Lothringen   wird ein Dorn im Fleische Deutschlands  , wird ein deutsches Venetien  ; statt eines Machtzuwachses eine Machtverminderung und eine Duelle beständiger Kriegsgefahr für uns; die Franzosen werden zu wildem Hasse gereizt, ihre Revanchegelüfte genährt; Frankreich   wird gewaltsam zum Bundesgenossen jedes uns feindlichen Staates gemacht, und der Schwerpunkt der politischen Macht in Europa   wird nicht von Paris   nach Berlin  , sondern von Paris   nach Petersburg  ; und unser ,, Erbfreund" dort an der Neva   wird der Schiedsrichter Europas.  ( Leb­hafte Unruhe.)

Präsident: Ich muß den Herrn Redner jetzt ersuchen, zur Sache zu sprechen.

Abgeordneter Liebknecht: Ich bin durchaus bei der Sache. Die Steuerforderung geht hervor aus der gegenwärtigen Finanzlage und die Finanzlage geht hervor aus unserer politischen Lage, aus dem herrschenden System. Es ist eines gar nicht von dem anderen zu

trennen.

Meine Herren! Wir protestirten von diesem Standpunkte aus gegen die Annexion; wir erklärten, sie wird eine beständige Kriegsgefahr für Deutschland   sein, sie wird zur nothwendigen Folge haben, daß Deutschland   größere Rüstungen macht, daß neue Steuern uns auferlegt werden. Dem wurde widersprochen; es wurde geantwortet: wenn die Franzosen gründlich besiegt sind, wenn ihnen die Festungen Straßburg  und Metz  , die Ausfallthore, weggenommen sind, dann werden sie feinen Krieg mehr gegen Deutschland   wagen, dann kann die Militärlast dem deutschen   Volke abgenommen, die Steuern können vermindert werden; es wird eine Aera des Friedens, der Freiheit, des Wohlstandes für Deutschland   anbrechen. Nun, meine Herren, seitdem sind fünf Jahre verfloffen; wer hat Recht gehabt: die Socialdemokraten, die damals im Reichstage ihre Stimme erhoben, oder die großen Staatsmänner und Vertreter der Staatsmänner, welche uns entgegen getreten sind? Alles, was wir damals voraussahen, es ist in Erfüllung gegangen und die Finanznoth, in der die Regierung sich jetzt befindet, läßt sich ganz direkt auf die politischen Fehler, welche damals begangen worden sind, zurückführen. Es ist das Resultat der Blut- und Eisenpolitik, die bin­nen wenigen Jahren uns drei große Kriege gebracht hat, von denen der zweite mit Nothwendigkeit aus dem ersten, der dritte mit Noth­wendigkeit aus dem zweiten hervorgegangen ist. Eine solche Politik wird, wenn ihr nicht Einhalt gethan wird, uns auch in weitere Kriege hineintreiben. Ist das deutsche   Volt seit 1871 entlastet worden? Nein! die Steuern find vermehrt worden. Hat die Kriegsgefahr abgenom men? Jch dächte, für diejenigen, die bezweifeln, daß wir in beständiger Kriegsgefahr sind, müßte der einfache Hinweis auf die Ereignisse des vorigen Frühjahrs genügen. Damals entstand plöglich eine Panik; in einer Zeitung, welche der Spike der Regierung nahe steht, erschien ein Artikel, welcher ankündigte, daß Krieg in Sicht" sei. Es wurde ein Verbot der Pferdeausfuhr erlassen. Die offiziöse Bresse, welche ja voll­ständig unter der Leitung von oben ist, brachte Artitel, die Jeden baran glauben lassen mußten, daß ein Krieg unmittelbar drohe. Nun, es ist nicht zum Kriege gekommen, aber durch die Enthüllungen im englischen Parlamente ist die Thatsache bekannt geworden, daß allerdings die Kriegsbefürchtungen wohl begründet waren, daß die Kriegsgefahr eine ernste gewesen; daß wirklich die Absicht bestanden hatte, lieber Frankreich  gegenüber das Prävenire zu spielen, als zu warten, bis Frankreich   ge­rüftet genug ist, um unter ihm günstigen Chancen den Krieg zu begin nen. Meine Herren! Eine schärfere Verurtheilung der auswärtigen Politit, eine schärfere Verurtheilung der Politik namentlich, wie sie sich in der Annexion von Elsaß- Lothringen   kund gethan hat, läßt sich über­haupt nicht denken.( Ruf: Zur Sache!) Und was hat diese Annexion uns meiter gebracht? Die Freiheit auf allen Gebieten beschränkt, den letzten Rest von Preßfreiheit, den uns das reaktionäre Regiment Manteuffels übrig gelaffen, uns entrissen

