auf sich beruhen bleiben.

Freitag, den 3. Dezember 1875.

Das ist, was ich habe vortragen wollen. Die gegenwärtig zur Berathung stehende Steuer kann ich, weil das Bedürfniß noch nicht rolltommen fargelegt ist, wenigstens bezweifelt werden muß, und weil ich glaube, daß wir in den Ausgaben das nöthige ersparen können, meinestheils nicht bewilligen. Ob ich überhaupt eine Erhöhung der Biersteuer bewilligen fönnte, fann ich dahingestellt sein lassen. Meinestheils erkläre ich, daß, wenn man das Bier aller­dings besteuern kann, ich in keinem Falle eine Erhöhung zugeben würde, weil ich glaube, daß durch Vertheuerung des Bieres wir den Branntweingenuß von Neuem wieder in Schwung bringen würden, und das will ich nicht. Wenn man für die Erhöhung der Steuer auf die Verfassung des deutschen Reichs verweist, wonach eine Ausgleichung zwischen den verschiedenen Besteuerungen des Bieres herbeizuführen sei, so weiß ich gar nicht, warum diese Ausgleichung absolut dadurch gemacht werden soll, daß wir uns zum höheren Sage erheben. Die Ausgleichung fann ja auch dadurch gemacht werden, daß man in Bayern  , Würtemberg und Baden zu uns herabkommt.

Präsident: Der Herr Abgeordnete Liebknecht hat das Wort. Abgeordneter Liebknecht  : Meine Herren! Die Frage der Ministerverantwortlichkeit, welche zuletzt noch in die Debatte geworfen wird, will ich zunächst in einigen Worten berühren. Wenn es über­haupt eine Frage giebt, die nicht eine Rechts-, sondern eine Macht­frage ist, so ist es gerade die der Ministerverantwortlichkeit. Es mögen da Organisationen und Geseze geschaffen werden, wie sie wollen: ist die Volksvertretung der Regierung gegenüber nicht im Besit der nöthigen Macht, so wird jedes Gesetz über Ministerverantwortlichkeit ein werthloses Stück Papier   sein; und die bisherige Praxis im Reichs­tage ist allerdings nicht eine solche gewesen, um das Bolt erwarten zu laffen, daß eine ernste Ministerverantwortlichkeit hier zu Stande kom­men werde. Ist doch diese Volksvertretung wohl die einzige, von der die Geschichte Kenntniß giebt, weiche, statt sich der Regierung gegen­über Rechte und Macht erkämpfen zu wollen, stets sehr bereitwillig ge­wesen ist, die Macht und die Rechte, die sie besaß oder sich hätte sichern tönnen, aufzugeben.

Un nun zur Steuerfrage zu kommen, so will ich mich nicht in Untersuchungen darüber einlassen, ob direkte oder indirekte Steuern die besseren seien. Wie die Dinge liegen, ist weder auf dem Wege der direkten noch der indirekten Besteuerung eine gerechte Vertheilung der Steuerlaft möglich. Denn die Natur der heutigen gesellschaftlichen Berhältnisse bringt es mit sich, daß jede Steuer, werde sie aufgelegt wie sie wolle, habe sie einen Namen, welchen sie wolle, von den oberen Klaffen abgewälzt wird auf die unteren, arbeitenden Klassen, von denen ja alle Werthe erzeugt werden und sonach selbstverständlich auch alles das, was in Steuern bezahlt werden muß. Prinzipiell ist unsere Par tei allerdings für die direkten Steuern, weil mit denselben nicht ein so grober Mißbrauch getrieben werden kann, wie mit den indirekten. Gegen eine Einkommensteuer, wie sie von dem Herrn Fürsten Reichs kanzler vorhin befürwortet worden ist, die eine Anstandssteuer" sein soll, müßten wir uns freilich entschieden verwahren. Ebenso gehe ich hier hinweg über die Fragen: Schutzzoll, Freihandel, Finanzzoll u. 1. 10. Es sind das durchaus keine prinzipiellen Fragen; es sind praktische Fragen, die je nach dem augenblicklich vorliegenden Falle beurtheilt werden müssen.

