an den Vorstand unserer Partei nach Hamburg geschickt. Dieser Brief war in einem sehr festen Couvert, ich habe cin Duhend der gleichen Sorte zur Ansicht mitgebracht; es sind blaue Couverts, die wir gerade ihrer Festigkeit wegen gewäht haben. In diesem Couvert fand sich ein nicht allzudicker Brief; wohlan, das Couvert kam erbrochen in Hamburg an; der eine Sekretär unserer Partei, Auer, an den der Brief adressirt war, nahm sofort bei Empfang des Briefes seinen Kollegen Derossi zum Zeugen, daß der Brief, wenn er nicht unterwegs herausgenommen worden war, doch jedenfalls unterwegs hätte herausgenommen werden können. Das Couvert, ich wiederhole es, war so fest, daß zur Eröff nung mechanische äußere Gewalt angewendet worden sein muß, und daß an ein zufälliges Aufgehen in Folge der gewöhnlichen legitimen Manipulationen, die mit Briefen unterwegs vorgenommen zu werden haben, einfach nicht zu denken ist. Ich habe hier einen Brief der Herren Auer und Derossi, den ich jedoch, um die Zeit zu ersparen, nicht vorleten will, worin beide erklären, daß sie bereit sind, das von mir über den Gegenstand des Briefes Mitgetheilte vor Gericht zu erhärten.
Ferner, meine Herren, ist uns vor wenig Wochen in Leipzig ein Brief aus Frankfurt a. M. zugekommen, der offenbar unterwegs erDer Brief war fünffach brochen, aber wieder geschlossen worden war. zugesiegelt, befand sich in einem Leinencouvert und war durch sein Aeußeres ganz geeignet, den Gedanken zu erwecken, der Absender habe Gründe, den Inhalt mit besonderer Sorgfa.t vor der Deffentlichkeit zu schützen. Gut, dieser Brief kam in Leipzig an in einem Zustande, der absolut nicht bezweifeln läßt, daß eine unbefugte Eröffnung unterwegs stattgefunden hat. Das Couvert wurde von meinem Kollegen, Herrn Geiser, dem früheren Redakteur des Zeitgein" in München , ich war gerade in Berlin auf dem Reichstag vor Zeugen ohne Ver: legung der Siegel geöffnet und mir sofort bei meiner Rückkehr nach Leipzig eingehändigt. Ich habe das Couvert hier, es kann zirkuliren; für Jeden, der dasselbe genau betrachtet, ist deutlich erkennbar, wie die drei oberen Siegel geöffnet und wieder verschlossen sind; doch das ist nicht Alles: weil der Brief außer der Versiegelung auch noch mit Gummi verschlossen war, so machte es dem Eröffnen einige Schwierig keit, das Gummi unter den Siegeln zu lösen, und man sieht deut lich an dem oberen Theil des Couverts die Spuren des Meffers oder sonstigen Instruments, mit dem der Brief geöffnet wurde, welcher dann nothdürftig wieder zugeschlossen ist. Die beiden unteren Siegel find unverlegt, es find blos die drei oberen, welche erweicht werden mußten.
Da es ja möglich wäre, daß es dem Absender, nachdem er den Brief schon verschlossen, eingefallen sein konnte, er habe etwas ver gessen, und daß er selbst dann vor der Absendung den Brief geöffnet und zum zweiten Male verschlossen habe, so schrieb ich an den Absen: der, Herrn Ellner in Frankfurt a. M.; er antwortete mir, daß er den Brief nicht eröffnet habe, und daß, wenn er dies gethan hätte, er nicht versäumt haben würde, dies auf dem Couvert zu bemerken. Herr Ellner ist bereit, gerichtliches Zeugniß dafür abzulegen, daß der Brief nicht in dem Zustande, in welchem er nach Leipzig kam, von ihm auf die Bost gegeben worden ist.