Präsident: Der Herr Redner spricht jetzt ganz entschieden nicht mehr zur Sache, und ich ersuche ihn jest, zur Sache zu sprechen, und zwar rufe ich ihn zur Sache mit den Wirkungen der Geschäftsordnung zum ersten Mal.

Abgeordneter Liebknecht  : Meine Herren! Sie werden schon noch zu hören bekommen, was ich Ihnen zu sagen habe!( Heiterfeit.) Es ist einfach nicht möglich, die Steuerforderung der Regierung von der politischen Lage zu trennen, und ich glaube, indem der Herr Präsi dent eben erklärte, daß er mich zum ersten Mal zur Sache verweise, hat er damit anerkannt, daß ich vorhin vollständig im Rechte war, als ich mich auf dem Gebiet der auswärtigen Politik bewegte.( Heiterfeit.)

Präsident: Ich lasse mich auf Diskussionen hinsichtlich der Rechtfertigung meiner Aeußerungen mit dem Herrn Redner nicht ein. Ich habe zum zweiten Male den Ruf zur Sache nur markirt nach den Vorschriften der Geschäftsordnung, welche, wenn ich dem Nuf zur Sache weitere Folge geben will, mich nöthigt, auf die Folgen besonders auf merksam zu machen.

Abgeordneter Liebknecht  : Gut!( Große Heiterkeit.) Sehen wir ab von der politischen Krisis, welche wir im legten Frühjahr gehabt haben, schon ins dritte Jahr leiden wir jegt unter den Wirkungen einer anderen Krisis, einer ökonomischen Krisis, die wahrlich in ernste Erwägung gezogen werden muß. Wenn man einem Volfe Steuern zu muthet, dann muß auch dieses Volk in der Lage sein, Steuern bezahlen zu können. Ueber die Krisis, in der wir uns befinden, ist hier in den legten Tagen viel hin und hergeredet worden. Auch die Thronrede erwähnte derselben mit folgenden Worten:

aber

Wenn in Handel und Verkehr dennoch gegenwärtig eine der Stagnationen stattfindet, wie sie im Laufe der Zeit periodisch wiederkehren, so liegt es leider nicht in der Macht der Regie­rungen, diesem Uebelstande abzuhelfen, der sich in anderen Län­dern in gleicher Weise wie in Deutschland   fühlbar macht." In der Thronrede wird also die Krisis vollständig anerkannt, auch die Ohnmacht der Regierung ihr gegenüber, indem erklärt wird, daß solche Krisen periodisch wiederzukehren pflegen, so zu sagen unvermeid­liche Natuereignisse seien. Es ist allerdings richtig, diese Krisen find unvermeidlich in der heutigen Gesellschaft und es wäre thöricht, wenn eine der verschiedenen volkswirthschaftlichen Parteien im Reichstage der anderen den Vorwurf machen wollte, sie sei mehr oder weniger schuld an der gegenwärtigen Krisis. Die Ursache der Krisis liegt in der jezigen tapitalistischen Produktionsweise, die planlos, im Interesse des Privatproduzenten, darauflos Waaren erzeugt, statt daß Konsum und Produktion im allgemeinen Interesse von einer Central- Leitung aus regulirt werden, so daß die Produktion mit der Konsumtion gleichen Schritt halten könnte. Bei der heutigen Produktionsweise werden Sie solche Krisen nicht vermeiden können- und in der Konstatirung dieser Thatsache liegt die Bankerotterklärung der heutigen Gesellschaft bei Erwägung des Steuerprojekts fällt es schwer ins Gewicht, daß Deutschland   hart unter dem Druck der Krisis leidet. Wohl hat man ausgesprochen, daß ein wirklicher Nothstand nicht bestände. Es ist er­klärt worden, die Lage der Arbeiter sei im ganzen genommen eine ziemlich günstige. Nun, meine Herren, es ist in Wahrheit ein Noth­stand vorhanden, ein schwerer Nothstand. Denjenigen von Ihnen, die baran zweifeln, rufe ich zu: gehen Sie einmal in das sächsische Erzge birge, gehen Sie an den Rhein  , nach Schlesien  , gehen Sie nach Lucken­ walde  , wo ich vorigen Sonnabend war, Sie werden dort ein herzzer­reißendes Schauspiel menschlichen Elends sehen;( Unruhe.) und wer dieses Schauspiel vor Augen hat, der vereine es mit seinem Gewissen, diesem darbenden, armen Volke neue Steuern aufzuladen! Es ist er­flärt worden, allerdings nicht im Reichstage, aber von Männern, die dem Reichstage angehören und auch in amtlicher Stellung sich befin­den, daß die Krisis wesentlich dadurch hervorgerufen sei, daß in Deutsch­ land   zu theuer produzirt werde, daß die Arbeitslöhne zu hoch seien. Das ist unrichtig. Die Arbeitslöhne sind in Deutschland   wahrlich nie­mals zu hoch gewesen. Die erhöhten Löhne in den Zeiten der Pro­sperität sind nur die Brosamen, welche vom Tische der reichen Arbeit­geber in den Schoß des arbeitenden Wolfes gefallen sind. Zu keiner Zeit waren die Löhne so hoch, daß die arbeitende Klasse den nothwen­digen Anforderungen, welche ein menschenwürdiges Dasein an den Menschen stellt, vollauf hätte genügen, geschweige denn, wie man gere­det hat, dem Lurus hätte fröhnen können. Trotzdem ist sogar vom Ministertisch aus gesagt worden, die Löhne seien zu hoch, im Interesse der deutschen   Industrie müßten sie reducirt werden. Unsere Bourgeoisie ist auf allen Arbeitsgebieten diesem Rathe mit Freuden nachgekommen, sie hat das Recept genau befolgt und die Löhne aufs Aeußerste herab­gesezt. Außerdem haben Massenentlassungen von Arbeitern stattgehabt und haben noch statt, und, was wie ein Widerspruch erscheint, während es an Arbeit fehlt, wird den relativ wenigen Arbeitern, die in Arbeit

