,, War nun auch nichts absolut Befriedigendes erreicht, so genügte doch der Sinn dieser Bestrebungen, dem Naturstudium eine andere Gestalt zu geben; und hatte man auch die Quelle nicht gefunden, so hörte man doch an vielen Stellen den Strom in der Tiefe rauschen und an manchen Orten sprang das Wasser frisch und hell auf."

Man sieht, Büchner war schon auf dem Weg zu dem moder­nen Materialismus zum Materialismus selbst konnte er noch nicht gelangen. Sein Bruder arbeitete aus, was er nur stizzenhaft andeutet.

Oken und Schönlein, die beide damals in Zürich lehrten, sprachen sich sehr lobend über die Vorlesung aus. Nachdem der Züricher Erziehungsrath Büchner zum Privatdozenten ernannt hatte, empfahl Oken dessen Vorlesungen vom Katheder herab und schickte seinen eigenen Sohn in dieselben. Dadurch wurde Büchner mit Oken und dessen Familie befreundet. Auch Schönlein lud ihn ein und stellte ihm seine werthvollen Präparate zur Ver­fügung. Ueberhaupt wurde der junge Gelehrte von allen Seiten auf das Zuvorkommendste aufgenommen, und man hatte sogar im Züricher Erziehungsrathe die Absicht, sehr bald für ihn eine Professur der vergleichenden Anatomie zu freiren. Seine Vor­lesung beschäftigte ihn vollauf, da es zu jener Zeit in Zürich beinahe völlig an vergleichend anatomischen Präparaten fehlte, und er dieselben fast alle selbst anfertigen mußte. Er schreibt an seinen Bruder:. Ich size am Tage mit dem Skalpell und die Nacht mit den Büchern." Von früheren politischen Leidens­genossen fand er in Zürich außer Schulz: Trapp, Geilfuß und Braubach . Mit Doktor Wilhelm Schulz und dessen Frau, die ihn mit der aufopferndsten Sorgfalt auf seinem Krankenlager gepflegt hat, war er namentlich aufs Innigste befreundet.

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Die Briefe aus der Zeit des Züricher Aufenthalts sind meist heiter und voll Zufriedenheit. Häufig fragt er in denselben nach den Darmstädter Gefangenen( Minnigerode, Küchler, Gladbach und Anderen), deren Untersuchungen damals mit besonderer Strenge geführt wurden, und immer wirft die Erinnerung an seine un­glücklichen Freunde, die leiden müssen, während er frei ist, einen düsteren Schatten in seine sonst fröhliche Stimmung.

Mit Anfang des Jahres 1837 scheint Büchner's Stimmung trüber geworden zu sein, wohl nur durch das Unangenehme der längeren Trennung von seiner Braut, da mit seinen sonstigen Angelegenheiten Alles nach Wunsch ging. Aus den in den letzten Wochen vor seinem Tode an seine Braut geschriebenen Briefen heben wir die folgenden Stellen aus:

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Vom 13. Januar 1837: Mein lieb Kind!.... Ich zähle die Wochen bis zu Ostern an den Fingern. Es wird immer öder. So im Anfange ging's: neue Umgebungen, Menschen, Berhältnisse, Beschäftigungen aber jetzt, da ich an Alles ge­wöhnt bin, Alles mit Regelmäßigkeit vor sich geht man vergißt sich nicht mehr. Das Beste ist, meine Phantasie ist thätig, und die mechanische Beschäftigung des Präparirens läßt ihr Raum. Ich sehe dich immer so halb durch zwischen Fischschwänzen, Frosch­zehen 2c. Ist das nicht rührender als die Geschichte von Abälard, wie sich ihm Heloise immer zwischen die Lippen und das Gebet bränat? O, ich werde jeden Tag poetischer, alle meine Gedanken schwimmen in Spiritus Gott sei Dank, ich träume wieder viel Nachts, mein Schlaf ist nicht mehr so schwer."

Vom 20. Januar: Ich habe mich verkältet und im Bett gelegen. Aber jetzt ist's besser. Wenn man so ein wenig un­wohl ist, hat man ein so groß Gelüften nach Faulheit; aber das Mühlrab breht sich fort ohne Raft und Ruh..... Heute und gestern gönne ich mir jedoch ein wenig Ruhe und lese nicht; morgen geht's wieder im alten Trab, du glaubst nicht, wie regel mäßig und ordentlich. Ich gehe fast so richtig, wie eine Schwarz­wälder Uhr. Doch ist's gut: auf all das aufgeregte, geistige Leben Ruhe, und dabei die Freude am Schaffen meiner poeti­schen Produkte. Der arme Shakspeare war Schreiber den Tag über und mußte Nachts dichten, und ich, der ich nicht werth bin, ihm die Schuhriemen zu lösen, hab's weit besser.... Lernst Du bis Ostern die Volkslieder singen, wenn's Dich nicht an­greift? Man hört hier keine Stimme; das Volk singt nicht, und

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D1 weißt, wie ich die Frauenzimmer lieb habe, die in einer Soiree oder einem Concerte einige Töne todtschreien oder winseln. Ich komme dem Volk und dem Mittelalter immer näher, jeden Tag wird mir's heller und gelt, Du singst die Lieder? Ich bekomme halb das Heimweh, wenn ich mir eine Melodie summe.... Jeden Abend fitz' ich eine oder zwei Stunden im Casino; Du kennst meine Vorliebe für schöne Säle, Lichter und Menschen um mich.".