Wenn man den Schutzzoll als Schuh für die Großindustriellen, für die Großkapitatiften verlangt, so wird selbstverständlich unsere Partei einer Staatshülfe in dieser Form entgegen sein. Aber es läßt sich ja auch ein Schutzzoll denken, der ein Schuß wäre für die Arbeit, für die Arbeiter. Seßen wir z. B. den Fall, wir hätten in Deutschland  eine Fabrikgeseggebung, welche die Arbeitszeit auf ein bestimmtes Maß normirt, die Frauenarbeit beschränkt, die Kinderarbeit ganz und gar aufhebt; in Folge dieser Beschränkung der Arbeitszeit und der Aus­beutung menschlicher Arbeit, würde theurer produzirt, als in benachbar ten Ländern, z. B. in Belgien  , wo derartige Gesetze nicht existiren: dann würde unzweifelhaft ein Schutzzoll zum Schutz der deutschen   Ar beit gerechtfertigt sein und der Unterstügung eines jeden Socialdemo fraten gewiß sein. Aber in diesem Sinne, meine Herren, wird die Schutzollfrage nicht vor den Reichstag kommen.

Jetzt zu dem eigentlichen Gegenstande der Tagesordnung: der pro­jeftirten neuen Steuer.

Wir sind nicht prinzipielle Gegner einer jeden Steuererhöhung, einer jeden Vermehrung der Staatsausgaben; es frägt sich bei uns in erster Linie: zu welchen Zwecken wird die neue Steuer gebraucht? Handelte es sich darum, den Nothstand, der wiederholt in der Debatte berührt wurde, zu lindern, so wäre keine Neubesteuerung zu hoch; oder gälte es, das Schulwesen, welches in Deutschland   so schmählich vernach Sie rufen oh! oh!" meine Herren; lässigt ist,( oh! oh!) zu heben. es ist Thatsache, die sich durch die Statistit nachweisen läßt, daß in Deutschland   und speziell in Preußen das Schulwesen in der traurigsten Weise darniederliegt, daß der Militärstaat den Intelligenzstaat todt wohlan, vor 10 Jahren gemacht hat. Wir sind hier in Berlin  ,

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noch war es die erste Universität in Deutschland  , jetzt steht es weit hinter Leipzig  , hinter der Universität eines fleinen Staates, zurück. ( Gelächter.) Daß Sie darüber lachen, beweist nur, wie wenig Werth Sie auf den wahren Kulturkampf legen. Jedenfalls müßte es für die sächsische Regierung, wenn sie partikularistisch zu fühlen im Stande wäre, eine große Genugthuung sein, daß sie auf diese Weise durch Er­hebung der Leipziger   Universität über die Berliner   Universität eine Art Revanche für 1866, für Sadowa, gewonnen hat.( Heiterkeit.)

Also auf den Zwed tommt es an, zu welchem die neuen Steuern verwendet werden sollen, wozu braucht die Regierung neue Steuern? In den letzten Tagen lag uns der Reichshaushaltsetat vor; über neun Zehntel der sämmtlichen darin verzeichneten Ausgaben find für militärische Zwecke. Es erhellt sonnenklar aus dieser einfachen That­sache, daß daß jezige Reich wesentlich ein Militärreich ist, ein Reich, in dem der Militarismus herrscht; und das Geld, welches gebraucht wird, soll den Zwecken des Militarismus dienen. Wenn man sich auf den darin muß Boden des herrschenden Systems stellt, dann hat man dann hat man auch nicht ich dem Herrn Finanzminister beipflichten das Recht, dieses Budget zu bemäkeln, dann ist man durch die Logit der Thatsachen gezwungen, Mittel für Mehrausgaben zu bewilligen. Der Militärfiskus verschlingt unendliche Summen, die Bedürfnisse bes Militärfistus sind steigende, und was das Budget anbetrifft, so ist es, vom Standpunkt des Militärstnats aus, durchaus nicht zu hoch. Man tann einzelne Punkte anfechten, hier und da einen Fehler entdecken, das muß das sind aber fleine Nadelstiche: im Großen und Ganzen