Ich habe nun einen weiteren Fall zu erwähnen, der vielleicht noch flagranter ist, als die eben vorgeführten. Im Anfang des Jahres 1873 schickte ich aus Hubertusburg , wo ich damals in Festungshaft war. einen Brief an einen Kaufmann hier in Berlin der Name des Mannes thut nichts zur Sache; ich wollte dem Adressaten für einen Freundschaftsdienst, den er mir erzeigt hatte, danken. Wir hatten in Hubertusburg die Vergünstigung, daß Familienbriefe, Briefe rein pri vater Natur, an die nächsten Angehörigen adressirt, von der Anstalts Direktion nicht geöffnet wurden. Etwa acht Tage nach Absendung jenes Briefes wurde ich in die Anstalts- Direktion heruntergerufen, und was sehe ich? Mein Brief, den ich längst in Berlin glaubte, liegt eröffnet auf dem Tisch. Die Direktion, das wurde mir sofort klar, war der Ansicht, ich habe diesen Brief geschmuggelt, um mich deutsch au zudrücken. Ich nahm hierauf den Brief aus dem offenen Couvert und überzeugte den Direktor der Anstalt, der diskreter Weise den Brief nicht gelesen hatte, daß es sich striftissime um Privatangelegenheiten handelt, daß ich also durchaus nicht meine Befugniß, Privatangelegen: heiten in geschlossenem Familienbriefe abzumachen, überschritten hatte. Als ich den Brief wieder in das Couvert steckte, bemerkte ich, daß auf dem Couvert der Name des Absenders deutlich verzeichnet war, und ich nahm sofort den Anstaltsdirektor zum Zeugen dafür, daß der Brief auf der Post als unbestellbar erbrochen worden war, obgleich der Name des Absenders von Leipzig aus groß und breit darauf verzeichnet war.
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Ich muß noch nachholen, daß ich den fraglichen Brief in einen ge: schloffenen Brief an meine Frau in Leipzig eingelegt und nicht selbst die Adresse geschrieben, sondern dieselbe meiner Frau mitgetheilt und dieser aufgetragen hatte, den Brief durch Herrn Fint, Expedient des Volksstaats", besorgen zu lassen und diesen zu bitten, vorsichtshalber seinen Namen als Absender oben auf das Couvert zu schreiben, damit der Brief unter feinen Umständen in unberufene Hände gerathe. Anfangs glaubte ich an ein Versehen allein bald kam ich von dieser Vermuthung zurück und zu folgendem Resultat. Wenige Tage vor mir hatte mein Mitgefangener Bebel ebenfalls durch Vermittelung seiner Frau, an dieselbe Adresse nach Berlin ge= schrieben. Dieser Brief war wegen nicht ganz richtiger Adressirung wenn ich nicht irre, war der Vorname falich als ,, unbestellbar" von der Post geöffnet worden. Nun befand sich aber unter diesem Brief eine Nachschrift der Frau Bebel's mit der Adresse der letzteren, und mußte daraufhin selbstverständlich dieser Brief an Bebel's Frau zurückgeschickt werden. Wenige Tage nachher gelangt nun von demselben Absendungsort ein Brief unter derselben Adresse mit demselben Fehler in der Adresse nach Berlin . Man konnte sofort errathen, woher dieser Brief tomme, und in dem Eifer, uns vielleicht in flagranti zu ertap: pen und einen Beweis zu gewinnen, daß wir verbotene Korresponden zen mit der Außenwelt führten; wurde, ohne daß man sich das Couvert genauer ansah, der Brief erbrochen und in heißer Haft nach Wärmsdorf, der Poststation bei Hubertusburg , geliefert, von wo aus er der Anstaltsdirektion als corpus delicti gegen uns, speziell gegen mich, übermittelt ward. An ein bona fide Versehen ist absolut nicht zu den: ken, der Name des Herrn Fink war so geschrieben, daß es im gewöhnlichen Lauf der Postgeschäfte einfach nicht möglich war, ihn zu übersehen. Es lag eine Absicht vor und diese Absicht kann keine andere gewesen sein ich mag darüber nachdenken, wie ich will- als die schon angedeutete: uns Festungs- Gefangene bei unerlaubter Korrespondenz abzufassen.