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Vom 27. Januar: Mein lieb Kind, Du bist voll zärtlicher Besorgniß und willst krank werden vor Angst; ich glaube gar, Du stirbst aber ich habe keine Lust zum Sterben und bin gesund wie je. Ich glaube, die Furcht vor der Pflege hier hat mich gesund gemacht; in Straßburg wäre es ganz angenehm gewesen, und ich hätte mich mit dem größten Behagen ins Bett gelegt, vierzehn Tage lang, rue St. Guillaume Nro. 66, links eine Treppe hoch, in einem etwas überzwergen Zimmer, mit grüner Tapete! Hätt' ich dort umsonst geklingelt? Es ist mir heut einigermaßen innerlich wohl, ich zehre noch von gestern, die Sonne war groß und warm im reinsten Himmel und dazu hab' ich meine Laterne gelöscht und einen edlen Menschen an die Brust gedrückt, nämlich einen kleinen Wirth, der aussieht, wie ein be­trunkenes Kaninchen, und mir in seinem prächtigen Hause vor der Stadt ein großes elegantes Zimmer vermiethet hat. Edler Mensch! Das Haus steht nicht weit vom See, vor meinen Fenstern die Wasserfläche und von allen Seiten die Alpen , wie sonnenglänzendes Gewölk. Du kommst bald? mit dem Jugend­muth ist's fort, ich bekomme sonst graue Haare, ich muß mich bald wieder an Deiner inneren Glückseligkeit stärken und Deiner göttlichen Unbefangenheit und Deinem lieben Leichtsinn und all Deinen bösen Eigenschaften, böses Mädchen. Adio piccolo mia!"

Die neue Wohnung am See bei dem kleinen Wirth sollte Büchner nicht mehr beziehen. Am 2. Februar klagte er über das erste Unwohlsein, das sich rasch zu einer heftigen Krankheit ausbildete. Doktor Zehnder und Schönlein leiteten die ärztliche Behandlung. Seine Freunde Wilhelm Braubach und Schmid, sowie Frau Schulz, pflegten ihn mit aufopfernder Sorgfalt und mit der Liebe, die er bei allen ihm näher Stehenden für sich erweckt hatte. Schulz selbst erzählt die letzten Lebensaugenblicke des Dichters in seinem damals in der Züricher Zeitung erschienenen Nekrologe folgendermaßen:

,, Reiner von Büchner's Freunden hatte diesen Tag noch vor wenigen Wochen nahe geglaubt. Außer einigen leichten Unpäßlich­feiten war er während seines Aufenthalts in Zürich stets gesund geblieben. Sein Aeußeres schien mit seinem Innern in Harmonie zu stehen, und die breit gewölbte Stirne schien noch lange seinem umfassenden Geiste eine sichre Stätte zu sein. Doch mochte er selbst ein Vorgefühl seines nahen Endes haben. Wenigstens ver­gleicht er in einem hinterlassenen Tagebuche den Zustand seiner Seele mit einem Herbstabend und schließt mit den Worten: Ich fühle keinen Ekel, keinen Ueberdruß; aber ich bin müde, sehr müte. Der Herr schenke mir Ruhe!"

,, Am 2. Februar mußte er sich zu Bette legen, das er von jetzt an nur für wenige Augenblicke verließ. Trotz der Sorgfalt der Aerzte und der Pflege seiner Freunde machte die Krankheit unaufhaltbare Fortschritte und bildete sich bald zum heftigen Nervenfieber aus. Am zwölften Tage fingen die Delirien an. Der Gegenstand seiner Phantasieen waren seine Braut, seine Eltern und Geschwister, deren er mit der rührendsten Anhänglich­keit gedachte, und das Schicksal seiner politischen Jugendgenossen, die seit Jahren in den Kerkern seiner Heimat schmachten. Wie vor seiner Krankheit, so sprach er auch jetzt in bitteren aber wahren Worten, die in dem Munde eines Sterbenden ein doppeltes Gewicht haben, über jene Schmach unserer Tage sich aus, über die verwerfliche Behandlung der politischen Schlachtopfer, die nach gesetzlichen Formen und mit dem Anscheine der Milde in jahrelanger Untersuchungshaft gehalten werden, bis ihr Geist zum Wahnsinne getrieben und ihr Körper zu Tode gequält ist. ,, In jener französischen Revolution," so rief er aus, die wegen ihrer Grausamkeit so verrufen ist, war man milder als jetzt. Man schlug seinen Gegnern die Köpfe