das bleiche, flehende Antlitz seines Sohnes trat ihm vor die Augen. Er rang nach ergebungsvoller Fassung, er schluckte die Regung des Ehrgefühls vor dem höhnenden Schurken hinunter, seine zeitweilig hochaufgerichtete Gestalt sank zusammen und fast demüthig erklang seine Stimme, als er vorstellte:
„ Ich wollte mich nur entschuldigen, Herr Rinaldowsky; im Uebrigen weiß ich ja, daß Sie Ihr Geld so hoch wie nur möglich zu verwerthen das Recht haben. Aber Sie werden doch zugeben, daß Sie bei mir noch nichts eingebüßt, und überzeugt sein, daß Sie bei mir nichts einbüßen können."
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,, Herr Ninaldowsky!" rief der Beamte, sich hochaufrichtend. ,, Nun, was beliebt?" fragte der Andere mit höhnischem Grinsen.
,, Sie sollen morgen Ihr gesammtes Guthaben empfangen." " Soll mir sehr lieb sein, Herr Geheimsekretär, sehr angenehm soll es mir sein, aber halten Sie besser Wort als bisher. Ich gehöre noch so zur alten Schule, wissen Sie, Herr Geheimsekretär, wo es hieß: ein Wort, ein Mann."
Der Andere antwortete nicht mehr, denn er fühlte, daß er den Höhnenden zerreißen könnte. Halb besinnungslos eilte er ,, So, meinen Sie? Wissen Sie so genau, daß ich inzwischen aus dem Zimmer ins Vorzimmer und von da die Treppe hinmein Geld nicht viel besser verwerthen konnte?"
,, Besser als zu 120 Prozent!"
,, Das Risiko nicht zu rechnen."
,, Welches Risiko konnten Sie haben?"
,, Sie konnten sterben."
,, Dann war noch meine Familie da."
,, In deren Belieben es dann stand."
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Stand das nicht auch in meinem Belieben?"
,, Doch nicht so ganz. Einem Staatsbeamten kann es durchaus nicht gleichgiltig sein, wenn sein Sohn als ehrlos den Offizierscharakter verliert und davongejagt wird."
" Herr Rinaldowsky!"
,, Nun, was ist? Was wollen Sie mit diesem Tone?" ,, Unterstehen Sie sich nicht noch einmal..."
,, Was? Nicht unterstehen in meinem eigenen Zimmer! Sie sind mir schuldig und sprechen von unterstehen? Zahlen Sie mir mein Geld und dann unterstehen Sie sich nicht noch einmal, über meine Schwelle zu kommen."
Der Beamte kämpfte einen furchtbaren Kampf in seinem Innern, aber die Besonnenheit gewann die Oberhand:
Hier sind 250 Thaler abschlägig. Ich werde Ihnen dieser Tage das Uebrige, 140 Thaler schaffen. Geben Sie mir jetzt meine Quittung."
,, Wozu eine Quittung? Sie bekommen den Wechsel zurück, wenn Sie mir 390 Thaler zahlen, andernfalls erhebe ich morgen Klage gegen Ihren Sohn."
" So wenig Rücksicht wollten Sie beweisen, nachdem Sie soviel an uns verdient haben?
,, Was geht es Sie an, was ich an Ihnen verdient habe? Habe ich Sie etwa gebeten, mich das an Ihnen verdienen zu lassen? Hätte ich das Geld nicht an einem Andern ebenso gut verdienen können? Ich habe Rücksichten genommen, aus Mitleid..." ,, Sie sprechen von Mitleid, während wir Ihnen den letzten Blutstropfen hingeben mußten?"
,, Letzten Blutstropfen? Ha, ha, das ist wirklich zum Todtlachen. Der Herr Sohn geht in der Lieutenantsuniform herum und hat Zutritt zum Hofball, Fräulein Tochter geht in Federhut und Schleier, der jüngere Herr Sohn muß anstandshalber studiren, und bei solchem Bettelstolz..."
Mirabeau ( s. das Portrait S. 56), mit seinem vollen Namen Honoré Gabriel Riquetti , Graf Mirabeau , wurde am 9. März 1749 zu Bignon bei Nemours in Frankreich geboren. Sein Vater, Victor Riquetti , Marquis von Mirabeau , einer im 13. Jahrhundert aus Florenz eingewanderten italienischen Familie entstammt, war ein talentvoller, herrschsüchtiger, ehrgeiziger Mann, der sich in zahlreichen Schriften als " Menschenfreund"( Ami des hommes) aufspielte, seine Familie aber auf das Empörendste tyrannisirte. Er verstieß seine Frau und lebte mit seinen Söhnen, gegen die er im Ganzen nicht weniger als 54 Lettres de cachet( Haftbriefe) erließ, in beständigem Krieg. Der junge Honoré, von athletischem Körperbau, leidenschaftlich, energisch, geistig hochbegabt, wurde, 15 Jahre alt, in ein Militärpensionat geschickt und trat zwei Jahre später als Lieutenant in das Cavallerieregiment Berry; vom Vater im Stich gelassen, verließ er den Dienst, heirathete ein adeliges Fräulein, von dem er sich jedoch bald trennte, um mit einer verheiratheten Frau, Sophie von Monnier, ein Liebesverhältniß anzufnüpfen. Er flüchtete mit ihr nach Holland , und suchte sich durch Schriftstellerei zu ernähren. Wegen Entführung zum Tod() verurtheilt, wurde er 1777 zu Amsterdam mit seiner Geliebten verhaftet und nach Frankreich ausgeliefert. Man begnadigte" ihn zu Gefängniß und sperrte ihn 42 Monate lang im Donjon von Vincennes ein, während Sophie in ein Kloster gesteckt ward. Nachdem er schon früher eine Abhandlung „ über den Despotismus" verfaßt hatte, schrieb er in Vincennes sein
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unter und hinaus an die frische freie Luft.