Durch einen unglücklichen Zufall, den ich bedaure, ist dieses BriefCouvert abhanden gekommen, aber ich hatte rechtzeitig Sorge getragen, daß der Sachverhalt festgestellt wurde. Ich babe als Zeugen dafür, daß das betreffende Couvert mir in dem Zustand, wie ich ihn hier beschrieben habe, zugegangen ist, folgende Personen: erstens den damali: gen Direktor der Anstalt zu Hubertusburg, jetzt Direktor der weiblichen Sträflingsanstalt zu Hoheneck bei Stolberg , Herrn Behrisch; ferner meine Mitgefangenen, die ich natürlich sofort in Kenntniß sette: meinen Kollegen Bebel und außer ihm Herrn Theodor Daschner, jetzt in Straß burg im Elsaß , dessen Adresse sehr leicht zu beschaffen ist, und einen britten, allerdings keinen politischen Gefangenen, Herrn Kleinstück, der damals mit uns in Hubertusburg war. Das sind, dächte ich, Zeugen genug.
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Angesichts solcher Thatsachen, die zum Theil bereits im, Bolks= ftaat" veröffentlicht worden waren, als unsere ,, Anfrage" an ten Herrn General- Postdirektor erschien, hätte es sich wahrhaftig beffer geschickt, wenn man, statt auf unsere Anfrage mit einem Strafantrag zu ant: worten, eine gründliche Untersuchung angeordnet und sich bemüht hätte, den guten Ruf der deutschen Post wieder herzustellen.
Wie die Dinge stehen, sind meine Parteigenossen und bin ich durch die Wucht der Thatsachen und ich habe Ihnen nur einen kleinen Theil des in meinen Händen befindlichen Materials vorgeführt durch die zahlreichen Erfahrungen, die wir gemacht, zu dem Schluß gekommen, daß das Briefgeheimniß in Deutschland nicht gewahrt wird. Nicht als ob ich den eigentlichen Postbeamten die Schuld beimessen, nicht als ob ich glaubte, daß ein cabinet noir im alten Sinne noch eristirte aber, meine Herren, es ist meine feste Ueberzeugung, daß mit den Briefen in Deutschland ganz genau in derselben Weise mani pulirt wird, wie in Frankreich unter dem vorigen Regimente manipulirt wurde, wo diese saubere Praxis unter dem Namen Banduitsmus so benannt nach dem obersten Leiter, Herrn Oberposidirektor andal, florirte. Ich will dem Vandalismus nicht dem Stephanismus an die Seite stellen, aber das eine behaupte ich, daß die Brieferbrechung ein
Theil des Polizei- Systems ist, welches wir jetzt in Deutschland haben. Von Seiten der social demokratischen Partei wird die Erbrechung der Briefe darum auch bezeichnet als Briefstieberei", nach Herrn Stieber, dem Helden von Schlesien während der vierziger Jahre, dem Helden des Kölner Kommunisten- Prozesses, bei welcher Gelegenheit er notorisch gefälschte Aktenstücke produzirt hat, unter Anderem auch Altenstücke, auf denen mein Name gefälscht war, ein Mann, der heute noch an der Spize der Geheimen Polizei in Deutschland steht, der über bedeutende Summen aus dem Reptilienfonds verfügt, und von dessen Thätigkeit die Reichsfeinde" jeder Art, namentlich wir Social- Demofraten, sehr viel zu erzählen wissen.