sind, längere Arbeitszeit zugemuthet. Sie müssen sichs gefallen lassen, weil man in den auf dem Pflaster liegenden Arbeitern den in Arbeit stehenden Arbeitern eine Konkurrenzarmee geschaffen hat, durch die man lettere vollständig im Zaume und niederhalten kann. Man darf sich nicht wundern, daß, wenn aus dem Munde eines Ministers selbst, und zwar des preußischen Finanzministers, welcher hier als Bundes­kommissar anwesend ist, die Loosung ausgegeben wurde, die Arbeiter müssen niedrigere Löhne erhalten, diese Loosung im vollsten Maße befolgt wurde. Aber durch die niedrigen Löhne, wie sie jest herrschen, durch die Arbeitslosigkeit, welche daneben existirt, ist ein Zustand ge­schaffen worden, der es dem Volte ganz unmöglich macht, mehr Steuern zu bezahlen. Ich möchte den anwesenden Herrn Bundeskommissar fra­gen, wie er das in Harmonie bringen will, wenn er auf der einen Seite die Loosung ,, Niedrigere Löhne für das Bolk!" ausgiebt und auf der anderen Seite dem arbeitslosen oder auf der niedersten Lohnstufe auf Hungerlohn gesezten Volke neue Steuern abfordert! Ich lasse mich nicht ein auf die Details der vor uns liegenden Steuern. Es ist ganz gleichgültig, ob wir es mit einer Steuer zu thun haben, die diesen oder jenen Namen trägt, mit einer Börsensteuer, Tabakssteuer, Brausteuer, oder wie sie sonst heißen mag. Wie die Verhältnisse heutzutage liegen, das habe ich schon angedeutet, fällt jede Steuer mit mehr oder weniger Wucht auf das arbeitende Volt. Das Volf ist in Noth. Es ist in Noth nicht durch seine Schuld, sondern durch die Schuld des falschen wirthschaftlichen und ökonomischen Systems, welches jetzt herrscht. Wenn mit vollem Rechte die Thronrede betont hat, daß die Geschäftskrisis, wie sie heute existirt, unvermeidlich sei in der bürgerlichen Welt, so ist andererseits feststehend, daß die Krisis in Deutschland   durch die Gesetz­gebung von oben herab verschärft worden ist. Die Gesetzgebung des deutschen Reichs war wesentlich eine Gesetzgebung für das Groß­fapital, für die Großbourgeoisie. Die letzten Schranken, die das kleine Kapital von dem großen Kapital schüßten, wurden niedergerissen, und der Nothstand, über den namentlich das kleine Kapital flagt er ift unzweifelhaft durch die Gesetzgebung des Reichstags wesentlich gefördert worden. Auch läßt sich nicht leugnen, daß gerade von Seiten der obersten Behörde in Deutschland   jener Schwindel, für den vorgestern das deutsche   Volk verantwortlich gemacht werden sollte, begünstigt wor­den ist. Meine Herren! Das Volk hat mit diesem Schwindel nichts zu schaffen; das Volk hat ihn nicht herbeigeführt, und es hat ihn nicht mitgemacht. Das Volk es ist ehrlich; das Volk, es hat zu allen Zeiten, wo es momentan wirklich im Besitz der Macht gewesen ist, ge= zeigt, daß es durch und durch ehrlich ist. Ich erinnere Sie an die alte französische   Revolution, an die Revolution von 1830 und 1848 in Paris  , an den Kommuneaufstand, an die Märzrevolution und sonst wo überall das Volk das Eigenthum als heilig" betrachtete, nicht wollte, daß man es mit Dieben zusammenwerfe. Das Volf hat nicht gestohlen, von oben her ist das Beispiel gegeben worden, von oben her ist der Schwindel begünstigt worden, und zwar es muß hier ausgesprochen werden ganz direkt von Behörden des Reichs. Ich erinnere Sie an die Thatsache, daß aus der Seehandlung für 2 Prozent der Diskontogesellschaft kolossale Summen Geldes vorge­schoffen worden sind. Jedermann kennt die Diskontogesellschaft und weiß, zu welchem Zweck die Gelder gegeben wurden. Ein anderes Beispiel! Neulich kam die Angelegenheit des Invalidenfonds hier vor. Der deutsche Reichstag hat den wahren Gründern des Reichs, denen, die mit ihrem Blute auf den Schlachtfeldern Frankreichs   das Reich ge­gründet haben, mit freigebiger Hand einen Fonds ausgefeßt, der aller­dings so hoch ist, daß dem Nothstande in jenen Kreisen gesteuert werden fann. Nun, meine Herren, es ist an den Tag gekommen, daß von diesem Fonds, den die Reichsvertretung unter einstimmiger Billigung des Volfes bewilligt hat, ungeheure Summen an Leute verliehen und in Unternehmungen gesteckt worden sind, die feineswegs als solide be­zeichnet werden können; mit anderen Worten, man hat von dem Gelde der Invaliden, von dem Gelde, welches heilig hätte sein sollen, welches als eine heilige Schuld der Dankbarkeit, namentlich von Seiten der Leute angesehen werden müßte, welche jetzt an der Spize des Reiches ftehen, man hat von diesem Geld bedeutende Summen, viele Millionen an Männer gegeben, die so damit wirthschafteten, daß ich sagen kann, mit diesem Geld ist dem Schwindel Vorschub geleistet worden.

