Nr. 150.

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Sonntag, den 19. Bezember 1875.

Neuer

Social- Demokrat.

Organ der Socialistischen Arbeiter- Partei Deutschlands  .

20

5. Jahrgang.

Redaction n. Expedition:

Berlin  , SO.,

Raiser Franz Grenadier- Bl. 8a

Inferate

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Inhalt.

Fürft Bismarck   und die deutsche   Social- Demokratic. Die Arbeiter als Mordbrenner.

Deutscher   Reichstag  .

Kiel  .

Politische Uebersicht: Deutscher   Reichstag.  - Zur Strafgeset­novelle. Aus der Budgetfommission. Herr Banks. Der rothe Becker". Allerhand Brutalitäten. Zur Berliner   Arbeits­losigkeit. Leo Fränkel. Frankreich  . Thomaffen. Beneidens werthe Civilversorgung. Zur Prostitution in Berlin  .

Leipzig  .

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Korrespondenzen: Altona  . Coblenz. Erfurt  .

Gießen. Bielefeld  .

Barmen.

Sprechsaal.

Osnabrüd.

Altona­  

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Berlin  .

Wiesbaden  . Cöln  .

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Fürst Bismard und der Rückgang der Socialdemokratie.

Mit dem Rückgange der Socialdemokratie, welchen die Reptilienpreffe zum Troste der Spießbürgerseelen in diesem Sommer mit entfeßlichen Posaunenstößen in alle Welt hin­ausblies, hat es ein gar jämmerliches Ende genommen, und es fennzeichnet nichts besser die Rathlosigkeit und Zerfah­renheit der herrschenden Parteien, als daß dieselben jezt Kleinlaut bekennen, daß sie sich, betreffend den Untergang der Socialdemokratie, in leeren Träumen gewiegt haben. Ihr Triumphgeschrei schlägt in sein Gegentheil um, und schon hören wir das Zetermordio der Bourgeoisie nach Gewaltmaßregeln gegen die Socialisten; schon glauben sie aus jedem Champagnerglase flammendes Petroleum sich entgegensprudeln zu sehen.

Die fasenjämmerliche Ernüchterung ber siegestrunkenen Socialistenfreffer hat aber jetzt einen noch nie dagewesenen Grad erreicht, seitdem ihr Orakel, Fürst Bismard, selbst bei der lezten parlamentarischen Abfütterung ernstlich seine Befürchtungen über das Wachsthum des Socialis: mus ausgesprochen hat. Wenn der allmächtige" Reichs­fanzler bie focialen Wogen fürchtet und nicht mehr recht dem Schiffe trauen will, das Cäsar und sein Glück trägt, wie müffen dann die armseligen Nationalliberalen erst mit den Zähnen klappern, welche sich nur im Schatten von Küraffierstiefeln sicher fühlen!

Doch zur Sache selbst! Der getreue nationalliberale Wehrenpfennig bringt über Bismarc's lette Abend­gesellschaft für die Magdeburger Zeitung" die Sensations­nachricht, welche diese Zeitung in nachstehender Weise wiedergiebt:

,, Charakteristisch ist folgende Bemerkung, welche, wie von vertrauenswerther Seite mitgetheilt wird, Fürst Bis­ marck   in der legten parlamentarischen Soirée gemacht hat:

,, Der Socialismus hat die allergrößten Fort­schritte gemacht, weit größere, als Sie glauben, meine Herren; das wird sich bei den nächsten Wahlen be­reits sehr deutlich zeigen. Schon nach einigen Jahren wird das Bürgerthum nach den Strafbestimmungen, die Sie jetzt einstimmig verwerfen wollen, lechzen, wie der einsame Wanderer in der Wüste nach einem Schluck Wasser."

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Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, daß Bis­mard allerdings diesen Ausspruch gethan hat, und sind also in der nicht allzu häufigen Lage mit ihm vollkommen einer Meinung zu sein. Wenn die liberalen Bourgeois heute noch nicht, nach dem ihnen präsentirten Laskerknüp­pel" vulgo Strafgefeß- Novelle zum Todtschlagen des Socialismus" greifen, so werden sie es gewiß thun, sobald sie erkannt haben, daß das durch den Gründerschwin­del geplünderte und gewißigte Volk sich dem Socialismus entschieden hinneigt. Allerdings in einer Hinsicht irrt auch Fürst Bismard mit sammt den Getreuen, nämlich er bedenkt nicht, daß eine tief in den gesellschaftlichen Verhältnissen wurzelnde Jdee, wie der Socialismus es ist, durch kein Machtmittel vernichtet oder nur am Aufblühen gehin­dert werden kann. Und so sehen wir denn jenen zufünf­tigen Verfolgungen mit kältestem Blute entgegen.