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Meine Herren, es ist meiner Ansicht nach die Pflicht des Reichstages, dafür zu sorgen, daß eine Remedur gegen diese Infamien denn das sind diese elenden Praktiken getroffen werde, die dem deutschen Neiche zur Schande gereichen und die deutsche Ehre dem Spott des Auslandes preisgeben. Ich will hoffen, daß meine Stimme hier nicht vollkommen ungehört verhallt, und daß nicht, weil es ein Social Demokrat ist, der die Sache vorbringt, damit auch die Sache einfach für abgethan gilt.
Wort.
Präsident: Der Herr General- Postdirektor Dr. Stephan hat das
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Bevollmächtigter zum Bundesrath, General Postdirektor Dr. Stephan: Meine Herren, ich habe auf das Bestimmteste vorausgesehen, daß dieser Gegenstand in der heutigen Verhandlung von den Anhängern der Partei, welcher der Herr Vorredner angehört, zur Sprache gebracht werden würde. Die Behandlung dieses Themas mußte hier eintreten, ich möchte sagen, mit der Nothwendigkeit eines regelmäßigen Natur- Ereignisses, etwa wie Sonnen- und Mondfinsternisse.( beiterkeit.)
Es soll mich gar nicht wundern, wenn wir an den Titel der Beamtenbesoldungen kommen, wenn dann ein zweites solches feststehendes The na, nämlich die Unterdrückung der leidenden und mit Arbeit überhaurten Beamten, sowie deren schlechte Bezahlung, von jener Seite ebenfalls hier vorgebracht wird.( Stimme auf der äußersten Linken: sehr richtig!)
Diese Angriffsfronten sind immer die nämlichen, und ihre Behandlung hat einen stereotypen Charakter. Bald ist es die Volksarmee von 179+, bald find es die Landwehrleute von 1813, dann wieder die Vertretung dem Auslande gegenüber, oder die schlecht besoldeten Beamtem, und bei diesem Anlaß das Briefgeheimniß.
Meine Herren, so lange es ein Bostwesen giebt, hat es an Klagen über angebliche und vermuthliche Verlegungen des Briefgeheimnisses niut gefehlt; es ist auch durchaus nicht zu verwundern, daß diese Klaaen in einer Zeit, wo die Wogen des Parteilebens ziemlich hoch gehen, sich da besonders laut vernehmen lassen. Wir haben das in ähnlicher Weise erlebt in der sogenannten Reaktionsperiode, das ist in den Jabren 1850 bis 1857, wo dieselben Angriffe hervorgetreten sind. Jede Partei, die augenblicklich nicht mit der in der Regierung herrschenden Strömung übereinstimmt, glaubt, daß man sie verfolge und dazu einen so gesetzwidrigen, ja verbrecherischen Weg wähle.
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Es giebt nun aber Hunderte von Anlässen, durch welche ein Brief einfach durch einen mechanischen, vom menschlichen Willen unabhängigen Vorgang verlegt wird. Wenn Sie sich vergegenwärtigen, daß Tausende von Briefen in einem einzigen Postwagen die Reise von Basel Herr Vorredner hat gerade diesen Ort genannt bis hierher, oder von Frankfurt nach Königsberg machen und auf Hunderte von Meilen sem Rütteln und Schütteln des Wagens ausgesezt sind, und daß das Bupier immer schlechter wird, so ist dies ohne Weiteres flar, und Sie tonnen sich bei jeder einzelnen Bost, die ankommt, überzeugen, daß derartige Verlegungen an Briefen, namentlich, wenn ein sehr dicker Brief in einem dünnen Umschlage sich befindet, tagtäglich vorkommen. Für alle diese Fälle kann kein Verwaltungschef irgend eine Berantwortlichkeit übernehmen. Im Jahre 1852 fragte mich eine damals in Berlin nicht unbekannte Persönlichkeit, die