Und dazu kommt noch, daß das Geld, welches in diese Unterneh mungen gesteckt wurde, gefährdet ist. Man hat wohl neulich hier einen Schleier über diese Vorgänge zu ziehen versucht, aber die Wahr­heit, sie soll und muß an das Licht gezogen werden; und ich hoffe, daß bald die volle Wahrheit in Bezug auf die Zahlen ziffermäßig zu Tage kommen wird. Die Thatsache selbst, daß es sich so verhält, wie ich ge­sagt, wird Niemand zu leugnen wagen. Genug, es ist von oben herab diesem Schwindel, der die jetzige wirthschaftliche Krisis verschlimmert und gesteigert hat, Vorschub geleistet worden; diesem Schwindel, der tief hineinreicht in die obersten Schichten der Gesellschaft, der tief hinein reicht in die Beamtenkreise.( Gelächter.) Meine Herren! Lachen Sie nicht; es ist dies ein Gegenstand sehr ernster Natur. Ich erinnere Sie bloß an die eine Thatsache, daß an anderer Stelle von dem Ab­geordneten Lasker   diese Frage angeregt wurde, und wie beslissen man damals war, diese ganze traurige, sehr traurige Angelegenheit dem Lichte der Deffentlichkeit zu entziehen und sie vor eine königl. Kom mission zu bringen, wo dann die schmachvollen Thatsachen begraben worden sind!

Präsident: Der Herr Redner spricht jetzt offenbar nicht mehr zur Sache, und ich rufe ihn zum zweiten Male zur Sache.

Abgeordneter Liebknecht: Ich habe hier nur meine Pflicht er­füllt; ich glaube, daß ich vollständig zur Sache gesprochen habe. Ich fann gegen die Geschäftsordnung, gegen die Art und Weise, wie sie gegen mich angewendet wird, nicht wirksam protestiren. Genug, es

st meine Pflicht, zu protestiren gegen die neue Auflage von Steuern, einerlei, welcher Art diese Steuern sind. Dem jetzigen System, welches auf politischem und auf finanziellem, wie auf jedem anderen Gebiete in einer der Nation verderblichen Weise wirthschaftet, welches Deutschland  forrumpirt, fnechtet und in beständige Kriegsgefahr stürzt, welches dem Volfe Lasten auferlegt, denen es nicht gewachsen ist, diesem System muß prinzipiell von unserem Standpunkte aus jede Steuer ver­weigert werden, denn jede Steuer würde, meiner festen Ueberzeu= gung nach, nur zu volksfeindlichen Zwecken verwendet werden.

-

Meine Herren! Der Reichstag   ist seiner Majorität nach mit der jezigen Politik, und zwar sowohl der äußeren als der inneren, und namentlich auch der Wirthschaftspolitik, einverstanden, er ist der Mit­schuldige in den Augen des Voltes. Ich weiß, daß wir hier im Hause vereinsamt stehen mit unseren Anschauungen; aber, meine Herren, für das deutsche   Volf ist in der That der Moment gekommen, wo es sich darüber klar werden muß, ob es ferner für ein System eintreten will, durch das es finanziell und politisch ruinirt und korrumpirt wird, oder ob es einen vollständigen Bruch mit diesem System will, um Personen zu nennen und Personen drücken ja ein Prinzip am deutlichsten aus welches sich kennzeichnet durch die Person eines Stieber und durch die Person eines Wagener, denselben Herrn Wagener, der, wie Sie wohl wissen werden, an den Rockschößen des Herrn Reichskanzlers hängt.( Große Heiterfeit.) Meine Herren! Sie wünschen vielleicht, daß ich mich dahin berichtigen soll, zu sagen, daß der Herr Reichskanz ler an den Rockschößen des Herrn Wagener hängt? Wenn man gewiffe Vorgänge betrachtet, so könnte die letztere Lesart wohl als die richtigere erscheinen.( Unruhe.)