Wer weiß, wie weit der so im Innersten seines Herzens Verletzte dahingestürmt wäre, wenn er nicht unten auf der Straße den Sohn erblickt hätte, der ihm, nachdem er vergeblich zu Hause angefragt, hierher gefolgt war und, Schlimmes ahnend beim Anblick der verstörten Mienen, den Vater mit der Frage begrüßte:
,, Um Gott , mein lieber Vater, was ist dir? Hat man etwa gar gewagt, dich zu beleidigen?"
,, Ja, jener Elende hat's gewagt, er, der von unserem Lebensmarke zehrt, hält sich auch berechtigt, an unserer Ehre zu nagen." ,, Er soll es büßen, verlaß' dich darauf, Vater."
,, Aber zuvor muß er bezahlt sein."
Ja, er muß bezahlt sein, und das soll er auch noch heute. Hast du ihm die Summe gezahlt?"
,, Er nahm sie nicht, er will das Ganze."
,, Er soll das Ganze haben, und zwar noch heute; ich habe das Uebrige hier in meiner Tasche."
,, Franz, du hast gespielt," rief der Vater vorwurfsvoll. ,, Nicht, nicht; mit was hätte ich spielen sollen? Aber sie, sie, die mich so vieler Sorgen Last mit freudigem Muthe so lange tragen ließ, sie hat es geahnt, daß ich am Wendepunkte meines Lebensglückes stand und sie fühlte sich gedrungen, mir aufzunöthigen, was ihr als Kostbarstes an Schmuck gehörte."
,, Glückliches Kind, du wirst wahrhaft geliebt. Aber demüthigte dich diese Hülfsleistung nicht?"
,, Sie ließ mir keine Wahl, sie schnitt jedes Wort der Weigerung ab, und der Ort ließ eine Auseinandersetzung nicht zu. Es handelt sich auch nur um ein paar Tage, denn ich erwarte den Preis für eine Preisschrift, deren Erfolg mir heute Morgen bereits mitgetheilt wurde."
,, Das ist ein warmer Sonnenstrahl am kalten Neujahrsmorgen, der wunderbare Wärme in unserer Wohnung und langentbehrtes Licht verbreiten wird. Aber ich möchte nicht wieder zu dem Manne gehen, dessen Haus ich soeben mit tiefgebeugter Seele verlassen."
,, Das sollst du auch nicht, Vater, versehen mit den Mitteln um unser unfreiwilliges Verhältniß für immer zu lösen und meinen Ehrenschein zurückzukaufen, kann ich ihm entgegentreten, wie sich's gebührt." ( Fortegung folgt.)
berühmtes Buch über die Haftbriefe und die Staatsgefängnisse", und eine Anzahl sehr frivoler Romane. Die Briefe, welche er aus seinem Kerker an die Geliebte richtete, und die 1792 veröffentlicht wurden, bilden die sentimentale Ergänzung dieser Romane. Nach seiner Freilassung im Jahre 1780 abenteuerte er in Frankreich , England, Preußen herum, und verkaufte seine Feder erst den Holländern, dann der fran zösischen Regierung, die ihn in geheimer Mission nach Berlin schickte. Dabei wußte er aber stets sich in den Mantel des Volkstribuns zu hüllen. Schon vor der Revolution befolgte er die Taktik, Diejenigen, welche ihn bezahlten, anzugreifen, um besser bezahlt zu werden. Mit seiner Thätigkeit in der Revolution werden wir uns später eingehend beschäftigen. Jezt nur so viel: bereits vor dem Bastillensturm bot er sich dem Hof Ludwigs des Sechszehnten an; in grenzenloser Selbstüberschägung glaubte er die Revolution beherrschen und dem König verkaufen zu können. Ludwig XVI . war, trop seiner Beschränktheit, flug genug, hieran zu zweifeln; dies, und der Stolz der Marie Antoinette , die mit einem so anrüchigen Demagogen" nichts zu thun haben wollte, verzögerten den Kaufkontrakt, der formell erst im Mai 1790 abgeschlossen wurde. Obgleich der Kaufpreis ein hoher war, so genügte er doch nicht den extravaganten Bedürfnissen Mirabeau's , der wiederholt in die Demagogenrolle zurückfiel, um Zuschüsse zu erpressen. Natürlich ging die Revolution ihren eigenen Gang und Mirabeau starb am 2. April 1791, ohne die Monarchie gerettet zu haben.
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