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ich frei aussprechen finde ich das Budget äußerst mäßig; die Gehälter der obezen Beamten und Offiziere sind unz veifelhaft zu hoch, de fönste und sollte viel gestrichen werden; allein das Gros der Ausgaben, das Budget für die Soldaten, wird Niemand gerechterweise zu hoh finden önnen. Im Gegentheil! Ea ist eine Thatsache, die feiner von Ihnen bestreiten wird, daß unser deuts he Soldat nicht genügen e Löhnung erhält, um eine menschenwürdige Eristenz führen, um die noth venigften Bedürfnisse des Lebens befriedigen zu können; es ist eine Thitsa ye, daß diesem offiziellen Militärbudget zur Seite geht ein ni.htoffizielles, welches vom deutschen   Volke direkt gezahlt wird: von den Eltern und Verwandten der Soldaten; und dieses Budget dürfte faun weniger bedeutend sein, als das offizielle. Wenn wir einmal die Nothwendig­feit des Heeres, wie es jetzt besteht, anerkennen, dann müssen wir auch die Nothwendigkeit eines genügenden Budgets anerkennen; und da das jetzige Budget den Anforderungen des Militarismus unleugbar noch nicht genügt, so müssen wir auch anerkennen, daß die Regierung be­Aber ist das herrschende rechtigt ist, neue Steuern zu fordern. Militärsystem denn in der That nothwendig? Gereicht es wirklich dem Vaterlande zum Heil? Verträgt es sich mit den Interessen des Volks? Das ist die Frage, auf die Alles ankommt. Man sagt uns, die Miliärorganisation, welche wir jetzt haben, sei die beste, welche über­haupt möglich; jedes andere Militärsystem sei verkehrt, oder doch von untergeordnetem Werth. Das leugne ich von vornherein, ich behaupte, daß das Milizsystemt, das Volksheer, welches ich schon var acht Jah­ren im Reichstag zu vertheidigen die Ehre hatte, weit besser ist zur Bertheidigung des Vaterlandes, eine weit größere Machtentfaltung ge­stattet, als das jest in Deutschland   zur höchsten Vollkommenheit gebrachte

