unvergängliche Liebe, ob wir sie nun Barmherzigkeit oder Mensch­lichkeit nennen, womit wir die Gefallenen aufheben und den Schwachen helfen?"

,, Wenn wir bei diesem Thema sind," entgegnete Herr C., ,, dann gibt es auch Bibelsprüche genug gegen den Verkehr mit den Bösen. Sie können kein Pech angreifen, Herr Davidsohn, ohne sich zu besudeln."

,, Christus wohnte in dem Hause Simons, des Aussäßigen, Maria Magdalena liebte ihn und er sie. Ich brauche kein an­deres Beispiel. Was Christus that, mögen seine Nachfolger und Schüler ihm nachthun!"

,, Sie sind ein Schwärmer," sagte Herr E., grade wie früher das Parlamentsmitglied gesagt hatte, und beide betrachteten die Schwärmerei als etwas Lächerliches; und eines Tages werden Ihre Theorieen grausam zu Falle kommen. Sie werden einen Hallunken beherbergen, der sich gegen Sie wenden und Ihnen vielleicht zum Dank die Gurgel abschneiden wird. Ich sage Ihnen, ich kenne dieses Gesindel, es ist unverbesserlich."

62

,, Aber doch die stärksten," antwortete Josua.

,, Und die Sünden des schwelgenden Reichthums... ,, Sie schaffen Mary Prinsep und ihre Klasse," unterbrach ihn Josua. Sehen Sie, was jetzt von Ihnen verlangt wird? Daß Sie im Kleinen, in einem einzelnen Falle, die unserer In dienblick heutigen Gesellschaft wieder gut machen. stellen Sie die Gesellschaft vor und es wird von Ibn- langt, daß Sie ein Stück Ihrer eigenen schlechten Arbeitsbessern." Bah!" sagte Herr C. Ich habe Mary nicht schlecht ge= macht! Indeß ich werde für sie thun, was ich kann. Meine Frau braucht eine zweite Magd, ich will ihr den Fall vortragen; aber ich verlasse mich auf Sie," fügte er, von einigen Bedenken ergriffen, hinzu. Ich verlasse mich auf Sie, daß ich es mit einer reuigen und in gewissem Grad geläuterten Person zu thun habe, und daß sie die Uebrigen nicht verderben wird. Denn es ist selbst im günstigsten Falle ein gefährliches Erperiment."

-

" 1

,, Sie ist so gut, daß Jedermann ihr trauen und sie lieben fann," sagte Josua warm, und Herr C. sah ihm mit einem scharfen, fast mißtrauischen Blick ins Gesicht. Ich danke Ihnen von Herzen," fuhr Josua fort, ohne die leiseste Ahnung zu haben,

,, Was wollen Sie denn aber mit diesen Menschen thun, Herr C.?" ,, Man kann N.chts mit ihnen thun," antwortete er. ,, Man kann sie aber doch nicht verhungern lassen," sagte daß er Herrn C. Unbehagen verursacht. Sie haben heute ein Josua ernst. gutes Werk gethan, ein Werk ächter Menschenliebe."

,, Ich sehe nicht ein, daß irgend Jemand die Pflicht hätte, sie zu ernähren, wenn sie sich nicht selbst ernähren wollen außer durch Verbrechen und Laster," antwortete der Menschenfreund. ,, Ich verlange von den Verbrechern und Lasterhaften, männlichen wie weiblichen, erst greifbare Beweise von Neue und Besserung, ehe ich ihnen helfen oder irgend entgegenkommen kann. Glauben Sie mir, daß Ihre allgemeine, unterscheidungslose Menschenliebe die unglücklichste Richtschnur ist, die Sie sich wählen können."

,, Dann hatte Christus Unrecht," sagte Josua, und wir sind wieder auf dem Punkt, von dem wir ausgingen. Also Sie wollen mit Joe keinen Versuch machen?"

,, Nein; ich möchte lieber nichts mit ihm zu thun haben," sagte Herr C., der sich in die Hitze geredet hatte. Es würde mir nicht wohl zu Muthe sein. Ich habe keine Vorliebe für Einbrecher, ich glaube nicht an ihre Besserung. Alle meine Schütz­linge sind ausgesuchte Leute, kein verlorener Charakter ist unter ihnen. Ich kann ihnen nicht zumuthen, einen notorischen Ver­brecher unter sich aufzunehmen, und wenn ich es thäte, so wäre es um meinen Einfluß auf sie geschehen. Grade, weil sie wissen, daß ich auch nicht die kleinste Pflichtvergessenheit dulde, beobachten sie solch gute Zucht; mit welchem Gesicht könnte ich ihnen einen so zweifelhaften Kameraden präsentiren? Es ist einfach unmöglich. Mit dem Frauenzimmer läßt sich vielleicht Etwas machen. Sie ist jung und kann folglich noch nicht ganz verhärtet sein; ich könnte sie in die Besserungsanstalt aufnehmen lassen."