Recht hübsch ist es übrigens, daß die edle Magde­burger Zeitung", resp. ihr Wehrenpfennig, nach Bismarck  scher Begeisterung und füßen Trankes voll, sofort mit küh­nem Muth an's Werk gegangen ist, durch Leitartikel die neueste Aera des rothen Gespenstes einzuweihen. Der brave Offiziöse hat sich die Fabel vom Junker Alexander her­ausgesucht und in die Sprache des neunzehnten Jahrhun­berts übersetzt und wörtlich steht zu lesen am Schlusse jenes Leitartikels:

,, Liberalerseits wird man niemals die Hülfe versagen, wenn es ernstlich darauf ankommt, die Autorität der Staats­gewalt zu stüßen.

Wenn man uns aber zumuthet, unsere Hand zur Be­schränkung der Presse, zur Verkümmierung des Vereins- und Versammlungsrechts zu bieten, diesen ohnehin kärglich genug bemessenen Grundbedingungen der politischen Freiheit eines Volkes, dann allerdings wird man uns niemals auf Seiten Derer finden, welche solche Ansprüche an uns stellen Das ganze auf dem Boden des Vaterlandes stehende und

innerhalb dieser Grenzen berechtigte Parteiwesen würde, wenn die betreffenden Paragraphen der Strafgesez- Novelle Geltung bekämen, in unerträglicher Weise eingeengt werden. Etwas Anderes ist es mit den Parteien, welche auf jenem Boden nicht stehen und deshalb, wie im Feuilleton auch Holzendorff meint, unberechtigt sind: mit den Social Demokraten und Ultramontanen. Kann man den Ge­sezen eine Fassung geben, wonach nur diese Par teien unschäblich gemacht werden, so fennt der das Bolt schlecht, welcher meint, daß es die Bewilligung solcher Gesetze bei den Wahlen nicht gutheißen würde. Es liegt in dem Worte Bismard's über die Fortschritte der Social­Demokratie, welches unten in einer Berliner   Korrespondenz uns mitgetheilt wird, sicherlich viel Beherzigenswerthes. Nur darf man, wenn man diese den Bestand der Gesellschaft bedrohenden Parteien bekämpft, nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten und mit diesen Parteien alle gesunde Freiheit vernichten wollen. Möge der Scharfsinn frei­dem Bade ausschütten und mit diesen Parteien alle gesunde sinniger Gesetzgeber hier einen Ausweg finden!"

Die Kuh des Junkers, Aleranders,

Ja Bauer, das ist ganz was Anders!" Titelchen Freiheit für den Gegner." D, heilige Göttin Alle Freiheit für mich", sagt der Liberale, und kein

Libertas  !

Freunden übrigens nur recht angenehm sein. Diese schönen Enthüllungen können uns und unseren doch jetzt ganz genau, wohin sie zielen und worauf die Wissen wir mehr als jene Repressiv- Geseze, welche am Horizont der­neueste Bismard'sche innere Politik gerichtet ist. Aber noch selben erscheinen, möchten wir unsern Lesern die Worte Bismarck's an's Herz legen: Die nächsten Wahlen wer­den das Wachsthum der Socialdemokratie kund thua!

eine Anzahl Behelmter und Besäbelter erschiene, um nach Petroleum   und sonstigen Feuer- und Mordinstrumenten zu fuchen, und eine Anzahl von Parteifreunden als muthmaß liche Brandstifter der lezten großen Brände inhaftirte.

Wenn die Deutsche Landeszeitung" glaubt, daß das Wachsthum der social demokratischen Bewegung durch das Aussprengen solcher Gerüchte gehemmt werde, so wird sie sich gewaltig irren. Zwar ist es jetzt Modesache unter unseren Gegnern geworden, allerhand Schaudergeschichten über die Social- Demokratie zu berichten, aber wie es sich von selbst versteht, verfangen solche Märchen nur bei socialisten- fresse­rischen Bourgeois und Spießbürgern, die Mehrzahl des Voltes schenkt ihnen feinen Glauben.