-

-

Also unser Wahlspruch ist einfach: dem jezigen System keinen Pfennig, sei es in Form welcher Steuer es wolle! Voll­ständiger Bruch mit diesem System!

Präsident: Das Wort hat der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Geheimer Finanzrath Dr. Heerwart.

Bevollmächtigter zum Bundesrath für das Großherzogthum Sachsen Weima  , Geheimer Finanzrath Dr. Seerwart: Meine Herren, ich hatte gehofft, von der besonderen Stellung der kleineren Bundes­staaten zu der Steuervorlage hier schweigen zu können, weil der hohen Versammlung eine Vorlage des Bundesraths und nicht der Antrag einzelner Regierungen vorliegt, und weil diese Vorlage, wie ich hinzu­fügen darf, auf einem einstimmigen Beschluß des Bundesraths beruht. Allein die Stellung meiner Regierung zu dieser Vorlage ist einer solchen Reihe von Mißverständnissen ausgesetzt worden, daß ich nicht umhin kann, in später Stunde noch das Wort zu ergreifen.

Zunächst möchte ich noch dem Herrn Abgeordneten Windthorst er: widern, daß seine Befürchtung, es könnte durch die Erhöhung der Braufteuer und durch die Einführung einer Börsenftener in den thürin gischen Staaten wegadministrirt werden, mir vollständig unerklärlich

ist, und daß er sowohl wie seine politischen Freunde, welche ein felbft­ständigeres Leben der Einzelstaaten wünschen, in dieser Beziehung nichts besseres thun können, als diese Vorlage anzunehmen, die es uns et­möglicht, eine freiere und selbstständigere Finanzverwaltung in den Einzelstaaten aufrecht zu erhalten. Denn, meine Herren, ein Gesichts­punkt, der noch nicht genügend hervorgehoben wurde, ist der, daß den Einzelstaaten durch die Reichsverfassung die Gesetzgebung über die Ver brauchssteuern entzogen ist, sie also nicht in der Lage sind, für ihre eigenen Finanzen ein befriedigendes Verhältniß zwischen den indirekten Steuern und dem Theile des Budgets, der durch direkte Steuern auf: zubringen ist, herbeizuführen; sie sind vielmehr in dieser Beziehung vollständig an das Reich gebunden, welches dafür meines Erachtens die Verpflichtung hat, sie in dem Bestreben zu unterstüßen, ein richti­ges Verhältniß in diesen Steuerarten herzustellen.

Ich kann ferner nicht umhin, noch auf einige Aeußerungen des Herrn Abgeordneten Richter zurückzukommen, die er in der vorgestrigen Sigung gethan hat, und die ebenfalls beweisen, welchen unrichtigen Anschauungen die Stellung insbesondere der thüringischen Regierungen. ausgesetzt gewesen ist. Ich muß mir zu diesem Zwed erlauben, einige Säße aus seiner Rede zu wiederholen. Er hat gesagt:

