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Georg Büchner  .

In Straßburg   wandte sich Büchner   wieder ganz seinen ernsten Studien zu: beinahe auf sich allein angewiesen, suchte er sich mit aller Kraft eine Stellung zu erringen. Sein Erfolg auf dem Felde der dramatischen Poesie war weit entfernt, ihn seinem ursprüng lichen Studienplane zu entfremden. Wenn er auch die praktische Medicin entschieden aufgab, so setzte er doch die naturwissen schaftlichen Studien um so eifriger fort. Nachrichten aus Zürich   über die schlechte Besetzung einiger naturwissenschaftlichen Fächer ließen ihn den Gedanken fassen, sich für einen Lehrcursus über vergleichende Anatomie, die in Zürich   noch nicht vorgetragen worden war, vorzubereiten. Der berühmte Lauth und Düver­noy, Professor der Zoologie, leisteten ihm für diese Studien allen Vorschub, und machten ihm den Gebrauch der Stadt bibliothek sowohl, als einiger bedeutenden Privatbibliotheken möglich. Einige leichte literarische Arbeiten, die ihn zwischen durch beschäftigten, betrachtete er mehr als Erholung. Auf Sauer­länder's Anstehen übersetzte er in der Serie von Victor Hugo's  übertragenen Werken die Tudor" und" Borgia  " mit echt dichteri­scher Verwandtschaft zum Original. Alfred de Müsset zog ihn, wie Gutzkow   erzählt, an, während er nicht wußte, wie er sich durch Victor Hugo   durchnagen solle", Hugo gäbe nur auf spannende Situationen", Alfred de Musset   aber doch ,, Charaktere, wenn auch ausgeschnitzte". In Guzzkow's Literaturblatt sollte Büchner   auf dessen Wunsch Kritiken der neu erscheinenden franzö­ sischen   Literatur liefern. Zugleich mit den naturwissenschaft lichen Studien betrieb Büchner   in Straßburg   philosophische, und zwar namentlich als Grundlage ,, Geschichte der Philosophie". Unter den neueren Philosophen waren es Cartesius   und Spinoza  , mit deren Systemen er sich hauptsächlich beschäftigte und aufs Junigste vertraut machte. Daneben fand sein rastloser Eifer noch Zeit, das Englische zu erlernen. Er studirte meist anhaltend von Morgens früh bis um Mitternacht. Seine vergleichend anatomischen Studien führten ihn zur Entdeckung einer früher nicht gekannten Verbindung unter den Kopfnerven des Fisches, welches ihm die Idee gab, eine Abhandlung über diesen Gegenstand zu schreiben. Er ging sogleich an die Arbeit, und dieselbe beschäftigte ihn fast ausschließlich in dem Winter Son 1835 auf 1836.

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3m Oftober 1835 erhielt Büchner   durch besondere Ver­günstigung eine französische Sicherheitskarte, die ihn aller Chikanen überhob, welche damals gegen die Flüchtlinge in Folge aus wärtiger Noten im Schwange waren. Die deutschen   Regierungen träumten nämlich fortwährend von Einfällen über den Rhein  , welche von den paar Mann in Straßburg   mochten etwa zehn leben ausgeführt werden sollten. Büchner   besaß einen kleinen, aber bedeutenden Kreis von Freunden, worunter Professor Baum, der um jene Zeit mit einer Abhandlung über die Metho­disten einen französischen   Preis von 3000 Franken gewonnen hatte, ferner die beiden Dichter Stöber( Adolph und August), Follenius und Andere.-

3m September 1835 wurde bekanntlich als Organ des Jungen Deutschland" die deutsche Revue" durch Gutzkow   und Wienbarg   gegründet, und sollte mit Anfang des Jahres 1836 erscheinen. Büchner   wurde zum Mitarbeiter eingeladen. Er sagte zu, wenn auch nicht zu regelmäßigen Beiträgen, und sein Name wurde unter den Mitarbeitern in der Ankündigung auf­geführt. Für diese deutsche Revue hatte Büchner   seine Novelle Lenz" bestimmt. Er hatte in Straßburg   interessante und bis da unbekannte Notizen über Lenz, den unglücklichen Dichter aus der Sturm- und Drangperiode, den Jugendfreund Goethe's  , er halten. Lenz, nachdem er sich längere Zeit mit Goethe zugleich in Straßburg   aufgehalten, verliebte sich in die bekannte Goethe'sche Friederike und wurde zuletzt verrückt. Die Novelle ist, da die deutsche Revue noch vor ihrem Erscheinen unterdrückt wurde, leider Fragment geblieben und behandelt in dieser Form jenen Moment in Lenzen's   Leben, wo derselbe, nachdem er in Weimar  