System der stehenden Heere. Man redet uns zwar vor, wir haben in Deutschland   die allgemeine Wehrhaftigkeit, aber, meine Herren, es ist das eine Fiktion, ein Ausfluß jener politischen Heuchelei, von welcher der Herr Fürst Reichskanzler einst gesprochen hat. Wir haben keine allgemeine Wehrhaftigkeit! Nur eine Minorität der wehrfähigen Bevölkerung steht in Deutschland   unter den Waffen oder wird in den Waffen geübt; die große Mehrheit der mehrfähigen Bevölkerung wird. nicht mehrtüchtig gemacht. Hätten wir das Milizfystem, so würden wir mindestens 21/ 2mal so viel Soldaten haben als heute; und wenn die große Idee des Mannes, den man bei anderen Gelegenheiten so gern zitirte, dessen Geist man so oft für das heutige Reich angerufen hat wenn der Gedanke Fichtes, den er in seiner Nede an die deutsche Nation" ausführt, sich verwirklichte und ein großes nationales Erziehungssystem" begründet würde, welches zu gleicher Zeit auch die Wehrhaftmachung der Jugend umfaßt, dann hätten wir eine Milizarmee, die an sich ebenso tüchtig wäre, wie das bestgedrillte stehende Heer und obendrein weit zahlreicher, folglich zur Vertheidigung des Vaterlandes viel besser geeignet. Allerdings wurde hier im Reichstage vor Jahren bei Berathung des Septennats vom Feld­marschall Moltke   die Behauptung aufgestellt, die Geschichte habe den Beweis geliefert, daß das Milizsystem nichts tauge und das einzige historische Beispiel der erfolgreichen Anwendung dieses Systems im Großen, die glorreichen Thaten der französischen   Freiwilligen vom Jahre 1791 bis 1794 hätten sich als historisches Truggebilde er­wiesen, es sei von einem Franzosen, Namens Rousset, ein Buch ge­schrieben worden, welches den attenmäßigen Beweis führe, daß, was bisher über jene Freiwilligen erzählt worden, vollständig falsch sei. Das Buch existirt, meine Herren, aber gerade dieses Buch schlägt der Wahrheit ins Gesicht. Auf die Geschichte der damaligen Zeit zurückzu­greifen, tann natürlich hier nicht in meinem Blane liegen, aber die eine Thatsache steht fest: die französische   Volontärarmee ist es gewesen, welche das revolutionäre Frankreich   von der Invasion des monarchischen Europa   gerettet, die gedrillten Armeen des monarchischen Europa  besiegt hat. Daß diese Freiwilligen, diese Revolutionssoldaten von ben damaligen Berufssoldaten, von den coyalistischen Offizieren gehaßt und in den Berichten an das Kriegsministerium angeschwärzt wurden, das ist eine Erscheinung, die sehr natürlich ist, und über die sich na mentlich kein Preuße wird wundern können, denn es ist sattsam be kannt, daß auch der preußischen Landwehr, den Milissoldaten, denen wir unsere Siege in den Befreiungskriegen von 1813 verdanken daß auch ihnen nachgesagt wurde, sie seien feine tüchtigen Soldaten gewesen; ja aus höchstem Munde wurde 1814, bei dem Einzuge in Paris  , ein sehr ungünstiges Zeugniß über die Landwehr gefällt. Aber jeder Preuße und Deutsche   fühlt trotzdem sein Herz höher schlagen, wenn er der Thaten jener deutschen   Volkswehr gedenkt. Sie hat die Schlachten von damals geschlagen, die Siege von damals erfochten und die ungünstigen Urtheile der Berufssoldaten waren diktirt durch dasselbe Vorurtheil, welches die französischen   Berufssoldaten in den Jahren 1791, 92, 93 und 94 gegen die revolutionäre Armee Frankreichs   be­seelte. Und bloß diese parteiischen Zeugnisse sind es, welche in dem Rouffetschen Buche gesammelt sind. Solche Zeugnisse sind absolut werthlos. Ueber den relativen Werth von Volkssoldaten und einer stehenden Armee hat der letzte Krieg praktischen Aufschluß gegeben. Wenige Wochen reichten hin, um das stehende Heer Bonapartes nieder: zuwerfen. Einige gewaltige Hammerschläge und es lag zerschmettert am Boden. Aber war der Krieg damit zu Ende? Nein, noch sechs Monate hat das ohne jegliche Vorbereitung improvisirte Bolksheer Frankreichs   sich vertheidigt,( Rufe: Zur Sache! Brausteuer!) und wahr lich, der Sieg war den deutschen   Armeen nicht leicht! Jebenfalls zeigte sich die Volkswehr, obgleich unter den ungünstigsten Bedingungen orga­nifirt, weit tüchtiger zur Vertheidigung des Landes, als es das stehende, Heer gewesen war. Dies, meine Herren, ein Beweis dafür, daß ein Milizheer den militärischen Anforderungen besser entspricht, als ein stehendes Heer. Freilich Einen Nachtheil hat das Milizsystem; einer der größten Generale der Neuzeit, Marschall Radekky, sagt: militä­risch läßt sich das System nicht bekämpfen, aber es walten politische Bedenken gegen dasselbe ob. Und was sind diese politischen Bedenken, meine Herren? Ein Milizheer, das wirkliche Volt in Waffen", ist bloß zu gebrauchen gegen den auswärtigen Feind, es läßt sich nicht ge­brauchen gegen den sogenannten inneren Feind", nicht zur Aufrecht­erhaltung der Klassenherrschafaft. Und dazu will man in Deutschland  die Soldaten gebrauchen. Es ist dies offen ausgesprochen in den Mo tiven zum Militäretat bei dem Paffus über offene Städte Seite 293. Es sind nur ein paar Zeilen, die ich hier verlesen will; es ist wichtig für uns, daß das deutsche   Volk erfährt, wofür die heutige Armee da ist: Dem als Kommandanten von Altona   und gleichzeitig dem als Kommandant der in Hamburg   garnisonirenden Trup­pen fungirenden Offizier fällt es zu, bei Störungen der öffentlichen Ordnung die obere Leitung der Truppen in dem Komplex von Städten und Ortschaften zu übernehmen, dessen Kern die Städte Hamburg   und Altona   bilden."