Die Ideen des Socialismus graben sich tagtäglich tiefer in das Herz des Volkes ein, und je schroffer sich die Gegenfäße zwischen Rapital und Arbeit zuspißen, je weiter die Kluft zwischen den arbeitenden und befizenden Klassen sich dehnt, desto schneller werden auch die Parteien, die sich jezt noch in ein arbeiterfreundliches Mäntelchen einhüllen, in das Lager der Kapitalmacht überlaufen, und wir vielleicht noch das Vergnügen haben, die Deutsche Landes- Zeitung" in Reih und Glied mit der National- Zeitung", der Wiener  ,, Neuen freien Bresse" und anderen stehen zu sehen. Die" Deutsche Landes Zeitung" wird uns hoffentlich hierauf die Antwort nicht schuldig bleiben.

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Deutscher   Neichstag.

Berlin  , 14. Dezember. Die Sißung wird gegen halb 12 Uhr vom Präsidenten vor fast leerem Hause eröffnet. Es sind im Saale faum 60 bis 70 Personen anwesend.

Der Schriftführer verliest ein Schreiben, worin der Reichs­um Genehmigung der Verfolgung des in München   erschei­nenden Zeitgeist" wegen Beleidigung des Reichstags gefordert wird. Das Schreiben wird der Geschäftsordnungs- Kommission zur Berichterstattung überwiesen.

Gewiß werden sie das und gewiß ist Bismarckanzler Partei stark oder schwach ist, ob fie vorwärts oder zurück ein scharfer Beobachter, der es zu tariren weiß, ob eine geht. Mögen also alle unsere Parteifreunde es sich gefagt fein lassen, daß es nur an ihnen, an ihrem Eifer, an ihrer Hingebung, an ihrer Opferwilligkeit liegt, um einen Fortschritt des Socialismus zu Wege zu bringen, vor dem selbst einen Bismarck   ein Grauen beschleicht. Wir dürfen uns dadurch nicht sicher machen lassen, sondern es muß zu

verdoppeltem Eifer uns anspornen. Alle Mann einig und rüstig Hand an's Werk gelegt, und Bismarck   und Tessendorf, sowie der gesammte liberale Troß sollen noch weit mehr erleben, als sie jest vermuthen.

Die Arbeiter als Mordbrenner. Bekanntlich ist ja dieser Ausspruch nicht mehr neu, aber die Stelle, an der wir ihm begegnet sind, hat uns befremdet. Während der letzten Wahlen war es aller dings nichts Seltenes, daß die gesammte Reaktion, Fort­schrittler, Liberale, Konservative und Ultramontane, bei jedem Brande, der zufällig in irgend einem Wahlkreise aus­brach, den socialistischen Arbeitern die Schuld in die Schuhe schoben troßdem es später bewiesen wurde, daß seitens ganz anderer Elemente der rothe Hahn auf das betreffende Dach gesetzt worden war.

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So finden wir nämlich in der Deutschen Landes­3eitung" bezüglich der in den letzten Wochen in Berlin  vorgekommenen Sonnabends- Brände folgende Notiz:

Niemand in Berlin   verschließt sich vor dem Gedanken: daß ein finsterer, unheimlicher Geist des Unmuths und Verderbens in den untersten Schichten des Volks herrscht wer ihn heraufbe: schworen, das wissen unsere Herren Nationalliberalen nur zu gut. Gründer oben, Petroleum unten. Das scheint die artige Devise unserer Zeit zu werden."

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Allerdings recht artig von einem Blatte, das sonst, wie wir geglaubt haben, ein unbefangenes Urtheil im gegen­wärtigen großen socialen Kampfe sich zu bewahren suchte.

Hätte beispielsweise die ,, Wiener Neue Fr. Presse", die National- Zeitung", die langweilige" Post" oder ein sonstiges nationalliberales, bezüglich sogenannt freifonser: vatives Blatt derartig geschrieben und mit dem Petroleum gedroht", wir hätten geschwiegen, da aus der bisherigen Haltung dieser Blätter sich nichts anderes erwarten läßt, wenn aber das Organ des Herrn Niendorf sich soweit ver­gißt, so müssen wir doch zu der Ueberzeugung gelangen, daß, so sehr es auch die Tendenz eines Bourgeoisblattes abzustreifen bemüht ist und eine unparteiische Stellung in den socialen Streitfragen einnehmen will, es doch seine Bourgeoisnatur im entscheidenden Augenblicke nicht ver­leugnen kann.