ähnliche Ideen wie die Seztalisten verfolgte: Wie fange ich das an, da viele verletzte Briefe an mich unko- nmen, daß daraus keine Verlegenheiten für mich erwachsen?" Jab antwortete darauf:„ Es giebt nur zwei Mittel, entweder Sie nehme diceres Papier oder Sie schreiben keine Sachen, welche Sie mit dem Staatsanwalt in unangenehme Berührung bringen können." Als ich die Postverwaltung übernahm, habe ich in dem Aktenver zeichniß ein Heft gefunden, das in einem besonderen Fach aufgehoben wird, mit der Ueberschrift ,,, die Verlegung des Briefgeheimnisses." Ich habe mir dieses interessante Aftenstück gleich vorlegen lassen, und was fand ich darin vor? Erstens eine Ordre von Friedrich dem Großen aus der Zeit des fiebenjährigen Krieges, daß der pommersche Postmeister die Korrespondenzen beobachten und festhalten möchte, da die Sweden viele Spione im Lande hätten: und zweitens eine Verfügung aus der Mitte dieses Jahrhunderts, welche besagt, es wäre zur Sprache gekommen, daß die Postbeamten dem Inhalt der Lotteriebriefe nuchstöbern und daß auf diese Weise in kleinen Orten bekannt würde, wenn Einer einen großen Lotteriegewinn gemacht hätte, da würde er so belästigt mit Angehen wegen Kollektensammlung und Darlehen, daß ihn das sehr geniere; aus diesem Grunde würden die Postbeamten ge= warnt, dem Inhalt der Briefe nicht weiter nachzuforschen. Das sind Wenn man die einzigen Verfügungen, die darüber vorhanden sind. überhaupt müßte, wie gleichaültig den Postbeamten als solchen der Inhalt aller der Millionen von Briefen ist, so würde man an eine Jolche Behauptung gar nicht denken. Ich will ein Bild gebrauchen, das die Sache vielleicht ganz einleuchtend zu machen geeignet ist. Denfen Sie sich einen Buchhändlerladen, den ein Professor betritt. Dieser möchte natürlich wissen, was in all den Büchern steht. Dem Buchhändler ist das Nebensache; er fümmert sich blos um den Preis und um den Titel; und ebenso macht es der Postbeamte, der bloß nach dem Porto und der Adresse steht, der Inhalt des Briefes ist ihm gleichgültig.
Bei den zwei oder drei Fällen der Verlegung des Briefgeheimnisses, die während meiner Verwaltung bisher zur Sprache kamen und ich brauche nicht erst die Bersicherung abzugeben, daß alle derartigen Fälle, wenn sie auf dem richtigen Wege zur Sprache gebracht werden, einer genauen Untersuchung unterzogen werden also bei diejen zwei oder drei Fällen, die während meiner Verwaltung vorgekommen sind, hat es sich keineswegs um irgend welche Ausführung eines Auftrages der Polizei oder um irgend einen politischen Anlaß gehandelt, sondern es war eine Liebschaft im Spiele, also mehr eine lokale Angelegenheit.( Heiterfeit.)
Ich sagte, meine Herren, wenn diese Beschwerden auf dem richtigen Wege vorgebracht werden Als solchen vermag ich nur die Anzeige an die Behörde, nicht aber die Einrückung eines mehr oder weniger ausfallenden und beleidigenden Artikels in irgend eines der viertausend Journale Deutschlands anzusehen. Ich glaube nicht, daß es meine amtliche Pflicht ist, diese sämmtlichen Zeitungen zu lesen, abgesehen da: von, daß es ja über die physische Möglichkeit hinausgehen würde; und was den ,, Volksstaat" betrifft, um diesen zu lesen etwa aus Anlaß der Befriedigung meines literarischen Bedürfnisses, ja, meine Herren, da muß ich bekennen, daß ich in den Jdeen des Jahrhunderts dazu noch nicht weit genug vorgerückt bin.( Heiterkeit.)
