55
In Straßburg wandte sich Büchner wieder ganz seinen ernsten Studien zu: beinahe auf sich allein angewiesen, suchte er sich mit aller Kraft eine Stellung zu erringen. Sein Erfolg auf dem Felde der dramatischen Poesie war weit entfernt, ihn seinem ursprüng lichen Studienplane zu entfremden. Wenn er auch die praktische Medicin entschieden aufgab, so setzte er doch die naturwissen schaftlichen Studien um so eifriger fort. Nachrichten aus Zürich über die schlechte Besetzung einiger naturwissenschaftlichen Fächer ließen ihn den Gedanken fassen, sich für einen Lehrcursus über vergleichende Anatomie, die in Zürich noch nicht vorgetragen worden war, vorzubereiten. Der berühmte Lauth und Düvernoy, Professor der Zoologie, leisteten ihm für diese Studien allen Vorschub, und machten ihm den Gebrauch der Stadt bibliothek sowohl, als einiger bedeutenden Privatbibliotheken möglich. Einige leichte literarische Arbeiten, die ihn zwischen durch beschäftigten, betrachtete er mehr als Erholung. Auf Sauerländer's Anstehen übersetzte er in der Serie von Victor Hugo's übertragenen Werken die„ Tudor" und" Borgia " mit echt dichterischer Verwandtschaft zum Original. Alfred de Müsset zog ihn, wie Gutzkow erzählt, an, während er nicht wußte, wie er sich durch Victor Hugo durchnagen solle", Hugo gäbe nur auf spannende Situationen", Alfred de Musset aber doch ,, Charaktere, wenn auch ausgeschnitzte". In Guzzkow's Literaturblatt sollte Büchner auf dessen Wunsch Kritiken der neu erscheinenden franzö sischen Literatur liefern. Zugleich mit den naturwissenschaft lichen Studien betrieb Büchner in Straßburg philosophische, und zwar namentlich als Grundlage ,, Geschichte der Philosophie". Unter den neueren Philosophen waren es Cartesius und Spinoza , mit deren Systemen er sich hauptsächlich beschäftigte und aufs Junigste vertraut machte. Daneben fand sein rastloser Eifer noch Zeit, das Englische zu erlernen. Er studirte meist anhaltend von Morgens früh bis um Mitternacht. Seine vergleichend anatomischen Studien führten ihn zur Entdeckung einer früher nicht gekannten Verbindung unter den Kopfnerven des Fisches, welches ihm die Idee gab, eine Abhandlung über diesen Gegenstand zu schreiben. Er ging sogleich an die Arbeit, und dieselbe beschäftigte ihn fast ausschließlich in dem Winter Son 1835 auf 1836.
-
-
" 1
-
3m Oftober 1835 erhielt Büchner durch besondere Vergünstigung eine französische Sicherheitskarte, die ihn aller Chikanen überhob, welche damals gegen die Flüchtlinge in Folge aus wärtiger Noten im Schwange waren. Die deutschen Regierungen träumten nämlich fortwährend von Einfällen über den Rhein , welche von den paar Mann in Straßburg mochten etwa zehn leben ausgeführt werden sollten. Büchner besaß einen kleinen, aber bedeutenden Kreis von Freunden, worunter Professor Baum, der um jene Zeit mit einer Abhandlung über die Methodisten einen französischen Preis von 3000 Franken gewonnen hatte, ferner die beiden Dichter Stöber( Adolph und August), Follenius und Andere.-
3m September 1835 wurde bekanntlich als Organ des Jungen Deutschland" die„ deutsche Revue" durch Gutzkow und Wienbarg gegründet, und sollte mit Anfang des Jahres 1836 erscheinen. Büchner wurde zum Mitarbeiter eingeladen. Er sagte zu, wenn auch nicht zu regelmäßigen Beiträgen, und sein Name wurde unter den Mitarbeitern in der Ankündigung aufgeführt. Für diese deutsche Revue hatte Büchner seine Novelle „ Lenz" bestimmt. Er hatte in Straßburg interessante und bis da unbekannte Notizen über Lenz, den unglücklichen Dichter aus der Sturm- und Drangperiode, den Jugendfreund Goethe's , er halten. Lenz, nachdem er sich längere Zeit mit Goethe zugleich in Straßburg aufgehalten, verliebte sich in die bekannte Goethe'sche Friederike und wurde zuletzt verrückt. Die Novelle ist, da die deutsche Revue noch vor ihrem Erscheinen unterdrückt wurde, leider Fragment geblieben und behandelt in dieser Form jenen Moment in Lenzen's Leben, wo derselbe, nachdem er in Weimar
V.