-

,, Nein," sagte Josua; ich kann nicht meine Einwilligung dazu geben, daß sie in eine Besserungsanstalt kommt. Das ist es nicht, was ihr noth thut. In einer Besserungsanstalt würde sie beständig an das erinnert, was sie vergessen soll. Sie würde durch beständiges Denken an sich selbst in eine krankhafte Stim­mung versetzt. Man würde sie Bußpsalmen singen lassen, statt sie eine Beschäftigung zu lehren, die ihr in Zukunft von Nutzen sein könnte. Aus Selbstachtung soll sie tugendhaft bleiben und sie muß so gestellt werden, daß sie nicht mehr nöthig hat, zu ihrem früheren Leben zurückzukehren. Ich will nicht, daß sie durch selbstpeinigende Neue für die Vergangenheit geschwächt, und durch die Aussicht auf ewige Verdammniß für die Zukunft gequält werde. Sie soll gehoben werden, nicht gebrochen."

,, Sie achten doch hoffentlich die Neue nicht gering?" sagte Herr C. erregt. ,, Welch andere Bürgschaft haben wir, daß sie nicht wieder fehl gehen wird?"

,, Die beste Bürgschaft ist: Selbstachtung und die Möglichkeit, sich anständig zu ernähren."

,, Sie sind ja ein frasser Materialist, Herr Davidsohn. Ich kann es nicht ruhig anhören, daß Sie die Sünde einzig auf soziale Verhältnisse zurückführen. Gibt es keine Sünden in den höheren Ständen? Armuth und Unwissenheit sind nicht die allei­nigen Wurzeln menschlicher Verderbtheit."

Ich will nur wünschen, daß ich nicht Unrecht thue," sagte Herr C. zweifelhaft. Ich kann mich des Gedankens nicht er­wehren, daß ich ein Mädchen dafür, daß es ein schlechtes Leben geführt, mit einer Stellung belohne, die Hunderte von tugend­haften Mädchen froh wären, ausfüllen zu können."

,, Wenn Ihr ökonomisches Gewissen Sie beunruhigt, mein Herr, so beschwichtigen Sie es mit der Antwort, die Christus selbst gab, als er die Kanaaniterin fragte, ob es recht sei, das Brot der Kinder den Hunden vorzuwerfen?"

,, Trotz alledem kann ich es nicht für eine Pflicht erachten, das Laster zu belohnen," antwortete hartnäckig Herr C. Ich bitte Sie, ja festzuhalten, daß, was ich jetzt thue, auf Ihr besonderes Verlangen von mir gethan wird."

" Das soll heißen, daß Sie die Verantwortung nicht über­nehmen?"

So ist's!"

,, Wohlan! Herr. Ich übernehme die Verantwortlichkeit." ,, Das wird mir wenig nutzen, wenn die Sache schief geht," sagte Herr C. mit etwas unsicherer Stimme.

-

" D, glauben Sie an die menschliche Natur!" sagte Josua ernst so ernst, daß seine Stimme mir in die tiefste Seele drang. Weil ich die menschliche Natur kenne, déshalb glaube ich

"

-

so wenig an sie. Jedermann bedarf eines festen moralischen Prin­zips, das ihn fähig macht, den Versuchungen, welche sich Jedem gewiß nahen, zu widerstehen. Diese gefallenen Brüder und Schwestern sind besten Falls nur lecke, schiffbrüchige Fahrzeuge. Wenn die menschliche Natur wirklich etwas so Großeß wäre, wozu war es dann nöthig, daß Christus tam? Sie sind doch ein Christ, Herr Davidsohn?"

,, Christus war ein Mensch und glaubte an die Mensch­heit," sagte Josua.

,, Mit Ihnen ist Nichts anzufangen, Herr Davidsohn; Sie sind so wenig zu überzeugen, wie ein Weib." Er gab ihm dann freundlich die Hand und verabschiedete sich.

Einen oder zwei Tage darauf kam er wieder, verlegen, sehr verlegen, und theilte uns unter vielen Versicherungen des Be­dauerns, deren Aufrichtigkeit ich nicht bezweifle, mit, daß seine Frau gegen Mary ebenso viel einzuwenden habe, wie er selbst gegen Joe Traill, und daß sie sich weigere, dieselbe ins Haus aufzunehmen. Man könne nicht wissen, ob Mary nicht eine ge­schickte Heuchlerin sei, die Josua nasführe. Der Ruf des Hauses stehe auf dem Spiel. Das Beste sei doch, sie gehe in eine Besserungsanstalt für gefallene Mädchen, vielleicht finde sich Jemand, der ihr von da aus ein Unterkommen verschaffe. Die Dame war noch so gütig, eine Anzahl frommer Traktätchen zu Schade nur, Marty's Belehrung und Erbauung mitzuschicken. daß Mary nicht lesen konnte, dank unserer herrlichen Gesellschafts­einrichtungen.

p