Die betreffende Notiz ist nichts Anderes, als eine offen kundige Denunciation gegen die Social- Demokratie. Und. es sollte uns daher nicht Wunder nehmen, wenn eines schönen Vormittages in der Redaktion und Expedition wieder

Erster Gegenstand der Tagesordnung bildet die Interpellation der Abgeordneten v. Bernuth, Dr. Wagner, Dr. Nömer( Würt­temberg), betreffend die Regelung der Ansprüche der Hinterblie benen verstorbener Reichsbeamten. Abg. von Bernuth begründet diefelbe.

Einer der Bundeskommissare beantwortet dieselbe dahin, daß bisher ein solches Gesetz noch nicht eingebracht worden sei, weil es sich zuvor um die nöthigen finanziellen Erhebungen gehandelt hat, diese seien eben im Gange.

Zweiter Gegenstand der Tagesordnung ist die dritte Be­rathung des Schulze'schen Antrags für Diäten.

In der General- Debatte ergreift Abg. v. Saucen das Wort und befürwortet Abstimmung über den vorliegenden Antrag ohne jede Debatte. Dieser Wink wurde von dem Abg. Valentin nur zu gut verstanden; er stellte den Schlußanirag. Dieser wurde auch angenommen und dem Abgeordneten Bahlteich, hatte, um die Stimmenthaltung der Socialisten zu begründen, an welchen Abgeordneter Liebknecht   das Wort abgetreten das Wort abgeschnitten.

In der unmittelbar darauf beginnenden Spezialdebatte konnte der Abg. Vahlteich, in Rücksicht auf die Art, wie ihm das Wort abgeschnitten worden, sich nicht entschließen, das Wort nochmals zu verlangen. Da Liebknecht   gerade durch einen Huffier des Hauses auf einige Augenblicke aus dem Saale   gerufen wor ben war und bereits wiederum der Schluß der Debatte drohte, so meldete sich rasch und unvorbereitet Bebel und begründete geblicher Beleidigung des Reichstags vom Präsidenten zur Ord furz die Stimmenthaltung, aber nicht ohne zweimal wegen an­nung gerufen zu werden.

Auf Antrag Valentins erfolgt Schluß der Debatte, und wird der Antrag Schulze in dritter Lesung mit großer Majorität an­genommen..

Die zwei folgenden Punkte der Tagesordnung: 1) erfte und zweite Berathung des Geseßentwurfs, die Beförderung und Be­fchäftigung polynesischer Arbeiter betreffend; 2) dritte Berathung des Gefeßentwurfs, betr. die Naturalisation von Ausländern, welche im Reichsdienst angestellt sind, führen zu kurzen Debatten, die jedoch nichts Bemerkenswerthes darbieten.

bis zum

Das Haus tritt hierauf in die Berathung des Elsaß­Lothringischen Haushalts Etats. Es ist eben eine Be­rathung" nur dem Namen nach, denn ohne Debatte wird in wenigen Minuten Alles gutgeheißen und bewilligt. Die elfaß­Lothringischen Abgeordneten scheinen gar nicht anwesend zu sein. erste und zweite Berathung, betreff. die Abänderung des Art. 15 Start wird debattirt über den 6. Punkt der Tagesordnung: des Münzgefeßes( die deutschen   Thalerstücke und Jahre 1867 geprägten öfterreichischen Vereinsthaler à 3 Mart Abgg. Sonnemann und Bamberger   und Bundeskommissar in Zahlung zu nehmen). An der Diskussion betheiligten sich die Finanzminister Camphausen. Letterer sieht, wie immer, Alles in rosigen Farben und schließt mit der salbungsvollen Prophe= zeihung: der Uebergang zur Goldwährung werde sich in wahrhaft spielender Weise vollziehen was durch die bisherigen Erfah­rungen allerdings nicht bestätigt wird.

schlechte Herstellung des Reichspapiergeldes hinzuweisen, das Abg. Reichensperger benugt die Gelegenheit, um auf die an Schönheit hinter dem englischen, an Dauerhaftigkeit weit hin­der Entwurf mit einem Amendement von Sonnemann, welches ter dem amerikanischen   Papiergeld zurückſtehe. Schließlich wird