nicht bleiben konnte, zum zweiten. Mal in das Elsaß und, in einem halbwahnsinnigen Zustand, zu dem durch seine pietistische Frömmigkeit bekannten Pfarrer Oberlin in Waldbach kam. Büchner hat seine Erkundigungen über diesen Aufenthalt Lenzen's an Ort und Stelle eingezogen. Das Fragment bildet das dritte Stüd in der Sammlung und ist zuerst in Guzkow's Telegraph" im Jahre 1839, als der Verfasser schon zwei Jahre todt war, abgedruckt worden. Wir setzen die Bemerkung her, mit der Gutzkow damals den Abdruck begleitete:
" 1
,, Diese Probe von Büchner's Genie wird aufs Neue beweisen, was wir mit seinem Tode an ihm verloren haben. Welche Naturschilderungen, welche Seelenmalerei! Wie weiß der Dichter die feinsten Nervenzustände eines, im Poetischen wenigstens, ihm verwandten Gemüthes zu belauschen! Da ist Alles mitempfunden, aller Seelenschmerz mitdurchgedrungen; wir müssen erstaunen über eine solche Anatomie der Lebens- und Gemüthsstörung. G. Büchner offenbart in dieser Reliquie eine reproduktive Phantasie, wie uns eine solche selbst bei Jean Paul nicht so rein, durchsichtig und wahr entgegentritt."
Mit dem Verbot der Deutschen Revue" war die literarische Verbindung und Richtung, die man das„ Junge Deutschland" nannte, so ziemlich zu Ende, und seine Koryphäen verfolgten von nun an jeder seinen eigenen Weg. Büchner's Verhältniß zum Jungen Deutschland und seine Meinung über dasselbe ist in einem Brief vom 1. Januar 1836 sehr deutlich ausgesprochen. Er sagt da:„ lebrigens gehöre ich für meine Person keineswegs zu dem sogenannten Jungen Deutschland , der literarischen Partei Gutzkow's und Heine's. Nur ein völliges Mißkennen unserer ge= sellschaftlichen Verhältnisse konnte die Leute glauben machen, daß durch die Tagesliteratur eine völlige Umgestaltung unserer religiösen und gesellschaftlichen Ideen möglich sei."
Da Büchner die Absicht hatte, schon im Frühling des Jahres 1836 nach Zürich als Privatdocent zu gehen, so beeilte er sich mit seiner Abhandlung sehr. Im März 1836 war sie fertig, und nachdem er in der Straßburger ,, Gelehrten Gesellschaft für Naturwissenschaften" mit sehr großem Beifall drei Vorträge über den Gegenstand gehalten hatte, beschloß die Gesellschaft auf Antrag der Professoren Lauth und Düvernoy, die Abhandlung in ihre Annalen aufzunehmen und dieselbe zum Druck auf ihre Kosten zuzulassen. Zugleich ernannte sie Büchner zum correspon direnden Mitglied. Die Schrift erhielt den Titel: Sur le système nerveux du barbeau( über das Nervensystem der Barben[ Fische]), und wurde von den ausgezeichnetsten Kennern der Naturwissen schaften für eine meisterhafte Arbeit erklärt, die zu den höchsten Erwartungen berechtige. Theils die Verzögerung des Druckes der Schrift, theils politische Maßregeln, die damals gegen die Flüchtlinge in der Schweiz ergriffen wurden, bewogen Büchner , seine Uebersiedelung nach Zürich noch bis zum Herbste zu verschieben. Die ihm dadurch freigewordene Zeit benutzte er, um sowohl seinen anatomischen Cursus bis zu Ende vorzubereiten, als auch namentlich zur Vervollständigung seiner philosophischen Studien. Er präparirte, um mit zwei Fächern ausgerüstet nach Zürich zu kommen, einen vollständigen Lehrcurs über die philosophischen Systeme der Deutschen seit Cartesius und Spinoza ." In dem Nachlasse befindet sich sowohl eine mit großer Gründlichkeit geschriebene Geschichte und Darstellung der Systeme von Cartesius und Spinoza , als auch eine ganz ausgearbeitete Geschichte der älteren griechischen Philosophie. Da Büchner in demselben Sommer auch dramatische Poesien vollendete, von denen wir noch reden werden, so beweisen diese Arbeiten einen enormen Fleiß. Seine Mutter und Schwester, die ihn diesen Sommer in seinem Eril besuchten, fanden ihn zwar gesund, aber doch in einer großen nervösen Aufgeregtheit und ermattet von den anhaltenden geistigen Anstrengungen. Er äußerte damals oft:„ Ich werde nicht alt werden." Dennoch ließen sein angeborner Lebensmuth