Nun verweist man uns auf die fleinen Staaten. Ich finde es allerdings hart, daß Staaten, die wesentlich von Holzhauern, Ziegelbrennern und Hausirern bewohnt sind, dasselbe an Matri­fularbeiträgen aufbringen sollen wie wohlhabende Staaten. Man braucht aber nur Nachlässe zu gewähren, wie das schon vor dem Jahre 1871 geschehen ist, und die Herren Hanseaten mittelst Zuschlägen etwas stärker heranzuziehen. Jedenfalls handelt es sich um einen Betrag von 100,000 Thalern oder Mart, wie man sie in Kollekten für Nothleidende aufzubringen pflegt. Eine solche Rücksicht kann nicht die Achse für die Finanz­politik eines großen Reiches abgeben. Das scheint allerdings der weimarsche Minister gemeint zu haben, als er die Initiative im Bundesrath zu beiden Steuervorlagen ergriff, denn ich tann nicht annehmen, daß er nur aus Gefälligkeit die Kasta nien für den Reichskanzler aus dem Feuer holen wollte. Ich meine übrigens, daß es mit dieser anderweitigen Gestaltung der Matrikularbeiträge gar nicht solche Eile hat. An die norddeut­schen Staaten, also auch an die Kleinstaaten, sind in den Jah­ren 1873 und 1874 125 Millionen Thaler aus der Kriegskon tribution zur Vertheilung gekommen und diese Vertheilung ist nach Maßgabe der Matrikularbeiträge erfolgt. Damals haben sich die Kleinstaaten über diesen Vertheilungsmodus nicht be schwert, während ich einen inneren Grund zu demselben nicht zu erkennen vermochte, denn die Kleinstaaten haben zu den Kriegskosten gar nichts beigetragen; sie haben in Folge ihrer frühren Kriegsverfassung nicht einmal im Verhältniß der Be­völkerungszahlen so viel Mannschaft stellen können als Preußen. Die Kleinstaaten haben das Unrecht des gegenwärtigen Verthei­lungsmaßstabes für eine Reihe von Jahren in voraus vergütet bekommen."

Meine Herren! Ich überlasse es zunächst dem Herrn Abgeordneten, sich mit der Bevölkerung dieser alten Kulturstätten Deutschlands   dar­über auseinanderzusetzen, daß er sie in dieser Bersammlung als eine Bevölkerung von Holzhauern, Haufirern und Ziegelbrennern hingestellt hat. Es wird ihm dies um so leichter werben, als er früher selbst einen Theil dieser Bevölkerung vertreten hat.

Sodann möchte ich mich besonders gegen die Auffassung verwah ren, als ob die thüringischen Staaten zu den Kriegstoften nichts bei­getragen haben. Meine Herren! Haben denn von den Jahren 1866 bis 1871 die thüringischen Staaten ihre Zölle und Verbrauchssteuern in der Tasche behalten, oder haben sie keine Matr fularbeiträge: ezahlt? Man sagt: ja, sie haben Nachlässe gehabt. Das ist allerdings richtig; indessen waren diese nur dazu bestimmt, den schwierigen Uebergang zu den stärkeren Anforderungen des norddeutschen Bundes zu erleichtern, und sie sind auch in der Zeit, in welcher sie Nachlässe hatten, nach threr Leistungsfähigkeit ebenso start herangezogen gewesen, wie die übrigen Angehörigen des Bundes. Oder haben die Bevölkerungen an dem Kriege selbst nicht theilgenommen? Es würde in der That eine geringe Kenntniß der Kriegsgeschichte befunden, wenn man nicht wüßte, welchen Antheil die thüringischen Regimenter an den Erfolgen des Krieges gehabt haben. Mit welchen Opfern dies geschehen ist, bezeugen die Denkmäler der Gefallenen.

( Abgeordneter Richter( Hagen  ): Es ist ja alles falsch!) Es ist mir also völlig unerfindlich, wie man behaupten kann, es habe der Krieg den thüringischen Stacten nichts gefoftet. ( Abgeordneter Richter( Dagen): Ist es denn der stenographische Bericht?) Ich muß also die Behauptung, daß man uns auf die Kriegsent­schädigung als eine Vorausvergütung verweisen könnte, zurückweisen, und gegen die Annahme, als ob es sich gewissermaßen um ein Ge schenk bei derselben gehandelt habe, protestiren.