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, Es entzieht sich dieser Erörterung, in wie weit von ge wissen Theilen der dort fluttuirenden, zahlreichen Bevölkerung solche Ruhestörungen zu besorgen sind. Die Größe des eventuell zu schüßenden Eigenthums und die Bedeutung von Hamburg   laffen jedenfalls eine Ruhestörung daselbst besonders verhängnißvoll, die energische, schnelle Unterdrückung einer solchen besonders nothwendig erscheinen. Zu diesem lesteren Zwecke wird die Einsetzung eines be: sonderen Kommandanten von militärischem Standpunkte aus unerläßlich."

Genau dasselbe, nur fürzer, wird gesagt von Frankfurt am Main  , wo eine zahlreiche, agitatorischen Einflüssen theilweise leicht zugängliche Bevölkerung auf engem Raume versammelt sei.

Nun, das ist deutlich! Wir wissen nun, wozu das deutsche Heer gebraucht wird, und warum unsere Machthaber dem Milizensystem, welches unendlich billiger ist, welches finanziell weit weniger auf dem Volte laftet, thre Zustimmung nicht geben wollen. Ich sagte: es lastet finanziell weit weniger auf dem Bolf; wenn wir die Berechnungen der Shweiz zu Grunde legen, so würde ein Volksheer bei zweieinhalbmal so hohem Betrage uns bloß die Hälfte dessen kosten, was das jetzige Heer tostet, und der Soldat im Dienste wäre viel besser verpflegt, als es heute verpflegt ist.

Aber, so wendet man häufig ein, wir können doch nicht im jezigen Momente abrüsten, wo ganz Europa   in Waffen starrt. In gewissem Grade ist das vollkommen richtig, aber warum starrt Europa   in Waffen? Warum shweben wir beständig in Kriegsgefahr? Geht diese Musicherheit, diese permanente Kriegsgefahr etwa nicht aus den politi­fchen Verhiltnissen hervor? Ist sie nicht die nothwendige Frucht des politischen Systems, das diesseits und jenseits des Rheins herrscht? Nehmen Sie an, meine Herren, wir hätten vor 1870 in Frankreich   und wäre damals in Deutschland   wirklich freiheitliche Zustände gehabt, eine Krieg möglich gewesen? Würde der freie französische   Arbeiter, der freie französische   Bauer, der freie französische   Bürger sich gegen den Deutschen   haben heßen lassen? Würde der freie Deutsche sich" gegen Franzosen haben heßen lassen? Uns haben die Franzosen nichts ge­than, den Franzosen hat das deutsche Volt nichts gethan, das Volk würde sich von denen, die es in den Krieg treiben wollten, abgewandt und ihnen gesagt haben: Wenn ihr ein Duell wollt, gut! aber dann nicht ein Duell der Völker, sondern ein persönliches Duell, das ihr triegsluftigen Herrn unter einander selbst abmachen müßt! das Volk hat mit eurem Krakehl nichts zu thun. Ein freies Volk drüben und und hüben das wäre die sicherste Friedensbürgschaft: die einzige wirkliche Friedensbürgschaft. Die jetzige Lage Deutschlands   und Europas   kann Niemand überraschen, der die Entwicklung der Dinge verfolgt hat. Sie ließ sich von jedem vernünftigen Menschen voraus­sehen. Als im Jahre 1870 die Annexion von Elsaß- Lothringen   zuerst auf die Tagesordnung kam, wurde von Seiten der wenigen sozial demokratischen Abgeordneten im Reichstag   Protest erhoben; wir erklär­Verbrechen wiegen ten, die Anneron ist nicht bloß ein Verbrechen leicht in der Politit, für welche der moralische Standpunkt nicht eristirt Elsaß es ist weit mehr als ein Verbrechen: es ist ein Fehler,