Es war dann die Rede davon, daß in Dresden ähnliche Fälle vorgekommen seien. Der Herr Abgeordnete Liebknecht sagt am Schlusse seiner Rede, den Postbeamten wolle er feinen Vorwurf machen. Ja, warum bringt er denn die Sache bei dem Etat einer Reichsverwaltung überhaupt zur Sprache? Wenn der Verdacht sich gegen die Polizeibeamten richtet, dann gehört ja die ganze Angelegenheit überhaupt nicht vor dieses Forum, sondern vor die Gerichte oder die Landesver tretungen der Einzelstaaten Es sind hier eben nur zwei Fälle möglich: entweder es wird eine administrative Untersuchung gegen den Beamten eingeleiret auf Grund einer bei der befugten Verwaltungsbehörde angebrachten Beschwerde, oder die Angelegenheit gehört einfach vor den Staatsanwalt, denn es liegt eine strafbare Handlung vor. Das Erkenntniß, was der Herr Abgeordnete vorhin verlas, das, glaube ich, schlägt ihn selber; denn es bestätigt, daß es eben eine irrige Anficht sei, wenn aus der Thatsache, daß einzelne Briefe augenscheinlich Spuren der Verlegung an sich tragen, die mehr als gewagte Schlußfolgerung gezogen werden wollte, daß diese Briefe auf dem Posttransport verlegt worden sein sollten. Wir führen eine sehr genaue Stati stik bei der Post, und die Zeit ist vorüber, wo Börne die Statistik der Poft die Stillstandslehre der Postwagen nannte, eine sehr ge naue Statistik, die mit den Fortschritten der Zeit gleichen Schritt hält. Aus dieser Statistit ergiebt sich, daß von allen Beschwerden wegen
Verlegung oder Verlust von Briefen etwa zwei Drittel der Fälle auf die Zeit treffen, während welcher sich die Briefe noch gar nicht in den Händen der Poft befanden, oder bereits wieder aus den Händen der Post an dritte Personen, wie Diener 2c. abgegeben worden waren. Je nes Erkenntniß beweist aber außerdem, indem es die betreffende Zeitung freigesprochen hat, daß überall von den Gerichteu entsprechend ihrem hohen Beruf die Gerechtigkeit gehandhabt wird und daß selbst Milde maltet, so daß der Herr Abgeordnete ja den vollen Schutz bei den Gerichten findet.
Daß bei der Poftverwaltung das Briefgeheimniß durchaus gewahrt wird, das, glaube ich, brauche ich diesem hohen Hause nicht erst zu versichern; denn, wenn das nicht der Fall wäre, dann würden in unserer heutigen Zeit so viel Fälle zur Sprache kommen, daß solch ein System sich nach meiner Meinung nicht vierzehn Tage würde halten können. Den besten Beweis, wie sehr das Briefgeheimniß bewahrt und treu beobachtet wird, den hat ja der Herr Abgeordnete selber geliefert, wenn er sich nur daran erinnern will, was er vor drei Tagen hier von der Tribüne herab verkündete, daß es der socialistischen Propaganda gelungen wäre, durch ihre ausgezeichneten Verbindungen mit dem Auslande einen Deutschen einen von den 40 Millionen vor einer Polizeimaßregel zu bewahren, mit der er in Brüssel bedroht gewesen sein soll. Ja, meine Herren, diese ausgezeichneten Verbindungen lassen sich doch nur allein durch die Post herstellen; und es dürfte das eher für die große Gutmüthigkeit und Nachsicht von Seiten des Staates sprechen, wenn er seine Anstalten dazu hergiebt, Schriften, Bücher und Zeitungen zu verbreiten, welche einer auf seine Vernichtung hinarbeitenden Partei angehören Dazu gehört wahrlich jener Grad der deut schen Trene, von der schon Tacitus sagte: tanta est eorum tenacitas, ipsi fidem vocant!