Meine Herren! Diese Steuervorlagen sind allerdings ursprünglich angeregt worden von den kleineren Bundesstaaten; ich nehme gar fei­nen Anstand, das zu konstatiren, und bedaure nur, daß an diesen Ur­sprung hier besondere Diskussionen geknüpft worden sind. Aber ich möchte Ihnen doch zu erwägen geben, ob es nicht mit Rücksicht auf die Nothwendigkeit, in den einzelnen Staaten ein rationelles Berhält niß herzustellen, zwischen den indiretten Steuern, zwischen demjenigen Theil der sbedürfnisse, die durch direkte Stevern aufzubringen sind, an der Pflicht des teiches liegt, die Einzelstaaten in diesen Re­formbestrebungen zu unterstügen.

Ich empfehle Ihnen aus diesem Gesichtspunkte nochmals die An nahme der Vorlagen.

Präsident: Es ist der Schluß der ersten Berathung beantragt von dem Herrn Abgeordneten Valentin. Ich ersuche diejenigen Herren, aufzustehen, welche den Schlußantrag unterstügen wollen.( Geschieht.) Die Unterstüßung reicht aus.

Ich ersuche nunmehr diejenigen Herren, aufzustehen, respektive stehen zu bleiben, welche den Schluß der ersten Berathung beschließen wollen.( Geschieht.) Das ist die Majorität; die erste Berathung ist geschlossen.

Zu einer persönlichen Bemerkung ertheile ich das Wort dem Herrn Abgeordneter Richter( Hagen  ).

Abgeordneter Richter( Hagen  ): Der Herr Bundeskommissar hat aus einer Stelle meiner Rede Schlußfolgerungen gezogen, welche mir eine persönliche Bemerkung zur Nothwendigkeit machen.

Wenn ich von Staaten gesprochen habe, die wesentlich von Ziegel brennern und Holzhauern bewohnt werden, so ergiebt der Zusammen hang der stenographischen Berichte, daß ich damit nur eine Bezeichnung wiederholte, welche Herr von Minnigerode in die vorgesteige Debatte eingeführt hat, und Herr von Minnigerode bezog sich damit allerdings auf eine Stelle in meiner vorigjährigen Rede. Damals machte ich aber das wesentlich geltend, um die thüringischen Staaten vor der Erhöhung der Matrikularbeiträge um 24 Millionen zu schüßen. E3 bedarf wohl keiner Widerlegung, daß, wenn ich gesagt habe, sie hätten zu den Kriegskosten nichts beigetragen, ich nicht davon gesprochen habe, daß sie überhaupt keine Opfer für den Krieg gebracht, oder daß sie von 1866 bis 1870 feine Matrikularbeiträge gezahlt haben.

Wenn der Herr Bundeskommissar aus meiner Bemerkung gefol gert hat, daß sie in Folge ihrer früheren Kriegsverfassung nicht so viel Mannschaften hätten stellen können, wie der Bevölkerung entspricht, so ist es nicht entfernt meine Absicht gewesen, das, was die thüringischen Regimenter zum Kriege geleistet haben, in Frage zu stellen. Es bezog sich meine Bemerkung einfach darauf, daß man den Maßstab der Mann schaften, die am Kriege theilgenommen haben, der bekanntlich für die Bertheilung der Kriegsentschädigung angewendet worden ist, hierauf anwenden wollte, die thüringischen Staaten in Folge ihrer früheren Kriegsverfaffung und jede Statistik sagt dem Herrn Bundeskommissar, daß das richtig ist nicht so viel Reservisten und Landwehrmänner haben stellen können, wie Preußen und die größeren Staaten.

Präsident: Ich habe jetzt die Frage zu stellen, ob der Gesetz­entwurf, betreffend die Erhöhung der Brausteuer, zur weiteren Vorbe rathung an die Kommission verwiesen werden soll. Sollte der Reichstag  die Verweisung an eine Kommission beschließen, so würde ich annehmen, daß die Ueberweisung an die Butgettommission erfolgen soll.

Ich ersuche demnach diejenigen Herren, welche die Verweisung der Vorlage zur weiteren Vorberathung an eine Kommission beschließen wollen, aufzustehen.( Geschieht.) Das ist die Mehrheit; die Verweisung der Vorlage an die Budgetkommission ist beschlossen.