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nicht bleiben konnte, zum zweiten. Mal in das Elsaß   und, in einem halbwahnsinnigen Zustand, zu dem durch seine pietistische Frömmigkeit bekannten Pfarrer Oberlin in Waldbach kam. Büchner  hat seine Erkundigungen über diesen Aufenthalt Lenzen's an Ort und Stelle eingezogen. Das Fragment bildet das dritte Stüd in der Sammlung und ist zuerst in Guzkow's Telegraph" im Jahre 1839, als der Verfasser schon zwei Jahre todt war, ab­gedruckt worden. Wir setzen die Bemerkung her, mit der Gutzkow damals den Abdruck begleitete:

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,, Diese Probe von Büchner's   Genie wird aufs Neue be­weisen, was wir mit seinem Tode an ihm verloren haben. Welche Naturschilderungen, welche Seelenmalerei! Wie weiß der Dichter die feinsten Nervenzustände eines, im Poetischen wenigstens, ihm verwandten Gemüthes zu belauschen! Da ist Alles mit­empfunden, aller Seelenschmerz mitdurchgedrungen; wir müssen er­staunen über eine solche Anatomie der Lebens- und Gemüths­störung. G. Büchner   offenbart in dieser Reliquie eine reproduk­tive Phantasie, wie uns eine solche selbst bei Jean Paul   nicht so rein, durchsichtig und wahr entgegentritt."

Mit dem Verbot der Deutschen Revue" war die literarische Verbindung und Richtung, die man das Junge Deutschland" nannte, so ziemlich zu Ende, und seine Koryphäen verfolgten von nun an jeder seinen eigenen Weg. Büchner's Verhältniß zum Jungen Deutschland   und seine Meinung über dasselbe ist in einem Brief vom 1. Januar 1836 sehr deutlich ausgesprochen. Er sagt da: lebrigens gehöre ich für meine Person keineswegs zu dem sogenannten Jungen Deutschland  , der literarischen Partei Gutzkow's  und Heine's. Nur ein völliges Mißkennen unserer ge= sellschaftlichen Verhältnisse konnte die Leute glauben machen, daß durch die Tagesliteratur eine völlige Um­gestaltung unserer religiösen und gesellschaftlichen Ideen möglich sei."

Da Büchner   die Absicht hatte, schon im Frühling des Jahres 1836 nach Zürich   als Privatdocent zu gehen, so beeilte er sich mit seiner Abhandlung sehr. Im März 1836 war sie fertig, und nachdem er in der Straßburger   ,, Gelehrten Gesellschaft für Naturwissenschaften" mit sehr großem Beifall drei Vorträge über den Gegenstand gehalten hatte, beschloß die Gesellschaft auf An­trag der Professoren Lauth und Düvernoy, die Abhandlung in ihre Annalen aufzunehmen und dieselbe zum Druck auf ihre Kosten zuzulassen. Zugleich ernannte sie Büchner   zum correspon direnden Mitglied. Die Schrift erhielt den Titel: Sur le système nerveux du barbeau( über das Nervensystem der Barben[ Fische]), und wurde von den ausgezeichnetsten Kennern der Naturwissen schaften für eine meisterhafte Arbeit erklärt, die zu den höchsten Erwartungen berechtige. Theils die Verzögerung des Druckes der Schrift, theils politische Maßregeln, die damals gegen die Flücht­linge in der Schweiz   ergriffen wurden, bewogen Büchner  , seine Uebersiedelung nach Zürich   noch bis zum Herbste zu verschieben. Die ihm dadurch freigewordene Zeit benutzte er, um sowohl seinen anatomischen Cursus bis zu Ende vorzubereiten, als auch nament­lich zur Vervollständigung seiner philosophischen Studien. Er präparirte, um mit zwei Fächern ausgerüstet nach Zürich   zu kommen, einen vollständigen Lehrcurs über die philosophi­schen Systeme der Deutschen   seit Cartesius   und Spinoza  ." In dem Nachlasse befindet sich sowohl eine mit großer Gründlich­keit geschriebene Geschichte und Darstellung der Systeme von Cartesius   und Spinoza  , als auch eine ganz ausgearbeitete Ge­schichte der älteren griechischen Philosophie. Da Büchner   in dem­selben Sommer auch dramatische Poesien vollendete, von denen wir noch reden werden, so beweisen diese Arbeiten einen enormen Fleiß. Seine Mutter und Schwester, die ihn diesen Sommer in seinem Eril besuchten, fanden ihn zwar gesund, aber doch in einer großen nervösen Aufgeregtheit und ermattet von den anhaltenden geistigen Anstrengungen. Er äußerte damals oft: Ich werde nicht alt werden." Dennoch ließen sein angeborner Lebensmuth