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Was die Gefangenen in den Festungen und Strafanstalten betrifft, darüber kann ich keine nähere Auskunft geben; da muß der Herr Abgeordnete sich an die Neglements für diese Anstalten und an die Direktionen, beziehungsweise die denselben vorgesetzten Behörden der Einzelstaaten wenden. Klar hat er sich wohl kaum gemacht, und damit möchte ich schließen, meine Herren, daß in der Anschuldigung, die er hier von einer feierlichen Stelle aus erhoban hat, der Vorwurf eines dreifachen schweren Vergehens liegt, deffen der Chef der Poftverwaltung und die betreffenden Postbeamten sich schuldig gemacht haben müßten: nämlich einmal, soweit Preußen und diejenigen Länder in Betracht kommen, in deren Verfassungsurkunden das Briefgeheimniß gewährlei siet ist, der Vorwurf eines Bruches der Verfassung, die wir alle be schworen haben; sodann der kaum minder schwere Vorwurf der Zuwiderhandlung gegen bestimmte Geseze, nämlich gegen das Reichspostgeset und gegen das Strafgesetz; endlich aber der Vorwurf einer Verlegung des geschworenen Diensteides. Diesen dreifachen schweren Vorwurf weise ich hiermit auf das Allerentschiedenste zurück, sowohl in meinem Ramen, als in demjenigen der vierundsechzigtausend Beamten und Unterbeamten der Verwaltung. Sie können versichert sein, meine Herren, daß das Briefgeheimniß auf dem Gewissen der Postbeamten des deutschen Reiches ebenso sicher ruht, wie die Bibel auf dem Altar!
Präsident: Der Herr Abgeordnete Liebknecht hat das Wort. Abgeordneter Liebknecht : Meine Herren, der Herr Generalpost direktor Stephan hat mich theilweise mißverstanden. In dem Leipziger Urtheil ist ausdrücklich erklärt, daß die Thatsache der Erbrechung nach gewiesen ist. Es ist darin blos ausgesprochen, daß der Schluß, die deutsche Post sei der Erbrechung schuldig, kein zwingender, daß er irrig sei. Ich habe vorhin ausdrücklich erklärt, ich wolle nicht sagen, daß Herr Generalpoftdirektor Stephan persönlich an den Brieferbrechungen schuld sei, daß die Postanstalt als solche die Schuld der Brieferbrechungen trage. Das aber sage ich: auf der Post werden Briefe erbrochen, und der Herr Generalpostdirektor Stephan ist verantwortlich für das, was auf der Poft geschieht;( Heiterkeit) und wenn eine Klage wegen Verlegung des Briefgeheimnisses tommt, so wäre es seine Schuldigkeit, statt einen Strafantrag gegen den Beschwerdeführer zu stellen, eine Untersuchung anzuordnen; brûler n'est pas répondre", möchte ich dem Herrn Generalpostdirektor, der trok seiner Abneigung gegen fremde Sprachen doch mitunter recht gern in fremden Sprachen citirt, hier zurufen. Strafanträge sind keine Antwort. In dem Leipziger Prozeß, der in diesem freisprechenden Erkenntniß endigte, wurde unsererseits das sei hier erwähnt ein Brief vorgelegt, der wesentlich das Gericht zu dem Urtheilsspruch bestimmte, ein Brief von dickem Papier, der an einer Seite aufgeschnitten, und nach der Eröffnung mit Gummi wieder zugeschlossen war. Es ist dies beiläufig eine sehr befannte Pragis. In Frankreich ist sie zuerst in die Mode gekommen, und auch in Deutschland ist es häufig Neulich ich habe auch den Zeitungsbericht über diesen Fall bei mir beklagte sich der Redakteur der Mayener Volkszeitung" darüber, daß ihm ein Brief zugestellt worden sei, der an der Seite geöffnet und wieder mit Gummi zuge schlossen worden sei. Wir druckten die betreffende Notiz ab und erflärten bei dieser Gelegenheit, daß ähnliche Fälle uns vorlägen. Daraufhin wurde ein zweiter Strafantrag von Seiten des Herrn Generalpoftdirektors Stephan gegen uns geschleudert, der sich in dieser Beziehung wenigstens seinen obersten Herrn zum Muster genommen zu haben scheint, dem ich aber rathen möchte, nicht allzu eifrig zn sein in der Befolgung des Sprüchworts: tel maître tel valet.
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Ferner hat der Herr Generalpostdirektor mich in Bezug auf das mißverstanden, was ich über meinen Hubertusburger Brief gesagt habe. Dieser Brief ist nicht von dem Anstaltsdirektor, nicht von den Gefäng nißbehörden, sondern er ist von den Postbehörden geöffnet worden und geöffnet als Beweisstück gegen mich, von ihnen der Gefängnißdirektion überliefert worden.
Uebrigens wundere ich mich sehr, daß der Herr Generalpostdirektor diesen Anklagen gegenüber so figlich ist. Es ist doch hier im deutschen Reichstage selbst in der Sigung vom 25. Juni des Jahres 1873 gegen ihn in einer Interpellation des fortschrittlichen Abgeordneten Dr. Banks die Anklage erhoben worden, daß er, Herr Stephan, selber das Briefgeheimniß nicht geachtet habe, daß er zwar nicht direkt Briefe erbrochen, sich aber die Abonnentenliste der Deutschen Post", die ihm ein Dorn im Auge war, habe vorlegen lassen; und nach dem Gesetz sind die Abonnentenlisten ebenso unantastbar wie Briefe und stehen unter dem Und von den Abonnentenliften der Schuß des Briefgeheimnisses. ,, Deutschen Post" hat Herr Generalpostdirektor Stephan kraft seines Amtes Einsicht genommen. Er wurde damals in energischer Weise im Reichstage angegriffen und die Thatsachen wurden nicht erschüttert; ich habe die Verhandlungen hier, wenn der Herr Generalpostdirektor es wünscht, bin ich bereit, sie ihm vorzulesen.( Rufe: Nein!)
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Sie sehen, meine Herren, der Herr Generalpostdirektor hat keine Veranlassung, es allzu übel zu nehmen, wenn ein solcher Verdacht ihm gegenüber ausgesprochen wird. Ein großer Theil der Thatsachen, die ich hier vorgebracht habe, sind beiläufig verzeichnet in einem Schr ftchen, welches ich ihnen nur recht warm empfehlen kann;( Heiterkeit) es ist betitelt: Schwarze Kabinette" von Emil König , dem Begründer der Wochenschrift: die Deutsche Post". Der Herr Generalpostdirektor Stephan fennt den Mann sehr genau. Sie finden dort auch die Reichstagsverhandlungen gegen Herrn Stephan, sowie noch vieles andere einschlägige Material, welches für Jeden, der unbefangen an die Frage herantritt, es über allen Zweifel erhebt, daß Briefe auf der Post ge öffnet werden. Wer sie öffnet, kann ich nicht wissen; jedenfalls aber war es meine Pflicht, diese Sache hier zur Sprache zu bringen, und die Pflicht des Herrn Stephan wäre es, statt mit einigen wohlfeilen Wişen über die Sache megzugehen, uns eine bestimmte klare Antwort zu geben und gründliche Abhülfe zu schaffen.
Präsident: Der Ausdruck wohlfeile Wize" ist nicht in der Ordnung, und ich rufe deshalb den Herrn Abgeordneten Liebknecht zur Ordnung.
Es ist weiter Niemand zum Wort gemeldet; es wird auch jetzt das Wort nicht gewünscht; ich schließe die Diskussion. Gegen die Einnahme, Porto 92 Millionen Mart, ist Widerspruch nicht erhoben; diese Einnahme Kap. 3 Tit. 1 ist daher festgestellt.
Sigung vom 7. November.
Eröffnung 11%, Uhr. Zur Berathung steht:
1) Dritte Berathung des Gesezentwurfs, betreffend Abände> drung des§ 4 über das Postwesen.
2) Erste und zweite Berathung, betreffend die Naturalisation von Ausländern, welche im Reichsdienst angestellt sind.